Zwangsstörungen: Phänomenologie, Diagnostik, Epidemiologie und Verlauf
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- Inken Vogt
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1 Zwangsstörungen: Phänomenologie, Diagnostik, Epidemiologie und Verlauf PD Dr. Matthias Backenstraß Ltd. Psychologe Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Heidelberg Seminar am Psychologischen Institut SS 09
2 Gliederung Vorbemerkungen zur Vergabe der Themen und Scheinerwerb Phänomenologie, Symptome Diagnostik Differenzialdiagnostische Aspekte Epidemiologie Komorbidität Verlauf
3 Gliederung Vorbemerkungen zur Vergabe der Themen und Scheinerwerb Phänomenologie, Symptome Diagnostik Differenzialdiagnostische Aspekte Epidemiologie Komorbidität Verlauf
4 Zwangsgedanken (obsessions)... sind Bewusstseinsinhalte, über die der Patient keine Kontrolle besitzt und deren Inhalt beim Patienten Angst, Unruhe und Erregung auslöst. Der Patient vermag sich diese Gedanken zumeist nicht zu erklären und erlebt sie als sehr störend und sinnlos; erfolglos versucht die betroffene Person, Widerstand zu leisten. Die Gedanken werden jedoch als eigene Gedanken erlebt, selbst wenn sie als unwillkürlich und häufig als abstoßend empfunden werden. Zwanghaftes Zweifeln Zwanghafte Impulse Zwanghafte Vorstellungen und Bilder
5 Beispiele für Zwangsgedanken Aggressive Zwangsgedanken Zwangsgedanken, die sich auf Verschmutzung beziehen Zwangsgedanken mit sexuellem Inhalt Zwangsgedanken, die sich auf das Sammeln und das Aufbewahren von Gegenständen beziehen Zwangsgedanken mit religiösen oder solchen Inhalten, die ein schlechtes Gewissen erzeugen Zwangsgedanken, die sich auf Symmetrie oder Genauigkeit beziehen Zwangsgedanken im Bezug auf den eigenen Körper
6 Zwangshandlungen (compulsions)... sind üblicherweise beobachtbar und stellen zumeist exzessive Wiederholungen alltäglicher Verhaltensausschnitte dar. Sie verlaufen zumeist stereotyp und bekommen den Charakter von Ritualen. Waschzwänge ("cleaning") Kontrollzwänge ("checking") Wiederholungszwänge Zählzwänge Ordnungszwänge Sammel- und Aufbewahrungszwänge "Primäre zwanghafte Langsamkeit" (alltägliche Handlungen werden extrem langsam und bedächtig ausgeführt)
7 Fallbeispiel
8 Gliederung Vorbemerkungen zur Vergabe der Themen und Scheinerwerb Phänomenologie, Symptome Diagnostik Differenzialdiagnostische Aspekte Epidemiologie Komorbidität Verlauf
9 ICD-10 Klassifikation Neurotische Störungen (F4) inkl. Belastungs- und somatoforme Störungen Phobische Störungen (F40) Sonstige Angststörungen (F41) Zwangsstörungen (F42) Agoraphobie Soziale Phobie Spezifische Phobie u.a. Panikstörung Generalisierte Angststörung Angst und depressive St. u.a. vorwiegend Zwangsgedanken vorwiegend Zwangshandlungen gemischt u.a.
10 DSM-IV-TR Definitionen Kriterium A Zwangsgedanken 1. Wiederkehrende und anhaltende Gedanken, Impulse oder Vorstellungen, die zeitweise während der Störung als aufdringlich und unangemessen empfunden werden und die ausgeprägte Angst und großes Unbehagen hervorrufen. 2. Die Gedanken, Impulse oder Vorstellungen sind nicht nur übertriebene Sorgen über reale Lebensprobleme. 3. Die Person versucht, diese Gedanken, Impulse oder Vorstellungen zu ignorieren oder zu unterdrücken oder sie mit Hilfe anderer Gedanken oder Tätigkeit zu neutralisieren. 4. Die Person erkennt, dass die Zwangsgedanken, Zwangsimpulse oder vorstellungen ein Produkt des eigenen Geistes sind (nicht von außen auferlegt wie bei Gedankeneingebung). Zwangshandlungen 1. Wiederholte Verhaltensweisen (z.b. Händewaschen, Ordnen, Kontrollieren) oder gedankliche Handlungen (z.b. Beten, Zählen, Wörter leise Wiederholen), zu denen sich die Person als Reaktion auf einen Zwangsgedanken oder aufgrund von streng zu befolgenden Regeln gezwungen fühlt. 2. Die Verhaltensweisen oder die gedanklichen Handlungen dienen dazu, Unwohlsein zu verhindern oder zu reduzieren oder gefürchteten Ereignissen oder Situationen vorzubeugen; diese Verhaltensweisen oder gedanklichen Handlungen stehen jedoch in keinem realistischen Bezug zu dem, was sie zu neutralisieren oder zu verhindern versuchen, oder sie sind deutlich übertrieben.
11 Diagnosekriterien DSM-IV-TR (300.3) A. Entweder Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen (wie definiert). B. Zu irgendeinem Zeitpunkt im Verlauf der Störung hat die Person erkannt, dass die Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen übertrieben oder unbegründet sind. Beachte: Dies muss bei Kindern nicht der Fall sein. C. Die Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen verursachen erhebliche Belastung, sind zeitaufwendig (benötigen mehr als 1 Stunde pro Tag) oder beeinträchtigen deutlich die normale Tagesroutine der Person, ihre beruflichen (oder schulischen) Funktionen oder die üblichen Aktivitäten und Beziehungen. D. Falls eine Achse I-Störung vorliegt, so ist der Inhalt der Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen nicht auf diese beschränkt ( ). E. Das Störungsbild geht nicht auf direkte körperliche Einwirkung einer Substanz (Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück. Mögl. Zusatz: Mit geringer Einsicht Kann einhergehen mit bspw. Major Depression, Persönlichkeitsstörung, anderer Angststörung, Tourette Syndrom ICD-10 (F.42.x) A. Entweder Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen (oder beides) an den meisten Tagen über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen. B. Die Zwangsgedanken (Ideen oder Vorstellungen) und Zwangshandlungen zeigen sämtliche folgende Merkmale: 1. Sie werden als eigene Gedanken/Handlungen von den Betroffenen angesehen und nicht als von anderen Personen oder Einflüssen eingegeben 2. Sie wiederholen sich dauernd und werden als unangenehm empfunden, und mindestens ein Zwangsgedanke oder eine Zwangshandlung werden als übertrieben und unsinnig anerkannt 3. Die Betroffenen versuchen, Widerstand zu leisten (bei lange bestehenden Zwangsgedanken und Zwangshandlungen kann der Widerstand allerdings sehr gering sein). Gegen mindestens einen Zwangsgedanken oder eine Zwangshandlung wird gegenwärtig erfolglos Widerstand geleistet 4. Die Ausführung eines Zwangsgedankens oder einer Zwangshandlung ist für sich genommen nicht angenehm (dies sollte von einer vorübergehenden Erleichterung von Spannung und angst unterschieden werden). C. Die Betroffenen leiden unter den Zwangsgedanken und Zwangshandlungen oder werden in ihrer sozialen oder individuellen Leistungsfähigkeit behindert, meist durch den besonderen Zeitaufwand. D. Ausschlussklausel: Die Störung ist nicht bedingt durch eine andere psychische Störung, wie Schizophrenie und verwandte Störungen (F2) oder affektive Störungen (F3).
12 Gliederung Vorbemerkungen zur Vergabe der Themen und Scheinerwerb Phänomenologie, Symptome Diagnostik Differenzialdiagnostische Aspekte Epidemiologie Komorbidität Verlauf
13 Welche Differenzialdiagnosen sind besonders zu beachten? Angststörungen Zwanghafte Persönlichkeitsstörung Schizophrenie Zwangsspektrumsstörungen (z.b. Essstörung, Hypochondrie, Dysmorphophobie, Impulskontrollstörung, Trichotillomanie)
14 Differenzialdiagnose Angststörungen Phobien 1. Dauernde Sorgen um ein zentrales Thema 2. Reize: spezielle Situationen (Busse, Hunde usw.) verursachen Angst und Panik 3. Emotionen: Angst, Panikgefühle 4. Angstsituation weitgehend benennbar und konkret 5. Angst vor Kontakt mit einer speziellen auslösenden Situation 6. Einigermaßen klare Vorstellungen über die Notwendigkeit der Vermeidung (was könnte passieren, z.b. sterben bei Ohnmachtsanfall usw.) Zwänge 1. Stereotype, wiederholte Gedanken und Handlungen 2. Reize: Schmutz, Berührung, Verletzung usw. als mögliche Quelle der Beunruhigung 3. Emotionen: Unbehagen, Unruhe, Ekel, Ärger 4. Angst und Unruhe, zum Teil reizunspezifisch, Reize allgemeiner Art werden vermieden (z.b. Staub), zukunftsbezogen 5. Angst vor möglichen, in der Zukunft liegenden Konsequenzen, wenn in Kontakt mit verschiedenen Reizen 6. Patienten mit Zwängen weisen zumeist sehr unkonkrete, aber elaborierte Ideen auf, was als Folge einer Schmutzung passieren könnte (z.b. Ideen über die Verteilung von Bakterien; Vorstellung über Schuld usw.)
15 Differenzialdiagnose Zwanghafte Persönlichkeitsstörung Kriterien nach DSM-IV der Zwanghaften PS: 1. übermäßige Beschäftigung mit Ordnung, Regeln, etc., so dass eigentliche Aktivität in den Hintergrund tritt 2. Perfektionismus, der Aufgabenerfüllung behindert 3. Person widmet sich völlig der Arbeit und Produktivität 4. übermäßig gewissenhaft, voller Skrupel und unflexibel in Wertvorstellungen 5. Unfähigkeit, Dinge wegzuwerfen 6. Person lässt nur ungern andere Personen Aufgaben übernehmen oder arbeitet mit ihnen zusammen, da eine genaue Arbeitsweise eingehalten werden muss 7. Geiz sich und anderen gegenüber 8. Rigidität und Eigensinn extremes Kontrollbedürfnis, Perfektionismus; negative Auswirkung auf soziale Beziehungen
16 Differenzialdiagnose Schizophrenie Zwangsstörung Der Drang kommt von der Person selbst, d.h. von innen Schizophrenie Gedanken werden eingegeben, eine Stimme sagt mir: "Tu X..." "Ich will das gar nicht tun, ich versuche mich zu wehren." "Ich muss das tun, das ist mir aufgetragen..." Patient distanziert sich von den Inhalten (ich-dyston) Patient identifiziert sich mit den Inhalten (ich-synton)
17 Gliederung Vorbemerkungen zur Vergabe der Themen und Scheinerwerb Phänomenologie, Symptome Diagnostik Differenzialdiagnostische Aspekte Epidemiologie Komorbidität Verlauf
18 Epidemiologie Lebenszeitprävalenz 1,9%- 3,3% Prävalenz in verschiedenen Kulturen ähnlich hoch Männer und Frauen etwa gleichhäufig betroffen Beginn schleichend, zumeist Adoleszenz oder frühes Erwachsenenalter (Durchschnittsalter ca. 22 Jahre) 85% der Betroffenen haben die Störung vor dem 35. LJ entwickelt 7,0-7,5 Jahre nach Erkrankungsbeginn erster Kontakt mit einer therapeutischen Einrichtung
19 Gliederung Vorbemerkungen zur Vergabe der Themen und Scheinerwerb Phänomenologie, Symptome Diagnostik Differenzialdiagnostische Aspekte Epidemiologie Komorbidität Verlauf
20 Komorbidität mit Achse I-Störungen (Prävalenzraten in Prozent) Rasmussen & Eisen, 1998 Roncci et. al gegenwärtig Lifetime gegenwärtig Major Depression ,2 Angststörungen ,4 Alkoholabusus Essstörungen ,8 Gilles-de-la Tourette Tics ,3
21 Gliederung Vorbemerkungen zur Vergabe der Themen und Scheinerwerb Phänomenologie, Symptome Diagnostik Differenzialdiagnostische Aspekte Epidemiologie Komorbidität Verlauf
22 Verlauf
23 Verlauf Skoog & Skoog (1999)
24 Weitere Informationen zum Verlauf ¾ der Waschzwänge entstehen plötzlich, ⅔ der Kontrollzwänge allmählich 85% der Zwangsstörungen verlaufen chronisch, 10% mit stetiger Verschlechterung 5% zeigen einen episodischen Verlauf 15% zeigen eine progrediente Verschlechterung in berufl. & soz. Fähigkeiten Ambulante Behandlung im Durchschnitt nach 7 Jahren Stationäre Behandlung im Durchschnitt nach 10 Jahren ab Beginn der Störung (Grund bspw. Verheimlichung der Störung) 5% der Eltern von Zwangspatienten leiden ebenfalls unter Zwängen Langfristige Besserungsrate von ca. 50%
25 Danke für die Aufmerksamkeit!
Zwangsstörungen Phänomenologie, Diagnostik, Epidemiologie & Verlauf
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