Das Nahost-Dilemma ist gelöst!

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1 Das Nahost-Dilemma ist gelöst! Nein, nicht der Israel-Palästina Konflikt, sondern die Frage, wo man sich am besten, am umfassendsten und zugleich an einem Ort konzentriert darüber informieren kann - oder für Lehrende die Frage, welcher bibliographische Hinweis den Studierenden unbedingt zu empfehlen ist. In anderen Worten, wenn man nur ein einziges Buch über den Konflikt lesen kann oder will, dann sollte es dieses Buch sein. Paradoxerweise muss man aber ergänzen: Es soll nicht das Erste sein! Warum doch nicht als erstes, hat zum Teil mit der Struktur des Bandes zu tun: Wie vom Autor am Anfang seiner Einleitung erklärt wird, bietet das Buch eine Zusammenschau seiner Arbeiten aus rund dreißig Jahren und wurde bewusst nicht in Form einer strengen Chronologie geschrieben, was für jemanden, der dem Konflikt zum ersten Mal wissenschaftlich begegnen will, doch nicht einfach ist. Auch wenn Bunzls Werk mit einer Beschreibung der Wurzeln der Auseinandersetzung beginnt und danach einer mehr oder weniger kontinuierlichen Zeitlinie folgt, ist es keine Beschreibung der Entwicklung des Konflikts, um dann zu einer tieferen Behandlung spezifischer Themen fortzuschreiten. Dazu wäre eine chronologische Einführung hilfreich, z.b. Kleine Geschichte des israelischpalästinensischen Konflikts von Böhme, Kreiner und Sterzing (Wochenschau Verlag, 2005), oder noch besser, Der Nahost Konflikt ein Lehrbuch von Margret Johannsen (SV Verlag, 2007), oder, wie von Bunzl selbst empfohlen, zumindest für die frühe Geschichte des Zionismus, Der Weg zum Staat Israel von W. Laquer (Wien, 1975). Bunzls Band eignet sich nicht für eine erste Begegnung mit dem Konflikt auch deshalb, weil zentrale Ereignisse hier nur knapp und ohne ausführliche Erklärungen über deren Hintergründe, Verläufe und Ergebnisse behandelt werden, beispielsweise die zweite, al-aksa Intifada, der Junikrieg 1967 ( Sechstage - Krieg) oder der Oktoberkrieg 1973 ( Yom Kippur - Krieg). Noch dazu: In den beiden letzten Fällen liegt der Schwerpunkt der Auseinandersetzung des Autors auf deren Verbindung mit dem Kalten Krieg und den Interessen der Großmächte im Nahen Osten. Der zweite Grund, warum dieses Buch nicht wirklich als Einführung geeignet ist, liegt gerade in seiner Stärke: Es geht, wie Bunzl in seiner Einleitung schreibt, in erster Linie um analytische Schärfe, die Dekonstruktion von Mythen [und darum] die israelische Geschichte

2 zu entmystifizieren. (S. 9) Begeisterung für Bunzls Buch wird daher nur aufbringen, wer schon davor eine Begegnung mit der Entwicklungsgeschichte des Konflikts hatte. Dennoch: sein unbestreitbar hohes Ziel erreicht der Autor in einer präzisen, ausgewogenen (was nicht bedeutet, dass er eine Symmetrie zwischen den beiden Kontrahenten behauptet) und eleganten Art und Weise. Was diesen Band, neben der exzellenten Behandlung der grundlegenden und schwierigsten Fragen des Konflikts, insbesondere was die Ziele und Methoden des zionistisch-israelischen Unternehmens betrifft, noch besonders interessant und auch unkonventionell macht, sind die Rahmenthemen, innerhalb deren seine analytischen Auseinandersetzungen ausgeführt werden. Ein gutes Beispiel dafür stellt seine Untersuchung der Bestrebungen der jüdischen und arabischen Kommunisten in Palästina in den Jahren vor 1948 dar: Dieses Thema wird kaum in anderen Werken über den Konflikt behandelt und es wird im allgemeinen angenommen, dass diese Gruppen keine besondere Rolle in dessen Geschichte gespielt haben. Doch es zeigt sich in diesem Kapitel, dass mehrere grundsätzliche Fragen hier bereits gestellt wurden: Ist eine friedliche Koexistenz der beiden Gemeinschaften in einem demokratischen jüdischarabischen Staat überhaupt möglich angesichts der zum Teil sehr gegensätzlichen Erfahrungen dieser Völker im 20. Jhdt.? Wie können universalistische Ideale, in diesem Fall der Sozialismus bzw. der Kommunismus aber auch die Demokratie, in einer Situation der konkurrierenden Nationalismen realisiert werden? Bunzl kommentiert selbst: Die Periode bis 1948 ist jedoch besonders insofern interessant, als sie als ein Laboratorium für Ideen zur Lösung der Palästinafrage angesehen werden kann. Manche dieser Vorschläge [der damaligen kommunistischen Parteien M.I.] haben ihre Aktualität und Brisanz nicht eingebüßt. (S. 84) Gerade dieser letzte Satz erhellt einen weiteren Grund, warum sich dieses Buch so spannend lesen lässt: Die Analysen dienen nicht nur dem Verständnis der Vergangenheit, sondern tragen deutlich dazu bei, die jüngsten Geschehen der Auseinandersetzung in ihrem historischen Zusammenhang zu verorten. Einige weitere Beispiele hierfür sollen erwähnt werden: Am Schluss des Kapitels Israel und der `Kalte Krieg`, das sich mit der Rolle der Supermächte in dem Konflikt beschäftigt, erklärt Bunzl, dass es nach dem Ende der bipolaren Dominanz der Welt bei regionalen Kriegsparteien pragmatische Überlegungen gibt, die zur Vermeidung von Konflikten beitragen. Und weiter: Aber das trifft keineswegs gleichermaßen für alle Akteure im Nahen Osten zu, denn jene Mächte, die sich der Unterstützung durch die einzige übrig gebliebene Supermacht sicher sind, werden eher in der

3 Lage sein, unilateral vorzugehen. (S. 124) Trotz der Benutzung des Plural weist dies vor allem auf einen Akteur hin, und dieser zeigt deutlich, zuletzt im Gazastreifen und davor im Libanon --, wie treffend diese Behauptung ist! Im darauffolgenden Kapitel mit dem Titel Zum israelischen Historikerstreit um 1948 finden wir die Betonung der Begriffe Schuld und Verantwortung Aspekte, die bis heute eine bedeutende Rolle spielen. Die Ausblendung der Vergangenheit in der israelischen Propaganda während des Tötungs- und Zerstörungszuges im Gazastreifen Anfang 2009 ( Krieg ist m.e. hier eine Bezeichnung, die dem israelischen Vorgehen eine zu große Legitimität schenkt!) bestätigt die Vermutung eines fehlenden reflektierten Geschichts- und damit Unrechtsbewusstseins. In Zusammenhang damit weist Bunzl scharfsichtig auf die Aussage von Dan Diner hin, dass in Israel `aller Geschichtsdiskurs Legitimationsdiskurs` war bzw. ist. (S. 141) Durch die Behandlung dieser Aspekte schafft der Autor einen gelungenen Übergang nicht nur zur faktischen Mitte des Buches, sondern auch zu seinem aus unserer Sicht thematischen Herzen: Verlängerung der Geschichte heißt die detaillierte Analyse der sozial- und politisch-psychologischen Faktoren, die besonders auf der jüdisch-israelischen Seite so viel bestimmen. Sie ist von Klarheit und aktueller Gültigkeit gekennzeichnet, doch hätten hier auch Hinweise auf neueste Veröffentlichungen nicht geschadet. Wo z. B. von der Legitimierung der zionistische[n] politische[n] und territoriale[n] Ansprüche durch die Konstruktion einer Art Kontinuität zwischen biblischer Vorgeschichte und aktueller Landnahme die Rede ist (S. 145), wären die Thesen von Shlomo Sand in seinem Buch Wann und wie wurde das jüdische Volk erfunden? (Tel Aviv: Resling Publishers, 2008, Hebräisch) erwähnenswert gewesen. Im Zusammenhang mit dem Thema der Traumatisierung durch den Holocaust, hätte man neben Zertal, Segev und Elkana auch die sehr treffenden Anmerkungen von Moshe Zuckermann in seinem Band Zweierlei Holocaust (Göttingen: Wallstein Verlag, 1999) über die in Israel fehlende universelle Lehre aus der Scho`ah thematisieren können. Doch basierend auf Arbeiten von Psychoanalytikern beschreibt Bunzl brillant die Mechanismen der Identifizierung des palästinensischen Widerstandes mit den Nazis..., [die] den Einsatz von unangemessener Gewalt gegenüber palästinensischen und arabischen Gegnern rechtfertigte (S. 148). Er erklärt auch die Singularisierung des Holocaust aus dem Kontext der Leugnung und Abwehr von eigener Verantwortung und Schuld (ebd.). Zum Schluss dieses Kapitels merkt Bunzl an, dass die Auseinandersetzung mit den neuen Historikern, deren Ansätze auch eine therapeutische Wirkung auf die jüdisch-israelische

4 Gesellschaft haben sollten, nicht im akademischen Raum blieb, sondern alle Bereiche der israelischen Gesellschaft und des politischen Prozesses berührten (S ). Dies lässt sich auch am Beispiel der Schulbücher verifizieren, wo es zu heftigen Kontroversen gekommen ist und u.a. behauptet wurde, die von den Neuen Historikern geschriebenen Schulbücher würden die Gehirne der jungen Menschen in Israel vergiften. Im Kapitel Volk ohne Land kommt es zu einer bemerkenswert ausführlichen Schilderung der Rolle des palästinensischen Volkes - ein Thema, das fast ohne Ausnahme auch in seriösen Werken über den Konflikt viel zu kurz kommt und ohne die von Bunzl gezeigten Kenntnisse und Empathie behandelt wird. Auch die Frage der Rolle von Religion in ethnisch-nationalpolitischen Konflikten sowie die Themen Antisemitismus und Islamophobie - im nahöstlichen sowie auch im europäischen Zusammenhang werden ausführlich und mit derselben analytischen Schärfe dargestellt. Die Auswahl der von Bunzl herangezogenen Quellen ist auch sehr interessant, kommen doch neben bekannten Standardwerken auch wichtige aber relativ unbekannte und selten benutzte Bücher und Artikel, z. T. mit hilfreichen Dokumenten-Sammlungen vor. Unter diesen Quellen finden sich nicht wenige Stimmen der arabischen, palästinensischen Seite obwohl unverzichtbarer Bestandteil jedes kritischen Diskurses, keine Selbstverständlichkeit. So lässt sich zusammenfassend sagen: die Wahl der Themen ist umfassend, die Sprache analytisch scharf, das Verständnis tief, der Standpunkt angemessen kritisch und empathisch ausgewogen. Neben diesen vielen positiven Eigenschaften gibt es leider Lektoratsmängel (fehlende Texte zu Fußnoten, uneinheitliche Schreibweisen, Fehler in der Ordnung im Literaturverzeichnis u.ä.), die in der kommenden Auflage, die es sicher geben wird, korrigiert werden sollten. Gerade in einer Zeit großer Verzweiflung wie jetzt, kurz nach dem Gaza-Waffenstillstand im Januar 2009, empfiehlt sich das vorliegende Buch nicht nur als ausgezeichnetes Lehrbuch bzw. als äußerst umsichtige, mit historischem Verantwortungsgefühl und ohne Projektionen geschriebene Einführung für Fortgeschrittene (! M.I.), sondern auch und nach der erklärten Absicht des Autors nicht minder wichtig - als Plädoyer zur Entwicklung eines Bewusstseins, dass die Kette von Gewalt, die ursprünglich von Europa ausgegangen ist, beendet werden muss (aus der Einleitung, S. 16).

5 Michael Ingber John Bunzl Israel im Nahen Osten. Eine Einführung. Böhlau UTB Verlag, Wien/Köln/Weimar, 2008.