Arbeitsrecht in Sanierung und Insolvenz
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- Leopold Baum
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1 Arbeitsrecht in Sanierung und Insolvenz 2. Skript: Grundlagen Betriebsverfassungs-, Tarif- und Betriebsübergangsrecht Prof. Dr. Georg Annuß Universität Regensburg Sommersemester 2011
2 Betriebsverfassungsrechtliche Grundlagen der Restrukturierung - Übersicht (1) BetrVG und SprAuG als Kodifikationen der Betriebsverfassung privatrechtlich organisierter Unternehmen (für Körperschaften des öffentlichen Rechts gilt hingegen die Personalvertretungsgesetze). Anwendungsbereich des BetrVG (vgl. 1 BetrVG). Betriebsrat ( 7 ff. BetrVG), Gesamtbetriebsrat ( 47 ff. BetrVG), Konzernbetriebsrat ( 54 ff. BetrVG). Hilfsorgan des Betriebs- bzw. Gesamtbetriebsrates ist der Wirtschaftsausschuss ( 106 BetrVG). Jugend- und Auszubildendenvertretungen ( 60 ff. BetrVG). Betriebsversammlung ( 42 ff. BetrVG). 2
3 Exkurs: Die betriebsverfassungsrechtliche Vertretungsstruktur AG Konzernspitze: Konzernbetriebsrat Konzernjugend- und Auszubildendenvertretung Konzernschwerbehindertenvertretung GmbH 1 GmbH 2 Unternehmensebene: Gesamtbetriebsrat/Wirtschaftsausschuss Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung (Gesamtschwerbehindertenvertretung) Betriebsebene: Betriebsrat Jugend- und Auszubildendenvertretung (Schwerbehindertenvertretung) 3
4 Betriebsverfassungsrechtliche Grundlagen der Restrukturierung Übersicht (2) Fundamentalgrundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß 2, 74 BetrVG. Beachte stets: Die Betriebsverfassung ist im Gegensatz zum tariflichen Regelungsregime eine Zwangsverfassung, da sich der Arbeitnehmer ihr nur durch ein Ausscheiden aus dem Betrieb entziehen kann. Betriebsrat und Arbeitgeber können Betriebsvereinbarungen abschließen (vgl. 77 Abs. 1 BetrVG). 4
5 Betriebsverfassungsrechtliche Grundlagen der Restrukturierung - Beteiligungsrechte des Betriebsrats (1) Das BetrVG sieht unterschiedlich intensive Beteiligungsrechte des Betriebsrats vor: Informationsrecht: Betriebsrat hat nur Anspruch auf Information und kann zur Erlangung der Information nachfragen. Mitspracherecht: Betriebsrat hat Anspruch auf Anhörung oder Beratung, nicht aber auf Mitentscheidung. Mitbestimmungsrecht: Arbeitgeber und Betriebsrat können die Entscheidung nur gemeinsam treffen. Kommt eine Einigung nicht zustande, entscheidet die Einigungsstelle verbindlich durch Spruch (vgl. 76 BetrVG). 5
6 Betriebsverfassungsrechtliche Grundlagen der Restrukturierung - Beteiligungsrechte des Betriebsrats (2) Weitgehender Katalog allgemeiner Betriebsratsaufgaben in 80 BetrVG. Die Beteiligungsrechte im Einzelnen: Beteiligung in sozialen Angelegenheiten ( BetrVG). Beteiligung bei der Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung ( 90, 91 BetrVG). Beteiligung in personellen Angelegenheiten ( BetrVG), insbesondere: Mitbestimmungsrecht bei Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung oder Versetzung ( 99 BetrVG). Anhörungsrecht vor Kündigungen ( 102 BetrVG). Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten ( BetrVG), insbesondere Anspruch auf Verhandlung eines Interessenausgleichs sowie Anspruch auf Aufstellung eines Sozialplans bei Betriebsänderungen gemäß 111 BetrVG. 6
7 Betriebsverfassungsrechtliche Grundlagen der Restrukturierung - Betriebsänderung (1) Unterrichtungspflicht bei Betriebsänderungen 111 BetrVG, sobald eine Betriebsänderung geplant ist. Unterrichtungspflicht wird erst ausgelöst, sobald der Unternehmer dem Grundsatz nach zur Durchführung einer bestimmten Veränderung der Betriebsorganisation entschlossen ist. Bloße unternehmerische Vorüberlegungen lösen die Unterrichtungspflicht nicht aus. Quantitative Wesentlichkeit und qualitative Wesentlichkeit einer Betriebsänderung. Ob erhebliche Teile der Belegschaft betroffen werden, bestimmt die Rechtsprechung in Anlehnung an 17 KSchG, jedoch müssen stets mindestens 5 % der Belegschaft betroffen sein. Auch der bloße Personalabbau kann eine Betriebsänderung darstellen. 7
8 Betriebsverfassungsrechtliche Grundlagen der Restrukturierung - Betriebsänderung (2) Der Interessenausgleich ( 112 I 1 BetrVG) Er regelt alle Fragen der organisatorischen Durchführung einer Betriebsänderung und enthält Regelungen, um den Eintritt von wirtschaftlichen Nachteilen für die Arbeitnehmer nach Möglichkeit zu vermeiden. Der Interessenausgleich ist nicht erzwingbar. Mit der Betriebsänderung darf erst begonnen werden, wenn der Interessenausgleich im Sinne des Gesetzes versucht worden ist. Versuch setzt im Falle der Nichteinigung Scheitern der Verhandlungen in der Einigungsstelle ( 76 BetrVG) voraus. Bei Durchführung der Betriebsänderung ohne Versuch des Interessenausgleichs oder Abweichung vom Interessenausgleich, vgl. 113 BetrVG (Unterlassungsanspruch sehr str.!). 8
9 Betriebsverfassungsrechtliche Grundlagen der Restrukturierung - Betriebsänderung (3) Der Sozialplan ( 112 I 2 BetrVG) Regelt den Ausgleich oder die Milderung der den AN aus der Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile. Kann im Gegensatz zum Interessenausgleich durch Spruch der Einigungsstelle erzwungen werden. Braucht nicht vor Beginn der Betriebsänderung aufgestellt worden zu sein. Der Sozialplan hat die Wirkung einer Betriebsvereinbarung ( 112 I 3 BetrVG. 9
10 Betriebsverfassungsrechtliche Grundlagen der Restrukturierung - Betriebsänderung (4) Nachteilsausgleichsanspruch gem. 113 BetrVG. Neben 113 BetrVG auch Unterlassungsanspruch des Betriebsrates bis zum Versuch eines Interessenausgleichs im Sinne des Gesetzes? Bei Verletzung der Informationspflicht nach 111 BetrVG ist ein Bußgeld nach 121 BetrVG möglich. 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG: Interessenausgleich braucht nicht versucht zu werden, wohl aber Sozialplanpflicht, bei Tendenzbetrieben. 112a Abs. 2 BetrVG: Sozialplanprivileg für neugegründete Unternehmen (Interessenausgleich ist dennoch zu versuchen!). 10
11 Betriebsverfassungsrechtliche Grundlagen der Restrukturierung - Betriebsänderung (5) Auswirkungen von Restrukturierungen auf den Betriebsrat 13 Abs. 2 Nr. 1-3 BetrVG i.v.m. 22 BetrVG bei Erhalt der Betriebsidentität. 21a BetrVG (Übergangsmandat) als Vollmandat, für die aus einer betrieblichen Reorganisation hervorgehenden betriebsratslosen Teile. 21b BetrVG (Restmandat) als reines Abwicklungsmandat. Auswirkungen von Restrukturierungen auf Betriebsvereinbarungen Fortgeltung bei Erhalt der Betriebsidentität und in selbständig fortgeführten (betriebsratsfähigen) Betriebsteilen. Ablösung bei Eingliederung in einen neuen Betrieb, bei dem Betriebsvereinbarungen zum gleichen Regelungsgegenstand bestehen. Unklar, was bei Eingliederung in einen anderen Betrieb geschieht, in dem keine vergleichbare Regelung besteht. 11
12 Grundlagen des Tarifrechts Tarifverträge sind Verträge zwischen Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Tarifgebunden sind nur die Parteien des Tarifvertrages sowie die Mitglieder der Tarifvertragsparteien (vgl. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 TVG). Tarifverträge können für allgemeinverbindlich erklärt werden (vgl. 5 TVG; beachte daneben 7 AEntG). Keine Tarifbindung im eigentlichen Sinne entsteht durch die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den Tarifvertrag. Tarifverträge enthalten einen schuldrechtlichen und einen normativen Teil. Äußerste Grenze der Tarifgeltung wird durch die Tarifzuständigkeit der tarifschließenden Parteien und den vereinbarten Geltungsbereich der Tarifverträge gesetzt. 12
13 Die Tarifnormwirkung 4 I TVG: Rechtsnormen des Tarifvertrages gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich (insbes. räumlich, fachlich, persönlich und zeitlich) des Tarifvertrages fallen. Abweichungen von den Tarifnormen sind gemäß 4 Abs. 3 TVG nur zulässig bei Vorliegen einer Tariföffnungsklausel (auch rückwirkende Vereinbarung möglich, allerdings sind Grundsätze des Vertrauensschutzes zu beachten) Beachtung des Günstigkeitsprinzips. Zwingende Arbeitnehmerschutzbestimmungen stehen prinzipiell nur einem Vorausverzicht entgegen. Anders 4 Abs. 4 Satz 1 TVG: Er untersagt auch den Verzicht auf bereits entstandene tarifliche Rechte ohne Billigung der Tarifparteien. 13
14 Der Günstigkeitsvergleich Für Sachgruppenvergleich ist zu fragen, welche Regelungen im Arbeitsvertrag und im Tarifvertrag in einem sachlichen Zusammenhang stehen und miteinander verglichen werden können. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte in Arbeitsvertrag und Tarifvertrag sind die sachlich entsprechenden Regelungen miteinander zu vergleichen. Ob sachliche Entsprechung vorliegt, bestimmt sich nach dem Vertragsinhalt bzw. nach der Verkehrsauffassung. Sachgruppenzusammenhang etwa in folgenden Fällen: Urlaubsdauer, Wartezeit (vgl. 4 BUrlG) und Urlaubsgeld Tarifliches Grundentgelt und tarifliche Überstundenvergütung können mit höherem Fixgehalt verglichen werden, wenn dieses eine pauschale Überstundenabgeltung enthält. Tarifliche Fahrtkostenerstattung und arbeitsvertragliche Gewährung eines Firmenwagens. 14
15 Betriebs(teil)begriff des 613a BGB (1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein ( 613a Abs. 1 Satz 1 BGB). Betriebsteil im Sinne des 613a BGB ist ein oganisierter Wertschöpfungszusammenhang. Konstituiert wird der Betrieb oder Betriebsteil durch alle Merkmale, die erforderlich sind, um eine im wesentlichen unveränderte Fortführung des Betriebs oder Betriebsteils zu ermöglichen. Erforderlich ist eine umfassende Gesamtbetrachtung: Zu den maßgeblichen Gesichtspunkten gehören insbesondere ( 7-Punkte-Prüfung ): materielle Betriebsmittel, immaterielle Betriebsmittel, betriebliche Organisation, Grad der Ähnlichkeit der Betriebstätigkeit des neuen Inhabers mit demjenigen des bisherigen Inhabers, Weiterbeschäftigung der Hauptbelegschaft, Übergang von Kunden- und Lieferantenbeziehungen Dauer der evtl. Betriebsunterbrechung. 15
16 Produktion 1 Produktion 2 Produktion 1 Produktion 2 Produktion 2 Betriebs(teil)begriff des 613a BGB (2) V-GmbH (Düsseldorf) Overhead V-GmbH (Düsseldorf) Overhead E-GmbH (Düsseldorf) Betriebsmittel 16
17 Widerspruch und Unterrichtung der Arbeitnehmer 613 a BGB (5) Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über: 1. den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs, 2. den Grund für den Übergang, 3. die rechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und 4. die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen. (6) Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden. 17
18 Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers (1) Nur übergehende, nicht auch zurückbleibende AN oder im Betrieb des Inhabers bereits beschäftigte AN sind zu informieren. Information muss jedem AN eine Basis für die Ausübung seines individuellen Widerspruchsrechts geben. Jeder einzelne AN muss aus Information erkennen können, was sich in seinem Arbeitsverhältnis ändert. Es genügt nicht, dass die Belehrung über die rechtlichen Folgen im Kern richtig ist. Nach Ansicht des BAG darf sie keine juristischen Fehler aufweisen. Aber: Eine Unterrichtung über komplexe Rechtsfragen ist im Rahmen des 613a Abs. 5 BGB dann nicht fehlerhaft, wenn der Arbeitgeber bei angemessener Prüfung der Rechtslage ( ) rechtlich vertretbare Positionen gegenüber dem Arbeitnehmer kundtut. 18
19 Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers (2) Neuer Betriebsinhaber muss identifizierbar benannt werden. Dazu gehört prinzipiell die Angabe von Firma und Anschrift. Angabe des Grundes für den Betriebsübergang verlangt nicht nur Bezeichnung des Rechtsgrundes, sondern schlagwortartige Darstellung der unternehmerischen Gründe für den Betriebsübergang. Zu unterrichten ist nicht nur über rechtliche Primärfolgen, sondern auch über Sekundärfolgen (etwa Sozialplanansprüche bei Kündigung nach Widerspruch); dies gilt nur, wenn sich die Sekundärfolgen im konkreten Fall tatsächlich ergeben könnten. Zu unterrichten ist nur über den Stand im Zeitpunkt der Unterrichtung. Hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommene Maßnahmen liegen nur vor, wenn sie das Stadium konkreter Planung bereits erreicht haben. 19
20 Folgen unzureichender Unterrichtung Schadensersatzansprüche der Arbeitnehmer sind denkbar. Widerspruchsfrist des 613a Abs. 6 BGB läuft nicht an. Es gibt keine absolute Ausschlussfrist, beispielsweise von sechs Monaten. Es kommt lediglich nach allgemeinen Grundsätzen Verwirkung in Betracht. Dafür müssen Zeitmoment und Umstandsmoment gegeben sein. Zeitmoment und Umstandsmoment stehen in Wechselwirkung zueinander: Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände, die eine Geltendmachung für den Anspruchsgegner unzumutbar machen, sind, desto schneller kann ein Anspruch verwirken. 20
21 Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft BQG AN Erwerber Dreiseitiger Vertrag AN InsSchuldner BM 21
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