Wann ist Erziehung gut? Bereiten wir unsere Kinder richtig auf die Zukunft vor?
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- Emma Gerber
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1 Wann ist Erziehung gut? Bereiten wir unsere Kinder richtig auf die Zukunft vor? Prof. Dr. Rainer Dollase Universität Bielefeld, Abt. Psychologie Evangelische Akademie Recklinghausen Recklinghausen, den 7.Mai 2007
2 Nicht hospitieren - selber machen (1)
3 Nicht hospitieren - selber machen (2)
4 Gliederung 1. Erziehung im Umbruch? 2. Wie wächst ein Mensch auf? 3. Kernpunkte der Erziehung
5 1. Erziehung im Umbruch?
6 Warum soll die Erziehung im Umbruch sein? 1. Die Kinder ändern sich nicht, aber die Einstellungen und erzieherischen Verhaltensweisen der Erwachsenen. 2. Es gibt einen Überlieferungsbruch in der Erziehung und falsche Informationen über Erziehung (Banalitätsund Anciennitätsvorwurf) Überinformation mit erzieherischen Ratschlägen - aus Enzyklopädien lernt man keine gute Erziehung (Heuristiken) 3. Die Verkollektivierung der Erziehung löst vielleicht die Betreuungsprobleme, produziert aber neue Probleme. 4. Die Erziehung dient unausgesprochen dem Wettbewerb aller gegen alle - eine Funktion, die Erziehung und ihre Folgen pervertiert.
7 Ändern sich Kinder? 1. Die biologische und psychologische Funktionsweise von Kindern ändert sich nicht 2. Nicht alle Umweltänderungen verändern die Kinder - nur wenn sich sensible Bereiche ändern, verändern sich die Kinder 3. Kinder sind in vielen Bereichen umweltoffen programmiert - Sprache, Informiertheit, Mode, Reichtum- Armut, Spielzeug etc. ändert sich
8 Bedeutungslehre Jakob von Uexküll,1956,96ff
9 Ändern sich Gesellschaft und Erwachsene? Erwerbsbeteiligung der Erwachsenen höher Eigeninteresse der Erwachsenen größer geworden - Interesse an Kindern sinkt Orientierung in einer globalen, schnelllebigen Welt schwieriger Erwachsene wissen nicht mehr, was sie ihren Kindern empfehlen sollen - die Zukunft ist ungewiss
10 Wertediskrepanz Lehrer und Schüler religiös sein BJ H Gehorsamkeit J H B was zu sagen haben JH B Ehrgeizig sein H J B Sauberkeit JH B Wohlstand J H B Erfolg haben J H B Sicherheit JH B Bescheidenheit BJ H Leben genießen H J B Schutz der Umwelt B JH abwechslungsreiches Leben HJ B unabhängig sein HB J soziale Gerechtigkeit BH J Hilfsbereitschaft BH J Toleranz B H J Ehrlichkeit HB J Frieden B HJ 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4 4,5 5 5,5 6 B J H Lehrer (ca.85) Schüler SI (ca.175) Schüler SII (ca.225)
11 Folgen der verstärkten Kollektivbetreuung von Kindern...
12 Probleme der Kollektiverziehung 1. Die Herstellung von Bindung ist erschwert 2. Das kleine Kind ist ein Cliquenwesen 3. Sprach- und Denkentwicklung erfordert Interaktion mit Erwachsenen 4. Individuelle Unterschiede der Kinder bezüglich Eignung für Gruppe 5. Kollektive und Aggression
13 Sprechen und Rechnen lernt man mit Erwachsenen Harper,L.V./Huie,K.S. Child Development, 1987
14 Lehrkräfte und Mitschüler als Ärgernisse
15 Fazit Kinder ändern sich in ihrer psychischen Struktur nicht Erwachsene und Gesellschaft ändern sich rasant und Erwachsene passen sich an Wegen ungewissen Zukunft wissen sie nicht mehr sicher, was siue ihren Kindern mitgeben sollen Die Verkollektivierung der Erziehung löst das grundlegende Problem nicht, sondern schafft neue Probleme
16 2. Wie wächst ein Mensch auf?
17 Ein Modell - Wie wächst ein Mensch auf? (1) 1. Ziel der Entwicklung: ein realistisches Bild von der Welt und sich selbst haben - und damit wirksam im eigenen Interesse handeln können 2. Kinder und Jugendliche entwickeln sich nach einem evolutionären Programm - Tricks der Evolution sind die Angewiesenheit auf Bezugspersonen und die angeborene Selbständigkeit in der Informationsaufnahme 3. Kinder und Jugendliche nehmen alle Informationen auf, die sie für relevant und richtig halten - Glaubwürdigkeit der erziehenden Erwachsenen ist also wichtig
18 Ein Modell -Wie wächst ein Mensch auf? (2) 1. Kinder und Jugendliche sind sowohl zur selbständigen Erkundung der Umwelt als auch auf das Lernen durch Bezugspersonen und andere programmiert 2. Sie lernen deshalb selbständig und durch Anleitung/ Anregung von Bezugspersonen und Gleichaltrige 3. Manche Fakten,Probleme, Denkweisen können Kinder und Jugendliche nicht durch selbständiges Lernen oder durch Gleichaltrige erlernen 4. Fremdgesteuerte Lern- und Bildungsprozesse sind deshalb genauso normal wie selbstgesteuerte 5. Die Bewertung, was sinnvoll im Sinne der besseren Daseinsbewältigung ist, trifft das Kind. Glaubwürdigkeit der Informationsquelle ist entscheidend.
19 Wer erzieht also unsere Kinder? wir alle TV, Medien, Eltern, Gleichaltrige (Harris), Klassenkameraden, andere Erwachsene, Lehrkräfte empirisch haben alle etwa eine identisch hohe Korrelation mit dem Erziehungserfolg (z.b. Ausbleiben von Aggressivität, r ca..20) 19
20 Empirischer Beleg Der autoritative Erziehungsstil - eine Kombination aus Führung und Herzlichkeit hat gegenüber allen anderen Erziehungsstilen die besten Resultate Er erzeugt ein Maximum an Glaubwürdigkeit
21
22 Neue Konzepte guided participation epistemic authorities consense implies correctness (Kruglanski u.a. 2006)
23 3. Kernpunkte der Erziehung
24 Erziehung richtig einordnen Kernpunkte der Erziehung 1. Erziehung braucht Zeit 2. Erziehung ist nicht nur Erziehung 3. Erziehung erreicht nicht alles Erziehung ist Beziehung 4. Kinder und Jugendliche haben Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen 5. Kinder und Jugendliche brauchen Bezugspersonen und Bindung 6. Kinder und Jugendliche brauchen Akzeptanz,Empathie, Kongruenz Erziehung ist Hilfe zur Lebensbewältigung 7. Kinder und Jugendliche benötigen ein realistisches Selbst- und Weltbild 8. Kinder und Jugendliche lernen auf verschiedenen Wegen 9. Kinder und Jugendliche brauchen bei der Lebensbewältigung Hilfe
25 Erziehung richtig einordnen 1. Erziehung braucht Zeit (Organisation des Alltags in der Familie - Verhinderung von Schlüsselkindern - psychologische Verringerung der Gruppengröße in Tageseinrichtung und Schule - Kollektivierung reduzieren) 2. Erziehung ist nicht nur Erziehung (räumliche Umgebung, Material, gemeinsame Erfahrungen mit den Erziehungspersonen, Vermehrung der nichtpädagogischen Interaktionen, funktionale und heimliche Erziehung) 3. Erziehung erreicht nicht alles (Sisyphosmentalität, Schicksalsakzeptanz, Grenzen der Erziehung, Erziehung als Wahrscheinlichkeit, Erziehung als existentielle Herausforderung)
26 Die neuen Temperamentsdimensionen* 1. Aktivität- Passivität 2. Regelmäßigkeit biologischer Funktionen vs. Unregelmäßigkeit 3. Annäherung - Vermeidung (Hemmung) 4. Anpassungsvermögen 5. Sensorische Reizschwelle (hoch - niedrig) 6. Stimmungslage (negative - positive Emotionalität) (7. Intensität,später weggefallen) (8. Ablenkbarkeit 9. Ausdauer = zusammengelegt) 7. Aufmerksamkeit/Ausdauer * nach Zentner, M. Die Wiederentdeckung des Temperaments, Fischer TB,1999
27 Die Big Five (nach Borkenau u.a.) Extraversion - Introversion Soziale Verträglichkeit - Unverträglichkeit Gewissenhaftigkeit - Nachlässigkeit Emotionale Stabilität - Instabilität Intellekt/Offenheit - unwissend, ungebildet
28 Erziehung ist Beziehung 4. Kinder und Jugendliche haben Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen (Mangelmotive wie Geltungs- und Zugehörigkeitsbedürfnisse müssen vor Entfaltungsmotiven wie Wissens- und Selbstverwirklichungsmotiven befriedigt werden) 5. Kinder und Jugendliche brauchen Bezugspersonen und Bindung (prompte und lebensalterliche Angemessenheit der Reaktion auf Bedürfnisse und Probleme) 6. Kinder und Jugendliche brauchen Akzeptanz,Empathie und Kongruenz ( Wertschätzung, Einfühlungsvermögen und Verständnis sowie echte, fassadenfreie Persönlichkeiten, Vorbilder, Reversibilität)
29 Bedürfnishierarchie (nach Maslow) 1. Physische Bedürfnisse: Überlebensbedürfnis, Sicherheitsbedürfnis 2. Soziale Bedürfnisse: Zugehörigkeitsbedürfnis, Geltungsbedürfnis 3. Leistungsbedürfnisse: Wissens- und Verständnisbedürfnis, Könnensbedürfnis 4. Ästhetische Bedürfnisse 5. Selbstverwirklichung
30 Die Grundlage: Bindung schaffen (Bindungstheorie: Bowlby, Ainsworth, Spangler &Zimmermann, Grossmann, Klaus und Karin) Eine sichere Bindung stellt sich dann ein, wenn die Bedürfnisse prompt und angemessen beantwortet werden Aus einer sicheren Bindung erfolgt eine Loslösung (Selbständigkeit) Zwischenstufe: die Satellitenbeziehung Die Herstellung von sicherer Anfangsbindung ist wichtig für erfolgreiches Lernen
31 Der alltägliche Umgang: Akzeptanz, Empathie, Kongruenz Begegnung von Mensch zu Mensch (Carl Rogers - Lernen in Freiheit; Tausch/Tausch - Erziehungspsychologie) 1. Akzeptanz = Achtung, Wärme, Rücksichtnahme 2. Empathie = nicht wertendes, einfühlendes Verstehen 3. Kongruenz =Echtheit, Fehlen von Fassadenhaftigkeit
32 Erziehung ist Hilfe zur Lebensbewältigung 7. Kinder und Jugendliche benötigen ein realistisches Selbst- und Weltbild (eigene Fähigkeiten richtig einschätzen können, die Umwelt, die soziale Umgebung angemessen verstehen erzeugt Handlungsfähigkeit, Vermeidung von Illusionierung und Desillusionierung) 8. Kinder und Jugendliche lernen auf verschiedenen Wegen (durch selbständige Auseinandersetzung mit Umwelt, durch Anleitung und Belehrung, durch Information, durch Herausforderung und Zielsetzung, durch Entwicklungsaufgaben, durch Bindung geschieht lernen) 9. Kinder und Jugendliche brauchen bei der Lebensbewältigung Hilfe (die Selbständigkeit kann problematische Folgen haben, Gruppen sind oft ein Entwicklungsrisiko,Probehandlungen laufen schief, Schicksalsschläge müssen überwunden werden)
33 Die Methoden der Überzeugung (nach Robert Cialdini, 1998) 1. Mit anderen im Ausgleich leben wollen: es ist mir unangenehm, auf Kosten anderer zu leben, wer mir was gibt, dem gebe ich zurück 2. Verpflichtungen einhalten: wer A sagt, muß auch B sagen, wenn ich etwas versprochen habe, halte ich mich daran 3. Tun, was sich bewährt hat: alle tun es, alle haben es, es hat großen Erfolg, es gibt tolle Vorbilder, deswegen tue ich es auch 4. Sympathischen Menschen folgen: war attraktiv, hat mich gelobt, war kooperationsbereit, deswegen tue ich es auch 5. Kompetenten Ratgebern folgen: besaß fachliche Autorität, wußte genau Bescheid, hat alles richtig vorhergesagt, deswegen tue ich es
34 Fazit Erziehung ist eine evolutionäre Notwendigkeit. Sie ist keine Manipulation, Formung etc. sondern eine begleitende Beziehung des Heranwachsenden bei seiner selbständigen Auseinandersetzung mit sich und der Umwelt. Der Heranwachsende will ein realistisches Selbst- und Weltbild erwerben, damit er wirkungsvoll handeln kann. Erziehung ist umso einflussreicher je glaubwürdiger sie zeigen kann, daß ihre Inhalte zur wirkungsvollen Auseinandersetzung führen. Einfluß gewinnt man auch durch Beziehung, Kompetenz, Bindung und Sympathie zum Heranwachsenden
35 Wann ist Erziehung gut? - Wenn sie glaubwürdig ist... Bereiten wir unsere Kinder richtig auf die Zukunft vor? - Wenn wir die Zukunft richtig kennen...
36 Ende
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