Medienart: Print Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 126'855 Erscheinungsweise: wöchentlich. nicht mehr tro-oft

Transkript

1 Fin PolloLK, der nicht mehr tro-oft Der Amerikaner gilt als Star der abstrakten Malerei. Das Kunstmuseum Basel zeigt ab 2. Oktober, dass er immer auch Figuren malte. Von Gerhard Mack Für einmal hatte das Kunstmuseum Basel nicht die Nase vorn: Das Haus, das 1959 als erstes in Europa Werke der neuen amerikanischen Malerei kaufte, besitzt kein Hauptwerk von Jackson Pollock. Dabei war der Maler, der wie kein anderer für diesen Aufbruch New Yorks steht, 1958 in einer grossen Ausstellung in der Kunsthalle Basel zu sehen. Das New Yorker Museum of Modern Art hatte eine europäische Wanderausstellung eingerichtet, die hier Station machte. Fotos zeigen, dass viele Werke der abstrakten Phase, die heute den Weltruf des Malers ausmachen, mit dabei waren. Einige hätte man erwerben können, doch es fehlte das Geld. Jackson Pollock war tot und berühmt, seine Preise waren hoch. Er wurde zum Brand. Zu diesem gehörte ein neues Verfahren. Der Maler legte die Leinwand auf den Boden und liess die Farbe von Pinseln, Stöcken oder aus Löchern in den Dosen rinnen. «Drip Paintings» oder Tropfbilder heissen die Gemälde deswegen auch. Und der Maler hatte seinen Übernamen weg: Jackson Pollock war «Jack the Dripper». Dass er bisweilen seine Aggressionen nicht unter Kontrolle hatte, Alkoholiker war, 1956 im Vollrausch seinen Wagen gegen einen Baum fuhr und dabei 44-jährig starb, passte zu dem Wortspiel. Mit dem neuen Verfahren verband sich ein neuer Begriff, für den Pollock stand: «Action Painting» meinte Malerei nicht als Darstellung, sondern als Handlung, als Ausdruck von Energie. Denn der Künstler bewegte sich oft mit dem ganzen Körper, wenn er Farbe auf die Leinwand rinnen liess. Die Linien werden zu Spuren eines Tanzes. Der Film von Hans Namuth hat das Verfahren einer breiten Öffentlichkeit publik gemacht. Pollock ist neben Warhol der bekannteste amerikanische Künstler des 20. Jahrhunderts, dessen Rang Auktionspreise immer wieder bestätigen wurde das Dripping «No. 5, 1948» privat für angeblich 140 Millionen Dollar verkauft und galt kurz als teuerstes Kunstwerk. Mit seinen Tropfbildern, die vor allem von 1947 bis 1950 entstanden, wurde Pollock früh zum Aushängeschild für die amerikanische Kunst und für ihren Siegeszug über Europa. Dass ihm nichts in den Schoss fiel, dass er kämpfen musste, machte ihn umso mehr zum Helden. Jackson war der jüngste von fünf Brüdern. Der Vater arbeitete als Landvermesser, die Familie zog häufig um, das Geld war knapp. Jackson wuchs vorwiegend in Kalifornien auf, kam früh mit Alkohol in Berührung und flog von der Schule. Er wollte Künstler werden und schrieb seinem ältesten Bruder Charles voller Verzweiflung: «Meine Zeichnungen sind Schrott; es fehlt ihnen an Freiheit und Rhythmus, sie sind kalt und leblos. Es lohnt nicht das Porto, sie zu schicken.» Der Bruder holte ihn nach New York an die Art Students League. Thomas Hart Benton war deren gefeierter Lehrer und nahm die Pollock-Brüder unter seine Fittiche. Er propagierte amerikanische Inhalte als Gegengewicht gegen die europäische Avantgarde. Ausschnitt Seite: 1/5

2 Die frühen Bilder Pollocks feiern die Landschaft und bäuerliche Welt des Westens, die er aus seiner Jugend kannte. Er setzte sich auch mit der europäischen Kunstgeschichte auseinander, deren Werke der Lehrer seine Schüler nach Büchern zeichnen und bald kubisch, bald linear analysieren liess. Vor allem bei El Greco fand der junge Jackson eine Dynamik aus Wirbeln und Strudeln, die seine späteren Gemälde zeigen. Bald kamen die Surrealisten und die Psychologie C. G. Jungs hinzu, die er kennenlernte, als er sich wegen seiner Alkoholsucht in Behandlung begab. An Picasso und dessen «Guernica» arbeitete er sich ab. Pollock wollte, wie sein Lehrer, aber nicht einfach die europäische Avantgarde fortsetzen, sondern suchte nach Wurzeln in einer eigenen Volkskultur. Er begeisterte sich für die mexikanischen Muralisten wie Jose" Clemente Orozco und für die indianischen Ureinwohner, deren Kultur er im Westen erlebt hatte. Eine Zeit lang hatte er auch ein indianisches Kindermädchen. Und als das Museum of Modern Art 1941 die Ausstellung «Indian Art of the United States» zeigte, war er ein häufiger Besucher. Die Sandzeichnungen, die Navajos damals vor Publikum anfertigten, haben ihn später dazu inspiriert, auf dem Boden zu malen. Zunächst übersetzte Pollock die Fragmentierung der Körper im Surrealismus in Bilder, die wie das wegweisende «Birth» von 1941 oder «Totem Lesson 1» Inuit-Masken verwenden. Diese Melange von Einflüssen belebt bereits kurz zuvor das Gemälde «Naked Man with Knife»: Athletische Körper sind in einem Kampf ineinandergeknäuelt. Surreal und wie bei den Mexikanern zugleich. Solche Werke haben Nina Zimmer begeistert: «Pollock gibt dem Bild mit kräftigen Linien und Farben eine ungeheure Dynamik, die sein Werk bestimmt.» Die Kunsthistorikerin war bis vor ein paar Monaten noch Vizedirektorin des Kunstmuseums Basel, bevor sie als erste Direktorin der neuen Struktur aus Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee nach Bern berufen wurde. Jetzt ist sie zurückgekehrt und nimmt mit einer fulminanten Ausstellung Abschied von Basel. Dabei beschränkt sie sich nicht auf die berühmten Drip Paintings, sondern rückt vielmehr die Kontinuität von Pollocks Werk in den Blick. Viele abstrakte Werke, die 1958 in Basel gastierten, sind nicht zu sehen. Dafür wird die Basis für ein neues Verständnis des Künstlers gelegt. Die Ausstellung zeichnet nach, wie sich abstrakte, geometrische und körperhafte Elemente durch sein gesamtes Schaffen hindurchziehen. «Pollock braucht immer, auch in seiner abstraktesten Phase, die Figur, einen Inhalt als Ausgangspunkt», sagt Nina Zimmer. Also macht sie anhand von gut hundert Werken deutlich, wie Pollock zunächst auf Zeichnungen, dann aber auch in seiner Malerei Figuren aus verschiedenen Kontexten kombiniert, variiert und zur Bildfläche verbindet. Das setzt ganz neue Möglichkeiten frei. Was traditionell Figur ist, wird jetzt Teil des Bildgrundes, und aus dem Bildgrund tauchen Augen und andere figurative Elemente hervor. Das lässt sich selbst bei den abstrakten Tropfbildern beobachten; die Kleckse und das Liniengeschlinge sind wie eine Gaze, die verdeckt und durchscheinen lässt, was darunterliegt. Und die einzelnen Schichten lassen sich miteinander verbinden. Was zuunterst und was zuoberst ist, wechselt ständig. Der Bildraum ist stets in Bewegung. Ausschnitt Seite: 2/5

3 Griff zurück auf die Indianische Volkskultur: Jackson Pollock mit «Totem Lesson 1» von Ausschnitt Seite: 3/5

4 Jackson Pollock in seinem Atelier auf Long Island. Pollock hat das nach den Drip Paintings bis zu den letzten, stark farbigen Werken vertieft. So schneidet er etwa aus einem Bild eine grobe Figur aus und hinterklebt die Leerstelle mit einer anderen Leinwand. Diese kann die verschiedensten Strukturen aufweisen. Sie kann fast leer oder selbst ganz mit Linien bedeckt sein. Und diese können wiederum mit den Farbfäden auf der vorderen Leinwand in Kontakt treten, Bewegungen aufnehmen oder sie abweisen. Figur ist dabei das, was fehlt. Oder auf anderen Bildern das, was als Andeutung spürbar ist, etwa durch Augenformen, die uns von vielen Orten aus zu beobachten scheinen. Abstrakte Verfahren und figurative Elemente gehen Hand in Hand, um Orientierung zu erschweren. Darin kann man, wenn man will, einen Ausdruck heutiger Individualität sehen: des verunsicherten, vagabundierenden Selbst, das in unabsehbare Beziehungen verstrickt ist, sich bildet und zerfällt, das nicht mehr nur Subjekt seiner Wahrnehmung ist, sondern sich auch als Objekt fremder Blicke weiss, die es nicht kontrollieren kann. Pollock total In der Ausstellung «Der figurative Pollock» bringt das Kunstmuseum Basel mehr als hundert Zeichnungen und Gemälde zusammen. Seltene Leihgaben aus aller Welt bestätigen den Rang der Schau (Dauer: bis , Katalog: Prestel, , 187 Abb., Fr. 67.-). Ausschnitt Seite: 4/5

5 c-) Von Picasso inspirierte Leichtigkeit: «Stenographie Figure»,1942. Dass ausgerechnet das Kunstmuseum Basel dem nationalen Helden amerikanischer Abstraktion eine Ausstellung ausrichtet, die zeigt, wie haarscharf er fehlinterpretiert und für eine imperiale Feier amerikanischer Kultur im Nachkriegseuropa benutzt wurde, darf man auch als späte Genugtuung sehen. Gleichwohl wird kein Denkmalsturz inszeniert, sondern Pollock genauer verstanden als bisher. Indem die Ausstellung die Kontinuität im Werk herausarbeitet, gelingt es ihr nämlich, etwas zu zeigen, was im Kult um die anarchische Künstlerfigur unterging: das Bemühen um künstlerische Freiheit, das Bestreben, Gegensätze aufzugreifen und in Balance zu bringen und auf der Ebene des Bildes eine Offenheit zu erzielen, die zu den besten Eigenschaften des Landes gehört. Man darf dieses scheinbar so abstrakte, tänzerische und - wenn man an Bilder wie «Stenographic Figure» denkt - bisweilen auch gelöste Werk durchaus auch politisch verstehen. Für Pollock zumindest passten künstlerische Innovation und gesellschaftliche Erneuerung durchaus zusammen. Ausschnitt Seite: 5/5