ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH Allein durch den Glauben Predigt von Pfarrer Ralph Müller gehalten am 1. November 2015
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- Valentin Holzmann
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1 ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH Allein durch den Glauben Predigt von Pfarrer Ralph Müller gehalten am 1. November 2015 Schriftlesung: Römer 1,1-17 Predigttext: Römer 1,16 Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; eine Kraft Gottes ist es zur Rettung für jeden, der glaubt, für die Juden zuerst und auch für die Griechen. Liebe Gemeinde Der Römerbrief ist das schwierigste theologische Buch des Neuen Testaments. In meiner Familie gibt es eine Geschichte, die wir uns nach mehr als fünfzig Jahren immer noch erzählen. Ich habe dreizehn Cousins und Cousinen. Der Älteste nahm einmal die Bibel hervor, setzte sich an den Küchentisch und ahmte den Pfarrer nach. Er nahm einen Finger und blätterte murmelnd durch die Bibel, dabei waren nur die Worte Jesus Christus, Jesus Christus, Jesus Christus immer wieder deutlich zu verstehen. Vielleicht ist es Ihnen heute auch so ergangen, als Sie die ersten siebzehn Verse des Römerbriefes gehört haben. Sie verstanden nur immer wieder Jesus Christus. Am Anfang des Römerbriefes finden wir, wie das in den Briefen der Antike damals üblich war, die Begrüssung des Apostels Paulus. Er drückt darin seine Sehnsucht aus, dass er die Gemeinde bald sehen und besuchen möchte. Es folgen weitere Verse, auf die ich heute nicht alle eingehen kann.
2 2 In Vers 16 und 17 folgen Worte, die aber für die Reformation entscheidend wichtig sind: Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; eine Kraft Gottes ist es zur Rettung für jeden, der glaubt. Gottes Gerechtigkeit nämlich wird ihm offenbart, aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: Der aus Glauben Gerechte aber wird leben. Die Hauptsache bei der Reformation war die Erkenntnis, dass der Glaube das Entscheidende ist. Wenn ich meine Konfirmanden jeweils frage, was denn reformiert sein heisse, dann sagen sie mir nur: Reformiert ist nicht katholisch! Heute wissen wir gar nicht mehr richtig, was es bedeutet, reformiert zu sein. In Gesprächen höre ich als Pfarrer immer wieder die Kritik, dass der Glaube der Reformierten wischiwaschi sei. Wir würden uns gar nicht klar zu Gott und Jesus Christus bekennen und brächten den Glauben zu wenig aktiv unter die Menschen. Vor zwei Wochen las ich im Gottesdienst in Oerlikon ein Gedicht. Mein Götti überreichte es mir vor einiger Zeit: Da schlich auf einmal in die Kirche des Pfarrers Katze sachte herein. Ganz leise ging sie durch die Kirche und setzte sich dann vorne hin und sah hinauf zu ihrem Pfarrer und hörte andachtsvoll auf ihn. Da schauten alle auf die Katze. Schnell weckte man die Schläfer auf, damit sie sähen wie die Katze zu ihrem Pfarrer blickt hinauf. Ihr wundert euch, so sprach der Pfarrer, dass meine Katze kommt hierher und dass sie aufpasst auf die Predigt, das wundert euch vielleicht noch mehr. Sie kommt hierher, ich wills euch sagen und sucht sich vorne einen Platz, weil sie gehört hat, dass ihr Pfarrer hier hält die Predigt für die Katz! Ob ich heute auch für die Katz predige, können Sie am Schluss dieses Gottesdienstes selber entscheiden! Diese Aussagen stacheln mich immer wieder an, Grundsätzliches in meinen Predigten zu sagen. Zum Beispiel, warum dieser Glaube
3 3 so entscheidend ist. Kürzlich hatte ich eine Begegnung, die mich sehr beschäftigte. Während eines Leidmahls sass ich neben einer jungen Frau. Da wir in einer wissenschaftlichen Welt leben würden, falle es ihr schwer zu glauben, sagte sie. Wenn sie mit ihren Kollegen spreche, die Naturwissenschaften oder Physik studieren, sagen diese, dass man Gott nicht beweisen oder messen könne. Um diese Fragen zu beantworten, greift man am besten auf die Ursprachen der Bibel zurück und betrachtet die ursprüngliche Bedeutung von Glaube, wie es Paulus und auch schon das Alte Testament gemeint hat. Dann beginnen wir das Wort ganz anders zu sehen und zu verstehen. Wo im Neuen Testament Glaube übersetzt wurde, steht das griechische Wort pistis oder das Verb pistoin. Die ursprüngliche Bedeutung davon ist: sich verlassen auf etwas und vertrauen. Wenn im Römerbrief etwas von Glaube steht, dann heisst das eigentlich: Vertrauen. Unser Text in Römer 1,16 müsste deshalb wie folgt übersetzt werden: Der, der vertraut, für den ist Gottes Gerechtigkeit offenbar. Der, der vertraut, wird gerecht vor Gott und wird leben. Ich verstehe deshalb bis heute nicht, weshalb bei der neusten Übersetzung der Bibel so etwas Grundsätzliches nicht mit diesen Worten übersetzt wurde! Im Lateinischen steht für Glauben credo, das das Wort cor (Herz) beinhaltet. Übersetzt bedeutet es: sein Herz auf etwas setzen. Credo bedeutet, dass ich mein Herz auf etwas setze und nicht bloss ein wenig annehme oder ein bisschen glaube, dass es morgen vielleicht schön ist. Wenn ich an Gott glaube, dann setze ich mein Herz auf Gott! Sie merken, das ist eine ganz andere Bedeutung. Im Urherbräischen steht das Wort aman für Glauben. Das bedeutet: sich an etwas festmachen. Ich halte mich fest daran. An diesen
4 4 ganz einfachen Übersetzungen können Sie sehen, was der christliche Glaube eigentlich bedeutet. Unsere Tradition ist so in uns verankert, dass wir immer vom Glauben sprechen. Dabei müssten wir vom Vertrauen reden. Das ist ein grosser Unterschied. Ich bitte Sie, zu Hause weiter zu überlegen, was es für Sie bedeutet, zu sagen: Ich vertraue auf Gott! Das waren ganz andere Bekenntnisse am Anfang der Bibel. Was die Reformatoren gesehen haben dieses persönliche ich vertraue auf ihn ist das eigentlich Entscheidende und enorm wichtig. Ich treffe immer wieder Menschen, die Zweifel haben. Sie fragen mich zum Beispiel, ob die Bibel Recht hat. Stimmt die Schöpfungsgeschichte oder die Evolution? Sollen wir daran glauben, dass Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat? Ich versuche jeweils zu erklären, dass es in diesen Fragen vielmehr darum geht, auf was oder wen wir vertrauen. Bei einigen Gesprächen habe ich dann auch das Gefühl, dass ich für die Katz diskutiert habe! Ich probiere den Fragenden zu erklären, dass die Menschen vor dreitausend Jahren versucht haben, aufzuzeigen, wie die Welt entstanden sei und sie die Schöpfung deshalb mit diesen Tagesschritten beschrieben haben. Wenn ich diese Antwort aber Fundamentalisten sage, bekommen sie rote Köpfe! Sie halten daran fest, dass Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat. Wir wissen aber aus der Wissenschaft, dass diese Zeiten länger dauerten und dürfen ihr auch gewisse Dinge glauben. Ich finde es auch gar nicht so entscheidend und wir werden es wohl nie ganz herausfinden. Entscheidend ist, dass wir auf Gott und Jesus Christus vertrauen. Was bedeutet mir Gott? Wer ist Jesus Christus für mich? Wozu brauche ich ihn und wofür darf ich ihn beanspruchen? Für mich bedeutet dies, dass ich am Morgen aufstehe und vertraue, dass es
5 5 ein Tag ist, an dem ich Kraft habe, an dem ich gestärkt werde und bis am Abend durchhalten kann. Ich vertraue darauf, dass all das, was heute geschieht, so sein muss und sein soll, weil Gott alles in seinen Händen hält. Ich vertraue darauf, dass ich Schwieriges am heutigen Tag meistern kann, wenn ich zum Beispiel einem Menschen begegne, der mich angreift oder kritisiert. Ich versuche zuerst hinzuhören und zu verstehen, was er meint. Wenn etwas schief läuft, so ist es wunderbar, wenn ich auf Gott vertrauen kann, dass er jetzt da ist und hilft, damit ich wieder ruhiger und ausgeglichener werde. Darum das geht es. Wir können immer wieder sagen: Ja, ich vertraue! Das können wir jeden Tag und in jeder Situation tun. Ich sprach mit einem anderen jungen sportlichen Mann, der Jura studiert und in einer Anwaltskanzlei arbeitet. Er fragte mich, wozu er den Glauben an Gott brauchen würde, er spüre gar nichts und es fehle ihm nichts. Einem Menschen, dem alles glückt und der mit sich selber zufrieden ist, eine Antwort zu geben, ist gar nicht so einfach! Es gibt Menschen, die ihm nun Angst machen würden, dass er in die Hölle komme, weil er nicht an Gott glaube. Wir Reformierte machen mit unserem Glauben niemandem Angst. Leider kommen deshalb gewisse Leute und sagen, dass unser Glaube wischiwaschi sei und wir nicht richtig dazu stehen. Sie sagen, dass wir den Menschen klar machen müssen, dass es ein Gericht gibt, dem man Rechenschaft abgeben muss. Ich aber meine, dass ich die Leute eher vom Glauben abschrecke, wenn ich das zu fest betone. Diese junge Frau erzählte mir beim Leidmahl, dass sie befreundet sei mit einem jungen Mann, der in eine Freikirche gehe. Er sage ihr immer, wenn sie ihr Leben nicht Jesus übergebe, sei sie ewig
6 6 verloren und wenn sie einmal sterbe, werde sie nicht in der Ewigkeit sein, sondern in die Hölle gehen. Sie fragte mich, ob das, was ihr Freund sage, stimme. Wieso tut er das? Wir Reformierten tun das nicht und machen mit unserem Glauben niemandem Angst! Es geht vielmehr darum, mit den Menschen einen Weg zu gehen. Dabei gibt es zwei Dinge, die für uns Reformierte wichtig sind: 1. Gott allein bewirkt letztendlich den Glauben! Ich kann predigen und versuchen, den Menschen etwas ins Herz zu legen. Ich kann so predigen, dass sie merken, dass ich das auch selber glaube, was ich sage und das, was ich glaube, ihnen weitergebe. Wenn sie das spüren, sind meine Worte mit Gottes Segen, mit seinem Heiligen Geist versetzt. Ich kann Glaube bei ihnen nicht selber bewirken. Das allein kann nur Gott! Der Heilige Geist muss an ihnen arbeiten, dass sie das Wesentliche aufnehmen und merken, dass es die Wahrheit ist. Sie nehmen wahr, dass etwas da ist. Ich als Pfarrer, kann das nicht bewirken, das kann nur Gott. Diese demütige Haltung müssen wir annehmen. Wir können Gott nur darum bitten, dass er wirkt. Wir können für die Leute beten, dass sie aufwachen und das Geschenk des Glaubens erhalten. Ich kann darüber sprechen und den Weg aufzeigen, aber nie mit Angst versuchen, das Geschenk des Glaubens jemandem seelisch einzuprügeln. 2. Wir erkennen, dass der Glaube ein Geschehen, ein Weg ist. In der Bibel, im frühchristlichen Glauben in der Apostelgeschichte, wird dies mit der neue Weg beschrieben. Es ist ein Weg, auf dem Sie, auf dem ich bin. Wir begegnen uns und in einem Gespräch nehme ich jemanden mit auf den Weg, wie die junge Frau. Sie fragt mich, was sie jetzt glauben soll, weil der Freund ihr Angst mache. Oder wenn jemand sagt, dass er Mühe habe, an Jesus Christus zu glauben, an eine biblische Gestalt mit einem langem
7 7 Bart und offenen Sandalen. Dann versuche ich, die Leute mit auf den Weg zu nehmen. Ich frage sie, welche Bilder und Vorstellungen sie von Gott haben, was sie davon abhalte, an ihn zu glauben und zu vertrauen. Dann fragen sie mich oft, ob denn die biblischen Geschichten wahr seien und wer sie geschrieben habe. Ich versuche zu erklären, dass die Bibel ein Buch ist, das gewachsen ist und die Menschen, die diese Begegnungen beschrieben haben, Gott vertrauten. Ich nehme sie mit auf einen Weg. Irgendwann stellen mir die Leute die Frage, warum ich denn glaube. Dann kann ich erzählen, dass ich schon als Kind geglaubt habe und der Glaube immer ein Teil von mir war und der mir das geschenkt habe, sei im Himmel. Viele erklären mir, dass sie das nicht so erfahren und erlebt haben. Ich versuche aufzuzeigen, dass man für diese Erfahrung bitten und selber beginnen kann, tiefer zu suchen. Man kann Gott bitten, dass man sein Leben tiefer und in allen Einzelheiten besser verstehen lernt. Dadurch wird man für den eigenen Alltag wachsamer und versucht zu erkennen, wie das Leben verläuft. Wo erlebe ich Zufälle? Wo hatte ich unendliches Glück? Warum geschah das? Warum durfte ich das erleben? Ist das nicht ein Geschenk? Ich verwickle die Menschen in solche Gedanken und Gespräche. Wenn ich merke, dass mich der andere nicht versteht, bedränge ich ihn nicht. Ich schäme mich des Evangeliums nicht, aber ich schlage es ihm auch nicht um die Ohren. Als Reformierter überlasse ich Gott, was geschieht. Er lädt mich ein, mit den Menschen auf einen Weg zu gehen. Das Entscheidende ist das Vertrauen, der Glaube. Das Vertrauen, dass er dabei ist und uns begleitet. Was dann geschieht, ist in seiner Hand. Wir, die glauben und vertrauen,
8 8 können nur beten, dass Gott auf dieser Welt wirkt. Herr, allein durch Glauben kommen wir zu dir, allein durch Vertrauen. Amen. Römer 1,1-17 Paulus, Knecht des Christus Jesus, berufen zum Apostel, ausersehen, das Evangelium Gottes zu verkündigen, das er durch seine Propheten in heiligen Schriften schon seit langem verheissen hat das Evangelium von seinem Sohn, der nach dem Fleisch aus dem Samen Davids stammt, nach dem Geist der Heiligkeit aber eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht, seit der Auferstehung von den Toten: das Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn, durch den wir Gnade und Apostelamt empfangen haben, Glaubensgehorsam zu erwirken und seinen Namen zu verbreiten unter allen Völkern, zu denen auch ihr als in Jesus Christus Berufene gehört, an alle in Rom, die von Gott geliebt und zu Heiligen berufen sind: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Als Erstes danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle; von eurem Glauben nämlich wird in der ganzen Welt gesprochen. Denn Gott, dem ich mit allem, was in mir ist, diene durch die Verkündigung des Evangeliums von seinem Sohn, er ist mein Zeuge, dass ich unablässig an euch denke und im Gebet immer wieder darum bitte, dass es mir endlich einmal durch Gottes Willen vergönnt sei, zu euch zu kommen. Denn ich sehne mich danach, euch zu sehen, um euch teilhaben zu lassen an dieser und jener geistlichen Gabe zu eurer Stärkung, und das heisst: um in eurer Mitte gemeinsam mit euch ermutigt zu werden durch unseren gemeinsamen Glauben, den euren wie den meinen. Ihr sollt aber auch wissen, liebe Brüder und Schwestern, dass ich mir schon oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen, bis heute aber daran gehindert wurde, auch bei euch, wie bei allen anderen Völkern, ein wenig Frucht zu ernten. Griechen und Nichtgriechen, Gebildeten und Ungebildeten weiss ich mich verpflichtet. So ist bei mir der klare Wille vorhanden, auch euch in Rom das Evangelium zu verkündigen. Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; eine Kraft Gottes ist es zur Rettung für jeden, der glaubt, für die Juden zuerst und auch für die Griechen. Gottes Gerechtigkeit nämlich wird in ihm offenbart, aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: Der aus Glauben Gerechte aber wird leben. ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH Sekretariat St. Anna, Grundstrasse 11c, 8934 Knonau, Telefon
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