Neue Rechtsprechung des EuGH zur Sitztheorie
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- Emilia Schmitz
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1 EuGH zur Sitztheorie Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 5. über einen Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofes (BGH) aus dem Jahre 2000 zur Vereinbarkeit der Sitztheorie mit der europäischen Niederlassungsfreiheit gemäß Artikel 43, 48 EG-Vertrag entschieden. Obwohl die genauen Auswirkungen der Entscheidung bislang nur erahnt werden können und insbesondere von der weiteren Rechtsprechung des BGH abhängen, steht fest, dass ausländische Gesellschaften künftig auch bei Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes nach Deutschland hierzulande als rechts- und parteifähig anerkannt werden müssen. Der EuGH eröffnet damit Wirtschaftsteilnehmern innerhalb Europas weitere Möglichkeiten bei der Auswahl einer ausländischen Gesellschaftsform und Gestaltung von Konzernstrukturen. Der BGH hatte zwar bereits im Juli diesen Jahres entschieden, die Rechts- und Parteifähigkeit betroffener ausländischer Gesellschaften anzuerkennen, allerdings sollen sie nach deutschem Recht als Personengesellschaften behandelt werden, so dass bei einer unveränderten Rechtsprechung eine persönliche Haftung der Gesellschafter droht. Inhalt Tenor des Urteils Sachverhalt Wesentlicher Inhalt der Entscheidung des EuGH Der Vorgriff des BGH Vereinbarkeit der neuen Rechtsprechung des BGH mit EU-Recht Konsequenzen der Entscheidung des EuGH Tenor des Urteils Mit der europäischen Niederlassungsfreiheit ist es unvereinbar, wenn eine Gesellschaft nach Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedsstaat in diesem als nicht rechts- und parteifähig gilt, obwohl sie wirksam nach dem Recht des Staates gegründet wurde, in dem sich ihr satzungsmäßiger Verwaltungssitz befindet. Gleichzeitig verpflichtet der EuGH die Mitgliedsstaaten, die Rechts- und Parteifähigkeit von Gesellschaften nach dem Recht des Gründungsstaates anzuerkennen. Sachverhalt In dem Verfahren, das dem Vorlagebeschluss zu Grunde liegt, hatte der BGH über die Klage einer niederländischen BV (vergleichbar mit einer GmbH) zu entscheiden, die eine deutsche Gesellschaft auf Kostenerstattung und Schadensersatz wegen 1
2 mangelhaft erbrachter Sanierungsarbeiten an Gebäuden auf ihrem Grundstück in Deutschland verklagte. Nachdem zwei deutsche Staatsangehörige sämtliche Geschäftsanteile an der BV erworben hatten, nahmen das Landgericht und das Oberlandesgericht Düsseldorf an, dass der Verwaltungssitz der Gesellschaft nach Deutschland verlegt wurde und wiesen die Klage in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BGH mangels Rechts- und Parteifähigkeit der BV ab. Der BGH ließ die Vereinbarkeit dieser Rechtssprechungspraxis durch den Vorlagebeschluss vom EuGH überprüfen. Wesentlicher Inhalt der Entscheidung des EuGH Das Urteil des EuGH wendet sich gegen die ständige deutsche Rechtsprechung zur Rechts- und Parteifähigkeit von Gesellschaften, die in Staaten gegründet wurden, in denen die sogenannte Gründungstheorie vertreten wird (beispielsweise England oder die Niederlande) und die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Deutschland verlegen. Nach der Gründungstheorie ist auf eine Gesellschaft grundsätzlich - und damit auch hinsichtlich ihrer Rechts- und Parteifähigkeit - das Recht ihres Gründungsstaates anwendbar. Bislang weigerte sich der BGH aber, die betroffenen Gesellschaften nach dem Recht ihres Gründungsstaats als rechts- und parteifähig anzuerkennen. Vielmehr knüpfte er in Übereinstimmung mit der Sitztheorie an deren tatsächlichen Verwaltungssitz an. Nach der Sitztheorie ist nämlich nicht das Recht des Gründungsstaates, sondern des Staates anwendbar, in dem die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat. Dies hat zur Folge, dass betroffene Gesellschaften zur Erlangung der Rechts- und Parteifähigkeit in Deutschland neu gegründet werden müssen. Der EuGH stellt nunmehr klar, dass die Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit zwingend auch die Anerkennung der Gesellschaften durch alle Mitgliedstaaten voraussetze, in denen diese sich niederlassen wollen. Obwohl der EuGH dies nicht ausdrücklich formulierte, lässt sich diese Aussage wohl insofern als Absage an die Sitztheorie verstehen, als danach die Rechts- und Parteifähigkeit ausländischer Gesellschaften nicht anerkannt wird. Selbst wenn dadurch - wie der BGH argumentierte - Gläubiger gefährdet, Minderheitsgesellschafter benachteiligt und Mitbestimmungsrechte unterwandert werden könnten, rechtfertigt dies nach dem EuGH allenfalls unter bestimmten Voraussetzungen eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit, keinesfalls jedoch eine gänzliche Negierung in Form der Rechtlosstellung betroffener Gesellschaften. Die deutsche Rechtsprechung ist demnach künftig gezwungen, betroffene Gesellschaften als rechts- und parteifähig zu betrachten und damit als Partei eines Rechtsstreites in Deutschland zu akzeptieren. Der Vorgriff des BGH Ein anderer Senat des BGH hatte bereits im Juli diesen Jahres beschlossen, betroffene Gesellschaften als rechts- und parteifähig zu akzeptieren, diese aber 2
3 unabhängig von der ihnen nach dem Recht des Gründungsstaates zukommenden Gesellschaftsform als Personengesellschaften (OHG, GbR) zu behandeln. Bislang hatte der BGH diesen Weg abgelehnt, da insbesondere bei einer Einstufung als GbR und deren Betrachtung als teilrechtsfähig erhebliche Probleme im Rahmen der Zwangsvollstreckung auftraten. Nachdem der BGH die GbR seit seinem Grundsatzurteil (AZ II ZR 331/00) vom 29. Januar 2001 als rechtsfähig anerkennt, stand auch eine Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit ausländischer Gesellschaften als Personengesellschaften nichts mehr im Wege. Grundsätzlich vertritt der BGH damit im Ergebnis weiterhin die Sitztheorie, obwohl er selbst seine neue Rechtsprechung als Lösung unabhängig von Sitz- oder Gründungstheorie bezeichnet. Denn nach deutschem Recht werden nur die gesetzlich normierten Gesellschaftsformen anerkannt. Im Falle einer Rechtsformverfehlung (wie z.b. bei einer BV die das deutsche Recht nicht vorsieht) wird der Gesellschaft dann die Rechtsform einer GbR bzw. OHG zugeordnet. Konsequenz dieser neuen Rechtsprechung des BGH wäre dann eine akzessorische Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, obwohl nach ausländischem Recht eine Gesellschaftsform und ein Haftungssystem gewählt wurden, die dies gerade nicht vorsehen. Vereinbarkeit der neuen Rechtsprechung des BGH mit EU-Recht Ob diese neue Rechtsprechung des BGH allerdings mit der europäischen Niederlassungsfreiheit vereinbar ist, erscheint fraglich. Denn auch wenn ausländische Gesellschaften nunmehr als rechts- und parteifähig anerkannt werden, ergeben sich erhebliche Bedenken hinsichtlich der faktischen Umwandlung in Personengesellschaften. Zunächst wird damit nämlich nicht - wie vom EuGH gefordert - die Rechts- und Parteifähigkeit der konkreten ausländischen Gesellschaft, sondern einer anderen Gesellschaft (nämlich einer Personengesellschaft) anerkannt, so dass bereits aus diesem Grunde dem Auftrag des EuGH nicht genüge getan scheint. Zum anderen bedeutet die Einstufung ausländischer Kapitalgesellschaften als Personengesellschaften - sofern der BGH bei der momentan drohenden persönlichen Haftung der Gesellschafter bleibt - eine erhebliche Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. In diesem Zusammenhang bleibt allerdings abzuwarten, ob und wie der BGH die Vorgaben des EuGH umsetzen wird. Sollte der BGH die Rechts- und Parteifähigkeit einer ausländischen Gesellschaft künftig nach dem Recht des Gründungsstaates anerkennen, stünde einer persönlichen Haftung grundsätzlich die sogenannte Einheitslehre entgegen. Danach soll bei der Beurteilung des anwendbaren Rechts nur eine Rechtsordnung zur Anwendung kommen. Eine Aufspaltung einzelner Regelungsbereiche auf unterschiedliche Rechtsordnungen will der BGH wegen der damit verbundenen Rechtsunsicherheit vermeiden. Insofern müsste der BGH auch bezüglich der Haftung das Recht des Gründungsstaates anwenden und vorhandene Haftungsbeschränkungen berücksichtigen. Nur unter Aufgabe dieser Einheitslehre wäre es möglich, die Rechts- und Parteifähigkeit nach dem Recht des Gründungsstaates zu beurteilen, gleichzeitig aber deutsches Recht für anwendbar zu 3
4 erklären, soweit die Haftung der Gesellschafter betroffen ist. Inwieweit der BGH dazu bereit ist lässt sich zum derzeitigen Zeitpunkt nicht abschätzen. Noch in seinem Vorlagebeschluss erklärte der BGH jedenfalls ausdrücklich, an der Einheitslehre festhalten zu wollen. Konzeptionell zwingend hingegen erscheint eine persönliche Haftung der Gesellschafter, wenn der BGH weiterhin an seiner neuen Rechtsprechung festhält und betroffene Gesellschaften als OHG bzw. GbR einstuft. Denn dann würde die Einheitslehre die Anwendung deutschen Rechts auch hinsichtlich der Haftung gebieten. Diesbezüglich müssen die weiteren Entscheidungen des BGH abgewartet werden, insbesondere in Fällen, in denen sich eine ausländische Gesellschaft als Beklagte in einem Rechtsstreit befindet. Konsequenzen der Entscheidung des EuGH Obwohl die Reichweite der vom EuGH erteilten Absage an die Sitztheorie nicht ausdrücklich in dem Urteil erwähnt ist, scheint der EuGH dahin zu tendieren, künftig das Recht des Gründungsstaates angewandt wissen zu wollen. Dies würde ebenfalls eine Absage an die neue Rechtsprechung des BGH bedeuten, in der die Rechts- und Parteifähigkeit ausländischer Gesellschaften anerkannt wird, diese aber als Personengesellschaften gelten. Für die Wirtschaftsteilnehmer bedeutet die Rechtsprechung des EuGH, dass sie künftig Gesellschaften nach dem Gesellschaftsrecht anderer EU-Mitgliedstaaten, die die Gründungstheorie vertreten (Dänemark, Niederlande und England), gründen und diese gleichzeitig in Deutschland führen und betreiben können. Die damit verbundenen Gestaltungs- und Wahlmöglichkeiten sind insbesondere für Holdingund Konzernstrukturen äußerst attraktiv und könnten eine Möglichkeit bieten, unliebsame inländische Restriktionen zu vermeiden oder jedenfalls abzuschwächen. Bis zu einer Klärung der Haftungsfrage seitens des BGH bleiben diese Möglichkeiten faktisch allerdings eingeschränkt. * * * 4
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