Von Planen und Kompost

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1 MADE IN SWITZERLAND Freitag fertigt Accessoires aus Lkw-Planen und biologisch abbaubare Bekleidung Von Planen und Kompost FOTO: NADJA SCHMID, LINDA SUTER VON DAVE HERTIG

2 READER S DIGEST 1993 GRÜNDETEN DIE BRÜDER Markus und Daniel Freitag ein Unternehmen, das aus gebrauchten Lkw-Anhängerplanen und Sitzgurten robuste Umhängetaschen für den Alltag in der Stadt fertigt. Der Erfolg kam schnell. Bald folgten weitere Produkte wie Portemonnaies oder Smartphone-Hüllen. Und jetzt sogar Kleider. Bei einem Spaziergang durch eine Schweizer Stadt entsteht unweigerlich der Eindruck, jeder halbwegs mode be wusste Bewohner nenne irgend etwas von Freitag sein eigen. Bei den Taschen und Accessoires aus ge brauch ten bunten Anhängerplanen und mit den Aufdrucken von Logistikfirmen handelt es sich um handgefertigte Einzelstücke. Das ist perfekt für eine Gesellschaft mit hohem Individualisierungsbedürfnis.. Gross war die Anerkennung für das damals einzigartige Projekt der Brüder schon von Beginn an: So stellt die Designab teilung des Museum of Modern Art in New York permanent eine Freitag-Tasche der ersten Stunde aus. Doch reicht ein einziger Trend, um als Start-up-Unternehmen zu überleben? Sogar dann, wenn man von Firmen kopiert wird, die ähnliche Produkte günsti ger anbieten können? So drängte der Detailhändler Migros unter dem Namen Donners tag kurzzeitig ebenso mit Um hän ge taschen aus Planen in den Markt. Im Fall von Freitag ging alles gut. Die Firma verkauft mehr als 20 Jahre später auch Portemonnaies, Etuis für Smartphones oder Rucksäcke aus An - hängerplanen lancier ten die Brüder unter der Namen Reference eine zusätzliche Produktlinie aus dem gleichen Material. Diese sind unifarben und wirken eleganter. GEIST STATT GELD Auch 22 Jahre nach der Gründung redet Markus Freitag im Interview mit grosser Begeisterung über die Firma. Als sich das Gespräch schon dem Ende zuneigt, hat er noch immer kein Wort über die wirtschaftliche Performance verloren. Interessiert ihn das Finanzielle überhaupt? Er denkt nach: Geld ist wichtig, um Investitionen tätigen zu können. Das ist alles. Das Streben nach Businessrekorden und Reichtum überlässt er anderen. Sein Bruder und er widmen ihr Unter nehmerleben stattdessen einer Philosophie. Sie sprechen vom Cycle, dem Kreislauf von Produktions mate ria lien. Den ersten Schritt machen sie mit den Anhängerplanen, deren Nutzungsdauer sie nach ihrem Gebrauchte Anhängerplanen sind keine Meterware, aus der man einfach Schnittmuster schnipseln kann: Zerlegplatz in den Fabrikhallen in Zürich. (oben) Jede Tasche ein handgemachtes Einzelstück: Näherin bei der Arbeit (rechts) FOTOS: (HALLE + NÄHERIN) JOËL TETTAMANTI; (TASCHEN) ROLAND TÄNNLER

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4 READER S DIGEST Einsatz auf europä i schen Strassen mit einem zwei ten Leben als Tasche verlängern. Doch sie wollen noch mehr. Deshalb gehen sie 2014 mit der Bekleidungslinie F-abric den nächsten Schritt. Der Clou daran: Die Hosen und Shirts lassen sich am Ende ihres Lebenszyklus frei von Rückständen und giftigen Stoffen kompostieren. Die Brüder richteten sich bei der Entwicklung des neuen Textils nach Dogmen, die zu ihrer Kreislauf-Philosophie passen. Die Rohstoffe werden in Europa gewonnen und nicht weiter als 2500 Kilometer von Zürich entfernt verarbeitet. Markus Freitag dazu: Wir diskutieren oft über Kompromisse, aber wir haben diesen Drang, das Maximum anzustreben. So wurde die Bekleidungslinie zum Projekt mit fünf Jahren Vorbereitungszeit. Denn die einzige Weberei, die am Anfang für die Verarbeitung der Faser überhaupt infrage kam, machte nach zwei Jahren Entwicklungs arbeit pleite. Das hatte zwar nichts mit dem Auftrag zu tun, es warf aber das Projekt zurück. Ohne den Radius von 2500 km wäre vieles einfacher gewesen; auch Baumwolle ist biologisch abbaubar. Doch für die Brüder waren längere Transportwege nicht verhandelbar. Ein weiterer Beleg für ihre Entschlossenheit: Bei den aktuell gering produzierten Stückzahlen kostet allein der eigens für Freitag hergestellte spezielle Nähfaden sieben Euro pro Hose. TEURE PRODUKTION Angesichts solcher Beispiele und bei Preisen, die sich mit jenen von höher po si tionierten Lifestyleproduk ten messen lassen, wird klar: Die Marge fällt vergleichsweise tief aus. Umso mehr, als bei den Planenprodukten 70 Prozent der wirtschaftlichen Wertschöpfung in der teuren Schweiz anfallen. Auch treibt der hohe Individualisierungsgrad die Kosten nach oben. Denn Einzelstücke herzustellen bedeutet auch, dass jedes Produkt fotografiert werden muss. Obschon die Finanzzahlen geheim sind, liegt es auf der Hand: Diese Fir ma ist nicht auf Rentabilität getrimmt. Markus Freitag kommentiert den Hinweis trocken: Freitag ist für uns oft eher Non-Profit-Organisation als Goldgrube. Ein Betriebswirtschaftler könnte viel zusammenstreichen. Solange man investieren kann, geht es der Firma aus Sicht der beiden Grün der und Alleinaktionäre gut. Und abgesehen von etwas Startgeld der Eltern haben die Brüder nie einen Betriebskredit beansprucht. Die Kreislauf-Philosophie hat im Lauf des Gesprächs den ganzen Raum eingenommen. Freitag scheint viel mehr als nur ein Taschenhersteller zu sein. Sehen die Brüder ihre Firma als ein Labor, in dem sie ihre Prinzipien in immer neuen Experi men ten ausloten? Markus Freitag mag diesen Gedanken. Macht es glücklich, er zu sein? Er lächelt. Ich kenne niemanden, mit dem ich tauschen möchte

5 INNOVATIV UND UMWELTBEWUSST Mit Taschen aus gebrauchten Lkw- Planen wurde Freitag berühmt. Inzwischen gehören auch Portemonnaies, Etuis für Smartphones sowie Rucksäcke zum Sortiment wurde zudem die Bekleidungslinie F-abric mit einem eigens dafür entwickelten Textil lanciert. Neben der Schweiz sind Deutschland, Italien und Japan die wichtigsten Märkte. Genäht werden die Taschen im Ausland. Für die Logistik kommen sie wieder nach Zürich, wo auch Marketing, Kommunikation, Personalwesen und Verwaltung angesiedelt sind. Die zehn Freitag-Läden werden vom Unternehmen selbst betrieben fünf davon in der Schweiz. Weltweit verkaufen 460 Distributionspartner die Produkte. Die Freitag-Brüder Markus (*1971) lernte Dekorationsund Ausstellungsgestalter, Daniel (*1972) wurde Grafiker. Als sie ihre Wunschtasche nicht finden konnten, fertigten sie selbst eine an. Sie musste stabil und wasserdicht sein gründeten sie die Firma Freitag. Swiss Made mit rund 150 Angestellten Die Planen werden in Zürich eingekauft, gereinigt und zugeschnitten. Kreislauf-Philosophie Cycle nennt Freitag das, was die Firma im Kern ausmacht. Waren- Kreisläufe, Produktion und Distribution müssen Ressourcen schonen. Inspiration für diesen Ansatz waren der Komposthaufen ausserhalb des Elternhauses und eine Familienreise nach Indien. Dort sahen die Brüder Menschen, die Die Brüder Daniel (links) und Markus Freitag Abfall durchsuchen und aus Weggeworfenem Neues machen. DH FOTO: ROLAND TÄNNLER

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