Rede. NRW Israel Forum Juni 2012, 16 Uhr, Bochum, Atrium der Stadtwerke Bochum. Es gilt das gesprochene Wort!
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- Michaela Sternberg
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1 Rede NRW Israel Forum Juni 2012, 16 Uhr, Bochum, Atrium der Stadtwerke Bochum Es gilt das gesprochene Wort! Exzellenz, sehr geehrter Herr Gesandter, sehr geehrter Herr Minister, verehrte Frau Oberbürgermeisterin, liebe Ottilie, lieber Rudolf Dreßler, meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Gäste! I. Erst wer sich der Leidensgeschichte der Juden unter uns und unseren Vätern und Großvätern vergewissert, kann sich nachdenkend und vorausdenkend den Problemen, den Schwierigkeiten und den Hoffnungen deutsch-israelischer Beziehungen zuwenden. Mit diesen Worten von Johannes Rau als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident im Jahr 1985 zum 20. Jahrestag der Aufnahme deutsch-israelischer Beziehungen überbringe ich Ihnen die Grüße und guten Wünsche des Landtags Nordrhein- Westfalen. Es erfüllt mich mit großer Freude, dass ich als vor vier Tagen neu gewählte Präsidentin unseres Landesparlaments beim NRW Israel Forum in Bochum meinen ersten großen repräsentativen Termin wahrnehmen darf und das zu einem Thema, das mich als Parlamentarierin mit besonderem Stolz erfüllt, und zwar: NRW und Israel - das Erbe von Johannes Rau als Verpflichtung. Denn ich hatte das große Glück, mit Johannes Rau von 1995 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Landtag im Jahr 1999 noch vier Jahre der gemeinsamen intensiven Zusammenarbeit erleben zu dürfen. Auch wenn meine Präsidentschaft zum Zeitpunkt Ihrer freundlichen Einladung zu diesem Forum, lieber Sascha Hellen, überhaupt noch nicht absehbar war, so werte ich diese Fügung heute als besonders hoffnungsfrohes Omen für die weitere Entwicklung der fruchtbaren Zusammenarbeit von Nordrhein-Westfalen und Israel.
2 II. Als der langjährige nordrhein-westfälische Ministerpräsident und achte deutsche Bundespräsident im Januar 2006 viel zu früh verstarb, war Trauer nicht nur in ganz Deutschland zu spüren. Der Tod bewegte auch Israel. So zeigte sich auch der spätere israelische Staatspräsident Schimon Peres vom Tod seines Freundes Johannes Rau tief berührt und würdigte ihn als großen Freund Israels. Johannes Rau hat zeitlebens das besondere Verhältnis Deutschlands zu Israel betont. In seiner Rede als erster Bundespräsident vor der israelischen Knesset führte Johannes Rau in deutscher Sprache im Februar 2000 aus: Das Verhältnis zwischen unseren Ländern wird für immer ein besonderes sein. Im Wissen um das Geschehene halten wir die Erinnerung wach. Mit den Lehren aus der Vergangenheit gestalten wir gemeinsame Zukunft: Das ist deutsch-israelische Normalität. Johannes Rau bekam für seine Worte langanhaltenden Beifall der israelischen Abgeordneten. III. Wer nicht an Wunder glaubt, der ist kein Realist. Dieser berühmte Satz des großen David Ben Gurion trifft in ganz besonderer Weise auf die Entwicklung der deutschisraelischen Beziehungen zu. Denn wer hätte nach dem Menschheitsverbrechen der Shoah zu hoffen gewagt, dass bilaterale Beziehungen zwischen Deutschland und Israel möglich sein würden? Sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens und mit ihnen eine wunderbare Kultur waren dem Rassenwahn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Opfer gefallen. Und dennoch: Auf einem von Deutschland verwüsteten Feld ist entgegen allen Erwartungen, entgegen aller Skepsis neues Verstehen, ja Vertrauen gewachsen. Und aus dem Schatten der Shoah heraus gelang es, den Grundstein für eine Annäherung zwischen Deutschland und Israel zu legen. David Ben Gurion und Konrad Adenauer haben mit ihrer ersten Begegnung in den USA 1960 ein Zeichen für die weitere Entwicklung gesetzt - auch wenn der Anfang alles andere als leicht war, und wir uns vorstellen können, dass es in Israel nicht nur Befürworter für eine Annäherung an Deutschland gab. IV. Dass aus der Geschichte Verantwortung folgt, die mit der Erziehung in den Schulen und der Schaffung einer ehrlichen Erinnerungs- und Gedenkkultur beginnt, wie Johannes Rau es formulierte, daran hat das Land Nordrhein-Westfalen stets höchste Maßstäbe angelegt. Der Landtag und die Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen haben früh mit diesem ehrlichen Versuch der Aussöhnung mit Israel begonnen. 2
3 Den Grundstein legte zweifelsohne Ministerpräsident Heinz Kühn, der intensive Kontakte und persönliche Freundschaften zu Mitgliedern der israelischen Arbeiterpartei und herausragenden Persönlichkeiten pflegte, etwa zu Teddy Kollek, und 1975 auch den Vorsitz der neu ins Leben gerufenen Jerusalem Foundation Deutschland übernahm. Johannes Rau knüpfte bereits als Wissenschaftsminister im Kabinett Kühn und schließlich als Ministerpräsident nahtlos an die bereits bestehenden Beziehungen zu Israel an und baute sie in der ihm eigenen verbindlichen und menschenfreundlichen Art aus. V. Was dann an ganz konkreten Maßnahmen und Projekten der Zusammenarbeit zwischen Israel und Nordrhein-Westfalen entwickelt wurde, die heute ein feinmaschiges Netzwerk der Beziehungen in Form von Kontakten, Partnerschaften und Freundschaften darstellen und deshalb ihresgleichen suchen, kann mit einem Wort beschrieben werden: Es ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte! Nun will ich erst gar nicht den Versuch unternehmen, hier eine zumindest einigermaßen umfassende Auflistung zu schildern. Ich will mich deshalb nur auf einige wenige Projekte in Stichworten beschränken. So wurde die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem gefördert und ein Konferenzzentrum der Jerusalem Foundation mitfinanziert. Ich denke an die vielen Kooperationen im schulischen Bereich, die Fortbildung nordrhein-westfälischer Lehrer in Yad Vashem. Ebenso unser Engagement bei Projekten, die der Verständigung zwischen der jüdischen und arabischen Bevölkerung dienen. Ein Schwerpunkt liegt im Bereich von Wissenschaft und Hochtechnologie. Denn gerade in diesem Bereich kann Israel beachtliche Leistungen vorweisen. Ein Kooperationsabkommen ermöglicht qualifizierten israelischen Studierenden über Kurzzeitstipendien die Forschungs- und Hochschullandschaft Nordrhein-Westfalens kennen zu lernen. Daneben kooperiert das Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen mit dem Interdisciplinary Center in Herzliya. Dort wurde ein German Innovation Center gegründet, das als Innovations- und Kommunikationsplattform zwischen deutschen und israelischen Forschungseinrichtungen fungiert. Ich erinnere auch an den von Johannes Rau als Schirmherrn initiierten Wald der deutschen Länder am Rande der Wüste Negev. Der Erfolg ist heute als Grüngürtel rund um Beer Sheva mit fast einer halben Million Bäumen sichtbar. Wo früher nur Sand, Steine und ein wenig Gestrüpp vorherrschten, ist heute ein üppiger, Schatten spendender Wald entstanden. 3
4 Für mich ist das eine Vorstellung, die unsere Beziehungen nicht bildhafter, nicht plastischer, nicht schöner widerspiegeln kann. Und schließlich sollen die vielen Partnerschaften nicht unerwähnt bleiben die der Schulen, Universitäten und Städte. Beispielhaft nenne ich die älteste Städte- und Universitätspartnerschaft zwischen Beer Sheva und Wuppertal, wo ich zu dieser Zeit es war mein Studium an der Bergischen Gesamthochschule begann. Deshalb erinnere ich mich sehr gut an die Akteure. Der Wuppertaler Johannes Rau war damals Wissenschaftsminister VI. Das Band, das Deutschland und im Besonderen Nordrhein-Westfalen mit Israel verbindet, kann nicht stark genug sein. Das haben im April 2005 alle Fraktionen des Landtags Nordrhein-Westfalen in einem gemeinsamen Antrag betont, den ich als Parlamentarische Geschäftsführerin für meine Fraktion mit auf den Weg gebracht habe. Aus Anlass des 40-jährigen Bestehens der deutsch-israelischen Beziehungen hat der Landtag seine Solidarität mit den Töchtern und Söhnen Israels über alle Fraktions- und Parteigrenzen hinweg bekundet. Diesem Auftrag fühlt sich auch die Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe des Landtags verpflichtet, die bereits seit zwei Jahrzehnten aktiv Beziehungen knüpft und vermittelt und im engen Kontakt auch zur Botschaft Israels in Berlin steht. Die Idee zur Gründung dieser Gruppe hat Johannes Rau mit angestoßen. Auch die enge Verbindung des Landtags Nordrhein-Westfalen mit der israelischen Kultur ist unübersehbar: Zum Beispiel durch die riesige Gussplatte auf dem Vorplatz des Landtags. Unser Parlament ist stolz, dass diese Skulptur des weltweit bekannten, israelischen Bildhauers Dani Karavan seit nunmehr fast 25 Jahren das Erscheinungsbild des Parlamentsgebäudes prägt. Erwähnen will ich auch die zahlreichen Gedenkveranstaltungen im Rahmen einer intensiven Erinnerungskultur, die der Landtag immer wieder durchgeführt hat. So das jährliche Gedenken an die Novemberpogrome, mit der in Nazi-Deutschland eine neue Phase des Tabubruchs mit Deportation und Vernichtung begann sowie die Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagerns Auschwitz. Aber wir haben auch bewegende und gleichzeitig heitere Gedenkveranstaltungen im Landtag erlebt. So die Feier zum 60. Jahrestag der Gründung des Staates Israel. Dass am Ende der Zeremonie die israelische und die deutsche Nationalhymne gemeinsam gesungen wurden, das hätte selbst Johannes Rau gerührt. V. Zur Würdigung der Beziehungen zwischen Nordrhein-Westfalen und Israel gehört auch, dass wir uns heute über ein erstarktes jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen freuen dürfen. Auch diese Entwicklung ist von Johannes Rau maßgeblich in Gang gebracht worden. Sie ist eine Entwicklung, ja ein Geschenk, das nicht erwartet werden durfte. 4
5 Wer hätte denn gedacht, dass Juden in Deutschland jemals wieder ein neues Zuhause suchen und finden, dass neue Synagogen und Gemeindezentren eingeweiht werden. Wie sagte die frühere Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland Charlotte Knobloch so treffend: Wer baut, der bleibt. Jüdisches Leben ist heute in Nordrhein-Westfalen fest verankert, und es wird immer sichtbarer: Mit eigenen Schulen, Kindergärten und Jugendzentren, mit jüdischen Kulturtagen und wachsendem Interesse an jüdischem Leben und jüdischer Religion. Synagogenbauten in Krefeld, Gelsenkirchen, Bielefeld oder hier in Bochum sowie Stätten jüdischer Kultur sind in der Entstehung bzw. fertig gestellt. Freuen dürfen wir uns auch über immer mehr Begegnungen von jüdischen und nichtjüdischen Menschen, insbesondere junger Menschen. So zählt unsere Hauptstadt Berlin unter israelischen Jugendlichen heute zu einem der beliebtesten Reiseziele. Das gilt in Israel ganz offensichtlich auch für den musikalischen Bereich: So stand die Düsseldorfer Band Die Toten Hosen während ihrer Tournee vor zwei Jahren umjubelt in Tel Aviv auf der Bühne. In einem Zeitungsinterview mit der Jüdischen Allgemeinen sagte Sänger Campino nach dem Konzert: Man soll die Geschichte nicht vergessen, sondern sich daran erinnern und daraus dann gemeinsam etwas Festes bauen, um es nie wieder zu einer Katastrophe kommen zu lassen. VI. Gemeinsam etwas Festes bauen aus meiner Sicht liegt der Schlüssel hierzu in der politischen Bildung der jungen Generation. Denn nur wer um den Wert von Demokratie und Freiheit weiß, der wird sich auch selbst für deren Erhalt einsetzen. Nur wer weiß, wie verletzlich das hohe Gut der Menschenwürde ist, der wird politischem Extremismus und Antisemitismus auch in Zukunft keine Chance geben. Einer der Vorgänger von Johannes Rau im Amt des Bundespräsidenten, Richard von Weizsäcker, hat einmal treffend formuliert: Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird. Wenn ich das große Engagement in den nordrhein-westfälischen Schulen betrachte, auch hier in Bochum, dann dürfen wir voller Zuversicht sein. 5
6 VII. Mich hat bei meinen Aufenthalten in Israel persönlich immer wieder überwältigt, wie warmherzig sich die israelische Kultur Besucherinnen und Besuchern aus aller Welt präsentiert. Diese Erfahrung sollten möglichst viele Bürgerinnen und Bürger unseres Landes teilen und selbst einmal nach Israel reisen. Ich bin mir sicher: Sie werden das Land und die dort heimischen Menschen in faszinierender und bislang ungekannter Weise erleben. Ich wünschte mir deshalb auch, dass noch viel mehr nordrhein-westfälische Schülerinnen und Schüler Israel besuchen und umgekehrt, um einander noch besser zu verstehen und voneinander zu lernen. Dann wird das Band zwischen NRW und Israel ganz im Sinne von Johannes Rau - noch stärker als es ohnehin schon ist. VIII. Meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Gäste, ich werde mich im meinem neuen Amt als Landtagspräsidentin engagiert und mit Freude dafür einsetzen, dass, wie Johannes Rau er formulierte, das Schalom Alechem nicht nur ein Wort des Grußes, sondern erlebbare Wirklichkeit ist in Israel und hier bei uns in Nordrhein- Westfalen. Mazel tov - Glückauf - uns allen! Ich danke Ihnen. 6
Wenn ich von wir spreche, dann meine ich neben dem Landtag die Israelstiftung in Deutschland.
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