Vorlesung Recht I. Herbstsemester Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg
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1 Vorlesung Recht I Herbstsemester 2016 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg Dr. iur. Andreas Güngerich, LL.M. Kellerhals Carrard Bern
2 Vorbemerkungen (1) Vorlesungsunterlagen: BV, OR, ZGB Vorlesungsgliederung Skript Übungsfälle weiterführendes Lernmittel: BERNHARD BERGER, Allgemeines Schuldrecht, 2. Aufl., Bern
3 Vorbemerkungen (2) wichtige Links: Gesetze, Botschaften, Protokolle von Nationalrats- und Ständeratssitzungen Bundesrecht Bundesverfassung / Bundesgesetze / Bundesblatt 3
4 Vorbemerkungen (3) 4
5 Vorbemerkungen (4) Bundesgerichtsentscheide: Rechtsprechung Leitentscheide (BGE) Beispiel einer Entscheid Nummer BGE 125 III 261 Jahr Band Seitenzahl 5
6 Vorbemerkungen (5) 6
7 Vorbemerkungen (6) 7
8 1. Teil: Einleitung 8
9 1. I. System der Rechtsordnung Privatrecht: Koordinationsverhältnis: gleichgeordnete Rechtssubjekte Öffentliches Recht: Subordinationsverhältnis: Staat Private, Gemeinwesen verschiedener Stufen (Bund Kanton, Kanton Gemeinden) Koordinationsverhältnis: gleichrangige Staaten Organisationsrecht: Bundesrat, Kantonsregierung 9
10 1. I. System der Rechtsordnung Strafrecht Staat hat Gewaltmonopol Tat genügt, Erfolg ist nicht zwingend erforderlich 10
11 1. II. Rechtsquellen A. Primäre Rechtsquellen: Materielles Recht: BV, OR, ZGB, StGB Formelles Recht: ZPO, StPO, VwVG B. Sekundäre Rechtsquellen: Gewohnheitsrecht (Art. 1 Abs. 2 ZGB) Richterrecht (Art. 1 Abs. 2 ZGB) 11
12 1. II. B. c) Hierarchie der Rechtsquellen Hierarchie (schematisch) Völkerrecht (zwischen-/überstaatlich) Verfassung (Souverän) Gesetz (Parlament) Verordnung (Regierung) allgemein verbindlich erklärte Verträge Gewohnheitsrecht Richterrecht Detaillierungs- und Konkretisierungsgrad (Tendenz) 12
13 1. III. Abgrenzung Privatrecht öffentliches Recht Abgrenzung Privatrecht öffentliches Recht Funktionstheorie Interessentheorie Subjekttheorie Subordinationstheorie 13
14 1. III. Abgrenzung Privatrecht öffentliches Recht Beispiel: Verkehrsunfall Privatrechtlich: Autoschaden Haftpflichtrecht Öffentlich-rechtlich: Ausweisentzug Strafrechtlich: verletzte Autofahrerin fahrlässige Körperverletzung 14
15 1. IV. Norminhalt Norm: verbindliche Regel; Artikel im Gesetz Tatbestand: Voraussetzungen der Norm Beispiel: Art. 41 OR Widerrechtlichkeit Schaden Kausalität Verschulden 15
16 1. IV. Norminhalt Rechtsfolge: Konsequenz aus Tatbestand Beispiel: Art. 41 OR Anspruch auf Schadenersatz 16
17 1. V. Auslegungsmethoden Notwendigkeit der Auslegung Sprache als Instrument des Rechts ist vielschichtig Rechtsnormen als Ergebnis der Konsensfindung Ziel der Auslegung Ermittlung des wahren Sinns einer Rechtsnorm Auslegung geht über den Wortlaut hinaus Auslegung als Element der Rechtsfortbildung 17
18 1. V. A. Grundlagen Methodenpluralismus es gibt nicht eine richtige Auslegungsmethode: verschiedene Auslegungsmethoden nebeneinander möglich Ausgangspunkt der Auslegung ist immer der Wortlaut Notwendigkeit einer abwägenden Kombination verschiedener Auslegungsmethoden Verfassungskonforme Auslegung Berücksichtigung der Verfassungskonformität der Auslegungsresultate 18
19 1. V. B. Grammatikalische Auslegung Grammatikalische Auslegung nach Wortlaut, Wortsinn und Sprachgebrauch Gleichwertigkeit der Amtssprachen 19
20 1. V. C. Systematische Auslegung Systematischer Zusammenhang mit den anderen Rechtsnormen Stellung der Norm im Gesetz (Titel, Marginalie, vorherige/nachfolgende Normen) Stellung der Norm in der gesamten Rechtsordnung Spezialfälle der systematischen Auslegung: Stellung einer Norm im Stufenbau der Rechtsordnung verfassungskonforme Auslegung völkerrechtskonforme Auslegung 20
21 1. V. D. Historische Auslegung massgebend ist Sinn der Norm zur Zeit ihrer Entstehung vor allem bei jüngeren Gesetzen relevant Gefahr: Erstarrung der Rechtsordnung Materialien als wesentliche Auslegungshilfen Subjektiv-historische Auslegung Abstellen auf Willen des historischen Gesetzgebers Objektiv-historische Auslegung abstellen auf allgemeine Bedeutung zur Zeit der Entstehung 21
22 1. V. E. Teleologische Auslegung nach dem Zweck der Norm sowohl nach dem historischen als auch nach dem zeitgemässen Zweck historisch-teleologische Auslegung zeitgemäss-teleologische Auslegung 22
23 Beispiel Beispiel: Art. 14 BV - Recht auf Ehe und Familie Das Recht auf Ehe und Familie ist gewährleistet. gilt das Recht auf Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare? Vorgehen im Rahmen der historischen Auslegung konsultieren von bundesrätlichen Botschaften, Nationalrats-/Ständerats-Protokollen objektiv-historisch: Nein subjektiv-historisch: Nein 23
24 Beispiel Beispiel: Art. 645 OR Vor der Eintragung eingegangene Verpflichtungen 1 Ist vor der Eintragung in das Handelsregister im Namen der Gesellschaft gehandelt worden, so haften die Handelnden persönlich und solidarisch. Was wird unter dem Begriff der Eintragung gemäss der systematischen Auslegung verstanden? 24
25 1. V. C. Systematische Auslegung Systematische Auslegung Hauptmarginalie: Erwerb der Persönlichkeit (Art. 643 OR) Untermarginalie: Vor der Eintragung eingegangene Verpflichtungen Unter Eintragung wird in den Art OR eindeutig der Erwerb der Rechtspersönlichkeit verstanden. Art. 645 Abs. 1 OR meint mit dem Begriff der Eintragung die Entstehung einer neuen und nicht die blosse Umfirmierung einer existierenden Gesellschaft. 25
26 1. V. F. Exkurs: Auslegung von Rechtsgeschäften Ausgangspunkt der Auslegung: Willensprinzip (Art. 18 Abs. 1 OR) falsa demonstratio non nocet Vertrauensprinzip Die Willenserklärung wird also so ausgelegt, wie sie eine vernünftige Person aus Sicht des Erklärungsempfängers nach Treu und Glauben verstehen durfte und musste. 26
27 1. VI. Handeln nach Treu und Glauben Art. 9 BV - Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden. 27
28 1. VI. Handeln nach Treu und Glauben Beispiel: Art. 2 Abs. 1 ZGB Berufung auf diesen Artikel erfolgt häufig bei der Beurteilung der sogenannten Nebenpflichten. Beim Mieter liegt die Hauptpflicht beim Bezahlen des Mietzinses. Die Nebenpflicht bei einem gemieteten Restaurant kann eine Gebrauchspflicht sein, wenn durch den Nichtgebrauch der Kundenstamm vermindert wird. 28
29 1. VI. B. Rechtsmissbrauchsverbot Das Verbot des Rechtsmissbrauchs untersagt die zweckwidrige Verwendung eines Rechtsinstituts zur Verwirklichung von Interessen, die dieses nicht schützen will. Beispiel: Grundsätzlich ist es gestattet, auf seinem Boden beliebige Bauten zu errichten. Niemand darf aber nur um den Nachbarn zu ärgern und zu benachteiligen eine acht Meter hohe Bretterwand auf seinem Boden errichten und dadurch dem anderen die Aussicht auf See und Gebirge verunmöglichen. 29
30 1. VI. C. Schutz des guten Glaubens Art. 3 Abs. 1 ZGB Der gute Glaube schützt das berechtigte Vertrauen in eine vermeintliche Rechtslage, die gar nicht besteht. Kriterien zum Schutz des guten Glaubens: Ist der Schutz im Gesetz tatsächlich vorgesehen? Verdient derjenige, der ihn anruft, diesen Schutz? Wie weit reicht ein allfälliger Schutz? 30
31 2. Teil: Privatrecht 31
32 I. Grundlagen 32
33 Privatrecht 2. I. A. Kodifikation Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB) vom (SR 210) Aufbau des ZGB Teil Titel» Abschnitt Aufbau im Einzelnen Einleitungstitel (Art. 1 9 ZGB) Personenrecht (Art c ZGB) Familienrecht (Art ZGB) Erbrecht (Art ZGB) Sachenrecht (Art ZGB) Schlusstitel (Art SchlT ZGB) 33
34 Privatrecht 2. I. A. Kodifikation Obligationenrecht (OR); Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom (SR 220) Obligation = Forderung = Schuld Aufbau des OR Abteilung Titel» Abschnitt 34
35 Privatrecht 2. I. A. Kodifikation Aufbau im Einzelnen 1. Abteilung: Allgemeine Bestimmungen (OR allgemeiner Teil (AT) Art OR) Entstehung der Obligation Vertrag (Art. 1 40f OR) Unerlaubte Handlung (Art OR) Ungerechtfertigte Bereicherung (Art OR) Wirkung der Obligation (Art OR) Erlöschen der Obligation (Art OR) 35
36 Privatrecht 2. I. A. Kodifikation Aufbau im Einzelnen 2. Abteilung: Einzelne Vertragsverhältnisse (OR besonderer Teil (BT) Art OR) Fahrniskauf (Art OR) Miete (Art OR) Werkvertrag (Art OR) Auftrag (Art OR) Einfache Gesellschaft ( Art OR) 3. Abteilung: Handelsgesellschaften und Genossenschaften (Art OR) 4. Abteilung: Handelsregister, Geschäftsfirmen und kaufm. Buchführung (Art b OR) 5. Abteilung: Wertpapiere (Art OR) 36
37 Privatrecht 2. I. B. Subjektive Rechte Jede Berechtigung einer einzelnen Person, gestützt auf das objektive Recht einer Norm. Beispiel: Art. 41 OR Schadenersatz Kaufvertrag Forderungen/Ansprüche Primäres subjektives Recht Herrschaftsrecht Recht erzwingen Sekundäres subjektives Recht Gestaltungsrechte 37
38 Privatrecht 2. I. B. Subjektive Rechte Subjektive Rechte Primäre subjektive Rechte - Forderungen/Ansprüche Sekundäre subjektive Rechte - Berechtigung, die ein primäres Recht voraussetzt (z.b. Kündigung bei unbefristetem Vertrag) Relative subjektive Rechte - Forderungen/Obligationen - persönliche Rechte Absolute subjektive Rechte - Persönlichkeitsrechte - Sachenrechte/ dingliche Rechte 38
39 Privatrecht 2. I. B. Subjektive Rechte Relatives subjektives Recht Absolutes subjektives Recht Anspruch Obligatorischer Anspruch Der Schuldner haftet mit seinem Vermögen. D.h. bei fehlendem Vermögen kann keine Befriedigung des Anspruches erfolgen. Ansprüche aus relativen subjektiven Rechten sind mit einem Insolvenzrisiko behaftet. Dinglicher Anspruch Der Anspruch auf Herausgabe der Sache gilt immer nur gegenüber dem jeweiligen Besitzer der Sache. Wo der Besitz liegt, wird vindiziert. Ansprüche aus absoluten subjektiven Rechten sind mit keinem Insolvenzrisiko behaftet.
40 Privatrecht Grundlagen 2. I. B. a) Absolutes subjektives Recht Wirkung erga omnes (gegenüber jedermann) Persönlichkeitsrechte: Art. 27/28 ZGB Jeder hat Recht auf Persönlichkeit und jeder kann Persönlichkeitsrecht verletzen 40
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