Patientenwunsch in der guten Psychiatrie Ethik und Patientenverfügung. Psychiatrische Klinik Zugersee, Oberwil Daniela Ritzenthaler 4.2.
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1 Patientenwunsch in der guten Psychiatrie Ethik und Patientenverfügung Psychiatrische Klinik Zugersee, Oberwil Daniela Ritzenthaler
2 Inhalt Einführende Worte Verschiedene Instrumente: Psychiatrische und somatische Patientenverfügungen, Behandlungsvereinbarung Rechtliche Aspekte Inhalte von Psychiatrischen Patientenverfügungen Hinweise zum Erstellen / Beraten / Umsetzen Offene Fragen / Diskussion
3 Dialog Ethik ist religiös und politisch unabhängig, arbeitet nicht gewinnorientiert, doch nach unternehmerischen Grundsätzen. Tätigkeiten: - Patientenverfügung HumanDokument - Ethische Entscheidungsfindungsverfahren in Spitälern - Ethik-Bildung von Fachpersonen im Gesundheitswesen Wir sind ein interdisziplinäres Team
4 Definition von Ethik
5 Einleitende Bemerkungen Historische Betrachtungen Ethisches Fundament
6 Definition Patientenverfügung Schriftliche Willensäusserung für zukünftige Situationen, in welcher ich festhalte, wie ich medizinisch behandelt werden möchte, wenn ich einmal nicht mehr urteilsfähig sein sollte
7 Arten von Patientenverfügungen Somatische Patientenverfügung vs. Psychiatrische Patientenverfügung Gemeinsamkeiten: Treten erst bei Urteilsunfähigkeit in Kraft Eine urteilsfähige Person erstellt sie (höchstpersönliches Recht)
8 Warum Patientenverfügungen?
9 Entscheidungszwang
10 Patientenverfügung Soll für die schwierige Entscheidungssituation Klarheit geben: Alle Partner können unter Umständen profitieren: Patient Arzt Angehörige
11 3 Grundsätze Welche Therapie ist dem einzelnen Patienten angemessen? Patientenzentriertheit «Entscheidungszwang» Gemeinsam getragene Verantwortung für die Entscheidung zwischen Arzt, Patient & evtl. vertretungsberechtigten Personen (Angehörige)
12 Ethisches Fundament Selbstbestimmungsrecht des Patienten Medizinische Massnahme als Eingriff in die psychische und physische Integrität (Art. 28 ZGB) Ohne aufgeklärte Zustimmung (informed consent) des urteilsfähigen Patienten ist die Behandlung widerrechtlich. Absolutes Abwehrrecht von medizinischen Therapien (in der somatischen Medizin)
13 Ausnahmen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen: Epidemiengesetzgebung Zwangsbehandlungen bei FU Europäisches Übereinkommen Menschenrechte und Biomedizin: «Bei einer Person, die an einer schweren psychischen Störung leidet, darf eine Intervention zur Behandlung der psychischen Störung nur dann ohne ihre Einwilligung erfolgen, wenn ihr ohne die Behandlung ein ernster gesundheitlicher Schaden droht.» (Art. 7)
14 Patientenverfügung Selbstbestimmung als Abwehrrecht Einwilligung in eine medizinische Massnahme/Therapie muss vorliegen In der somatischen Medizin: ein (urteilsfähiger) Patient kann jede Therapie ablehnen. In der Patientenverfügung kann diese Ablehnung vorweggenommen werden. Analogie in der Psychiatrie?
15 Psychiatrische Patientenverfügung Ethische Fragen: Darf der Patient in einer Patientenverfügung alle (medikamentösen) Therapien ablehnen? Wie weit geht das Abwehrrecht in der psychiatrischen Patientenverfügung? Ist das Abwehrrecht identisch in der somatischen Medizin und in der Psychiatrie?
16 Sinn der PPV: Sicht der Klinik Traumatische Erfahrungen bei FU verhindern Instrument zur Prävention von Zwang Zwang wird reduziert, indem die Patienten durch die PPV und durch das Wissen, dass ihre Wünsche berücksichtigt werden, früher in die Klinik eintreten Häufigkeit und Schwere von negativen Erfahrungen vermindern Dank PPV das Machtgefälle verkleinern, für Betroffene etwas gegen Ohnmachtgefühle tun Vertrauen in die Behandlung & die Arzt- Patientenbeziehung zu stärken
17 Aus der Sicht des Patienten Wünsche bekanntmachen Schlechte (und gute) Erfahrungen aufschreiben Verbesserung der Therapie (Auseinandersetzung mit der Krankheit) Mehr Sicherheit und Verlässlichkeit im Behandlungsablauf Entlastung für die Angehörigen So ist es in Notfallsituationen einfacher, Entscheidungen zu treffen und umzusetzen
18 Fazit / Wunsch Kommunikationsinstrument Gespräch zwischen Experten (Patient/Arzt) Partnerschaft: Betroffene/ Behandelnde/Angehörige
19 Verschiedene Vorsorgeinstrumente Gegenüberstellungen
20 Aktuelle Situation PPV: Bisher in der Schweiz relativ wenig verwendet Wenn die Kommunikation schwierig ist Abwehrrecht des Patienten bestimmte Behandlungen abzulehnen Gewisse Unsicherheiten bestehen
21 Gegenüberstellung PV / PPV Inhalte Somatische Patientenverfügung Medizinische Massnahmen einfordern oder ablehnen (oft am Lebensende) Psychiatrische Patientenverfügung Wünsche betreffend Massnahmen und Therapie (z.b. Einwilligung oder Ablehnung bestimmter Therapieformen cf. Genfer Fall) Vorlagen Viele Formulare Wenige Vorlagen Bekanntheitsgrad Rechtlicher Rahmen Relativ weit verbreitet Patientenverfügung verbindlich (Art. 370 ZGB) Zur Zeit rel. wenig bekannt und verwendet Patientenverfügung berücksichtigen (Art.435)
22 PPV und Behandlungsvereinbarung Gemeinsamkeiten: Schriftliches Dokument im Hinblick auf eine Situation der Urteilsunfähigkeit Dieselben Ziele: Behandlung soll für den Patienten verbessert werden Selbstbestimmung fördern
23 PPV und Behandlungsvereinbarung Unterschiede: Behandlungsvereinbarung Patientenverfügung Zweiseitig (Betroffener, Institution) Gilt in der unterzeichnenden Institution Rechtlich keine besondere Regelung, Auftrag gemäss Obligationenrecht (Art. 394 bis 406 OR) Diskussion & Einigung Einseitig (Betroffener) Gilt vom Ort unabhängig ZGB ESR Art Unabhängigkeit
24 Rechtliche Aspekte
25 Verbindlichkeit Das Erwachsenenschutzrecht gibt dem Patienten das Recht, mit einer PV eine verbindliche Zustimmung oder Nichtzustimmung zu einer bestimmten Behandlung zu geben. Diese hohe Verbindlichkeit wird bei einem FU relativiert: eine PPV ist nur zu berücksichtigen Was heisst dies? PPV ist Teil der Entscheidung Von der PPV darf nur abgewichen werden, wenn der Zweck des FU bei Befolgung der PPV vereitelt würde
26 Der Genfer Fall 1995, Genfer Verwaltungsgericht Frau K, wegen schwerer psychischer Krankheit 10 Mal in der Psychiatrischen Universitätsklinik Genf hospitalisiert 2 dieser Behandlungen erfolgten durch FFE gegen ihren Willen (inkl. die nachfolgende medikamentöse Behandlung) Nach diesem Aufenthalt verfasste sie eine PPV
27 Der «Genfer Fall» II Sie sprach sich darin gegen eine weitere Behandlung mit diesem Medikament aus. Sie gab aber ihr Einverständnis, nötigenfalls in einem Isolierzimmer eingeschlossen zu werden. Die Klinik reagiert mit Verständnis, behielt sich jedoch im Falle einer selbstgefährdenden Situation eine Behandlung mit dem entsprechenden Medikament gegen den Willen der Patientin vor. Das Verwaltungsgericht stützte in Folge den Standpunkt der Patientin und wies die Klinik an, deren Willen zu respektieren
28 Formvorschriften Schriftlichkeit Datum und Unterschrift Weitere wichtige Punkte: Möglichkeit, den Hinterlegungsort auf der Versichertenkarte der Krankenkasse speichern zu lassen Bestätigung der Urteilsfähigkeit im Moment der Erstellung (SAMW-Richtlinien) Regelmässige Aktualisierung
29 Was nicht in der Patientenverfügung verlangt werden kann Unter allen Umständen zu Hause zu bleiben (FU vermeiden) Behandlungen zu erhalten, die nicht anerkannt sind Problem der Einforderung Noch umstrittener als das absolute Abwehrrecht ist das Einforderungsrecht: wie weit geht es? Aktive Sterbehilfe & Suizidbeihilfe
30 Psychiatrische Patientenverfügung Darf der Patient in einer Patientenverfügung alle medikamentösen Therapien ablehnen? Ist das Abwehrrecht identisch in der somatischen Medizin und in der Psychiatrie? Wie weit geht das Abwehrrecht in der psychiatrischen Patientenverfügung? Ablehnung muss soweit es geht berücksichtigt werden (cf. Genfer Fall)
31 Inhalte von psychiatrischen Patientenverfügungen
32 Wichtigste Inhalte der PPV Personalien Bestätigung der Urteilsfähigkeit Bestimmung einer vertretungsberechtigten Person Angaben zu Alternativen zu einer Klinikeinweisung Angaben zu Wünschen bei der Wahl der Klinik
33 Wichtigste Inhalte der PPV Angaben zur psychiatrischpsychotherapeutischen Behandlung Angaben betreffend soziale Kontakte und Weitergabe von Informationen Unterzeichnung & Aktualisierung
34 Aufgabe der vertretungsberechtigten Person Sie erhält Informationen über den gesundheitlichen Zustand sowie über die Prognose zum weiteren Verlauf der Erkrankung. wird von den Ärzten bei der Erstellung des Behandlungsplans beigezogen. kann und soll gegenüber der Klinik die Patientenverfügung vertreten und bei offenen Fragen den mutmasslichen Willen des Patienten einbringen. erhält bei einer Zwangsbehandlung zusätzlich zum Patienten deren schriftliche Anordnung und kann sie selbständig beim Gericht anfechten. kann bei einer fürsorgerischen Unterbringung selbständig das Gericht anrufen
35 Therapien und Massnahmen Bisher haben mir folgende Therapien oder unterstützende Massnahmen gut getan Bisher haben mir folgende Therapien oder Massnahmen nicht gut getan Ich wünsche und gebe die Zustimmung zu folgenden Therapien oder unterstützenden Massnahmen
36 Einverständnis medikamentöse Therapie Name Medikament Max. Dosis gewünschte Verabreichungsform gewünschte Tageszeit 1. Wahl 1. Wahl 2. Wahl 2. Wahl
37 Hinweise zum Erstellen / Beraten
38 Zu berücksichtigen beim Erstellen der PPV Die Art der Erkrankung Die Art der Behandlung Die Erfahrungen des Betroffenen Umfeld und Umgebung Vorhandene Institutionen und ihre Behandlungspolitik (aus: Broschüre Patientenverfügungen Kanton Fribourg, S.17)
39 Vorgehen beim Erstellen einer PPV Eine Chronologie früherer Krisen erstellen (Ablauf, Schwierigkeiten, Hilfreiches) Eine Liste der Ressourcenpersonen erstellen (Private und Helfernetz), mit deren Rollen Die Etappen einer Krise beschreiben Wege beschreiben, wie diese Etappen bewältigt werden können Für jede Etappe Ressourcenpersonen oder eine allgemeine vertretungsberechtigte Person ernennen (Aus: Patientenverfügungen im Kanton Fribourg, S.18)
40 Wichtige Hinweise beim Erstellen Betroffene ermuntern, sich Gedanken über die guten und schlechten Erfahrungen zu machen Ihre Wünsche schriftlich formulieren (vorgedrucktes Formular erleichtert dies) Gespräche führen mit Fachpersonen (z.b. niedergelassener Psychiater/Psychologin) Mit Angehörigen
41 Grenzen der PPV Eine PPV kann und soll das persönliche Gespräch nicht ersetzen. Persönliche Wünsche, Einstellungen und Lebensumstände verändern sich. Aktualisierung (z.b. Medikation) Die Patientenverfügung stellt keine Garantie dar, dass man als Betroffener die gewünschte Behandlung erhält. Sie macht aber klar, welchen Behandlungen der Betroffene zustimmt und welche er ablehnt. Manchen Betroffenen bietet die Psychiatrie Schutz vor Überforderung. Eine PPV eine Überforderung darstellen Sie muss im richtigen Moment erstellt werden
42 Erfolg der PPV oder BV
43 Ökonomische Zwänge
44 Wünsche des Patienten und Compliance
45 Was für eine Vorsorgeinstrument spricht: Patientenwunsch wird ernst genommen Compliance steigt Vertrauen in die Psychiatrie durch Empathie und Ernstnehmen des Patienten Haltung!
46 Behandlungsvereinbarung oder Patientenverfügung Beide haben Vor- und Nachteile. Schlussendlich ist die Haltung des Arztes / Personals in der Klinik das Zentrale: «Wir wollen den Patienten unterstützen, damit er möglichst nach seinen Wünschen behandelt wird und dass schlechte Erfahrungen nicht wiederholt werden.»
47 Erfolgsfaktoren Vernetztes Vorgehen: Lernen aus der Somatik Advance Care planning Meint: Mit dem Umfeld über PPV reden: Angehörige (wenn möglich) einbeziehen Behandelnder ambulanter Psychiater informieren und sich beraten lassen In der Klinik vor dem Austritt eine BV erstellen: Erfahrungen auswerten und für die Zukunft vorsorgen
48 Dies heisst für «Professionals»: Organisation Abläufe in der Klinik überprüfen: werden im Austrittsgespräch Fragen zu den Erfahrungen & Wünschen des Patienten aufgenommen & dokumentiert Individuum (Psychiater) Haltung gegenüber dem Patienten: Wünsche ernstnehmen & dokumentieren «Gesellschaft»: Vernetzte Psychiatrie (Kliniken, ambulante Grundversorger) Bräuchte es politische Arbeit zur Versorgungssicherung?
49 Quellen Projekt Psychiatrische Patientenverfügung Pro Mente Sana/Dialog Ethik Patientenverfügungen in der Schweiz (Naef, Baumann, Ritzenthaler) Referat Jürg Gassmann in Zürich (USZ) Das neue Erwachsenenschutzrecht (Rosch et al.) Patientenverfügungen in der Psychiatrie im Kanton Freiburg (Kanton Fribourg)
50 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt: Tel
51 Psychiatrische Patientenverfügung Ist das Abwehrrecht identisch in der somatischen Medizin und in der Psychiatrie? Wenn nein: Wie weit geht das Abwehrrecht in der psychiatrischen Patientenverfügung? Wie weit kann der Patient auch Wünsche einfordern? Wie weit geht, das Einforderungsrecht?
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