Was der Volksmund in einem Sprichwort verpackt...

Transkript

1 Sprichwörterforschung 24 Was der Volksmund in einem Sprichwort verpackt... Moderne Aspekte des Sprichwortgebrauchs - anhand von Beispielen aus dem Internet von Gulnas Umurova 1. Auflage Was der Volksmund in einem Sprichwort verpackt... Umurova schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Peter Lang Bern 2005 Verlag C.H. Beck im Internet: ISBN Inhaltsverzeichnis: Was der Volksmund in einem Sprichwort verpackt... Umurova

2 Einleitung Sprichwörter haben mein Interesse geweckt, als mir deren Fähigkeit bewusst wurde, dank ihrer erstaunlichen Flexibilität in situativen Kontexten Handlungen auf indirekte Weise zu vollziehen. Kontextfrei betrachtet wirken Sprichwörter eigentlich relativ banal. Sie zeigen eine andere Sichtweise eines jeweiligen Sachverhalts auf und berücksichtigen unterschiedliche Seiten dieses Sachverhalts. Sie vermitteln uns, dass es noch andere Überlegungen und Perspektiven bezüglich eines Sachverhalts gibt. Einige Sprichwörter passen sich dem neuen Sprachgebrauch gut an und erfüllen die Sprachbedürfnisse der sozialen Gemeinschaft, so dass sich ihre Inhalte nicht als Banalitäten, sondern als in Alltagssituationen praktikable Einsichten erweisen. Kontextfrei gesehen enthalten Sprichwörter Instruktionen und Hinweise für das Handeln im Alltag. Erst die Kontexte, in denen sie eingesetzt werden, verwandeln ihre hinweisenden Inhalte in sprachliche Handlungen. Sprichwörter haben die semantische Eigenschaft, Meinungen, Einstellungen, Erkenntnisse und Gedanken zwar treffend, aber trotzdem schonend zu übermitteln, da sie auf Dinge und Personen nicht direkt, sondern nur indirekt Bezug nehmen. Die vorliegende Untersuchung geht der heutigen Verwendung von Sprichwörtern in Internettexten nach. Zu diesem Ziel werden meine Ausführungen folgendermassen strukturiert sein: Im ersten Kapitel des theoretischen Teils geht es um die begrifflichen und methodischen Grundlagen. Zuerst werden einige Definitionen präsentiert, die den Untersuchungsgegenstand Sprichwort von unterschiedlichen Standpunkten aus betrachten. 13

3 Zudem wird das Sprichwort von anderen sprichwortähnlichen Gattungen abgegrenzt. Im darauf folgenden Abschnitt wird auf die Geschichte und die diachronen Funktionen von Sprichwörtern eingegangen. Danach werden die Ziele und Aufgaben der vorliegenden Arbeit ausführlich dargelegt. Die These dieser Arbeit ist, dass Sprichwörter unverändert in ihrem tradierten Wortlaut mehrere Funktionen ausüben können, sei es in einem einzigen Kontext oder in unterschiedlichen Kontextzusammenhängen. Dies bedeutet, die Form eines Sprichworts zwar unverändert bleibt, während dessen die Bedeutung vom konkreten Gebrauch im situativen Kontext abhängt. Im nächsten Abschnitt wird die verwendete Untersuchungsmethode dargestellt und begründet. Dabei werden die verschiedenen Variablen herausgefiltert, die den Gebrauch des Sprichworts auf unterschiedliche Weise beeinflussen. Anschliessend wird das untersuchte Textkorpus erläutert, das sich aus deutschsprachigen Internettexten zusammensetzt. Hierbei wird auch auf die verwendeten Textkriterien und das Internet als Datenquelle eingegangen, d.h. es wird aufgezeigt, wiedasderarbeitzugrundeliegendetextkorpuszusammengestellt worden ist. In diesem Zusammenhang werden kurz die spezifischen Eigenschaften und Eigenheiten des Internets und der darin verfügbaren Texte beschrieben. Als letztes wird im ersten Kapitel der aktuelle Forschungsstand in der Parömienforschung dargelegt. Im zweiten Kapitel des ersten Teils werden die semiotischen Aspekte des sprichwörtlichen Gedankens beleuchtet, die die sprachlichen Mittel, die Thematik und den Wandel in der Wahrnehmung (den Bedeutungswandel in einem abstrakten Sinn) dieser Denkmodelle aufzeigen. Im dritten Kapitel des theoretischen Teils wird zuerst das semantische Potenzial des Sprichworts expliziert, dessen Weis- 14

4 heitsanspruch und metaphorisches Denkkonzept analysiert. Zur Erklärung der semantischen Eigenschaften von Sprichwörtern wird die von Saussure entwickelte Zeichentheorie herangezogen. Da diese jedoch das semantische Potenzial von Sprichwörtern nicht erschöpfend erklärt, werden zur Erläuterung zusätzlich Situationsmodelle bei Permjakov verwendet. Das dritte Kapitel behandelt zuletzt das Konzept im Sprichwortinhalt. Sprichwörter werden darin als metaphorische Ausdrücke dargestellt und analysiert. Das vierte und letzte Kapitel des ersten Teils untersucht Sprichwörter unter dem Aspekt der Pragmatik. Dabei wird der verwendete Handlungsbegriff erklärt, wofür die Sprechakttheorie von Austin herangezogen wird. Es zeigt sich, dass Sprichwörter je nach Situation unterschiedliche pragmatische Funktionen erfüllen. Sie übernehmen im kontextuellen Zusammenhang illokutive Funktionen und können so im Sprachsystem ihren Platz als soziale Sprechhandlungen, Anweisungssätze und auch als indirekte Sprechakte behaupten. Als indirekte Sprechakte sind Sprichwörter nicht nur wörtlich, sondern auch im übertragenen Sinn zu verstehen. Damit leisten sie einen Beitrag zur reibungslosen und angenehmen menschlichen Interaktion. Der zweite Teil der Arbeit mit den Kapiteln fünf bis sieben befasst sich mit der Analyse des Sprichwortgebrauchs im situativen Kontext und ist der empirische Teil der vorliegenden Untersuchung. Immer wenn die Funktionen von Sprichwörtern in Gebrauchskontexten analysiert werden, ist zu beachten, wo genau im Text Sprichwörter von den Sendern verankert sind, da je nach ihrer Position im Text und der Textsorte ihre kommunikativen Fähigkeiten unterschiedlich ausfallen. Zunächst werden im fünften Kapitel Sprichwörter im Originalton und deren okkasionelle Modifikationen beleuchtet. Danach werden die Verwendungen von Sprichwörtern in Titel, Vorspann, An- 15

5 fang, Mitte und Ende von Texten untersucht sowie ihre Funktionen in diesen Textstellen analysiert. Obwohl Sprichwörter als unabhängige Äusserungen gelten, müssen sie derart in einen Gebrauchskontext eingebettet werden, dass sie mit dem aktuellen Kontext zusammenhängen. Aus diesem Grund werden im sechsten Kapitel die Besonderheiten der kontextuellen Einbettung von Sprichwörtern dargelegt. Dabei wird aufgezeigt, wie Sprichwörter durch adverbiale Phrasen, satzwertige Konnektoren und lexikalische Konnektoren in den jeweiligen Kontext integriert und mit dem Gesamtinhalt eines Textes verbunden werden. Sprichwörter erweisen sich als vielfältig funktionell und können in einzelnen Gebrauchskontexten eine reiche Palette von Illokutionen wahrnehmen. Diese sprechakttheoretisch ausgerichtetenfunktionenwerdenanhandausgewählterbeispiele aus dem Untersuchungskorpus erfasst und im siebten Kapitel exemplarisch dargelegt. Die Arbeit wird mit dem achten Kapitel abgeschlossen, welches die herausgearbeiteten Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungsarbeit zusammenfasst. Abschliessend sollen hier noch einige praktische Erwägungen zum Korpus der Beispiele und zur sprachlichen Gleichbehandlung der Geschlechter angebracht werden: Als kohärent gelten die Belege nur dann, wenn sie die situativen wie auch die kontextuellen Gegebenheiten mit berücksichtigen. Daraus folgt, dass die Belege zu den Sprichwörtern nicht zu knapp zitiert werden sollten, sondern eingebettet in einen Kontext, so dass ihre funktionale Zielgerichtetheit daraus erkennbar wird. Nur der Kontext lässt dies ersichtlich werden. Aus diesem Grund werden die aus dem Korpus herangezogenen Beispiele im Anhang mit ihrem vollständigen Kontext leserfreundlich präsentiert. Die Sprichwörter und die dazu gehörigen Belege sind durchnummeriert, so dass sie sich unter 16

6 derselben Nummerierung, aber bezogen auf den jeweiligen Gebrauchskontext, im Korpus leicht finden lassen. In der Arbeit wird die sprachliche Gleichbehandlung von Mann und Frau angestrebt, damit sich beide Geschlechter gleich angesprochen fühlen. Aufgrund der Überlegung, dass die parallele Anwendung der maskulinen und der femininen Form das Verständnis erschweren und den Gedanken unterbrechen würde, wurde darauf verzichtet. Um jedoch der Gleichbehandlung in der Sprache gerecht zu werden, werden abwechslungsweise die maskuline, die feminine und die neutrale Pluralform verwendet. In jedem einzelnen Fall sind dabei beide Geschlechter miteinbegriffen. 17