Alle Kinder sind verschieden
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- Curt Hoch
- vor 8 Jahren
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1 Es ist normal, verschieden zu sein Es ist normal, verschieden zu sein: von Schreibexperten, Zierfischzüchtern und Karawaneneffekten Individuelles Fördern im Fokus der Kompetenzorientierung in der Grundschule - beobachten beschreiben - bewerten - begleiten Grundschultag in Erbach Erlenbachhalle am 4. Mai Uhr Prof. Dr. Erika Brinkmann Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd Alle Kinder sind verschieden Wie Kinder lernen Vier Thesen zum Anfangsunterricht Der Schulanfang ist keine Stunde Null Die Unterschiede in den Vorerfahrungen sind dramatisch Frühe Lese- und Schreibversuche sind Ausdruck kognitiver Strukturierung individueller Erfahrungen Fehler sind normal als Zwischenstufen bei der Annäherung an die Norm Der Karawaneneffekt Von Schriftsprachexperten und Zierfischzüchtern Was bedeutet das für den Unterricht? KMK-Beschlüsse Spracherfahrungsansatz Beispiel: Schriftspracherwerb Schreiben mit der Anlaut-Tabelle Pädagogische Leistungskultur Aufgeräumte Kunst Alle Kinder sind verschieden Entwicklungsunterschiede Wenn eine Lehrerin eine Klasse mit 20 siebenjährigen Kindern vor sich hat, dann unterscheiden sich die Kinder in ihrem Entwicklungsalter um mindestens 3 Jahre.
2 Entwicklungsunterschiede Bis zur Oberstufe nehmen die Unterschiede zwischen den Kindern noch einmal deutlich zu. Mit 13 Jahren variiert das Entwicklungsalter um mindestens 6 Jahre zwischen den am weitesten entwickelten Kindern und jenen, die sich am langsamsten entwickeln.
3 Kleiner Exkurs: Das Problem lässt sich nicht durch ein dreigliedriges Schulsystem lösen: Wie Kinder lernen Lernen Lernen durch aktives Handeln ist in der Kindheit vorherrschend. Dieses Lernen läuft weitgehend unbewusst ab und wird nicht durch rationale Überlegungen geleitet. Idealerweise werden dem Kind Erfahrungsmöglichkeiten angeboten, die seinem Entwicklungsstand entsprechen und die es selbstständig nutzen kann. Über- und Unterforderungen sollen möglichst vermieden werden, damit Lernmotivation und Selbstwertgefühl des Kindes erhalten bleiben. Echtes Lernen setzt voraus, dass neue Erfahrungen mit bestehendem Wissen und bereits vorhandener Erfahrung vernetzt werden können. Ein Kind wird NICHT umso klüger, je intensiver man mit ihm übt. Ein Kind lässt sich nicht machen. Es lässt sich nicht wie ein Gefäß beliebig mit Inhalt füllen. Durch Üben können Bewegungsabläufe beschleunigt und Verhaltensweisen angepasst werden. Mit Üben und Auswendiglernen kann man dem Kind im Sinne von Begreifen aber nichts beibringen, wozu es nicht selber bereit ist. Üben und Auswendiglernen führen nicht zum Verstehen.
4 Lernstrategien werden nur durch selbstbestimmtes Lernen erworben. Selbstbestimmtes Lernen heißt, dass das Kind aktiv und selektiv Lernerfahrungen machen kann. Nur so kann es das frisch Gelernte mit seinem bestehenden Wissen vernetzen. Erfolgreiches Lernen führt zu einem guten Selbstwertgefühl und zu der Motivation, die Herausforderungen mit Selbstvertrauen anzugehen. Lernmotivation Die Lernmotivation bleibt dann erhalten, und das Selbstwertgefühl wird gestärkt, wenn die Anforderungen den entwicklungsspezifischen und individuellen Bedürfnissen des Schülers entsprechen und er in seinen Lernbemühungen zumeist erfolgreich ist. Gründe, weshalb einem Kind die Lernmotivation abhanden kommt: Das Kind fühlt sich in der Schule und/oder zu Hause emotional vernachlässigt und nicht akzeptiert. Das Kind wird durch die Erwartungen und Anforderungender Schule und Familie überfordert oder unterfordert. Das Kind fühlt sich fremdbestimmt und erlahmt in seiner Neugierde. Dem Kind fehlt die Wertschätzung für seine Person und Leistung. Vier Thesen zum Anfangsunterricht 1. Der Schulanfang ist keine Stunde Null in der Lese- und Schreibbiografie der Kinder 2. Die Unterschiede in den Vorerfahrungen sind dramatisch 3. Frühe Lese- und Schreibversuche sind Ausdruck aktiver kognitiver Strukturierung individueller Erfahrungen 4. Fehler sind normal als Zwischenstufen bei der Annäherung an die Norm ( von der Invention zur Konvention ) 1. Der Schulanfang ist keine Stunde Null im Durchschnitt können Schulanfänger 10+ Buchstaben benennen und sie können 1-2 Wörter schreiben außerdem haben sie schon Vorstellungen von der Funktion und von der Struktur der Schriftsprache
5 2. Die Leistungsunterschiede betragen drei bis vier Jahre 5-10 % der Schulanfänger sind Frühleser bzw. - schreiber weitere 5-10% kennen mehr als 20 Buchstaben und können einzelne Wörter erlesen - aber: in derselben Klasse gibt es auch Kinder, o die nur zwei, drei - oder gar keinen Buchstaben kennen, o die noch nie ein Bilderbuch in der Hand gehabt haben o denen nur selten vorgelesen worden ist. 3. Frühe Lese- und Schreibversuche sind Ausdruck aktiver kognitiver Strukturierung individueller Erfahrungen Die fünfjährige Eveline aus der Schweiz muss sich jeden Morgen ihre langen blonden Haare mit dem ziependen Kamm frisieren lassen - viel Zeit für schmerzhafte Gedanken über den Sinn des Lebens und die Ungerechtigkeiten in der Welt. Um so mehr erstaunt es die Mutter, als plötzlich ein leises Lächeln über das Gesicht ihrer Tochter huscht und diese sagt: Jetzt weiß i endlich, warum i drei Kämm in mei m Nam n hab! Eveline (II): Emotionale und kognitive Bedeutung Konstruktion statt Kopie: Carlene
6 Das internationale Kinder-E 4. Fehler sind normal als Zwischenstufen bei der Annäherung an die Norm ( von der Invention zur Konvention ) 25% 25% 25% 20% 5%? Hier als Beispiel die Auswertungen zum Wort FAHRRAD : I II III IV V Mitte Kl. 1 FARAT FARAT FART FARAT FRT - F Ende Kl. 1 FARAT FARAT FARAT FARAT FARAT FT FRT Mitte Kl. 2 FARAD FARAT FARAD FARAT FARAT FART FARAT Ende Kl. 2 FAHRAD FARAD FARAT FARAT FARAT FARAD Mitte Kl. 3 FAHRRAD FAHRAD FARAD FARAT FARAT FARAD Ende Kl. 3 FAHRAD FAHRRAD FAHRAD FARAD FAHRAD FARAT FARAD Mitte Kl. 4 FAHRRAD FAHRRAD FAHRAD FAHRRAD FARAD FAHRAD Ende Kl. 4 FAHRAD FAHRAD FAHRRAD (Quelle: MAY 1995)
7 Der Karawaneneffekt In der pädagogischen Forschung[1] wird ein solcher Karawaneneffekt immer wieder festgestellt: Leistungsschwächere Schülergruppen unterscheiden sich nicht durch stabile Eigenschaften ( Schwächen ) als qualitativ andersartig von den anderen, sondern sie sind sozusagen zum falschen Zeitpunkt normal. Alle Kinder machen in der Schule vergleichbar große Fortschritte. Auch wenn sie genauso erfolgreich dazulernen, erreichen die schwächeren Kinder die leistungsstärkeren nicht - weil sie von einem viel niedrigeren Ausgangsniveau gestartet sind. Denn schon weit vor Schulbeginn lassen sich erhebliche Unterschiede zwischen den Kindern nachweisen: beim ersten Wort, beim Aufrechtgehen, beim Trockenwerden[2]. Im ersten Schuljahr betragen die Unterschiede zwischen den Kindern in den einzelnen Lernbereichen (z.b. im Bereich Schriftspracherwerb oder Mathematik) sogar drei bis vier Entwicklungsjahre. Derartige Karawaneneffekte zeigen sich im Vergleich von jüngeren zu älteren Kindern, von leistungsschwächeren zu leistungsstärkeren SchülerInnen, bei Migrantenkindern in Bezug zu deutschsprachigen SchülerInnen und das nicht nur in der Grundschule, sondern auch in der Sekundarstufe. Um alle Kinder von Anfang an zum Lernen zu ermutigen, brauchen sie Erfolgserlebnisse. Sie müssen erfahren, dass es sich lohnt, sich anzustrengen, sich zu bemühen und brauchen dementsprechende Rückmeldungen zu ihren Fortschritten. Nur so können sie ein Selbstwertgefühl entwickeln, das es ihnen erlaubt, die eigene Leistung immer besser einzuschätzen und an Stärken und Schwächen gezielt zu arbeiten. Von Schreibexperten und Zierfischzüchtern [1] Brügelmann H (2005): Schule verstehen und gestalten Perspektiven der
8 Fazit: Die Kinder bringen verschiedene Vorerfahrungen mit, haben unterschiedliche Lernvoraussetzungen lernen in unterschiedlichem Tempo und haben ganz verschiedene Interessen. All das soll im Unterricht berücksichtigt werden Das bedeutet für den Unterricht: keine gleichschrittigen Lehrgänge, sondern Raum für unterschiedliche nächste Schritte kein blindes Einüben von Konventionen, sondern eigenaktiver Umgang mit Schrift keine Leistungsbewertung im Vergleich, sondern Würdigung der individuellen Fortschritte Zitat aus den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz im Fach Deutsch für den Primarbereich vom : Kinder bringen sehr unterschiedliche Erfahrungen und Voraussetzungen für das Lernen mit. Die Grundschule und besonders der Deutschunterricht stehen vor der Herausforderung, an den jeweiligen Entwicklungsstand des einzelnen Kindes und auch an die Arbeit der vorschulischen Einrichtungen anzuknüpfen. Dabei bedürfen sowohl Kinder mit verzögerter Entwicklung als auch solche mit spezifischer Begabung einer besonderen Förderung. Im individualisierenden und differenzierenden Unterricht werden kontinuierlich das Lese- und Schreibinteresse der Kinder und der Erwerb grundlegender Lese- und Schreibfähigkeiten gefördert. Der Spracherfahrungsansatz In lebensnahen und kindgemäßen Situationen und an bedeutsamen Inhalten entwickeln die Schülerinnen und Schüler die Fähigkeit, geschriebene und gesprochene Sprache situationsangemessen, sachgemäß, partnerbezogen und zielgerichtet zu gebrauchen.
9 Der Spracherfahrungsansatz greift die unterschiedlichen Vorerfahrungen der Kinder mit Sprache und Schrift auf und nimmt ihre individuellen Lernmöglichkeiten und Interessen ernst. Der Weg zur Schrift ist eine Denkentwicklung Jedes Kind soll so herausgefordert und unterstützt werden, dass es sich seinen Fähigkeiten entsprechend bestmöglich entwickeln kann. Fachliche Grundlagen zum Schriftspracherwerb: Entwicklungsmodelle im Vergleich Seit den 1970er-Jahren Entwicklung verschiedener Modelle zum Schriftspracherwerb (vgl. Frith, Günther, Brügelmann, Valtin, Scheerer-Neumann, Spitta) In allen Modellen finden sich folgende Phasen: Erste Auseinandersetzung mit der Schrift als Bedeutungsträger (z.b. Kritzelbrief, willkürliche Nutzung von Buchstaben, um schreibend etwas auszudrücken) Logographische Phase (Merken ganzer Wörter, z.b. des eigenen Namens) Alphabetische Phase: schrittweises Erkennen der Graphem- Phonem-Korrespondenz als Basis unseres Schriftsystems Orthografische Phase: Überformung der lautgerecht geschriebenen Wörter durch orthografische Muster und durch die Nutzung von orthografischen und morphematischen Strategien Schrift trägt Bedeutung Logografische Phase Alphabetische Phase Die Kinder müssen das alphabetische System als Grundprinzip unserer Schrift verstehen: Die Buchstaben stehen für Sprechlaute und man kann damit selbstständig ohne die Hilfe der Erwachsenen schreiben, was man möchte und andere können lesen, was man geschrieben hat.
10 Die Schriftspracherwerbsforschung hat gezeigt, dass die alphabetische Phase für das Lesen- und Schreibenlernen unverzichtbar ist! Vom Anlaut über die Skelettschreibung und die lautgerechte Verschriftung zur orthografisch korrekten Schreibweise... L LKM LKMTW LOKOMOTIW LOKOMOTIVE Beispiel für Differenzierung von Anfang an: Schreiben mit der Anlauttabelle Kinder knüpfen an ihr Können an: Sie schreiben so, wie es ihrem Entwicklungsstand entspricht Sie orientieren sich dabei mit hoher Konzentration an der Lautung der Sprache und versuchen, das Gesprochene immer genauer darzustellen Selbstständiges Schreiben mit Anlaut-Tabellen
11 Entwicklung der phonologischen Bewusstheit im Gebrauch
12 Zum Thema: Schaden solche Fehler der Rechtschreibentwicklung? Forschungsergebnisse als Argumentationshife: Orthografische Phase Darüber hinaus müssen die Kinder von Anfang an lernen: Unsere Schrift ist keine reine Lautschrift, sondern ein genormtes System mit verabredeten Schreibweisen. Viele KollegInnen sprechen von der Erwachsenenschrift oder Buchschrift, um sie von der zuerst einmal erwünschten Kinderschrift wertungsfrei abzugrenzen. Erst wenn die Kinder das alphabetische Prinzip verstanden haben, macht es Sinn, sie zum Lesen herauszufordern und orthographische Muster zu üben
13 Die lautorientierte Kinderschreibweise ist die Basis für die weitere Rechtschreibentwicklung. Sie wird akzeptiert und damit den Kindern signalisiert, dass sie bereits lesbar schreiben können. Parallel dazu erfahren die Kinder aber auch, dass es mit der Buch- oder Erwachsenenschrift fest verabredete Schreibweisen für die Wörter gibt, an denen sie sich nach und nach immer stärker orientieren sollen, um später eine möglichst hohe orthografische Kompetenz zu entwickeln. In gesonderten Aufgabenstellungen werden deshalb schon früh einzelne, für die Kinder besonders wichtige Wörter in der orthografisch korrekten Schreibweise angeboten und von den Kindern (z.b. in einem besonderen Heft) aufgeschrieben und gesammelt. Vor der Schule und im Anfangsunterricht hat es sich bewährt, die lautorientiert geschriebenen Kindertexte zur besseren Lesbarkeit zu übersetzen und den Kindern damit für ihre weitere orthografische Entwicklung Anregungen und Modelle zu bieten. Anzahl der Schreibungen in % - MAY-Varianten und andere FARAT 55,2 7,3 0,04 1,6 FARAD 15,6 9,5 0,04 0 FAHRAD 3,3 34,5 21,8 1,6 FAHRRAD 1,8 15,5 63,4 82,9 ANDERE 24,1 33, ,4 FARAT FARAD FAHRAD FAHRRAD ANDERE Klassen Anzahl der Varianten pro Klasse Anzahl aller Varianten Klasse Beim Schreiben innerhalb der alphabetischen Phase werden die Wörter immer wieder neu konstruiert. Durch die Begegnung mit orthografisch korrekten Schreibungen nehmen die Kinder dann nach und nach implizit immer mehr Muster und Strukturen auf, die sie auch in ihren Schreibungen verwenden. Dadurch erhöhen sich die Variationsmöglichkeiten für die Schreibung eines Wortes enorm und das spiegelt sich beim immer wieder neuen Konstruieren der Wörter wider. Mit zunehmender Schrifterfahrung verwenden die Kinder die orthografischen Muster und Strukturen schließlich immer häufiger legal, so dass die Wörter nach und nach oft in einer typischen Abfolge immer richtiger werden. Untersuchung von Gerhard Augst beobachten beschreiben bewerten begleiten Rechtschreibung und Rechtschreibunterricht Aufbruch zu neuen Ufern oder alter Wein in neuen Schläuchen? In: Der Deutschunterricht. Heft 6; Seite 5 14.
14 Vier Perspektiven für die Lernbeobachtung Leistungen der Kinder wahrnehmen: Lernstände feststellen und einordnen punktuelle Erhebungen in regelmäß äßigen Abständen zum Vergleich der individuellen Leistungen mit externen Bezugsgruppen zur Kalibrierung der Bewertungsmaßst stäbe der LehrerInnen; begleitende Dokumentation beiläufiger Beobachtungen zur Überprüfung der Testergebnisse zur Erweiterung und Differenzierung der Daten Leistungen der Kinder würdigen: Lernentwicklungen dokumentieren und bestätigen Kinder individuell fördern: Lerngespräche führen Kriterien für f r Qualität t und Strategien zu ihrer Verbesserung entwickeln durch... Schreibkonferenzen in Kleingruppen Überarbeitung von Text-Entw Entwürfen Rechtschreib-Diskussionen im Plenum Metagespräche mit PartnerInnen oder allen z. B. über alternative Arbeits- und Lernstrategien Lernwege öffnen: eigene Lernwege beschreiben Lernen Lernen des Lernens durch Selbstreflexion... Portfolios: Meine besten Arbeiten Selbstzeugnisse: Das kann ich gut, dass muss ich noch besser machen. Lerntagebücher cher: Wie habe ich das gelernt? Lernverträge ge: Das will ich als nächstes n lernen. Grundprinzip: Beteiligung von SchülerInnen Ziele: Die Kinder sollen... Verantwortung für die eigene Arbeit übernehmen (können) Methoden zur realistischen Selbsteinschätzung lernen Bereitschaft zur Rechenschaft vor sich selbst und vor anderen entwickeln Leistungsbewertung ist als dialogischer Prozess zu organisieren
15 Beobachtungsbögen zur Lese- und Schreibentwicklung De Saint Phalle Volleyball
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