Sport und Medien: Entwicklungen, Probleme, Abhängigkeiten
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- Nicolas Kneller
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1 Sport und Medien: Entwicklungen, Probleme, Abhängigkeiten 1) Sport und Medien aus Sicht der Systemtheorie 2) Entwicklungen im System Medien 3) Entwicklungen im System Sport 4) Sport und Medien eine lukrative Beziehung 5) Sport und Medien eine problematische Beziehung Dr. Markus Lamprecht Lamprecht & Stamm Sozialforschung und Beratung AG ETH Zürich
2 Die neuere Systemtheorie: 12 Teilbereiche Intimbeziehungen Bildung Recht Gesundheitswesen Wirtschaft Politik Militär Sport Wissenschaft Massenmedien Religion Kunst Quelle: Schimank (2002: 44)
3 Kultur in der neueren Systemtheorie: Codes und Medien (nach Schimank 2002) Teilsystem Code Medium Funktion Politik Macht/Ohnmacht Macht (öffentliche Ämter) Kollektive Entscheidungsfindung Recht recht/unrecht Recht, Rechtmässigkeit Konflikte schlichten Wirtschaft Gewinn/Verlust Geld, Eigentum Profit, Herstellung und Verteilung von Gütern Wissenschaft wahr/unwahr Wahrheit Wissen schaffen Gesundheitswesen gesund/krank Diagnose/ Behandlung Gesundheit erhalten Religion Diesseits/Jenseits Glaube Weltdeutung, Sinn stiften Kunst schön/hässlich Kunst Erbauung, Reflexion Bildung gute/schlechte Zensuren Bildung Qualifikation, Sozialisation Sport Sieg/Niederlage Leistung, Rekord Aufstellen von Rekorden, Unterhaltung Medien Nachricht/Nichtnachricht Information Information, Unterhaltung Militär Krieg/Frieden Waffen Macht durchsetzen, Sicherheit Intimbez. (Familie) Zuneigung/Abneigung Vertrauen/Liebe Beziehungen, Vertrauen schaffen
4 Beziehungen der Teilsysteme Intimbeziehungen Bildung Recht Gesundheitswesen Wirtschaft Politik Militär Sport Wissenschaft Massenmedien Religion Kunst Quelle: Schimank (2002: 44)
5 Beziehungen der Teilsysteme Intimbeziehungen Bildung Recht Gesundheitswesen Wirtschaft Politik Militär Sport Wissenschaft Massenmedien Religion Kunst Quelle: Schimank (2002: 44)
6 Beziehungen zum Sport Intimbeziehungen Bildung Recht Gesundheitswesen Wirtschaft Politik Militär Sport Wissenschaft Massenmedien Religion Kunst Quelle: Schimank (2002)
7 Sport und Medien: Entwicklungen, Probleme, Abhängigkeiten 1) Sport und Medien aus Sicht der Systemtheorie 2) Entwicklungen im System Medien 3) Entwicklungen im System Sport 4) Sport und Medien eine lukrative Beziehung 5) Sport und Medien eine problematische Beziehung Dr. Markus Lamprecht Lamprecht & Stamm Sozialforschung und Beratung AG ETH Zürich
8 Berichterstattung orientiert sich am Nachrichtenwert: Spektakuläres Krisenhaftes Personalisierbares Moralisierbares "Only bad news are good news."
9 Das Fernsehen in unserer Gesellschaft ein Prozess funktionaler Differenzierung Strukturen des Fernsehsystems Schwache Differenzierung Fortgesetzte Differenzierung Anbieter Wenige (öffentlich-rechtliche) Viele (öffentlich-rechtl., private, Pay-TV) Angebote Wenige Programme Viele Programme (u.a. Vollprogramme, Dritte Programme, Spartenprogramme, Ballungsraumfernsehen, Offene Kanäle) Personen Zielgruppenorientierung innerhalb eines Fernsehtages Von der Wiege bis zur Bahre; Zielgruppenbildung durch Spartenprogramme Raum Wohnzimmer Alle Räume Zeit Abends, Wochenende Zu jeder Zeit Finanzen Motive Vorwiegend Rundfunkgebühren, Werbeeinnahmen Information, Bildung, Unterhaltung Vorwiegend Werbeeinnahmen, Rundfunkgebühren, Entgelte Unterhaltung, Information, Hintergrundmedium Quelle: Digel 2006
10 Ausgewählte Eckdaten bei der Entwicklung des Fernsehens ab 1990 Übertragung bestimmter Szenen der OS in Berlin Live-Übertragung des englischen Cupfinals (Fussball) erste Fernsehübertragungen anlässlich der Landi (CH) BBC überträgt Ausschnitt aus OS in London Direktübertragung der Fussball-WM in der Schweiz Einführung der Zeitlupe an der Fussball-WM in England privater werbefinanzierter Rundfunk wird möglich (CH) Internet und digitales Fernsehen
11 Olympischen Spiele (Preise für Fernsehrechte) $1'800'000'000 $1'600'000'000 $1'400'000'000 $1'200'000'000 weltweit USA Europa $1'000'000'000 $800'000'000 $600'000'000 $400'000'000 $200'000'000 $
12 Vermarktung der Fussballweltmeisterschaften durch die FIFA (Angaben in Mio. Fr.) WM 1998 WM 2002 WM 2006 TV-Rechte Marketingrechte
13 Sport und Medien: Entwicklungen, Probleme, Abhängigkeiten 1) Sport und Medien aus Sicht der Systemtheorie 2) Entwicklungen im System Medien 3) Entwicklungen im System Sport 4) Sport und Medien eine lukrative Beziehung 5) Sport und Medien eine problematische Beziehung Dr. Markus Lamprecht Lamprecht & Stamm Sozialforschung und Beratung AG ETH Zürich
14 Die längerfristige Sportentwicklung neue Sportarten, neue Sportanbieter, neues Sportverständnis (Differenzierung und Pluralisierung) neue Sportlergruppen und neue Sportkonsumenten (Expansion und Demokratisierung) neue Märkte und neue Interessen (Kommerzialisierung und Professionalisierung) neue Funktionen und neue Anforderungen (Instrumentalisierung / Verlust an Autonomie)
15 Die Versportung unserer Gesellschaft ein Prozess funktionaler Differenzierung Strukturen des Sportsystems Anbieter Angebote Personen Raum Zeit Finanzen Motive Institutionen/Organisationen Schwache Differenzierung Wenige (staatliche und gemeinnützige) Wenig Sportarten Junge Menschen, Ehrenamtliche Urbane Sportstätten Abends, Wochenende Eigenleistungen Leistung, Wetteifer Verein, Schule Fortgesetzte Differenzierung Viele (staatliche, gemeinnützige, private, kommerzielle) Viele Spiele, Sportarten, Sportaktivitäten, Bewegungsmuster Alle Menschen Land, Wasser, Luft Zu jeder Zeit Variable Finanzen Viele verschiedene Motive Viele verschiedenen Institutionen Quelle: Digel 2006
16 Altes und neues Sportverständnis Pyramidenmodell verschiedene Sportmodelle Spitzensport Mediensport Leistungssport Breitensport Alternativ- Sport Freizeitsport instrumenteller Sport
17 Klassische Sportdefinition Pyramidenmodell Spitzensport Sport ist körperliche Bewegung Sport unterliegt dem Leistungsprinzip Sport ist durch soziale Normen geregelt Sport bildet eine Eigenwelt Breitensport Sport findet im Verein statt
18 Differenziertes Sportmodell Mediensport: Unterhaltung, Kommerz, Medien, Wettkampf, Profistatus Mediensport Leistungssport: klassisches Sportmodell, Wettkampf, Amateurstatus, Vereinsmitgliedschaft Alternativ- Sport Leistungssport Freizeitsport instrumenteller Sport Freizeitsport: Freude, Mitmachen, (halb)offene Organisationen oder im Fitnesszentrum Alternativsport: Subkultur, Körperkultur, Lebensstil, offene Organisation z.t. Fitnesszentrum instrumenteller Sport: Sport im Dienst "höherer Ziele": Rehabilitation, Erziehung, Integration.
19 Klassische Sportdefinition und differenzierte Sportmodelle körperliche Bewegung Leistungsprinzip Normen / Regelwerk Eigenwelt / unproduktiv Leistungssport ja ja ja ja Mediensport ja ja ja nein Freizeitsport ja nein teilweise ja Alternativsport ja nein nein ja instrumenteller Sport ja nein nein nein
20 Verortung von Sportarten im differenzierten Sportmodell Mediensport Volleyball Leistungssport Snowboard Alternativ- Sport Freizeitsport instrumenteller Sport Walking
21 Entkopplung der verschiedenen Sportmodelle? Mediensport Alternativ- Sport Leistungssport instrumenteller Sport Freizeitsport Unterschiedliche Basis, verschiedene Funktionen, andere Logik.
22 Zukünftige Ziele und Strategien der Verbände 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% neue Mitglieder gewinnen Nachwuchs fördern Jugendliche zum Sporttreiben animieren mehr Medienbeachtung erlangen Sportler an die Weltspitze führen Angebote zur Gesundheitsförderung entwickeln Seniorensport fördern sehr wichtig eher wichtig teils/teils eher unwichtig unwichtig trifft nicht zu
23 Konstruktionsregeln des Mediensports Dramatik, Spannung Offenheit des Ausgangs, denkwürdiges Ende Anpassung von Wettkampfgestaltung, -modus, -regeln Höhepunkte, Rekorde, Bedeutung des Anlasses Ausdehnung des Ereignisses Vorschauen, Nachlesen mit Augenmerk auf Aussergewöhnliches, Krisen, Konflikte Personalisierung / Identifikationsfiguren Human Interest / Human Touch
24 Beispiele für Regeländerungen Tischtennis Volleyball Langlauf Eiskunstlauf Fussball Aufschlagregel (2002) Vergrösserung des Balles (2000) von 38 auf 40 Millimeter Verkürzung der Sätze von 21 auf 11 Punkte Einführung des Play-off Einführung des Liberos (1998) Rally-Point-System (1998) Kleidervorschriften (1998) farbiger Ball (1998) Jagdstart/Verfolgungsrennen (Gundersen-Methode) (1993) Kurzdistanzen: Sprints (auch in den Städten) Double-Pursuit Abschaffung der Pflicht B-Note (künstlerischer Ausdruck) aufgewertet Finalrunde Rückpass-Regel Sudden-Death-Regel (getestet) grössere Tore (diskutiert) Drittel statt Halbzeiten (diskutiert)
25 Sport und Medien: Entwicklungen, Probleme, Abhängigkeiten 1) Sport und Medien aus Sicht der Systemtheorie 2) Entwicklungen im System Medien 3) Entwicklungen im System Sport 4) Sport und Medien eine lukrative Beziehung 5) Sport und Medien eine problematische Beziehung Dr. Markus Lamprecht Lamprecht & Stamm Sozialforschung und Beratung AG ETH Zürich
26 Die Feedbackschleife "Sport Medien Geld" Sportereignis Sportmarketing Berichterstattung Sponsoring Werbung Geldströme
27 Sport und Medien eine lukrative Beziehung (nach Digel 2006) Für den Sport Imagegewinn Sport als gesellschaftlich relevanter Bereich Multiplikator- und Nachahmungseffekt Für die Sportverbände Steigerung der Popularität/Imagegewinn für die entsprechende Sportart Finanzierung von Sportveranstaltungen Sponsorengewinnung/ -bindung Für die Athleten Für die TV-Anbieter Attraktives Programmangebot/Steigerung der Programmvielfalt Erhöhung der Zuschauerquote und der Marktanteile Gewinnung bzw. Bindung der Werbeindustrie Für die Zuschauer Attraktives Programmangebot Steigerung der eigenen Popularität Steigerung des eigenen Marktwertes Für die Werbewirtschaft Imageverbesserung Zielgruppenorientierung Steigerung des Bekanntheitsgrades Erhöhung des Warenabsatzes Für die Journalisten Entstehung eines neuen Berufsfeldes Massenmediale Öffentlichkeit Für die Agenturen Steigerung der eigenen Popularität Entstehung eines neuen Typus von Agentur Attraktives Betätigungsfeld
28 Sport und Medien: Entwicklungen, Probleme, Abhängigkeiten 1) Sport und Medien aus Sicht der Systemtheorie 2) Entwicklungen im System Medien 3) Entwicklungen im System Sport 4) Sport und Medien eine lukrative Beziehung 5) Sport und Medien eine problematische Beziehung Dr. Markus Lamprecht Lamprecht & Stamm Sozialforschung und Beratung AG ETH Zürich
29 Einschätzungen des Mediensports Der Sport, einst aus dem wirklichen Spielen des Volkes hervorgegangen, vom Volk geschaffen, kehrt nun analog zur folk music zum Volk zurück in Gestalt des fürs Volk geschaffenen Spektakels. (Bourdieu 1986) Der Sport ist dabei, sich zu Tode zu siegen. Die humanistischen Ideale des Sports beginnen, sich im Spektakel des Show-Sports aufzulösen. (Schwier 2003). Aus den Vier F s des Sports frisch, fromm, fröhlich, frei werden die Vier F s des Fernsehens flott, flockig, frech, flach. (Digel 2006)
30 Journalismus-Konzeptionen (nach Wyss 2001) Journalismus-Konzeption Rollenbild Eigenschaft Intention Informations-Journalismus Vermittler passiv "Realität" abbilden Präzisions-Journalismus Forscher wissenschaftlich wiss. erhärtet recherchieren Interpretativer Journalismus Analytiker aufklärerisch Orientierung stiften Literarischer Journalismus Stilist sprachbewusst Sensibilität ausdrücken Anwaltschaftlicher Journalismus Anwalt engagiert Verständnis schaffen Investigativer Journalismus Kontrolleur aktiv Machtmissbrach aufdecken Thesen- Journalismus Agent provocateur streitlustig Aufmerksamkeit erwecken Marketing-Journalismus Dienstleister kundenorientiert Zielpublika zufrieden stellen Public Journalism Dialog- Organisator lösungsorientiert Lösungen anbieten
31 Die "Spuckaffäre Alex Frei": 2004 "Der Spu(c)k geht weiter" (Berner Zeitung) "Aus Spucke wird eine Sintflut" (Der Bund) "Spucke, Lügen und TV Tape" (Facts) "Schpeuz - Alex" (Woz) "Lügen wie gespuckt" (Neue Luzerner Zeitung) "Spuckers Spuk" (Süddeutsche Zeitung)
32 Ausgewählte Probleme Kluft zwischen arm und reich im System des Sports vergrössert sich (zwischen Sportarten, Verbänden, Ligen). Ziellose Vermehrung der Sportarten bei gleichzeitiger Reduktion der Fernsehsportarten. Abhängigkeiten und Risiken im System des Sports erhöhen sich. In den Medien wird nicht mehr über Sport berichtet, Sport wird inszeniert. Im Sportjournalismus fehlt häufig die kritische Distanz (Duz-Kultur, Fanberichterstattung). Sport verliert zunehmend seine ethisch-moralischen Grundlagen. Der Hochleistungssport weist ein Legitimationsproblem auf, das immer weniger lösbar erscheint. (Vgl. Lamprecht/Stamm 2002, Digel 2006, Mühlethaler 2007)
33 Gründe für die Attraktivität des Mediensports Gesellschaftliches Problem Differenzierung und Spezialisierung; abstrakte und komplexe Gesellschaft (U. Schimank) Routinisierung und Bürokratisierung, "langweilige Gesellschaft" (N. Elias), Affektdämpfung und Körperdistanzierung Säkularisierung und Rationalisierung, Verwissenschaftlichung (A. Guttmann), "entzauberte Gesellschaft" Modernisierung und Individualisierung, Verlust an Gemeinsamkeiten und Gemeinschaft, "Bastelbiografien" (U. Beck) Kompensation im (Medien-)Sport einfache, universell verständliche Sprache; anschaulich und einfach nachvollziehbar Spannung und Emotionen; "risikolose Spannung" Schaulust und "Heldenverehrung"; Identifikationsmöglichkeiten Gesprächstoff und Wir-Gefühl; biographische Fixpunkte Quellen: Lamprecht/Stamm (2002), Bette/Schimank (2006), Digel (2006)
34 Die gestaltete Wirklichkeit Leni Riefenstahl und die Gestaltungsmöglichkeiten, die Ästhetik und die Symbole im Olympia-Film "Fest der Völker Fest der Schönheit" (Berlin 1936) als historisches Beispiel. Als Grundlagenmaterial dienen Ausschnitte aus dem Film über Leni Riefenstahl "Die Macht der Bilder" von Ray Müller. Zur Ästhetik des Faschismus: Leni Riefenstahl selber behauptet, nur dokumentiert zu haben. Faktisch gestaltet und interpretiert sie aber das Ereignis neu, indem sie Material und Blickwinkel auswählt, indem sie schneidet, Musik beifügt etc.
35 Weitergehende Informationen Bette, Karl-Heinrich und Uwe Schimank (2006): Doping im Hochleistungssport. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Schwier Jürgen (Hg.) (2002): Mediensport: Ein einführendes Handbuch. Hohengehren: Schneider. Lamprecht, Markus und Hanspeter Stamm (2002): Sport zwischen Kultur, Kult und Kommerz. Zürich Seismo. Lamprecht und Stamm Sozialforschung und Beratung / Observatorium Sport und Bewegung Schweiz L&S und BASPO /
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