Strassenverkehrsrechtstagung
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- Georg Raske
- vor 7 Jahren
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1 Strassenverkehrsrechtstagung Juni
2 22. Juni 2016 STRASSENVERKEHRSRECHTS- TAGUNG: STRAFRECHT WICHTIGE UND BEMERKENSWERTE ENTSCHEIDE Prof. Dr. Gerhard Fiolka Professor für Internationales Strafrecht an der Universität Freiburg
3 Rechtsüberholen auf der Autobahn
4 Rechtsüberholen auf der Autobahn BGer, , 6B_729/2014 (Nr. 123) Rechtsüberholen durch auf den Verzögerungsstreifen «Abgedrängten» - Art. 90 Abs. 2 SVG BGer, , 6B_457/2014 (Nr. 124) «Die Irritation eines Fahrzeuglenkers, der unvermittelt rechts überholt wird, ist offensichtlich und bedarf keiner weiteren Begründung ( ). Der Einwand, der überholte Fahrzeuglenker sei durch das Rechtsüberholen nicht überrascht gewesen, ändert an dessen Gefährlichkeit nichts.» - Art. 90 Abs. 2 SVG
5 Rechtsüberholen auf der Autobahn BGer, , 6B_227/2015 (Nr. 125) Rechtsüberholen auf Pannenstreifen vor Ausfahrt bei stockendem Verkehr Art. 90 Abs. 2 SVG BGer, , 6B_537/2014 (Nr. 126) «Rechtsüberholen» bei Vorwegweiser Art. 90 Abs. 2 SVG
6 Rechtsüberholen auf der Autobahn BGer, , 6B_374/2015. E (Nr. 127) «An der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Unterscheidung zwischen dem grundsätzlichen Verbot, (auf Autobahnen) rechts zu überholen, und dem erlaubten Rechtsvorfahren ist festzuhalten. Die strafrechtliche Abteilung und die I. öffentlich-rechtliche Abteilung haben die Rechtsfrage ob, "[d]ans les circonstances décrites dans la cause 6B_374/2015 (passage de la voie de gauche sur la voie de droite, hors processus de 'slalom' et sans accélération, le dépassement pas la droite survenant en raison de la décélération du trafic sur la voie de gauche tandis que la voie de droite se trouve libre), le dépassement par la droite peut-il être considéré comme licite?" im Verfahren nach Art. 23 BGG einstimmig bejaht.»
7 Rechtsüberholen auf der Autobahn BGer, , 6B_374/2015. E (Nr. 127) Die bundesgerichtliche Definition von Kolonnenverkehr erweist sich als zu eng und wird dem heutigen Verkehrsaufkommen nicht mehr gerecht. Kolonnenverkehr ist anhand der konkreten Verkehrssituation und des Regelungsgehalts der Normen des SVG und der VRV zu bestimmen. Trotz des geltenden Rechtsfahrgebots herrscht - insbesondere infolge des zwar verbotenen, aber immer mehr verbreiteten notorischen Linksfahrens - auf Autobahnen gerade zu Stosszeiten auf der (linken und mittleren) Überholspur im Gegensatz zur Normalspur häufig dichterer Verkehr. Die Folge ist, dass es auf der Überholspur regelmässig zum sogenannten Handorgeleffekt kommt, während der Verkehr auf der Normalspur flüssig und bei konstanter Geschwindigkeit schneller fliesst bzw. fliessen könnte
8 Rechtsüberholen auf der Autobahn BGer, , 6B_374/2015, (Nr. 127) Bei derartigen, regelmässig auftretenden Verkehrssituationen ist namentlich bei mehr als zwei gleich gerichteten Fahrspuren die Beurteilung, ob paralleler Kolonnenverkehr vorliegt, anhand des konkreten Gesamtverkehrsaufkommens, das sich dem Fahrzeuglenker bietet, vorzunehmen. Kolonnenverkehr auf der Normalspur mit der Begründung zu verneinen, die Abstände zwischen den Fahrzeugen auf der Normalspur seien rund doppelt so gross wie diejenigen zwischen den Fahrzeugen auf der (linken und/oder mittleren) Überholspur, widerspricht dem Rechtsfahrgebot und lässt sich mit den geltenden Abstandsregeln und dem heutigen Verkehrsaufkommen nicht mehr in Einklang bringen. Die Verkehrsdichte müsste bei vorschriftsmässigem Verhalten der Verkehrsteilnehmer (grundsätzlich) von der Normal- (über die Mittel-) zur linken Fahrspur abnehmen. Langsamer Kolonnenverkehr auf der (mittleren und/oder linken) Überholspur würde grundsätzlich voraussetzen, dass auf der Normalspur ebenfalls langsam fliessender (Kolonnen-) Verkehr herrscht, jedenfalls dürfte der Verkehr auf der Normalspur nicht schneller vorankommen. Dies ist häufig nicht der Fall bzw. sogar die Ausnahme.»
9 Rechtsüberholen auf der Autobahn BGer, , 6B_374/2015. E (Nr. 127) «Das (passive) Rechtsvorbeifahren bei dichtem Verkehr ist mittlerweile eine alltägliche Situation, die sich kaum vermeiden lässt und nicht per se zu einer abstrakt erhöhten Gefahrensituation führt. Im Gegensatz zum eigentlichen Rechtsüberholen taucht das rechts auf der Normalspur fahrende Auto nicht plötzlich und unvermittelt (mit hoher Geschwindigkeit) auf, sondern bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit fort. Gefährlichkeitsbeurteilungen auf Grundlage hypothetischer Szenarien eines denkbaren Fehlverhaltens des durch den Überholvorgang "irritierten" Fahrzeuglenkers erweisen sich als spekulativ und berücksichtigen nicht, dass auch der links fahrende Fahrzeuglenker sich verkehrsregelkonform zu verhalten hat. Er hat den Spurwechsel anzuzeigen, auf die ihm nachfolgenden Fahrzeuge Rücksicht zu nehmen und darf den Spurwechsel nur unter Einhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstands vornehmen (vgl. Art. 34 Abs. 3 und Art. 44 Abs. 1 SVG; Art. 10 Abs. 2 VRV)
10 Rechtsüberholen auf der Autobahn BGer, , 6B_374/2015. E (Nr. 127) Das links fahrende Auto ist bei einem Spurwechsel nicht vortrittsberechtigt sondern -belastet. Dies gilt umso mehr, da auch auf der Autobahn grundsätzlich - soweit die Verkehrssituation dies nicht verunmöglicht - die rechte Fahrspur und nicht die mittlere oder linke (Überhol-) Spur zu benutzen ist. Der die mittlere oder linke Überholspur benutzende Fahrzeuglenker kann bei erhöhtem Verkehrsaufkommen und einer Reduzierung seiner eigenen Geschwindigkeit nicht darauf vertrauen, dass neben ihm auf der Normalspur fahrende Autos sich dem Verkehrsaufkommen auf der Überholspur anpassen und ihrerseits die Geschwindigkeit reduzieren, um ein blindes Einscheren zu ermöglichen.»
11 Entscheide zu Art. 90 Abs. 3-4 SVG
12 Entscheide zu Art. 90 Abs. 3-4 SVG (1) Strenge Praxis des BGer bei Überschreitung der Limiten von Abs. 4: Geschwindigkeitsüberschreitung von 61 km/h ausserorts bei guten Strassen- und Sichtverhältnissen bedingte Freiheitsstrafe von 11 Monate sowie 30 Tagessätze Geldstrafe unzulässig (BGer, , 6B_41/2015). «Halo», wenn die Limiten von Abs. 4 knapp unterschritten sind: Geschwindigkeitsüberschreitung von 49 km/h innerorts bei guten Strassen- und Sichtverhältnissen Geldstrafe von 90 Tagessätzen ungenügend: «abusivement clémente». (BGer, , 6B_580/2015; vgl. auch KGer FR, III. Verwaltungsgerichtshof, , : Verhalten «an der Grenze zu Abs. 3»)
13 Entscheide zu Art. 90 Abs. 3-4 SVG (2) Neigung zur «Gesamtwürdigung» bei Abs. 3 KGer FR, III. Verwaltungsgerichtshof, , : Flucht vor der Polizei in der Stadt, Schneiden von Kurven, Befahren von Sperrflächen, Befahren eines Kreisels und einer Strasse in Gegenrichtung, Geschwindigkeiten bis 100 km/h. KGer FR, Strafappellationshof, , : Flucht vor Polizei inner- und ausserorts und über Autobahn, Geschwindigkeiten innerorts ca. 80 km/h., Autobahn bis 190 km/h
14 Zur Struktur von Art. 90 Abs. 3-4 SVG: Art. 90 Abs. 4 als «unwiderlegbare Vermutung»?
15 Stellung von Art. 90 Abs. 4 SVG: «Unwiderlegbare Vermutung» oder Konkretisierung eines Regelbeispiels? BGer, , 1C_397/2014, E (Nr. 137) «Art. 90 Abs. 4 SVG stellt die unwiderlegbare gesetzliche Vermutung auf, dass besonders krasse Geschwindigkeitsübertretungen nach Massgabe der lit. a bis d qualifiziert schwere Verkehrsregel-verletzungen im Sinn von Abs. 3 darstellen ("Abs. 3 ist in jedem Fall erfüllt, wenn..."). Fällt somit eine Geschwindigkeitsüberschreitung unter den "Rasertatbestand" von Art. 90 Abs. 4 SVG, so ist kraft gesetzlicher Vermutung zwingend davon auszugehen, dass sie vorsätzlich begangen wurde und das hohe Risiko eines schweren Verkehrsunfalls mit Schwerverletzten und Toten geschaffen hat. Bei einer Geschwindigkeits-überschreitung im Sinn von Art. 90 Abs. 4 SVG besteht daher kein Spielraum für eine einzelfallweise Risikobeurteilung mit der Möglichkeit, sie gegebenenfalls zu einer als Vergehen strafbaren groben Verletzung im Sinn von Art. 90 Abs. 2 SVG "herabzustufen".»
16 Stellung von Art. 90 Abs. 4 SVG: «Unwiderlegbare Vermutung» oder Konkretisierung eines Regelbeispiels? BGer, , 1C_397/2014, E (Nr. 137) «Der Gesetzgeber hat entschieden, dass derjenige, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit um ein bestimmtes, nach ihrer Höhe abgestuftes Mass überschreitet, in jedem Fall eine qualifiziert schwere Verkehrsregelverletzung begeht (Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG), mithin als "Raser" einzustufen ist. Generelle Abstufungen und Grenzziehungen dieser Art haben naturgemäss etwas Zufälliges an sich, und man könnte die vom Gesetzgeber gewählten vier Stufen noch verfeinern, z.b. durch eine differenzierte Behandlung von Geschwindigkeitsüberschreitungen auf Autobahnen und nicht richtungsgetrennten Strassen. Wenn sich der Gesetzgeber demgegenüber für ein relativ grobes Schema entschieden und von weiteren Differenzierungen abgesehen hat, liegt das in seinem Ermessen und ist hinzunehmen, auch wenn dadurch unter Umständen Geschwindigkeitsexzesse auf Autobahnen strenger geahndet werden als solche auf Hauptstrassen. Von einer im Ergebnis stossenden Ungleichbehandlung kann indessen nicht die Rede sein, und das Bundesgericht ist ohnehin an das Gesetz gebunden (Art. 190 BV).»
17 Stellung von Art. 90 Abs. 4 SVG: «Unwiderlegbare Vermutung» oder Konkretisierung eines Regelbeispiels? OGer BE, 2. Strafkammer, , SK Unwiderlegbare Vermutung im Widerspruch zur Unschuldsvermutung, Abs. 4 muss so ausgelegt werden, dass eine Prüfung des subjektiven Tatbestands möglich ist. Allerdings soll ein Ausschluss des subjektiven Tatbestands i.s. einer «natürlichen Vermutung» in Fällen von Abs. 4 nur ausnahmsweise möglich sein
18 Art. 90 Abs. 3-4 SVG: Definitionsschichten Begriff: «wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht» (Art. 90 Abs. 3 SVG) Regelbeispiele: «namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.» (Art. 90 Abs. 3 SVG) Spezifische Grenzwerte: «Absatz 3 ist in jedem Fall erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wird um: a.mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt;b.mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt;c.mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt;d.mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt.» (Art. 90 Abs. 4 SVG)
19 Beispiel: Subjektiver Tatbestand und Skrupellosigkeit? «Eingehen» eines Risikos, «waghalsiges Überholen» sind auch subjektiv gefärbt, stigmatisierende Terminologie > besonders rücksichtslose, verwerfliche Handlungen Subjektiver Tatbestand als «Skrupellosigkeit» (vgl. Art. 111, 129 StGB) Gilt für Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG, da die Fälle von Abs. 4 Unterfälle des Begriffs der «krassen» Verkehrsregelverletzung bzw. der «krassen» Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit sind
20 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. Gerhard Fiolka Departement für Strafrecht Beauregard Freiburg
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