Grundwissen zur Kunst des 19. Jahrhunderts
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- Hildegard Gerhardt
- vor 8 Jahren
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1 Grundwissen zur Kunst des 19. Jahrhunderts Teil 1 Klassizismus, Romantik, Realismus 1
2 Zeitgeschichte Die Jahre von 1770 bis 1830 umfassen eine Zeitspanne geistiger, sozialer und politischer Umwälzungen und Erneuerungen. Es ist die Zeit der Aufklärung und des Idealismus (vgl. Geschichtsunterricht: Napoleon I., Wiener Kongress). Die Gedanken der antiken Philisophie von der Freiheit des Menschen und seiner Verantwortung für das Gemeinwesen werden propagiert. Dies bildet den zeitgeschichtlichen Hintergrund für die Epoche des Klassizismus. In Frankreich werden die neuen Ideen mit der Revolution schlagartig und brutal durchgesetzt. Andere europäische Staaten wie Preußen unter Friedrich II. führen Reformen durch. Die Entstehung großer Städte, die viele Menschen anziehen, und der Wandel der Arbeitswelt durch die sogenannte technische Revolution tragen Mitte des 19. Jh. zur gesellschaftlichen Veränderung bei. AUFGABE: Sammle aus dem Geschichtsbuch Namen und Fakten, die das 19. Jh. bis etwa 1860 kennzeichnen. In diesem Jahrhundert ist der Maler ein wichtiger Zeitzeuge, erst Mitte des Jahrhunderts wird diese Aufgabe von der Fotografie übernommen. Der Maler erzählt die Ereignisse allerdings aus seiner Sicht - bzw. der Sicht seiner Auftraggeber. So führt im Barrikadenaufstand, den Eugene Delacroix hier darstellt, eine Frau die Menschenmassen. Die Frauenfigur mit der erhobenen Fahne wird später zu einer Allegorie für das freiheitsliebende Frankreich. Auch die Freiheitsstatue in New York, die die Neuankömmlinge im jungen Staat Amerika begrüßt, ist eine allegorische Figur. In den großen Städten wird das Denkmal mit historischen oder allegorischen Figuren zu einem wichtigen Aufgabenfeld für den Künstler. Die Auftraggeber wollen auf diese Weise mit ihren Vorstellungen und Idealbildern viele Menschen erreichen. Keine Allegorien, sondern ganz reale, wirkliche Menschen wollen die Künstler des Realismus in der Mitte des Jahrhunderts darstellen, Menschen bei der täglichen schweren Arbeit in den neuen Industrieanlagen. Im Eisenwalzwerk hat der Maler Adolph von Menzel viele Tage mit Beobachtungen und Skizzen verbracht, bevor er dieses Gemälde anfertigte. Es ist ein Zeugnis der technischen Revolution, aber auch der harten Arbeitsbedingungen in dieser Zeit. Adolph Menzel, Eisenwalzwerk Eugene Delacroix; Barrikadenaufstand 2
3 Klassizismus - Architektur Man spricht auch von der zweiten Wiedergeburt der Antike (vgl. Renaissance), denn wesentliche Gestaltungsmittel werden auch in dieser Epoche aus der Antike übernommen: - die Form der Kapitelle (dorisch, ionisch, korinthisch) - das Motiv der Tempelfassade mit Dreiecksgiebel und Säulenreihe und - das Triumphbogenmotiv. Die Architekten wenden sich damit ab vom Illusionismus und der Prachtentfaltung des späten Barock und des Rokoko. Stattdessen werden klare, schlichte Formen mit harmonischer, monumentaler und repräsentativer Wirkung gewählt. Deutlich erkennbar ist die Vorliebe für symmetrische und ausgewogene Formen, die nach antiker Vorstellung die Schönheit der Schöpfung wiedergeben. Aus diesem Grund werden auch geometrische Grundformen wie Quadrat und Kreis bevorzugt. Aufgabe: Suche geeignetes Bildmaterial für die Baukunst des Klassizismus und klebe es hier ein. Gestaltungsmerkmale Außenbau Innenraum Bauaufgaben Die Form des Baukörpers wird aus Quadrat und Kreis entwickelt, dabei werden einfache Körper (Kubus, Pyramide, Kegel, Kugel, Zylinder) bevorzugt. Die Bauteile werden streng symmetrisch angeordnet. Die Proportionen sind geometrisch durchdacht. Triumphbogen- und Tempelmotiv (Säulenreihe mit Dreiecksgiebel) herrschen vor in der Gestaltung von Fassaden, bei der Umrahmung von Portalen und Fenstern. Stützen und Säulen werden mit dorischen, ionischen und korinthischen Kapitellen versehen. Der Bau ist geprägt von übermenschlicher Größe (Monumentalarchitektur). Auch hier wird die geometrisch-klare Gliederung deutlich; den senkrechten Säulen wirken waagerecht verlaufende Gesimse entgegen und schaffen so ein Gleichgewicht. Die Bauten dienten vor allem repräsentativen Zwecken und sollten politische Ideen dokumentieren. Sie stehen deshalb oft an exponierter Stelle. Häufig werden ganze Straßenverläufe, Plätze und auch ganze Städte neu geplant und gestaltet. München wird unter Ludwig I. ganz in diesem Sinn umgestaltet: Leopoldstraße von Siegestor bis Feldherrnhalle, Königsplatz mit Antikensammlung, Glyptothek. Karlsruhe wird auf dem Reißbrett entworfen und erbaut. Baumeister und ihre Werke Carl Gustav Langhans: Brandenburger Tor, Berlin Karl Friedrich Schinkel: Neue Wache und Schauspielhaus, Berlin Leo von Klenze: Glyptothek, München ; Walhalla, Regensburg 3
4 Klassizistische Architekten Karl Friedrich Schinkel - der Baumeister Berlins geboren 1781 in Neuruppin, gestorben 1841 in Berlin Über seine Absichten sagt Schinkel: Historisch ist nicht, das Alte allein festzuhalten oder zu wiederholen, dadurch würde die Historie zu Grunde gehen, historisch handeln ist das, welches das Neue herbeiführt und wodurch die Geschichte fortgesetzt wird. Wichtige Stationen seines Lebens Kurzcharakteristik Hauptwerke Schinkel studierte in Berlin Architektur, er malte Stadtansichten und Idealarchitektur. Schinkel unternahm etliche Reisen ins europäische Ausland, um sich Anregungen zu holen. Ab 1809 war er im Staatsdienst als Baurat und zuständig für die bauliche Gestaltung Berlins als preußische Hauptstadt, aber auch für andere Bauaufgaben in Preußen. So entwarf er den Prototypen einer Normalkirche, wie sie in der Folgezeit überall in Brandenburg erbaut wurde. Schinkel war Architekt, Stadtplaner und Maler. Seine Bauten sind Zweckbauten; er pflegte einen sachlichen Stil. Darüber hinaus hat Schinkel den Beginn der deutschen Denkmalpflege unterstützt. Sein Rückgriff auf die Gotik nimmt Elemente des Historismus vorweg. Schauspielhaus, Berlin, 1818 Altes Museum, Berlin, 1824 Schloss Charlottenburg, Potsdam-Sanssouci Neue Wache, Berlin, 1818 Friedrichswerdersche Kirche (Backstein-Gotik), 1825 Leo von Klenze - für Ludwig I. gestaltet er München geboren 1784 bei Schladen, gestorben1864 in München Ausgang der Form ist geistige Haltung. Die Gesichtslosigkeit der Architektur ist die Folge der Gesichtslosigkeit der Bewusstseins. Wichtige Stationen seines Lebens Kurzcharakteristik Hauptwerke Klenze stammt aus einer Beamtenfamilie. Während seiner Ausbildungszeit und später auch noch unternahm er zahlreiche Reisen nach Italien und Griechenland. Er gelangte als Hofarchitekt von König Ludwig I. von Bayern zu Bedeutung. Zu seinen Aufgabenbereichen gehörte die klassizistische Umgestaltung Münchens. Klenze hat mit seinen Bauten das Stadtgesicht von München entscheidend geprägt. Seine Bauten stehen für harmonische Ausgewogenheit und schlichte Klarheit. Sie sind besonders von der Antike und den Bauten der Renaissance beeinflusst. Glyptothek, München, Alte Pinakothek, München, Walhalla, Regensburg, 1842 Propyläen, München,
5 Romantische Malerei Unter Romantik versteht man eine philosophisch-literarisch ausgeprägte Bewegung um 1800, die sich parallel zum europäischen Klassizismus besonders in den Ländern nördlich der Alpen ausbreitet. Die Romantiker wenden sich gegen die rationalistische Geisteshaltung der Klassizisten und sehen mehr in der Empfindsamkeit des Menschen, seiner engen Verbundenheit mit der Natur und dem dort gegenwärtigen Göttlichen den Schlüssel zum Verständnis der Welt. Gefühl und Phantasie sind für die Romantiker wichtiger als Logik und Verstand. Die Romantik ist durch den Bezug zur Geschichte, zu den Sagen und Märchen eines Volkes, sehr stark national geprägt. NORDDEUTSCHE ROMANTIK Kennzeichen sind: - die poetische Sicht der eigenen Vergangenheit, vor allem des Mittelalters, das als Goldenes Zeitalter verklärt wird, - eine gefühlvolle Betrachtung der Natur, vor allem der Landschaft der eigenen Heimat, und - das Streben nach einem tiefenglauben. Sentimentalität und Weltschmerz kennzeichnen die deutsche Romantik; sie betont die Person und ihre Gefühle. Farbgebung, Kompositionsmittel und Malweise erinnern ganz an die traditionelle Malerei von Renaissance und Barock, es gibt in dieser Epoche keine eigenen, neuen Stilmittel. CASPAR DAVID FRIEDRICH versucht, in seinen Bildern Religiösität und Naturnähe zu verbinden. Er stellt hauptsächlich stimmungsvolle, schwermütige Landschaften dar, in denen sich der im Verhältnis zur Natur winzige Mensch der Naturkraft und der Naturseele gegenübergestellt sieht. Christliche Symbole werden in die Landschaft hinein interpretiert: Kreuz - Erlösungstod - Sonnenaufgang. Personen und Gegenstände, Tages- und Jahreszeiten haben ihren bestimmen Bedeutungsgehalt. So drückt Friedrich seine Gedanken und Gefühle in den Landschaftsdarstellungen aus. Ein häufiges Bildmotiv ist die Rückenfigur: Der Betrachter soll sich selbst in das Bild hineinversetzt fühlen. PHILIPP OTTO RUNGE malt neben Landschaften v. a. Porträts, die meist ernste, verschlossene Menschen zeigen. Auch bei ihm spielt die Symbolik der verwendeten Farben, Beigaben und einer bestimmten Umgebung eine große Rolle. Sein Hauptwerk ist der Zyklus Vier Zeiten, der seine symbolisch-mystischen Gedanken über Welt und Schöpfung zum Ausdruck bringt. Die sog. NAZARENER wollen eine religiöse Kunst schaffen. Diese Künstlergruppe um FRIEDRICH OVERBECK siedelt sich in einem italienischen Kloster an. In ihrer Gestaltung knüpfen die Maler an die harmonischen Darstellungen der frühen Renaissance an, vor allem an die Zeit vor Raffael. Eine Künstlergruppe in Englandmit den gleichen Absichten nennt sich zu dieser Zeit deshalb auch PRÄRAFFAELITEN. Im Bild Italia und Germania zeigt Friedrich Overbeck idealisiert die enge Verbindung beider Länder. Die Freundinnen sind jeweils typisch dargestellt: Aussehen, Frisur und Kleidung, auch die typische Landschaft mit einem Kirchenbau. Für die deutsche Stadt steht hier eine gotische Kirche, wie in der Kleidung findet sich hier ein Hinweis auf die Vorliebe für das Mittelalter. Der arme Poet von Carl Spitzweg zeigt, wie der Alltag romantisiert wird: Alles ist nett und idyllisch, selbst die Armut des Dichters oder die Unordnung in seiner Dachstube. Spitzweg ist ein Maler mit großem Können. Seine Bilder gelten als dekorativ, sie treffen den Geschmack des Publikums; bis heute sind seine Motive bekannt und beliebt, sogar als Stickvorlagen. In der Spätphase der Romantik, Spätromantik = Biedermeier schrumpfen die Ideale der Freiheit des Individuums und der unendlichen Natur zu heimeligen Idyllen. Wichtigste Vertreter dieser Zeit sind Ludwig Richter (Märchenillustrationen und idyllische Alpenlandschaften), Moritz von Schwind (Themen der Volks- und Heldensagen) und Carl Spitzweg (beschauliche, kleinbürgerliche Welt der deutschen Kleinstädte, z. B. Der arme Poet, Sonntagsspaziergang ). 5
6 FRANZÖSISCHE ROMANTIK Hier werden die Themen aus der zeitgenössischen Geschichte gewählt, z. B. die Revolution von 1789, die Taten Napoleons, der Freiheitskampf der Griechen gegen die Türken. Beliebte Bildmotive bieten die phantasievolle Darstellung des Orients, exotische Abenteuer oder besonders abenteuerliche Reisen. Dramatische Szenen werden hier bevorzugt; Farbauftrag, Malweise und Komposition ähneln der barocken Malerei. THEODORE GERICAULT schildert solche abenteuerlichen Ereignisse sehr realistisch und in barocker Malweise, z. B. im Floß der Medusa. EUGENE DELACROIX wendet sich häufig historischen Themen zu. Durch seine - vom Barock beeinflusste - Betonung der Farbe gegenüber der Linie wird er zu einem Vorbild der Impressionisten. Der Barrikadenaufstand des 17.Juni hat auch den Titel Die Freiheit führt das Volk an, die Frauengestalt mit der französischen Flagge ist die Verkörperung des freiheitliebenden Frankreichs und wurde zur Nationalfigur. Dieses Gemälde zeigt aber auch, dass in der Romantik die traditionelle Malerei mit ihren Helldunkel-Effekten, der realistischen Darstellungsweise und den traditionellen Kompositionsschemata verwendet wird. ENGLISCHE ROMANTIK: Hauptvertreter sind die Präraffaeliten, dazu gehören Edward Burne JONES und Dante Gabriel ROSSETTI. Ihre Bilder haben religiöse oder mystische Inhalte. Auch die englischen Romantiker wählen gerne Themen aus der Welt der Märchen und Sagen: Geschichten mit geheimnisvollem Inhalt. Die Theaterstücke von William Shakespeare dienen JOHANN HEINRICH FUESSLI, einem Schweizer Maler, der in London lebt, als Vorlagen für Gemälde und Illustrationen. JOHN CONSTABLE widmet sich der Landschaftsdarstellung. Seine Bilder mit Szenen aus dem Landleben, mit Dörfern und Kathedralen prägen unser romantisches Bild von England. WILLIAM TURNER nimmt eine Sonderrolle ein. Sein Hauptthema ist die Darstellung der Naturgewalten: Meer, Sturm und Regen, Licht werden im Lauf seiner Entwicklung immer freier und spontaner aufgefasst. Er gilt damit als Wegbereiter der Impressionismus. AUFGABE: Suche Abbildungen von Werken der genannten Künstler und füge sie mit entsprechenden Bilduntertiteln ein. 6
7 Romantische Malerei - Vergleich AUFGABE Ordne folgende Begriffe zu (auch mehrfach): Träume - Sehnsucht nach dem goldenen Mittelalter - Abenteuer - religiöse Inhalte - Exotisches - heimatliche Landschaft - mystische Landschaft - geschichtliche Themen - Märchen - Orientalisches Trage die Titel der abgebildeten Werke ein und suche Werkbeispiele zu den genannten Malern! Deutsche Romantik Französische Romantik Englische Romantik Inhalte Vertreter/ Werke Caspar David Friedrich Eugene Delacroix Johann Heinrich Füssli Ludwig Schwind Theodor Gericault John Constable Carl Spitzweg D.G.Rosetti Philipp Otto Runge 7
8 Maler der Romantik Caspar David Friedrich... der Melancholiker Lebensdaten Zitat Wichtige Stationen seines Lebens Kurzcharakteristik Hauptwerke geboren 1774 in Greifswald, gestorben 1840 in Dresden Kunst ist die Mittlerin zwischen der Natur und den Menschen. Der Künstler studiert an der Kunstakademie Kopenhagen und lebt in Dresden, das damals Zentrum der romantischen Bewegung ist. Er wird als sehr melancholischer und menschenscheuer Charakter beschrieben lähmt ihn ein Schlaganfall. Durch gelegentliche Käufe des russischen Zaren kann er der Armut entgehen. Caspar David Friedrich gilt heute als einer wichtigsten Vertreter der romantischen Malerei und als Erneuerer des Landschaftsbildes. Er sieht die Natur als Spiegel menschlicher Empfindungen. Kunst soll seiner Meinung nach zwischen Gott und seinen Werken - Mensch und Natur - vermitteln. Viele seiner Motive sind symbolisch zu deuten und im religiösen Bezug zu verstehen. Der Mensch wird der Natur gegenübergestellt, dabei wählt der Künstler meist die Rückenfigur, so dass der Betrachter sich in den dargestellten Menschen hineinversetzen kann. Der Wanderer über dem Nebelmeer, 1818 Kreidefelsen auf Rügen, 1818 Die gescheiterte Hoffnung, 1821 Mondaufgang am Meer,
9 Malerei des Realismus Der Realismus (ca ) ist die Antwort auf die Romantik: Auf das Gefühl, die Emotion, das Persönliche folgt nun die Betonung von Wahrheit, Objektivität, Wirklichkeit. Bilder sollen nach Ansicht der Realisten nicht einfach schön sein, sondern wahr im Sinn von real, echt, wirklich. Ihr Ziel ist es nur das wiederzugeben, was man objektiv wahrnehmen kann, ohne die Welt zu beschönigen, d. h. zu idealisieren oder zu verändern. Damit soll das Alltägliche, auch das Hässliche, zum bildwürdigen Thema werden. Die Maler provozieren damit den Zeitgeschmack, denn das konservative Kunstpublikum vertritt zu dieser Zeit die Ansicht, dass Kunst etwas Schönes darstellen muss, an dem sich der Betrachter erfreuen und bilden kann. Die Klassizisten sind der Meinung, die Künste - Literatur, Malerei, Bauten - sollen den Menschen zum Guten und Schönen erziehen. Die Realisten dagegen wollen die Augen öffnen für die Wirklichkeit in ihrer Zeit und ihrer Gesellschaft, die sich immer stärker und schneller verändert. Die Zeit ist geprägt durch: INDUSTRIALISIERUNG: Es entstehen große Fabriken, die Menschen ziehen vermehrt in die Städte. TECHNISIERUNG: Die Erfindung von Dampfmaschine, Eisenbahn u. a. bedeutet eine technische Revolution. KAPITALISMUS: In einer Klassengesellschaft stehen den Besitzern von Maschinen und Fabriken die große Masse der Arbeitern gegenüber. Soziale Auseinandersetzungen sind unausweichlich. So wird der Realismus auch verstanden als eine Antwort auf die gesellschaftlichen Umbrüche dieser Zeit. Bildthemen: Vor allem Szenen aus dem alltäglichen Leben werden dargestellt - in der Stadt und auf dem Land, Menschen bei der täglichen Arbeit auf dem Feld, aber auch Szenen aus den Fabriken, dem Industriemilieu. Die Situationen wirken ganz alltäglich, zum Teil sehr banal: Waschen, Ankleiden, Einkaufen, Beten, Putzen... Ein anderes wichtiges Thema dieser Zeit ist die Gesellschaftskritik (Kritik am Beamtentum, an der Verwaltung, der Justiz und der Politik ganz allgemein). Durch die Massenmedien (Zeitungen werden jetzt in großer Zahl gedruckt) werden die Karikaturen weit verbreitet. Viele Künstler finden hier ein neues Aufgabenfeld. Gestaltungsmittel: Sie unterscheiden sich nicht von den traditionell in Renaissance und Barock entwickelten Möglichkeiten, so dass die Bilder auf den ersten Blick nicht leicht einzuordnen sind. Die Wirklichkeit wird genau wiedergegeben. Form, Plastizität und Lichtwirkung werden an der Natur genau studiert. Auch die bekannten Mittel der Raumdarstellung werden weiter verwendet. Die Malweise ist je nach Temperament des Künstlers exakt und lasierend oder pastos. Manche Künstler bevorzugen spontanes und schnelles Arbeiten, andere arbeiten sehr langsam in feinen Lasuren im Stil der Alten Meister. Der Bildausschnitt soll einen Ausschnitt aus dem wirklichen Leben zeigen, deshalb wirkt die Komposition oft wie zufällig gewählt. Viele Realisten bevorzugen die Erdfarben; die Brauntöne drücken sowohl Bodenständigkeit, Verbindung mit der Natur als auch Einfachheit und Armut aus. Wilhelm Leibl: Drei Frauen in der Kirche 9
10 Künstler des Realismus Adolph von Menzel geboren 1815 in Breslau, gestorben 1905 in Berlin Wahr ist wohl, dass je mehr einer zur Kunst zugeschnitten ist, desto saurer fällt ihm das Handwerk, alle Kunst ist ja aber auch zugleich Handwerk, was bitter erlernt werden muss, und grade mit darin liegt ihr Großes. Menzels Vater führt einen kleinen lithografischen Betrieb in Berlin, den Adolph Menzel nach dessen Tod übernimmt. Daher rührt die Betonung der Zeichnung als Grundlage aller Kunstfertigkeit, immer hat Menzel ein Skizzenbuch bei sich. Als Künstler ist er Autodidakt. Er ist kleinwüchsig, erlangt jedoch höchste Anerkennung für sein Werk. Trotz großer Ehrungen wie der Verleihung des Adelstitels bleibt er misstrauisch und verschlossen. Er ist ein genau beobachtender, sehr fleißiger Mensch und wird wegen seiner bissigen Bemerkungen gefürchtet. Menzel ist ein bedeutender Maler und Grafiker des 19. Jh. und ein Vertreter des Berliner Realismus. Als preußischer Hofmaler beschäftigt er sich mit Auftragsarbeiten zur preußischen Geschichte (z. B. Zyklus zum Leben Friedrichs des Großen ). Unter dem Einfluss der gesellschaftlichen Ereignisse wendet er sich auch kritischen und sozialen Themen zu. Wilhelm Leibl Gustave Courbet Das Balkonzimmer, 1845 Flötenkonzert Friedrichs d. Großen, 1852 Das Eisenwalzwerk, 1875 Er stellt vor allem Menschen aus dem bäuerlichen Milieu dar. und bevorzugt eine altmeisterliche, naturalistische Technik, z. B. bei den Werken Drei Frauen in der Kirche und Die Dorfpolitiker. geboren 1819 in Ornans, Frankreich, gestorben 1877 in La-Tour-de-Peilz, Schweiz Honore Daumier Jean-Francois Millet Ich will in meinen Bildern die Erde der Felder mit Fäusten packen, sie beriechen, küssen und beißen, die Stämme der Bäume beklopfen, Steine in Wasserlöcher werfen und die Natur in mich hineinfressen und verschlingen. Courbet gilt als sinnenfroher, gutmütiger Zeitgenosse. Für seine Ideen tritt er vehement ein. Seine Bekanntheit wächst mit dem Aufsehen, das seine Gemälde erregen. Er wird zwar am Anfang seiner Karriere vom Pariser Salon abgelehnt, kann später jedoch Anerkennung finden. Gemeinsam mit Daumier soll er sogar das Kreuz der Ehrenlegion erhalten. Beide lehnen jedoch ab, um die Freiheit der Kunst zu demonstrieren. Im republikanischen Frankreich wird er 1869 Stadtrat und Mitglied der Pariser Kommune. Nach deren gewaltsamer Ablösung flieht er in die Schweiz und lebt dort bis zu seinem Tod. Courbet gilt als Begründer der Plein-air- Malerei, der Malerei im Freien direkt vor dem Landschaftsmotiv. Er lehnt bewusst die überkommenen Kunstrichtungen ab und wendet sich einer nichts beschönigenden realistischen Malerei zu. Die Steinklopfer, 1849 Die Korbsieberinnen, 1853 Das Atelier des Künstlers, 1854 Er ist vor allem bekannt durch seine gesellschaftspolitischen Karikaturen, in denen er die Missstände in Verwaltung und Justiz kritisiert, er hält aber auch dem Bürgertum einen kritischen Spiegel vor. Einige Gemälde, z. B. Das Drama setzt er auch als Lithographien (Flachdruckverfahren) um und verwendet sie als Illustrationen. stellt vor allem einfache Menschen bei bäuerlichen Arbeiten dar, z. B. Die Ährenleserinnen. Dabei neigt er dazu, diese einfachen Tätigkeiten zu idealisieren und zu heroisieren. Er wird in Thematik und Malweise zum Vorbild für die frühen Arbeiten Vincent van Goghs. 10
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