Unerwartete Ferienbegegnung Predigt zu Markus 7, am 6. September 2015 in Wädenswil

Transkript

1 ~ 1 ~ Unerwartete Ferienbegegnung Predigt zu Markus 7, am 6. September 2015 in Wädenswil Kanzellesung Markus 7, (Zürcher Bibel): Von dort aber brach er auf und begab sich in das Gebiet von Tyrus. Und er ging in ein Haus hinein und wollte, dass niemand es erfahre. Doch er konnte nicht verborgen bleiben, sondern sogleich hörte eine Frau von ihm, deren Töchterchen einen unreinen Geist hatte. Die kam und warf sich ihm zu Füssen. Die Frau aber war Griechin, Syrophönizierin von Herkunft. Und sie bat ihn, den Dämon aus ihrer Tochter auszutreiben. Da sagte er zu ihr: Lass zuerst die Kinder satt werden, denn es ist nicht recht, den Kindern das Brot wegzunehmen und es den Hunden hinzuwerfen. Sie aber entgegnet ihm und sagt: Herr, die Hunde unter dem Tisch fressen ja ohnehin von dem, was die Kinder fallen lassen. Und er sagte zu ihr: Um dieses Wortes willen geh, der Dämon ist aus deiner Tochter ausgefahren. Da ging sie nach Hause und fand das Kind auf dem Bett liegen, und der Dämon war ausgefahren. Liebe Gemeinde, Jesus macht Ferien am Mittelmeer. so könnte die Überschrift über diese Geschichte heißen. Denn Jesus reist fort aus seiner Heimat, fort auch aus dem Gebiet der Juden. Tyrus ist ein Stadtstaat am Mittelmeer. Heute gehört das Gebiet zum Libanon. Damals hieß es Syrophönizien. Doch wie komme ich darauf, dass Jesus dort Ferien machen wollte? Nun, es heißt im Text: Er ging in ein Haus hinein und wollte, dass niemand es erfahre. Ich entdecke keinen anderen Grund dafür als diesen: Jesus wollte seine Ruhe haben, sich erholen. Wenn er wahrer Mensch war, dann brauchte er

2 ~ 2 ~ auch Pausen, Erholung, ab und zu einen Tapetenwechsel, wie wir alle wenn möglich sogar Strand und Sonne. Doch nicht nur für Christen, auch für den Christus selber ist es oft gar nicht so einfach, die wohlverdiente Ruhe zu finden. Denn die Leute wissen, dass man dort Hilfe findet. Jesus wird jedenfalls in seiner Ruhe gestört durch eine Frau, die herausbekommen hat, um wen es sich handelt einen jüdischen Wanderprediger, der schon viele Menschen geheilt hat. So etwas spricht sich grenzüberschreitend herum. Jesus kann nicht so einfach inkognito bleiben. Diese Frau glaubt eigentlich nicht an den Gott Israels. Ihre Religion und Kultur ist eine andere. Aber sie hat eine kranke Tochter. Und für Mütter auf der ganzen Welt spielt es nicht so eine große Rolle, woher Hilfe für das eigene Kind kommt Hauptsache es kommt überhaupt Hilfe. Über die Krankheit der Tochter heißt es, sie habe einen unreinen Geist. Wir wissen nicht, welche Symptome damals so beschrieben wurden. Mit einem bösen Geist oder Dämon bezeichnete man Krankheiten, die weniger im körperlichen als im seelischen Bereich angesiedelt sind. Es könnte ein Anfallsleiden gewesen sein, eine Essstörung oder auch eine Depression. Mitten in seinen Ferien wird Jesus einmal mehr ganz konkret mit dem Leid dieser Welt konfrontiert. Und ich kann nicht davon absehen, dass auch heute zahlreiche Menschen mitten in ihren Ferien konkret mit dem Leid dieser Welt konfrontiert werden besonders dann, wenn sie ans Mittelmeer reisen. Zum Beispiel sind auf der griechischen Insel Lesbos in diesem Sommer Tausende von Touristen und Tausende von Flüchtlingen gleichzeitig angekommen. Das konnte nicht verborgen bleiben. Man konnte nicht verhindern, dass sie sich begegnen.

3 ~ 3 ~ Nicht nur Urlauber aus dem sogenannten christlichen Abendland, auch der Christus selber ist keineswegs begeistert über eine Störung der Ferienruhe. In unserem Fall ist Jesus sogar richtig sauer. Als sich die syrophönizische Frau sich ihm mit der Bitte um Hilfe vor die Füße wirft, schleudert er ihr die folgende Antwort entgegen: Lass zuerst die Kinder satt werden, denn es ist nicht recht, den Kindern das Brot wegzunehmen und es den Hunden hinzuwerfen. Diese Antwort ist ein starkes Stück. Sie ist so beleidigend, dass man das eigentlich nur mit dem Umstand erklären kann: Jesus war so müde und so gestresst, dass er sich nicht mehr richtig im Griff hatte. Man muss allerdings auch den Hintergrund dieser Antwort kennen: Jesus hat seine Berufung ursprünglich darin gesehen, dass er einen Auftrag an seinem eigenen Volk hat. Israel war das erwählte Gottesvolk. Den Juden sollte er das nahegekommene Reich Gottes verkündigen. Menschen anderer Völker hatte er bis zu dem Zeitpunkt, da er ihnen begegnete, nicht im Blick. Jetzt wird noch verständlicher, warum Jesus ins Ausland gereist war, um Ferien zu machen. Dort sah er für sich keinen Auftrag. Dort war er sozusagen nicht in der sonstigen Rolle. Dort so meinte er vielleicht konnte er wirklich abschalten. Und das Bedürfnis nach Abgrenzung war für ihn als Juden sogar ideologisch untermauert. Das bekommt die ausländische Frau nun zu spüren: Jesus redet wie meistens in einem Vergleich: Das Brot, also seine Zuwendung und Hilfe, ist für diejenigen da, die mit am Familientisch sitzen damit ist die jüdische Volksgemeinschaft gemeint. Die Nichtjuden, also alle Ausländer und Andersgläubigen, die sind wie Hunde, die gehören nicht an den Tisch. Also wird Jesus der Frau oder ihrer Tochter auch nicht helfen. Das Überraschende ist nun, dass die Frau sich durch diese Ablehnung und Beleidigung als Hund gar nicht beirren lässt. Sie geht sogar positiv auf den Vergleich ein, den Jesus gemacht hat, akzeptiert sozusagen, dass sie zu den

4 ~ 4 ~ Hunden gerechnet wird, wenn sie sagt: Herr, die Hunde unter dem Tisch fressen ja ohnehin von dem, was die Kinder fallen lassen. Diese Antwort ist äußerst geistvoll. Damit sagt die Frau: Ich finde mich ja damit ab, dass ich keinen Anspruch auf deine Hilfe habe. Aber so schnell lasse ich nicht von dir ab. Ich bin auch für die geringste Form von Zuwendung dankbar wie ein Hund, der die Krümel unter dem Tisch aufschleckt. Wenn es nur irgendwie meiner Tochter hilft. Und ich traue dir zu, dass dieses Geringste für uns mehr als genug ist. Mit dieser geistvollen Antwort hat die Frau ihren Gesprächspartner in der Tat überrumpelt. Jesus ändert seine Einstellung. Und er sagte zu ihr: Um dieses Wortes willen geh, der Dämon ist aus deiner Tochter ausgefahren. Da ging sie nach Hause und fand das Kind auf dem Bett liegen, und der Dämon war ausgefahren. Liebe Gemeinde, ich habe die Antwort der syrophönizischen Frau sehr bewusst geistvoll genannt. Denn ich meine: Hier hat der Heilige Geist Gottes für einmal nicht durch einen Christen, ja nicht einmal durch den Christus gesprochen, sondern durch eine fremde Frau aus einer anderen Religion und Kultur. Es kommt gar nicht selten vor, dass Gott zu den Seinen von außen her spricht und auf diese Weise ihren Horizont erweitert und sie auf den richtigen Weg zurückbringt. Das war offensichtlich auch bei Jesus der Fall. Worin genau besteht die Einstellungsänderung, die der Heilige Geist durch diese Frau bei Jesus bewirkt hat? Sie besteht nicht darin, dass der Christus oder auch die Christen sich nicht erholen dürften. Nur: Vom Blick für den Mitmenschen und von der eigenen Barmherzigkeit darf man sich nicht beurlauben. Beides ist möglich. Jesus kann die Frau nachhause entlassen, weil er nun weiß: Sein Vater im Himmel möchte die Tochter dieser Frau heilen. Da braucht er gar nicht selber mitgehen. Da kann er weiter Ferien machen.

5 ~ 5 ~ Seine Einstellungsänderung besteht aber in der Einsicht, dass das Leiden auf dieser Welt immer dasselbe ist. Das Leiden wird nicht kleiner, je weiter es weg ist. Es macht auch keinen Unterschied, ob ein Jude oder ein Nichtjude leidet. Genauso wie es keinen Unterschied macht, ob ein Christ oder ein Muslim leidet; auch nicht, ob es ein Schweizer oder ein Eritreer ist. Leiden, gerade auch seelisches Leiden, ist immer schlimm es ruft immer nach Erbarmen, nach Linderung und nach Heilung, wo immer es erlitten wird. Für Jesus ist diese Erfahrung eine von mehreren, die ihm deutlich gemacht haben: Er hat eine Berufung, einen Auftrag nicht nur an seinem eigenen Volk, sondern darüber hinaus. Gottes Horizont ist größer er erwählt nicht nur die Juden, sondern auch die Menschen aus anderen Völkern. Insofern gehören auch wir Europäer inklusive wir Schweizer nun zu den Hunden, die von dem leben, was die erwählten Kinder Gottes vom Tisch fallen lassen. All dies also ist in Bewegung gekommen, als Jesus Ferien am Mittelmeer machte. Und vielleicht ist ja noch bei anderen Menschen etwas in Bewegung gekommen, als sie in diesem Sommer am Mittelmeer waren und als sie dort vielleicht den Flüchtlingen begegnet sind. In der Zeitung habe ich gelesen von Sean Hofland, einem zweiundzwanzig Jahre alten Wirtschaftsstudenten aus Zürich. Er wollte eigentlich nur seinen ehemaligen WG-Mitbewohner auf Lesbos besuchen und Sonne und Strand auf der griechischen Insel genießen. Inzwischen hat er eine Hilfsaktion gestartet, seine Kontakte vor Ort und über facebook für eine Spendenaktion genutzt und verteilt jetzt auf Lesbos Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs an syrische Flüchtlinge.

6 ~ 6 ~ Die syrophönizische Frau. Die syrischen Flüchtlinge. Möge Gottes Geist durch den Mund der Fremden auch zu uns sprechen. Amen.