LIEBE JELENA SERGEJEWNA
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- Jakob Bauer
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1 Ljudmila Rasumowskaja LIEBE JELENA SERGEJEWNA (Dorogaja Elena Sergeevna) Stück in zwei Teilen Aus dem Russischen von Susanne Rödel 1
2 henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1996 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. 2
3 PERSONEN Jeléna Sergéjewna, Lehrerin Ljálja } Páscha Schüler der 10. Klasse Vítja Volódja 3
4 ERSTER TEIL Einzimmerwohnung der Lehrerin Jelena Sergejewna. Abend. Es klingelt. Jelena Sergejewna öffnet die Tür. In der Tür stehen drei junge Männer und ein Mädchen mit einem riesigen Blumenstrauß. Die vier sind ihre Schüler. Schüler Guten Tag, Jelena Sergejewna! Guten Abend, Jelena Sergejewna! Mein Gott... Kinder... Sie?... Entschuldigen Sie, ich habe nicht erwartet... Jelena Sergejewna!... (Unterbricht ihn.) Im Namen und im Auftrag... Ruhe. Sagt mal, seh ich aus wie ein Idiot?... (Eindringlich.) Liebe Jelena Sergejewna! Im Namen und im Auftrag der Klasse 10 b, die an der Schwelle eines unbekannten, aber ganz sicher großartigen Lebens steht, gestatten Sie mir, Ihnen zum Geburtstag zu gratulieren und Ihnen, liebe Jelena Sergejewna, soviel Glück zu wünschen wie dieser Frühlingsstrauß Blumen enthält, Erfolge in der Arbeit und stabile, ich würde sogar sagen, kernige Gesundheit zu wünschen, um noch weitere Generationen solcher Rabauken wie wir zu erziehen. Mit einem Wort hoch soll sie leben! Hurra! (Alle bekräftigen die Ansprache und klatschen.) (Überreicht ihr den Strauß.) Gestatten Sie, auf die Wange, Jelena Sergejewna. Ich auch, ich auch, Jelena Sergejewna! Herzlichen Glückwünsch! Herzlichen Glückwünsch, Jelena Sergejewna. Das ist auch für Sie. (Überreicht ihr ein Paket.) Jelena Sergejewna, von ganzem Herzen! Ich gratuliere! (Küßt ihr die Hand und überreicht ihr ein Veilchensträußchen.) (Pause. Jelena Sergejewna fängt plötzlich an zu weinen.) Schüler Jelena Sergejewna! Was haben Sie! Wir meinen es doch ehrlich! Von ganzem Herzen! Von der ganzen Klasse, Jelena Sergejewna! Ehrlich!... 5
5 Meine Lieben... Sie... Sie können sich einfach nicht vorstellen... was Sie mir... daß Sie mir... (Wischt sich die Tränen ab.) Ich danke Ihnen... Jelena Sergejewna, wieso regen Sie sich so auf? Wir meinen es doch ehrlich! Na?... Sonst fangen wir auch an zu heulen. Jelena Sergejewna! Na, Sie Gute! Nicht weinen. Hören Sie auf, ja? Ist gut,, ist gut. Kommt nicht wieder vor. Aber wie haben Sie das... herausbekommen? Wir haben so unsere Kanäle! (Lächelt.) Erstaunlich... Kommen Sie herein, bitte. Vielen Dank, liebe Jelena Sergejewna, wir haben keine Zeit. Die Prüfungen, Sie wissen selbst... Was denn für Prüfungen,? Sie haben doch heute erst bei mir Mathematik geschrieben. Ich laß Sie nicht weg. Das ist uns peinlich... Wir halten Sie bloß auf... Vielleicht kriegen Sie Besuch... Was für Besuch,?... Meine Mutter liegt im Krankenhaus... ich erwarte keinen Besuch... Nein, abhauen kommt nicht in Frage. Ich lasse Sie nicht! Gut, Jelena Sergejewna, vielen Dank. Wir bleiben ein bißchen. Nur machen Sie bitte keine Umstände. Na wunderbar... Die Blumen stellen wir in die Vase..., holen Sie mal eine aus der Anrichte dort... Und was ist das? (Endlich bemerkt sie das Paket, das sie die ganze Zeit nicht aus den Händen gelegt hat.) Das ist für Sie. Ein Geschenk. Von der Klasse. (Schüttelt den Kopf.) Sowas auch... Sie kommen auf Ideen... (Wickelt das Paket aus.) Was soll das?... (Stolz.) Das sind Weingläser. Kristall! Sechs Stück! Sie sind verrückt geworden! (Wickelt sie wieder ein.) Na, Jelena Sergejewna! Na, Sie Gute!... 6
6 Wissen Sie, wieviel so etwas kostet?... Soviel Geld auszugeben für ein Lehrergeschenk... Wissen Sie, das gehört sich einfach nicht! Sowas gehört sich nicht, wenns Bestechung ist. Aber wir meinens doch ehrlich. (Etwas verwirrt.) Ja?... Trotzdem... das kann ich nicht... Ich schwör es! Bei Gott! Von ganzem Herzen! Ich verstehe, Kinder... Aber, Ehrenwort, ich kann nicht! Na seht ihr, ich habs ja gesagt! Heute muß man mit Büchern kommen! Büchern! Vorbestellung für die Dostojewski-Ausgabe! Aber nein, wir kommen mit Gläsern an! Was sollen wir jetzt tun, wegschmeißen? Haben Sie Erbarmen, Jelena Sergejewna! (Fest.) Das ist nicht gut, Jelena Sergejewna. Die Klasse wird beleidigt sein. (Durcheinander.) Aber... Sie haben doch das Geld von Ihren Eltern bekommen... Was werden die von uns Lehrern denken? Nichts Schlechtes!... Hören Sie auf damit, Jelena Sergejewna, unsere Eltern sind in Ordnung, ein Dreier ruiniert die nicht. Also nehmen Sie! (Stellt die Gläser auf dem Tisch auf.) Die klingen aber! Sie haben mich ganz durcheinander gebracht, mir ist richtig schwindlig... Ich geh und hol was zum Tee... Bleiben Sie sitzen... Hier sind Bildbände... Plattenspieler... ich habe großartige Platten, Novélla Matwéjewa, Okudsháwa... Kann ich Ihnen helfen? (Sie gehen gemeinsam hinaus. Pause.) Ich glaube, sie hat angebissen, ja? ( zuckt die Schultern.) Die sind doch alle eine Sorte. Einmal im Lehrerzimmer hab ich gehört, wie sie um Zusatzstunden gebeten hat. Für zehn Rubel mehr ein solches Gezeter! 7
7 , kriegst du von deinen Alten wegen der Gläser einen dollen Einlauf? Ist doch für eine gute Sache! Wenn sie es erfahren sagen sie noch danke. Ist ja nicht jeden Tag... Leider ist das erst der Anfang. Im Leben, mon cher, muß man ständig rüberreichen... Ich möchte eure Aufmerksamkeit dennoch darauf lenken die ist mit Geschenken nicht zu kaufen. Solche Leute muß man mit Mitleid packen. Mein Alter sagt, wenn jemand nichts nimmt, heißt das du gibst einfach zu wenig. Wir müssen alle Varianten durchprobieren. Schließlich hat jeder Mensch seinen Schwachpunkt. Man muß ihn nur richtig bestimmen und zur rechten Zeit aufs Knöpfchen drücken: Sesam öffne dich... In der Küche. Gemütlich haben Sies. Was ich mir am meisten wünsche, ist eine eigene Wohnung. Wir wohnen immer noch in einer Gemeinschaftswohnung, stellen Sie sich das vor! Das Zimmer ist zwar groß, hohe Decke und so... Die Wurst in den Salat?... Unser Haus wird überhaupt demnächst rekonstruiert, aber Mutti und ich kriegen soundso eine Einzimmerwohnung, weil wir zwei Frauen sind... Käse ist im Kühlschrank? Wohnung ist das Problem des Jahrhunderts. Ja, leider... Mit der Mutter in einem Zimmer wohnen, ist nicht gerade ein Geschenk Gottes, stimmts? Wieso... Kosten Sie mal. (Reicht ihr einen Löffel Salat.) Wenn man sich gut verträgt... 8
8 Wie soll man sich gut vertragen, wenn man in einem Zimmer wohnt? Wissen Sie, man fühlt sich wie ein vollwertiger Erwachsener, aber man wird behandelt wie ein Kind. Das ist total belastend. Ich weiß nicht, ich hab mein Leben lang mit meiner Mutter gewohnt, ich kann mir einfach nicht vorstellen... Dann will sie einen noch belehren. Ich lese Nabókow in Englisch, und sie belehrt mich. Lächerlich! Na gut... Ist zwar kein üppiger Imbiß... Ich bitte Sie, Jelena Sergejewna! Als ob der Imbiß das wichtigste wäre! Das wichtigste sind die menschlichen Beziehungen. Güte. Aufrichtigkeit. Sonst, Sie wissen ja, manchmal biegt sich der Tisch, aber man kriegt keinen Bissen runter. (Sie gehen ins Zimmer.) Na, Jungs, wie gehts? Langweilig? und ich haben Salat zubereitet. Jelena Sergejewna, wie auf Kommando! (Holt eine Flasche Sekt hervor.) Oje, Sie dürfen doch nicht! (Lacht.) Wer hat Ihnen das gesagt, Jelena Sergejewna? Nein-nein! Auf keinen Fall! Stecken Sie ihn weg. Na, sagen Sie mal! Sie haben Einfälle! Eine Flasche für eins, zwei, drei, für fünf Mann! Männer!... Sie sind aber noch Kinder. Jelena Sergejewna, Sekt dürfen sogar Kinder trinken. Große Kinder... richtig große... Alle Mann hinsetzen! Alle Mann an den Tisch! (Sie setzen sich.) Achtung! (Der Korken fliegt an die Decke. Gekreisch.) Los schneller!... Jelena Sergejewna, Ihr Glas...!... (Gießt ein.) 9
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