oben, wo alles luftig leicht und spielend einfach anmutet. Es gibt aber auch Engel, die bei uns auf der Erde leben, wo alles in bunte Farben getaucht

Transkript

1 Engel auf Erden Das Märchen Engel auf Erden soll einerseits Kindern eine mögliche Erklärung für den scheinbar unüberwindlichen Verlust eines Elternteiles geben, andererseits kann es ebenso ein Bild sein für den Partner, der mit den Kleinen zurück bleibt. Es gibt Engel, die leben weit oben am Firmament zwischen unzählig vielen glitzernden Sternen und dem Mond, der über sie wacht. Dort, wo nachts alles wunderbar dunkelblau ist und morgens, wenn die Sterne schlafen gehen, die Wolken aufwachen, um im Hellblau des Himmels ihren Tanz zu beginnen. Dort

2 oben, wo alles luftig leicht und spielend einfach anmutet. Es gibt aber auch Engel, die bei uns auf der Erde leben, wo alles in bunte Farben getaucht ist: in rosa Himbeereis, gelbe Sonnenblumen oder braune Schokokuchen. Diese Engel sehen beinahe aus wie ganz normale Menschen, weil sie Arme und Beine haben und ihre Flügel so durchsichtig sind, dass wir sie mit unseren bloßen Augen gar nicht erkennen. Sie haben lange, lockige Haare, die glänzen wie helles Gold und so gut riechen, dass wir am liebsten darin versinken möchten. Und sie haben die größten und blausten Augen, die so schön sind, dass es nur sehr schwer vorstellbar ist so schön wie ein riesiger Diamant in einem klaren Gebirgsbächlein vielleicht. Schade nur, dass diese Engel sehr sehr rar und damit ausnehmend kostbar sind. Niemals wäre es ihnen gestattet nur zum reinen Vergnügen bei uns zu sein. Nein. Sie haben immer eine außergewöhnliche Mission zu erfüllen. Leider erfahren wir Lebewesen nur zu selten von den Aufgaben, die sich dahinter verstecken. Gewiss ist nur, dass es allzeit um die Liebe geht. Derartig engelgleiche Wesen haben unerschöpflich viel von ihr in sich und die 2

3 wenige Zeit, die sie bei uns zubringen dürfen, leben sie sonach umso intensiver und empfindsamer, als das normale Erdenbürger jemals zu tun vermögen. Üblicherweise verlieben sich diese Engel in einen Menschen. Beide sind dann füreinander das Wunderbarste auf der ganzen Welt. Und nicht selten erwachsen aus dieser makellosen Art der Liebe kleine Sprösslinge, die ebenso gutherzig und auf ihre Weise vollkommen sind aber das erkennt nicht jeder auf den ersten Blick. Das ist sehr ähnlich wie mit den Flügeln der Engel, die auch erst dann sichtbar werden, wenn sie diese besonders zarten und zerbrechlichen Kreaturen brauchen, um sich in den Himmel zu erheben. Und wenn das passiert, werden wir über alle Maßen traurig und glauben, diesen Verlust niemals zu überleben. Doch das stimmt nicht denn Engel lassen keine Geschöpfe zurück, von denen sie nicht sicher wissen, dass sie es ganz alleine schaffen. Weil sie stark und mutig sind und mit ihnen gemeinsam alle Fähigkeiten entwickelt haben, die sie brauchen, um auf der Welt zu bestehen. Niemand weiß, warum sie tatsächlich gehen müssen, aber sicherlich gibt es dafür stets einen sehr konkreten Grund, denn andernfalls 3

4 würden sie nicht so handeln. Dennoch scheint sich der ganze Kosmos zu verfinstern, wenn so ein lieb gewonnener Engel von uns geht. Manchmal sind wir darüber so wütend, dass wir schreien und alles zerschlagen möchten. Ein anderes Mal sind wir so unglücklich, und unser Herz spannt sich so unermesslich, dass es zu zerplatzen droht und wir zu nichts mehr fähig sind, als zu weinen. Wir wähnen uns in der Leere der Endlosigkeit, in dem der Kummer nie wieder versiegt ist er doch überdies das letzte, das uns noch mit ihnen verbindet. Dennoch wird es allmählich immer erträglicher, weil unsere Engelmenschen in Wirklichkeit gar nicht weg gehen. Sie sind als richtige Engel viel öfter und viel dichter bei uns, als wir uns das ausmalen können. Zugleich enträtselt sich hier auch das Geheimnis ihrer Leichtigkeit: Sie sind so hell und strahlend schön und dermaßen filigran, dass sie mit ihren Flügeln so geschwind fliegen können, dass sie imstande sind uns überall hin zu folgen sogar dann, wenn wir in einem Flugzeug fahren oder mit dem Auto über die Straßen sausen. Sie können es immer schneller. Und sie geben Acht auf uns, dass wir in der trostlosen Unendlichkeit 4

5 nach ihrem Verschwinden keine zu großen Torheiten begehen und auch, dass uns in dieser Zeit nichts unwiederbringlich Böses passiert. Sie werden zu unseren Schutzengeln, die ständig über uns wachen. Wenn wir nur ganz fest an ihre unversiegbar große Liebe glauben, gelingt es uns vereinzelt sogar, sie zu erblicken oder ihre Nähe zu spüren. Dann fühlt es sich an, als ob sie uns in den Arm nehmen und über uns hinaus heben so wie damals, als sie noch als Menschen lebten. Und manchmal helfen sie dem Schicksal ein kleines Bisschen nach, und zaubern Situationen herbei, die uns nicht von unserem Weg abkommen lassen. Sie beobachten uns Tag und Nacht. Daran müssen wir immer denken, wenn eine Wolke vorbei springt oder ein Stern bezaubernd schön blinzelt oder sich ein Windhauch ganz besonders an uns drückt. Impressum Text: Petra Müller, Bild: Nele Neisser Traumstatt, 5