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- Alexandra Schneider
- vor 7 Jahren
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Transkript
1 2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Häuserkampf Im Bergischen Land gerät ein Idyll aus den Fugen AutorIn: Redaktion: Regie: Renate Eichmeier Ralf Kröner Tobias Krebs Sendung: Donnerstag, um Uhr in SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/ Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter oder als Podcast nachhören: Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de 1
2 MANUSKRIPT O-Ton 1 Liedtke: Also ich glaube, der treffendste Ausdruck dafür ist, den meine Freundinnen dafür geprägt haben: Dornröschenhaus. Es ist ein sehr gemütliches verwunschenes Haus. Christa Liedtke steht vor ihrem kleinen Fachwerkhaus, das von Wiesen und Bäumen umgeben ist. Sie ist Mitte 70, aber mit ihren kurzen weißen Haaren und in Jeans und Pulli wirkt sie viel jünger. In ihren Augen blitzt Abenteuerlust. Lange Jahre hat sie im Ausland gelebt, in Korea, Indien, Brasilien, USA und schließlich in Österreich, bevor sie 2005 nach Deutschland zurückkehrte. O-Ton 2 Liedtke Ich kam also aus Österreich, wo ich da ganz alleine da oben mit meinen beiden Hunden in den Bergen gewohnt habe. Und ich hatte den Eindruck, ich müsste mal wieder zurück in die Zivilisation. Und da ich selber aus Leverkusen komme, war diese Gegend hier für mich schon das Naheliegendste, nicht? Das Bergische Land mit seinen grünen Hügeln und verschlafenen Wäldern liegt östlich von Köln, zwischen Ruhr und Sieg. Die Städter aus den nahegelegenen Rheinmetropolen kommen zum Wandern, Radfahren und Reiten in die ländliche Idylle. Die Siedlungen liegen weit verstreut zwischen Wiesen und Wäldern und sind geprägt durch graue Schiefer- oder weißgetünchte Fachwerkhäuser. Kurzum, es ist eine ideale Wohngegend für Menschen, die nahe an der Natur leben wollen. O-Ton 3 Liedtke: Ich wusste ganz genau, ich möchte in keine Siedlung, vor allem nicht in ein Apartmenthaus. Und dann habe ich eine Annonce in der Zeitung gesehen, wo dieses Haus eben als Haus in der Natur oder für Naturfreunde angepriesen wurde. Das habe ich mir angeguckt. Ich habe es von der Straße aus gesehen, habe gesagt, das ist das Haus, wo ich mal wohnen möchte. Es war Liebe auf den ersten Blick. Das kleine Fachwerkhaus liegt im Ortsteil Breibach der Gemeinde Kürten, die sich über eine Fläche von zehn mal zehn Kilometer im Rheinisch Bergischen Kreis erstreckt. Kürten hat etwas weniger als Einwohner und besteht aus vier Kirchdörfern und zahlreichen Weilern und Höfen. Mit der Vorbesitzerin ist Frau Liedtke schnell einig geworden. O-Ton 4 Liedtke: Das war ein Privatkauf, es war also kein Makler eingeschaltet. Über einen Notar ging es natürlich. Naja, es war eigentlich ein recht problemloser Kauf. Das macht sich eben heute bemerkbar, nicht. Der Notar hat auch nicht irgendwie den geringsten Wert darauf gelegt, sich irgendwelche Bauunterlagen zeigen zu lassen oder zu fragen, ist alles in Ordnung?. Sondern er hat lediglich das Finanzielle geregelt. Die Eintragung im Grundbuch, das hat er natürlich auch veranlasst, und das war s. 2
3 Die Vorbesitzerin sagte, dass das Haus etwa 70 Jahre alt sei. Frau Liedtke renovierte es und genoss die grüne Umgebung und gute Nachbarschaft. Oberhalb wohnt Ulf Jörres mit seiner Lebensgefährtin. Gegenüber weiden die Pferde des nahegelegenen Gestüts. Unterhalb steht ein kleines Haus aus den 50er Jahren und noch einige Gehminuten weiter bergab liegt das Landgut Breibach, zu dem das Haus von Frau Liedtke bis in die 50er Jahre gehörte. Das dreistöckige Gästehaus des Guts stammt aus den 30er Jahren und ist wie Frau Liedtkes Haus in Bergischem Fachwerk gebaut. Seit 2006 beherbergt hier Doris Peters mit ihrem Mann einen bunten Kundenkreis: Jugendgruppen, Schulklassen, Theaterinitiativen. In den 2000er Jahren bekam der gesamte Ortsteil Breibach Kanalisation und die Sickergruben der Häuser rund um das Landgut wurden durch einen Anschluss an die kommunale Kläranlage ersetzt. Alles schien gut bis Frau Liedtke 2011 wegen mehrerer Bandscheibenvorfälle die steilen Treppen ihres Hauses nicht mehr bewältigen konnte und sich deshalb schweren Herzens entschloss, es zu verkaufen. O-Ton 5 Liedtke: Und dann habe ich einen Makler eingeschaltet. Und der Makler sagte: Haben Sie irgendwelche Pläne vom Haus? Ich sagte, ich habe überhaupt nichts. Dann sagt er: Ok, dann besorgen Sie einen Flurplan. Den kriegen Sie beim Bauamt. Kein Problem. Nicht? Dann habe ich beim Bauamt angerufen, erst hier in Kürten, dann haben die gesagt, müssen Sie nach Bergisch Gladbach gehen. Und damit begann eine absurde Geschichte, die Christa Liedtke und die Gemeinde Kürten bis heute in Atem hält. Verunsicherung schleicht durch die ländliche Idylle. Ärger liegt in der Luft. Gerüchte machen die Runde. Von zerstochenen Autoreifen, drohenden Häuserabrissen und möglichem Widerstand gegen die Staatsgewalt ist die Rede. Bürger haben sich gegen Behörden organisiert. Unstimmigkeiten zwischen der Gemeinde und der Kreisverwaltung in Bergisch Gladbach spitzen sich zu. O-Ton 6 Bär: Also zunächst einmal wie der Name schon sagt sind wir Baugenehmigungsbehörde. Das ist eine Aufgabe, die wir sehr viel lieber wahrnehmen. Aber wir haben auch bauordnungsrechtliche Aufgaben zu vollziehen, nämlich dann, wenn wir feststellen, dass Baugenehmigungen nicht vorliegen oder nicht entsprechend der Baugenehmigung gebaut worden ist. Birgit Bär ist Pressereferentin des Rheinisch-Bergischen Kreises. O-Ton 7 Bär: Wir haben selbstverständlich keine Truppe, die wir über Land schicken und an den Haustüren klingeln lassen, dass wir uns da die Baugenehmigung zeigen lassen. So etwas gibt es nicht. Wir gehen davon aus, dass Häuser, die stehen, dass die legal dort stehen. Da fragt niemand nach. Erst in dem Moment, wo es aktenkundig wird quasi, wo man zu uns kommt, um vielleicht ein bestehendes Gebäude zu vergrößern, zu verändern, erst dann müssen wir uns natürlich die Akten anschauen und dann kann es in Einzelfällen passieren, dass wir feststellen, ups, da gab es ja überhaupt keine Baugenehmigung. Und dann fangen die Probleme an. 3
4 Genauso war das bei Christa Liedtke. Sie hat sich an den zuständigen Beamten der Kreisverwaltung gewandt und ihn um die Flurkarte gebeten: O-Ton 8 Liedtke: Dann sagte er er sagte nicht: Ich kann Ihnen keine Flurkarte geben, sondern er sagte als erstes: Haben Sie eine Baugenehmigung? Dann musste ich verneinen, nicht. Und dann kriegte ich nach ich weiß nicht, wie lange das danach war kriegte ich einen Brief vom Bauamt, vom Kreis, von diesem Herrn, dass ich keine Baugenehmigung hätte und damit hätte ich ein illegal errichtetes Haus. Und wahrscheinlich der Abriss würde notwendig sein. Zwischenzeitlich stellte sich heraus, dass es in der in der Nachbarschaft von Frau Liedtke einen ähnlichen Fall gab. Für das betroffene Haus gab es zwar eine Baugenehmigung, aber es entsprach in einigen Bereichen nicht deren Vorgaben. Die Kreisverwaltung setzte deshalb den Abbruch des Hauses durch. O-Ton 9 Bär Da hatten wir einen Ortstermin mit dem Verwaltungsgericht und da hat der Rechtsanwalt des Betroffenen angeführt: Wenn dieses Haus weg muss, dann müssen die da hinten doch sicherlich auch weg. Und da wurden wir dann vom Verwaltungsgericht aufgefordert, diese Bebauung am Breibacher Weg zu überprüfen, weil bei uns in Deutschland der Gleichheitsgrundsatz gilt. Gleiches Recht für alle. So haben wir die Bebauung überprüfen müssen und zwar komplett was dazu führte, dass das Bauamt zum zweiten Mal auf Frau Liedtke aufmerksam wurde. O-Ton 10 Bär Grundsätzlich immer wenn wir es mit solchen problematischen Altfällen zu tun haben, ist unsere erste Vorgehensweise, dass wir erst gucken, kriegen wir die Situation geheilt, gibt es irgendwie eine Möglichkeit, nachträglich eine Baugenehmigung erteilen zu können. Das haben wir auch getan hier, intensiv alles abgeklopft. Aber wir haben es hier mit einem Grundstück im absoluten Außenbereich zu tun. Hinzu kommt, dass es Landschaftsschutzgebiet ist. Da war mit einer nachträglichen Baugenehmigung nichts zu machen. Erst dann mussten wir am Ende der Kette die Abbruchsverfügung erteilen, wobei wir dann mit der sehr großzügigen Duldung gerne gearbeitet hätten. Darauf hat sich die Familie aber nicht einlassen wollen. Der Kreis hatte Frau Liedtke und ihrer Tochter, die Eigentümerin des Hauses ist, angeboten, dass Frau Liedtke und auch ihre Tochter bis zu deren Tod dort wohnen können. Erst dann wäre die Abrissverfügung rechtskräftig geworden. Doch die Tochter lebt im Ausland und wird in absehbarer Zeit nicht nach Deutschland Land ziehen. Und Frau Liedtke selbst weiß nicht, wie lange sie noch in dem kleinen Fachwerkhaus wohnen kann, da sie das Treppensteigen immer schlechter bewältigt. Deshalb lehnte sie das Angebot 4
5 der Duldung ab, ohne zu ahnen, dass sich die Angelegenheit damit bedrohlich zuspitzen würde. O-Ton 11 Liedtke: Naja, und dann dauert es weiter nicht mehr lange und dann kriegte ich die Aufforderung, das Haus abzureißen oder aber Euro Strafgeld zu zahlen. Ich musste mir einen Rechtsanwalt nehmen und dagegen hat der Einspruch erhoben. Frau Liedtke ist die Anspannung deutlich anzusehen. Ein Haus abreißen, das seit über 70 Jahren steht, nur weil die Formalitäten nicht stimmen? So was hat sie in ihrem bewegten Leben noch nicht erlebt, obwohl sie einige Schwierigkeiten zu meistern hatte; sie hat ja lange im Ausland gelebt. Familienfotos stehen auf einem Sims, an der Wand hängt ein gelb-leuchtender Teppich. Große Fenster geben den Blick frei ins Grüne. Davor stehen Holzfiguren. O-Ton 12 Liedtke: Die Figuren sind aus Mexiko. Das sind die Mariachis. Da hinten diese beiden Gerippe sind auch aus Mexiko, vom Día de los Muertos. Und der Teppich Gemälde an der Wand ist ein Teppich aus Brasilien. Also, ich vermisse diese Zeit wirklich. Es war eine aufregende Zeit. Es war nicht immer einfach, vor allen Dingen in Korea nicht. Die Lebensmittelversorgung war sehr schwer. Wir lebten vom Schwarzen Markt. Wir waren die ersten weißen Frauen, die dahin kamen. Auf der Straße wurden wir bewundert. Unsere kleine Claudia, die da in Korea auf die Welt gekommen ist, wurde aus dem Kinderwagen rausgehoben und durch die Menge gereicht. Es war aufregend, aber wir waren jung, und es ich vermisse diese Zeit wirklich. In ihrem Kampf um das kleine Fachwerkhaus wird Frau Liedtke von ihren Nachbarn unterstützt; von Doris P. und ihrem Mann, die das Gästehaus des Landguts betreiben, und von Herrn J.. Dass sie eines Tages um die Existenz eines Hauses kämpfen muss, das sie ganz legal erworben hat, hätte sie sich nicht träumen lassen O-Ton 13 Liedtke: Da könnten Sie mal Herrn J. fragen. Ich habe alles dermaßen auf die leichte Schulter genommen, habe mir gedacht, das gibt es überhaupt nicht. So idiotisch kann keiner sein, dass man ein Haus, das so schön ist, abreißt, und bin eigentlich lächelnd darüber hinweggegangen. O-Ton 14 Herr J.: Ja, ich kann das nur bestätigen, die ersten Monate wirklich oder fast Jahre hat Frau Liedtke: Ja, das gibt es überhaupt nicht. Ich mein, ich habe selber so gedacht und meine Frau auch, also dass es so was gibt, ein Haus abreißen. Warum, weshalb? Da wird sich eine Möglichkeit finden, ne Baugenehmigung also kann verschwunden sein durch den Krieg. Also man darf nicht vergessen, immerhin war Krieg. Da sind viele Akten vernichtet worden und und und.... Also, das wird sich schon zum Guten wenden, aber da ist jetzt so ein Ball ins Rollen gebracht, dass kein Ende bisher abzusehen ist und auch alles mühsam ist. Das hätten wir am Anfang nicht gedacht. 5
6 Jetzt ist die Auseinandersetzung mit dem Kreis vor Gericht gelandet. In erster Instanz hat sich die Kreisverwaltung mit der Forderung nach Abbruch durchgesetzt. Da eine Baugenehmigung nicht vorliegt, hat Frau Liedtke rechtlich gesehen nur das Grundstück gekauft. Und das liegt heute in einem Landschaftsschutzgebiet, in dem eine Bebauung nicht vorgesehen ist. Doch in der Zeit, als das Haus entstanden ist, gehörte das Gelände zum Landgut Breibach, das in der Nazidiktatur und dem Zweiten Weltkrieg eine sehr bewegte Geschichte hatte. Reinhold Markwitz, ein Rechtsanwalt aus Duisburg, hatte das Anwesen in den 30er Jahren erworben und zum Gästehaus ausgebaut. Es war sein Rückzugsort, nachdem er bereits 1933 seinen Beruf nicht mehr ausüben durfte, weil er SPD Mitglied war und einen jüdischen Geschäftspartner hatte. Als dann während und nach dem Zweiten Weltkrieg viele Kölner ins Bergische Land flohen, strandeten ausgebombte Städter auf der Suche nach einer Bleibe auch in Kürten. Irmgard Mertins, die Frau eines Kölner Bankiers, war in diesen Jahren nach Kürten gekommen. Wann genau und warum, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Mag sein, dass sie vor den Bombardierungen aus Köln geflohen war. Mag sein, dass sie aus anderen Gründen Unterschlupf im Bergischen Land suchte. Die Familie Markwitz jedenfalls erlaubte ihr, das kleine Fachwerkhaus auf dem Gelände des Landguts zu bauen. Ab Oktober 1945 war Irmgard Mertins dort unter der noch heute gültigen Adresse Breibacher Weg 60 gemeldet. Gekauft hat Frau Mertins das Grundstück von Familie Markwitz allerdings erst in den Fünfziger Jahren. Es wird erzählt, dass sie psychische Probleme hatte. Schwierig und seltsam sei sie gewesen. Doris Peters hat sich bei Alteingesessenen über die erste Besitzerin des Hauses erkundigt: O-Ton 15 Doris P.: Ja, also wir haben durch die ehemalige Hausärztin erfahren, dass die Frau Mertins also in den 50er Jahren sehr misstrauisch war. Sobald sich jemand dem Haus genähert hat, ist sie mit einer Flinte, mit einem Gewehr oder so nach draußen gegangen. Soweit die dürren Fakten einer wirren Geschichte, in der sich die Suche nach der Baugenehmigung im Chaos der Vergangenheit verliert. Gab es eine oder gab es keine? Wenn ja, ging sie während oder nach dem Krieg verloren? Wenn nein, warum hat Irmgard Mertins später nicht versucht, ihr Haus im Nachhinein zu legalisieren, sprich eine Baugenehmigung zu beantragen? Eine mögliche Erklärung hat Doris P.. O-Ton 16 Doris P.: Sie war auch, denke ich, psychisch so angeschlagen und voller Misstrauen, dass sie sich so gar nicht an Behörden wenden konnte. Das muss man auch berücksichtigen. Und dann ist das Ganze halt mit Baugenehmigung auch in Vergessenheit geraten, weil die Behörden das damals auch gar nicht so verfolgt hatten. Das war gar kein Thema jetzt bei den Behörden. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele Notunterkünfte gebaut, die nicht selten einfach bis heute weiter genutzt werden. Eine Baugenehmigung gibt es oft nicht. Das Haus von Christa Liedtke ist kein Einzelfall. Das hat ein Mitarbeiter der Kreisverwaltung bestätigt. 6
7 O-Ton 17 Liedtke: Dieser Herr [ ] hat meinem Rechtsanwalt gegenüber behauptet, dass er hier im allerdings nicht in Kürten alleine, sondern im Rheinisch-Bergischen Kreis 70 Häuser auf der Abrissliste hat. Das ist eine Menge und hier, laut Gemeinde sollen hier alleine in Kürten 30 bis 50 von diesen Häusern sein, wobei man annimmt, dass die Dunkelziffer noch sehr viel höher ist. Es geht ja nicht jeder zur Gemeinde und sagt, ich habe keine Baugenehmigung. Die müssen ja Angst haben, dass sie dann wirklich den Stein ins Rollen bringen und auch ihr Haus abreißen müssen. Jahrzehntelang hat keiner nach einer Baugenehmigung gefragt. O-Ton 18 Doris P.: Und plötzlich jetzt im Jahre 2014 oder auch ja jetzt die letzten Jahre taucht das auf. Und dann werden diese alten Häuser quasi abgerissen. Und die Leute fallen aus allen Wolken. Die haben oft jetzt beispielsweise die Frau Liedtke, die hat das Haus ja ganz legal gekauft, die hat ja wirklich auch einen großen Preis dafür bezahlt. Und jetzt nimmt man ihr das Haus weg. Man nimmt ihr jetzt quasi ihre Alterssicherung weg. Gesetze hin, Gesetze her, aber das kann man eigentlich nicht nachvollziehen. O-Ton 19 Herr J.: Ich kann das überhaupt nicht verstehen, überhaupt ein Abriss, dass man so einen Vermögenswert auch zunichte macht und auch vor allen Dingen auch so ein Leben, also oder sehr wahrscheinlich jemanden fast zum Sozialfall macht, obwohl der für sein Alter gesorgt hat und und und und eigentlich auch in Ruhe leben könnte und jetzt gucken muss oder immer die Angst hat, Sozialfall zu werden oder Existenzängste auf jeden Fall. Also, das finde ich schon sehr krass, ein Mensch, der sein Leben lang nichts Unrechtes getan hat, sein Geld zusammengehalten, gearbeitet hat, mit dem Partner was aufgebaut hat, Kinder erzogen hat und jetzt auf einmal in Anführungsstrichen "vor dem Nichts steht." Frau Liedtke erhält nicht nur von ihren direkten Nachbarn Unterstützung: O-Ton 20 Liedtke Es ist erstaunlich, ich bin jedes Mal immer gerührt, sagen wir mal, wie viel Unterstützung ich bekomme. Als der Stadtanzeiger zum ersten Mal einen Artikel in Zeitung geschrieben hat, gesetzt hat, da waren es, weiß ich, 4000 waren das 4000 Kommentare? Es war unglaublich. Und es war kaum einer dabei, der gesagt hat, das ist alles in Ordnung! Sondern die Leute waren entrüstet. Und wem immer ich die Geschichte das erzähle, was hier los ist, die schütteln alle mit dem Kopf und sagen, das gibt s es doch nicht! Das Haus ist nicht baufällig, an alles angeschlossen, an die Kanalisation, an Wasser, Strom. Rechts und links von mir stehen Häuser, die dürfen stehen bleiben, weil sie eine Baugenehmigung haben. Also keiner kann s verstehen. Auch die Gemeinde Kürten nicht. 7
8 O-Ton 21 Liedtke Die Gemeinde steht vollkommen hinter mir, aber da Kürten keine Baubehörde ist dazu braucht man, glaube ich, mindestens Einwohner und die hat Kürten nicht ist die ausschlaggebende Baubehörde der Kreis in Bergisch Gladbach, und die sind vehement dagegen. Kein Mensch weiß, warum, aber sie wollen es einfach nicht. Wobei ich den Eindruck habe, dass sich keiner der verantwortlichen Leute die geringsten Ideen gemacht habt, was es bedeutet, so ein Haus abzureißen: erst mal verliere ich mein Haus, meine Bleibe, muss mir erst mal irgendwas suchen, dann die Abrisskosten, der Verlust des Hauses. Es ist eine Unmenge Geld, die ich nicht habe. Ich habe das Haus oder meine Tochter hat damals das Haus für Euro gekauft. Die wären erst mal weg. Dann die Abrisskosten. Ich hab mich erkundigt, da das ja heute mit der Mülltrennung ist, kann ich für den Abriss mit Euro rechnen. Dann muss der Kanalanschluss zurückgebaut werden, auch auf meine Kosten, der Anschluss für Wasser und Strom, das geht alles auf meine Kosten. Und nachher habe ich ein Grundstück, ich weiß nicht, ob ich nachher auch für das Grundstück noch verantwortlich bin, dass ich Unkraut zupfen muss oder sonst irgendwas. Aber dann dann ist alles weg. Der Verlust eines Hauses ist eine existentielle Bedrohung, psychisch und wirtschaftlich. Der Kreis allerdings, der für das Wohl seiner Bürger verantwortlich ist, sieht sich nicht in der Lage, eine für Frau Liedtke akzeptable Lösung zu finden. O-Ton 22 Bär Das Problem ist ja hier, wir haben hier einmal öffentliches Recht. Das ist die Aufgabe, die wir jetzt leider Gottes umsetzen müssen. Und wir haben auch Privatrecht, nämlich Kaufvertragsrecht, wenn man gebrauchte Immobilien kauft. Und da können wir aufgrund dieser Erfahrungen nur dringend raten, dass jeder, der eine gebrauchte Immobilie kaufen will, vorher zum Bauamt geht, guckt, ob es da eine Baugenehmigung gibt. Uns sind also da jetzt an der Stelle die Hände gebunden. Wir kommen da nicht mehr weiter. Alle Unterlagen, die sind jetzt beim Oberverwaltungsgericht in Münster, und die Richter am Oberverwaltungsgericht, die können ja jetzt die gesamte Situation noch mal auf Rechtmäßigkeit überprüfen und eine Rechtssprechung zum Außenbereich, die kann ja auch weiterentwickelt werden. Frau Liedtkes Haus ist ja nicht das einzige, das im Rheinisch Bergischen Kreis keine Baugenehmigung hat. Da es deshalb in den letzten Jahren vermehrt zu Konflikten mit dem Bauamt in Bergisch Gladbach kam, hat Martin Masurat bereits 2012 die Initiative Bürger gegen Behördenwillkür in Kürten und Umgebung gegründet. Momentan sieht die Initiative eine ihrer Hauptaufgaben darin, Frau Liedtke zu unterstützten. O-Ton 23 Masurat: Ja, also das denke ich, ist eine ganz grobe Sauerei, was man da macht. So ein Mensch kann ja nicht mehr ruhig schlafen, wenn man weiß, man muss zu einem bestimmten Zeitpunkt das Haus abbrechen. Vor allen Dingen, was kann eine Person, die vierte Besitzerin ist, für die wenn überhaupt 8
9 Vergehen des Erstbesitzers oder des Erbauers des Hauses. Da meine ich, müsste man im Baurecht was ändern. Da müsste es Verjährungsfristen geben. Im Strafrecht gibt es da ganz andere Möglichkeiten, aber das Baurecht gibt diese Dinge nicht her. Die Stimmung in Kürten brodelt. Das harte Vorgehen des Kreises stößt auf Unverständnis und Widerstand. O-Ton 24 Masurat: Die Menschen sind mittlerweile sehr sehr erbost. Und die sagen auch, also wenn es hier zum Abriss kommt, das ist wie ein Signalfall. Dann werden Leute auf die Straße gehen. Da wird es Tumulte geben. Da wird es Riesendemonstrationen geben. Das werden wir Bürger uns nicht so ohne Weiteres gefallen lassen. Und ich weiß nicht, ob sich da eine Behörde was Gutes antut. Ja, das führt hinterher zu Respektlosigkeit der Behörde gegenüber, wenn man solch einen Unsinn durchführt, in meinen Augen. Die Gemeinde Kürten hat sich geschlossen hinter Christa Liedtke gestellt. Sie wollte ihr mittels einer Außenbereichssatzung die Möglichkeit geben, nachträglich eine Baugenehmigung zu beantragen und ihr Haus damit zu legalisieren. O-Ton 25 Masurat Wir haben eine Außenbereichssatzung ins Leben gerufen und haben die beantragt und das hat jetzt bei der Kreisbehörde gelegen zur Genehmigung, weil die dann den Landschaftsplan ändern müssen, und das darf nur die Kreisbehörde. Die Satzung aufstellen, das ist Gemeindesache. Wenn man die Satzung genehmigen würde, dann würden die fünf Häuser, die mit in diesem Bereich liegen, hätten dann in etwa den Status wie in einem Bebauungsgebiet und Frau Liedtke hätte eine Baugenehmigung beantragen können. Doch der Kreis hat die Satzung nicht genehmigt. Es scheint, als wolle man ein Exempel statuieren. O-Ton 26 Masurat: Wenn man das so restriktiv aufarbeiten will, müssten wahrscheinlich noch Tausende von Häusern abgerissen werden. Deswegen habe ich an die Bundesbauministerin geschrieben. Ihr möchte ich nahe legen, im Baurecht zu differenzieren, zwischen Schwarzbau und Kriegsopferhäusern. Denn die Häuser, die seit dem Zweiten Weltkrieg oder kurz danach bis ca. 1962, wo das Bundesbaurecht in Kraft getreten ist, gebaut worden sind, die sind allemal ans öffentliche Kanalnetz mit Strom, mit Wasser, mit Telefon, mit allem versorgt worden. Die zahlen auch seit Jahrzehnten Grundsteuern. Das sind einfach aus der Not heraus geborene Häuser, die man längst hätte legalisieren müssen. Da hätte man die ganzen Jahrzehnte Zeit für gehabt und da jetzt heute mit um die Ecke zu kommen, das halte ich für ganz daneben. Das kann man so den Menschen nicht antun. 9
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