4 Gabriel A. Almond/Sydney Verba
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- Ida Geisler
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1 4 Gabriel A. Almond/Sydney Verba Gabriel Almond/G. Bingham Powell, Comparative Politics: A Developmental Approach, Boston/Toronto Gabriel A. Almond, Politische Systeme und politischer Wandel, in: Wolfgang Zapf (Hrsg.), Theorien des sozialen Wandels, Königstein i.ts. 1979, S Klaus Faupel, Zu Almonds und Eastons Versionen des input-output-schemas und zum dominanten Systemkonzept bei Almond: Eine logische Analyse, in: Dieter Oberdörfer (Hrsg.), Systemtheorie, Systemanalyse und Entwicklungsländerforschung. Einführung und Kritik, Berlin 1971, S Samuel E. Finer, Almond s Concept of The Political System : A Textual Critique, in: Government and Opposition (1969/70), S Arno Waschkuhn, Politische Systemtheorie. Entwicklung, Modelle Kritik. Eine Einführung, Opladen Hans-Joachim Lauth Gabriel A. Almond/Sydney Verba, The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations, Princeton 1963 (VA: Paperback-Ausgabe, Prince ton 1965). Die Untersuchung von Gabriel Almond und Sydney Verba zur Civic Culture ( Bürgerkultur ) ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie politische Ereignisse und intellektuelle Strömungen bei der Entstehung eines bahnbrechenden politikwissenschaftlichen Werkes zusammenwirken. Eine wesentliche Antriebskraft für die Autoren war die Geschichte des 20. Jahrhunderts mit ihren totalitären Tendenzen in Deutschland, Russland und auch Italien. Dabei spielt Deutschland eine besondere Rolle. Die weltweite Kenntnis über die Ermordung der Juden in Vernichtungsfabriken warf die Frage auf, wie entgegen aller Erwartung eine solche totalitäre Perversion in einem Kulturvolk möglich war. So lag die Notwendigkeit, sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit der Frage der Stabilität demokratischer Herrschaft zu befassen, als Thema für die Politikwissenschaft gleichsam auf der Hand. Almond und Verba fanden an der Ostküste der USA ideale intellektuelle Voraussetzungen vor, um sich dieser Thematik anzunehmen. In einem 1980 veröffentlichten Rückblick (Almond/Verba 1980) benannte Almond vier Strömungen, die für die wissenschaftliche Grundlegung der Civic Culture von Bedeutung waren; 1. Theorien der Aufklärung und des Liberalismus, die in ihrer erwarteten positiven Dynamik durch die genannten totalitären Strö-
2 Gabriel A. Almond/Sydney Verba 5 mungen und Ereignisse infrage gestellt wurden, 2. die europäische Soziologie und dabei besonders die durch Talcott Parsons in die USA hinein vermittelten Theorieperspektiven Max Webers ( Weber 1922), 3. die Sozialpsychologie und dabei besonders die Arbeiten von Samuel Stouffer u.a. zum American Soldier und von Theodor Adorno u.a. zur Autoritären Persönlichkeit ; und 4. die Psychoanthropologie. Dabei gilt Almond das Aufkommen der modernen wissenschaftlichen Umfrageforschung als der catalytic agent (S. 15), in dem sich die vier Strömungen als Forschungsprogramm zur Politischen Kultur kristallisiert haben. In ihrer Einführung zur Civic Culture betonen Almond und Verba zum einen, dass ihr Interesse bei der Analyse der politischen Kultur, also bei den Einstellungen zur Politik und nicht zu anderen gesellschaftlichen Teilsystemen wie etwa der Religion oder der Wirtschaft liegt. Der sozialpsychologischen Fundierung ihres Ansatzes folgend, konzeptualisieren sie politische Kultur als eine psychologische Orientierung gegenüber Objekten: When we speak of the political culture of a society, we refer to the political system as internalized in the cognitions, feelings and evaluations of its population (S. 13). Politische Kultur muss sich nicht notwendigerweise auf Nationalstaaten beziehen. Der Bezug auf Nationalstaaten liegt aber nahe, denn diese bilden die verfassungsmäßigen und rechtlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer ihre Bürger politisch handeln. Den Arbeiten und Konzepten Parsons folgend, unterscheiden die Autoren kognitive (Wissen), affektive (Gefühle) und evaluative (Bewertungen) Orientierungen gegenüber politischen Objekten. Diese Objekte werden in das politische System allgemein, die Inputstrukturen (Formulierung von Forderungen, z.b. durch politische Teilhabe), die Outputstrukturen (Ergebnisbezogenheit) und die eigene Rolle (Selbstbild im politischen Prozess) differenziert. Die Autoren hielten allerdings ihre theoretischen Differenzierungen in der empirischen Analyse nicht durch. So sind auch die Schritte nicht klar, über die sie zu ihren drei Typen Politischer Kultur kommen: 1. die Kirchturmskultur (Parochialkultur), in der keines der genannten vier Orientierungsobjekte positiv besetzt ist; 2. die Untertanenkultur (Subjektkultur), in der die Outputdimension dominiert; 3. die Teilhabekultur, in der alle Objektdimensionen positiv besetzt sind. Almond und Verba hielten dabei eine stark partizipationsorientierte Politische Kultur für problematisch, weil sie nur schwer kompromissfähig sei und sich ständig im Prozess hoher Irritierbarkeit befinde. Sie sprachen sich demgegenüber für den Mischtyp der civic culture aus. In der civic culture ersetzen partizipatorische Orientierungen nicht die
3 6 Gabriel A. Almond/Sydney Verba Subjekt- und Parochialorientierungen, sondern werden mit diesen kombiniert. The maintenance of these more traditional attitudes and their fusion with the participant orientations lead to a balanced political culture in which political activity, involvement, and rationality exist but are balanced by passivity, traditionality, and commitment to parochial values (S. 30, Hervorhebung im Original). Aus der Verbindung der drei Orientierungs- und der vier Objekttypen ergibt sich eine zweidimensionale Matrix. Bei der Analyse von politischer Kultur sind nach Almond und Verba die Zellen dieser Matrix systematisch mit Ergebnissen aus repräsentativen Bevölkerungsumfragen zu füllen. Dieses Ziel haben die Autoren in der Civic Culture verfolgt, wenn auch nicht komplett erreicht. Kommerzielle Agenturen befragten im Auftrag von Almond und Verba in den Jahren 1959/1960 in fünf Ländern jeweils ca Personen (ergänzt um ein halbes Jahr später erhobene ca. 100 qualitative Nachinterviews pro Land). Während die Entscheidung für die USA, Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland dem theoretischen Konzept entsprach, stellten Italien und vor allem Mexiko gegenüber der ursprünglich geplanten Auswahl von Frankreich und Schweden einen unbefriedigenden Kompromiss dar. Wenn die Daten nach heutigem Maßstab als unterausgewertet gelten müssen, dann ist zu bedenken, dass die Auswertungen mit Lochkarten auf Fachzählsortiermaschinen durchgeführt werden mussten. Auf der Grundlage der 1959 erhobenen Daten attestierten Almond und Verba den Deutschen eine subjekt- und outputorientierte Perspektive und stellten eine skeptische Prognose für die Stabilität der deutschen Demokratie. Diese Diagnose war zu der Zeit durchaus zutreffend, und man kann im Rückblick nur die diagnostische Weitsicht der Autoren bewundern. Nichts drückt das besser aus als die Aussage von Verba in einem 1965 veröffentlichten Beitrag zur politischen Kultur Deutschlands: For the growth of a democratic political culture Bonn needs what Weimar did not have time. (Verba 1965, S. 169). Natürlich hatte die Umfrageforschung in den USA bereits vor dem Zweiten Weltkrieg und in Europa spätestens danach einen festen Platz mit ständig verbesserten methodischen Standards eingenommen. In der Politikwissenschaft stand diese Forschungstechnik allerdings noch am Anfang und fand ihren Niederschlag zunächst in der Wahlforschung. Mit der Civic Culture haben Almond und Verba schon früh einen Standard in der international vergleichenden politikwissenschaftlichen Umfrageforschung gesetzt, der lange Zeit nur durch sie selber (vor allem durch Sidney Verba) überboten worden ist (Verba/Nie/Kim 1978). In einem umfassenden systemtheo-
4 Gabriel A. Almond/Sydney Verba 7 retischen Ansatz ist durch die Civic Culture erstmals ein wohldefinierter Platz für die politischen Einstellungen der Bürger geschaffen worden, der als Mikroperspektive aus der politikwissenschaftlichen Forschung nicht mehr weg zu denken ist. Almond und Verba ist vorgeworfen worden, für sie sei politische Kultur eine unabhängige Variable gegenüber den politischen Institutionen. Tatsächlich stand den Autoren jedoch stets vor Augen, dass politische Kultur und politische Struktur sich gegenseitig beeinflussen. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass Untersuchungen der Politischen Kultur komparativ und längsschnittlich angelegt sein müssen. Und die methodische Kritik, die Scheuch erstmals 1968 an der Civic Culture geäußert hat, als er die Gefahr des individualistischen Fehlschlusses im Sinne der Generalisierung von Mikrobefunden auf die Makroebene des politischen Systems beschwor, ist heute ebenfalls sehr wohl verstanden. Civic Culture ist eine Pionierstudie. Die Kritik muss sich daher in erster Linie gegen Protagonisten richten, die es versäumten, den ursprünglichen Ansatz systematisch weiterzuentwickeln und zugelassen haben, dass Politische Kultur zu einem Begriff für alles mögliche verkommen ist. Das Konzept der Politischen Kultur diskutierten in erster Linie amerikanische Sozialwissenschaftler, ohne dass daraus ein zusammenhängendes Forschungsprogramm entstanden wäre. Im Kontext der internationalen Politikwissenschaft nimmt in historischem Blickwinkel die Civic Culture einen herausgehobenen Platz ein (siehe u.a. Goodin/Klingemann 1996, S. 15, 31, 32). Die deutsche Rezeption der Civic Culture zeigt ein eigentümliches Gesicht (siehe dazu Kaase 1983). Nach dem Erscheinen des Buches 1963 war das Echo gering. Es hatte somit zunächst keinen Einfluss auf die deutsche Politikwissenschaft. Bezeichnend ist, dass das Buch nie in die deutsche Sprache übersetzt worden ist. Lediglich Scheuch (1968) setzte sich mit der Civic Culture vor allem methodologisch ausführlich auseinander. Erst zu Beginn der 1980er Jahre erfuhr das Konzept der Politischen Kultur ein überraschendes Revival, das seinen Höhepunkt zum einen 1981 in Diskussionsforen der Politischen Vierteljahresschrift und zum anderen in der Gründung des Arbeitskreises Politische-Kultur-Forschung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft 1982 gefunden hat, der inzwischen schon längere Zeit in dieser Form nicht mehr existiert (siehe dazu Berg-Schlosser/Schissler 1987). Politische Kultur wird weiter als catch-all term benutzt und die theoretisch-analytische Fundierung des Begriffs und vor alle seine systematische Fundierung sind nicht vorangekommen. So bleibt die Civic Culture ein singuläres Monument politikwissenschaftlicher Theorie und Forschung. Ent-
5 8 Hannah Arendt scheidende Anstöße gehen von der Studie bis heute eher indirekt auf die zeitgenössische politikwissenschaftliche Umfrageforschung aus, die allerdings auch ohne einen analytisch fundierten Begriff von Politische Kultur auskommen kann. Literatur: Gabriel A. Almond/Sidney Verba (Hrsg.), The Civic Culture Revisited, Boston Dirk Berg-Schlosser/Jakob Schissler (Hrsg.), Politische Kultur in Deutschland. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Opladen Robert E. Goodin/Hans-Dieter Klingemann (Hrsg.), A New Handbook of Political Science, Oxford Max Kaase, Sinn oder Unsinn des Konzepts Politische Kultur für die Vergleichende Politikforschung, oder auch: Der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln, in: Ders./Hans-Dieter Klingemann (Hrsg.), Wahlen und politisches System, Opladen 1983, S Erwin K. Scheuch, The Cross-cultural Use of Sample Surveys: Problems of Comparability, in: Stein Rokkan (Hrsg.), Comparative Research across Cultures and Nations, Den Haag 1968, S Sidney Verba/Norman H. Nie/Jae-on Kim, Participation and Political Equality. A Seven- Nation Comparison, Cambridge Sidney Verba, Germany: The Remaking of Political Culture, in: Lucian W. Pye/ders. (Hrsg.), Political Culture and Political Development, Princeton 1965, S Max Kaase Hannah Arendt, The Origins of Totalitarianism, New York 1951 (DA: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, Frankfurt a.m. 1955; VA: 9. Aufl., München/Zürich 2003). Hannah Arendt, 1906 in Linden bei Hannover als Kind sozialdemokratisch engagierter Eltern jüdischer Herkunft geboren, in Königsberg aufgewachsen, promovierte nach einem Studium der Philosophie, Theologie und klassischen Philologie in Marburg (u.a. bei Martin Heidegger), Freiburg (bei Edmund Husserl) und Heidelberg mit einer Arbeit über den Liebesbegriff bei Augustinus (Betreuer: Karl Jaspers). Mit einem Stipendium der Notgemeinschaft
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