Deutsche Sektion e.v. Holtzendorffstraße Berlin Tel Fax

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1 Holtzendorffstraße Berlin Tel Fax info@innocenceindanger.de Statement von Innocence in Danger e.v. zur Anhörung Chancen der Digitalisierung nutzbar machen und Cybergewalt gegen Frauen und Mädchen entschieden entgegentreten Einer von drei Internetnutzern heute ist minderjährig. Laut JIM 2016 nutzen Jugendliche in Deutschland vor allem das Smartphone um online zu gehen. 16 STELLUNGNAHME 16/4550 Alle Abg JIM 2016: Laut JIM 2016 haben knapp 20 Prozent der Jugendlichen im Alter von 12 bis 19 Jahren in Deutschland hat schon einmal die Erfahrung gemacht, digital herabgewürdigt zu werden. Vorstand: Julia von Weiler, Dipl. Psychologin; Marie-Catherine Heereman Ehrenpräsidentin: Homayra Sellier Präsidium: Marina von Achten, Ursula Raue, Dorothea von Eberhardt, Dr. Sylvester von Bismarck, Serap Dolu-Leibfried, Soscha zu Eulenburg, Dr. Christopher Freese, Stephanie zu Guttenberg, Christian von Hardenberg

2 Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen mittels digitaler Medien Deutsche Sektion e.v. Sprechen wir über sexualisierte Gewalt mittels digitaler Medien, so sprechen wir über die gewollte oder ungewollte Begegnung von Kindern und Jugendlichen mit (gewaltvoller) harter Pornographie. Wir sprechen über Erwachsene bzw. Jugendliche, die Kinder / Jugendliche digital gezielt mit sexuellen und/oder gewaltvollen Inhalten konfrontieren oder die Kinder / Jugendliche digital manipulieren (Cyber-Grooming) hin zu Cyber-Missbrauch bzw. physischem sexuellem Missbrauch. Wir meinen damit, dass durchaus auch Kinder und Jugendliche selbst digital missbräuchliche oder gewaltvolle Bilder anderer Kinder / Jugendlicher (Sexting / Happy Slapping) verbreiten. Und wir sprechen natürlich über die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen (Kinderpornografie). Dabei müssen wir uns klar machen, dass die digitale Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen eine enorm hohe Belastung für die Betroffenen darstellt. von Missbrauchsabbildungen ist eine hohe Belastung. Sie bedeutet die Sprengung der Raum-Zeit Dimension: Einmal im Netz immer im Netz. Und sie schürt die Angst der Opfer mit der Frage Wer hat alles meine Filme schon gesehen oder schaut sich gerade jetzt irgendwo auf der Welt an wie ich als Kind missbraucht wurde, um sich daran sexuell zu erregen? Sexualisierte Gewalt ist in aller Regel eine Beziehungstat. Die digitalen Medien, sozialen Netzwerke, Online- und App-Spiele und natürlich das Internet haben dieses soziale Nahfeld ins fast Grenzenlose erweitert. Nie hatten es Täter und Täterinnen leichter als über diese Wege, ungehemmt weil vor allem ungestört in Kontakt mit Kindern zu treten. Eltern haben in den meisten Fällen keine Ahnung, wem ihre Kinder auf den Plattformen begegnen. PKS 2015 des BKA Seite 2 von 5

3 Digitale Medien, soziale Netzwerke und Kommunikationsplattformen sind längst Teil der Missbrauchsstrategie von Tätern und Täterinnen. Was bedeutet das für Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt? Das Phänomen des digitalen Exhibitionismus Darüber hinaus herrscht heute fast ein verordneter digitaler Exhibitionismus. Alle sind aufgefordert, sich zu präsentieren. Schulen haben Homepages, Sportvereine Facebook Seiten, der Klassenchat bei WhatsApp wird zum wichtigsten Nachrichtenkanal. Laut der Dr. Sommer 2016 Studie posten in der Generation Selfie im Alter von elf Jahren 26% der Jungen und 28% der Mädchen Selfies. Im Alter von 12 Jahren sind es 38% der Jungen und 46% der Mädchen und im Alter von 13 Jahren 41% der Jungen und 61% der Mädchen. Dabei gaben 23% der befragten Mädchen und 16% der befragten Jungen an, schon mal wegen ihrer Fotos bzw. wegen ihres Aussehens gemobbt worden zu sein. Auch Nacktselfies und Sexting sind längst allgemeiner Trend, an dem sich natürlich auch Kinder und Jugendliche beteiligen. Durch ihre arglos verschickten Selfies werden sie leicht zu Opfern von Erpressung und anschließendem (Online-)Missbrauch. Außerdem finden sich diese Selfies auch häufig als Material auf pädokriminellen Märkten im Netz. In einer derzeit laufenden empirischen Untersuchung von Innocence in Danger e.v. zur Versorgung von Mädchen und Jungen, deren Missbrauchsabbildungen bzw. Sextingabbildungen digital verbreitet wurden ( sammeln wir wichtige Informationen für eine bessere Begleitung Betroffener und bessere Prävention an Schulen. In dieser Untersuchung berichteten 46 Schulen (55% der befragten Schulen) von insgesamt 437 Fällen ungewollter Weiterverbreitung von Sexting-Aufnahmen mit 462 Betroffenen für den Zeitraum von 2010 bis Die ungewollte digitale Weiterverbreitung von Sexting geschieht meistens mitten in die Peer Group. Auch das bedeutet eine hohe Belastung für die Betroffenen, denn sie sprengt auch hier die Raum-Zeit Dimension und schürt die Angst der Opfer: Wer wird das über mich sehen? Unter anderem befragten wir die Schulen auch, für wie risikoreich sie Sexting unter Jugendlichen halten. Innocence in Danger e.v. laufende Untersuchung Seite 3 von 5

4 Die Bedürfnisse Betroffener Deutsche Sektion e.v. Der Einsatz digitaler Medien verändert die Dynamik des Missbrauchs für alle Beteiligten. Vor allem auch für die Betroffenen. Betroffene Kinder und Jugendliche brauchen einfühlsame und vor allem informierte Ansprechpartner. Sie brauchen Erwachsene, die sie verstehen, die ihnen zuhören und handeln und dabei Ruhe bewahren. Sie brauchen Aufklärung, Beratung und vielleicht auch Therapie. Das bedeutet, betroffene Kinder und Jugendliche brauchen erwachsene Ansprechpartner, die sich sowohl mit der Thematik der sexualisierten Gewalt als auch mit dem Phänomen digitaler Medien, digitaler Kommunikation, digitaler sexualisierter Gewalt auseinandergesetzt haben. Wenn ich erstmal erklären soll, warum mir WhatsApp wichtig ist, bin ich raus, formulierte es eine betroffene Jugendliche. Das bedeutet Erziehungs-, Familien-, und Fachberatungsstellen, Therapeutinnen und Therapeuten, Fachkräfte in der Schulpsychologie aber natürlich auch Lehrkräfte, Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe und in den Jugendämtern müssen zu diesen Themen geschult werden, ansonsten arbeiten alle an der Zeit und vor allem den Bedürfnissen der Klientel vorbei. Um das zu erreichen braucht es Neugier und Offenheit für die Lebenswelten Kinder und Jugendlicher und es bedarf einer klaren Haltung. Dazu benötigen die Fachkräfte Wissen um die Themen von Gewalt und Missbrauch genauso wie dem digitalen Leben, z.b. sozialer Netzwerke, Messenger und Online Spiele. Das bedeutet, sich mit dem eigenen digitalen Verhalten und dem Jugendlicher auseinanderzusetzen. Es heißt Kinder und Jugendliche aufzuklären und zu ermutigen. Und es bedeutet vor allem auch den kreativen Umgang mit digitalen Medien zu fördern: Musik, Video, Fotografie, etc. um so positive Kanäle zu schaffen Aufklärung und Prävention Flächendeckende Prävention ist mehr als Handlungsleitfäden zu erstellen. Sie bedeutet, dass sich alle Fachkräfte einer Institution mit diesen Fragen auseinandersetzen und den Notfall üben. Das kostet zusätzlich Zeit und Geld. Auch flächendeckende Intervention will bezahlt sein, doch auch heute noch bangen spezialisierte Beratungsstellen um ihre Existenz. Die Herausforderungen rund um die Risiken der digitalen Medien kommen jetzt langsam bei oftmals überforderten Fachkräften an. Der Umgang mit diesen Herausforderungen müsste eigentlich längst State of the Art in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sein. Wir dürfen nicht Verantwortung auf die Schultern der vermeintlich medienkompetenten Kinder und Jugendlichen abwälzen. Kinder und Jugendliche, seien sie auch noch so (Medien) kompetent, sind strategisch handelnden Tätern und Täterinnen auch heute nicht gewachsen. Seite 4 von 5

5 Eine Möglichkeit umfassender Aufklärung ist z.b. Peer to Peer Aufklärung wie das Smart User Präventionsprogramm von Innocence in Danger e.v. Studien zeigten, dass Prävention nach dem Peer to Peer Ansatz besonders erfolgversprechend ist. Das heißt, Jugendliche klären andere Jugendliche über das Thema sexualisierte Gewalt in den digitalen Medien auf. Das Smart-User-Programm bringt Jugendlichen ab 14 Jahren bei, wie sie ihrer Schule, ihrem Verein oder Jugendzentrum ihren Altersgenossen die Grundlagen zum sicheren Umgang mit digitalen Medien vermitteln können. Die Informationen, Tipps und Tricks werden ihnen altersgerecht durch Gruppen- und Rollenspiele vermittelt. Die Themen dieser Einheiten sind: Täterstrategien, Denk nach, bevor Du sendest, Was macht Freundschaft aus?, Trau deinem Gefühl, Was kannst du tun? und Eigene Grenzen. Die Smart User Workshops bilden erwachsene Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus. Die so geschulten pädagogischen Fachkräfte können dann das Smart User Konzept in ihrer eigenen Region weiter verbreiten ( Digitale Netzwerke als Chance Für viele Betroffene bieten digitale Netzwerke, die Chance nach Hilfe zu suchen, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und sich vor allem nicht mehr so alleine zu fühlen. Sie können in ihrem Tempo anonym nach Informationen und Kontakten suchen. Dazu ist ein Wegweiser wie das Hilfeportal Missbrauch des Unabhängigen Beauftragten zu Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs ( besonders wichtig, um sich in der Flut von Informationen nicht zu verlieren. Gleichermaßen ist eine finanzielle Unterstützung dieser Portale, insbesondere der Selbsthilfe-Portale dringend notwendig, um diese wichtigen Anlaufstellen sichtbar zu machen und auszubauen. Fazit Kinder und Jugendliche brauchen kompetente erwachsene Ansprechpartner, die ihnen helfen, wenn sie in Not geraten. Diese kompetenten Ansprechpartner brauchen ihrerseits die richtige Unterstützung, um Kindern und Jugendlichen gute Begleiter sein zu können. Die Fort- und Weiterbildung dieser Ansprechpartner kostet Zeit und Geld. Täglich ausgebübten Terror kann man aber nur mit Taten bekämpft werden. Willensbekundungen und immer neue Nullsummenrunden reichen nicht. Wenn wir als Gesellschaft diesen Kampf ernsthaft führen wollen, müssen wir ihn ernst nehmen und dürfen ihn nicht als Konjunkturgeschäft betreiben. Julia von Weiler Vorstand Innocence in Danger e.v. Seite 5 von 5