Philosophie / Psychologie / Pädagogik
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- Ingelore Kohl
- vor 7 Jahren
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1 Schweizerische Maturitätsprüfungen Winter 2013, Basel / Zürich-Oerlikon Gruppe/Nummer: Name/Vorname: Dieses Prüfungsset enthält die interdisziplinäre Aufgabe und die Aufgabe in Psychologie und Pädagogik Schwerpunktfach Philosophie / Psychologie / Pädagogik Autorenteam für diese Prüfungsunterlagen: Roland Latscha als Verantwortlicher Mit Brigitte Künzli, Dr. Christa Quitzau Empfehlung: Lösen Sie zuerst die interdisziplinäre Aufgabe und brauchen Sie dafür nicht mehr als 75 Minuten! Wir wünschen Ihnen viel Erfolg! Korrekturvermerk: Name des Korrektors / der Korrektorin: Erreichte Punktzahl: interdisziplinäre Aufgabe (maximal 12 Punkte): Fachaufgabe Ph (maximal 24 Punkte): Summe (maximal 36 Punkte): Lineare Skala: erreichte Punktzahl : maximale Punktzahl x (auf halbe und ganze Noten gerundet) 1
2 Schweizerische Maturitätsprüfungen Winter 2013, Basel / Zürich-Oerlikon Schwerpunktfach Philosophie / Psychologie / Pädagogik Interdisziplinäre Aufgabe Empfehlung: Lösen Sie zuerst diese interdisziplinäre Aufgabe und brauchen Sie dafür nicht mehr als 75 Minuten! 2
3 Interdisziplinäre Aufgabe Aufgabe 1 Jede Teilaufgabe hat maximal zwischen 2 und 3 Punkten, insgesamt können Sie 12 Punkte erreichen. Befolgen Sie die hier angegebene Reihenfolge der Aufgaben, und zwar unter Angabe der Aufgabennummern 1.1, 1.2, 1.3. Arbeiten Sie mit genauen Zitaten und Zeilenangaben, wo dies sinnvoll ist. Lesen Sie folgenden Textauszug aufmerksam durch: Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur (1930) Das Kultur-Über-Ich hat seine Ideale ausgebildet und erhebt seine Forderungen. Unter den letzteren werden die, welche die Beziehungen der Menschen zueinander betreffen, als Ethik zusammengefasst. Zu allen Zeiten wurde auf diese Ethik der grösste Wert gelegt, als ob man gerade von ihr besonders wichtige Leistungen erwartete. Und wirklich wendet sich die Ethik jenem Punkt zu, der als die wundeste Stelle jeder Kultur leicht kenntlich ist. Die Ethik ist also als ein therapeutischer Versuch aufzufassen, als Bemühung, durch ein Gebot des Über-Ichs zu erreichen, was bisher durch sonstige Kulturarbeit nicht zu erreichen war. Wir wissen bereits, es fragt sich hier darum, wie das grösste Hindernis der Kultur, die konstitutionelle Neigung der Menschen zur Aggression gegeneinander, wegzuräumen ist, und gerade darum wird uns das wahrscheinlich jüngste der kulturellen Über-Ich-Gebote besonders interessant, das Gebot: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. In der Neurosenforschung und der Neurosentherapie kommen wir dazu, zwei Vorwürfe gegen das Über-Ich des Einzelnen zu erheben: Es kümmert sich in der Strenge seiner Gebote und Gebote zu wenig um das Glück des Ichs, indem es Widerstände gegen die Befolgung, die Triebstärke des Es und die Schwierigkeiten der realen Umwelt nicht genügend in Rechnung bringt. Wir sind daher in therapeutischer Absicht sehr oft genötigt, das Über-Ich zu bekämpfen, und bemühen uns, seine Ansprüche zu erniedrigen. Ganz ähnliche Einwendungen können wir auch gegen die ethischen Forderungen des Kultur-Über-Ichs erheben. Auch dieses kümmert sich nicht genug um die Tatsachen der seelischen Konstitution des Menschen, es erlässt ein Gebot und fragt nicht, ob es dem Menschen möglich ist, es zu befolgen. Vielmehr nimmt es an, dass dem Ich des Menschen alles psychologisch möglich ist, was man ihm aufträgt, dass dem Ich die unumschränkte Herrschaft über sein Es zusteht. Das ist ein Irrtum, und auch bei den sogenannt normalen Menschen lässt sich die Beherrschung des Es nicht über bestimmte Grenzen steigern. Fordert man mehr, so erzeugt man beim Einzelnen Auflehnung oder Neurose oder macht ihn unglücklich. Das Gebot "Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst" ist die stärkste Abwehr der menschlichen Aggression und ein ausgezeichnetes Beispiel für das unpsychologische Vorgehen des Kultur-Über-Ichs. Das 3
4 30 35 Gebot ist undurchführbar; eine so grossartige Inflation der Liebe kann nur deren Wert herabsetzen, nicht die Not beseitigen. Die Kultur vernachlässigt all das; sie mahnt nur, je schwerer die Befolgung der Vorschrift ist, desto verdienstvoller ist sie. Allein wer in der gegenwärtigen Kultur eine solche Vorschrift einhält, setzt sich nur in Nachteil gegen den, der sich über sie hinaussetzt. Wie gewaltig muss das Kulturhindernis der Aggression sein, wenn die Abwehr der Aggression ebenso unglücklich machen kann wie die Aggression selbst! Die sogenannte natürliche Ethik hat hier nichts zu bieten ausser der narziss- tischen Befriedigung, sich für besser halten zu dürfen, als die anderen sind. Die Ethik, die sich an die Religion anlehnt, lässt hier ihre Versprechungen eines besseren Jenseits eingreifen. Ich meine, solange sich die Tugend nicht schon auf Erden lohnt, wird die Ethik vergeblich predigen. [Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur. Studienausgabe Band IX, Fragen der Gesellschaft Ursprünge der Religion, Frankfurt am Main 2000, S. 267f.] 1.1 Geben Sie dem Primärtext von Sigmund Freud ( ) einen Titel und begründen Sie Ihre Wahl (mit entsprechenden Hinweisen auf den Wortlaut des Textes)! (2 Punkte) Fassen Sie das Wesentliche des Textes thesenartig zusammen, indem Sie die zentralen Begriffe hervorheben und erklären! (3 Punkte) Vom britischen Schauspieler Peter Ustinow ( ) stammt der Ausspruch: "Gott sagt, ich soll meinen Nachbarn lieben; aber Gott kennt meinen Nachbarn nicht." Benutzen Sie diesen Ausspruch, um zu erklären, wieso Freud meint, das Über-Ich überfordere den Menschen mit seinen Ansprüchen. Benutzen Sie dabei das Freudsche Vokabular. (2 Punkte) Die Überforderung des Menschen durch das Über-Ich erzeugt nach Freud Widerstand, Neurose oder Unglück. Wie wird ein behandelnder Psychologe versuchen, dem entgegenzuwirken? (3 Punkte) 1.3 Welche Konsequenzen haben Freuds Erkenntnisse für eine Pädagogik, die die Zöglinge nicht nur an die Normen des Über-Ichs anpassen, sondern ihnen ein erträgliches, vielleicht sogar glückliches Leben ermöglichen? (2 Punkte) 4
5 Schweizerische Maturitätsprüfungen Winter 2013, Zürich-Oerlikon Schwerpunktfach Philosophie / Psychologie / Pädagogik Fachspezifische Aufgabe Psychologie / Pädagogik Für Kandidatinnen und Kandidaten mit mündlicher Prüfung in Philosophie! Empfehlung: Brauchen Sie für die fachspezifische Aufgabe 105 Minuten, also den grösseren Teil Ihrer Zeit! 5
6 Fachspezifische Aufgabe Aufgabe 2 Für diesen Teil der Prüfung Psychologie und Pädagogik haben Sie 105 Minuten Zeit. Jede Teilantwort hat zwischen 2 und 5 Punkten, insgesamt können Sie 24 Punkte erreichen. Lesen Sie folgenden Textauszug aufmerksam durch: Primärtext: Jean Piaget 5 10 Die Psychologie schwankt zwischen der Physiologie und der Logik hin und her. Zu dieser Folgerung führt uns der Vergleich der verschiedenen Erklärungstypen, die zwischen der Psycho-Reflexologie und der Denk-psychologie liegen. Einer kausalen und organizistischen Erklärung, wie sie sich aus der Physiologie ergibt, kann die geistige Realität nur entgehen, wenn man sie als System von Operationen auffasst, die untereinander durch notwendige Implikationen verbunden sind, d. h. nicht mehr durch die Kausalität. Die operative Notwendigkeit widersetzt sich also dem neurologischen Determinismus, und die Dualität dieser zwei Ebenen bestätigt sich in voller Klarheit, wenn das Subjekt die Stufe der intelligenten Deduktion und des moralischen Willens erreicht hat und wenn die spontane Deduktion über die Erfahrung der materiellen Realität hinausgeht und der Wille der Tyrannei der Bedürfnisse oder der elementaren Werte höhere Werte entgegensetzt Das Bewusstsein der Notwendigkeit erscheint erst am Ende der geistigen Entwicklung. Eine operative Psychologie muss davon ausgehen, dass das Subjekt auf dieser Endstufe dazu gelangt, die intellektuellen Operationen untereinander in Systeme zu gruppieren, welche die als notwendig erscheinenden Implikationen erzeugen, und dass das Subjekt durch affektive Operationen auch die Werte gruppiert nämlich durch den Willen. Sicher genügt dies jedoch nicht, um die ursprünglichen Stadien zu verstehen: Die psychologische Erkenntnis der logischen Beziehungen oder moralischen Gefühle ist ein zu schwaches Instrument, um im vorsprachlichen Bereich oder im Bereich der höheren Tiere, über deren wahrscheinliches Bewusstsein wir nichts wissen die Intelligenz oder das affektive Leben des Kindes zu untersuchen. Reduziert man die Psychologie auf den Bereich der operativen Implikationen, so scheint dies im ersten Augenblick das Forschungsfeld ungerechtfertigt einzuengen und das Wesentliche der geistigen Mechanismen zu verfehlen. [ ] 6
7 Die Frage der Beziehungen zwischen der Physiologie und der Psychologie stellt sich für eine operative Psychologie völlig anders als für eine substantialistische Psychologie. Für die letztere existieren von Anfang an ein Körper und ein Geist, wobei dieser mit allen Eigenschaften versehen ist, die ihn im Zustand der Vollendung definieren: Es handelt sich also nur noch darum, ihn im Verlaufe der ursprünglichen Stadien in virtueller oder potentieller Form zu begreifen. Die operative Psychologie hingegen muss genetisch sein, d. h. sie definiert den Geist durch die Notwendigkeit der Operationen, die der Geist ausführen kann, und sie kann nicht von Strukturen ausgehen, die a priori an der Quelle der Entwicklung gegeben sind, sondern wird erst am Ende dieser Entwicklung eine Notwendigkeit feststellen. Die Entwicklung besteht sodann in einer wirklichen Konstruktion, und das fundamentale Problem der operativen Psychologie besteht darin, zu erklären, wie diese Konstruktion möglich ist und wie sie vor sich geht. Erst in den schliesslichen Gleichgewichtszuständen zeigt sich die Beziehung der Physiologie und des Bewusstseins als Relation zwischen der materiellen Kausalität einerseits und einem System von reinen Implikationen andererseits, da nur die schliesslichen Operationen die Implikation im strengen Sinn des Wortes erreichen. 2.1 Geben Sie dem Primärtext von Jean Piaget ( ) einen Titel und begründen Sie die Wahl der Formulierung (mit entsprechenden Verweisen auf den Wortlaut des Textes)! (2 Punkte) 2.2 Formulieren Sie die Aussage des Primärtextes in Form von drei Thesen. (3 Punkte) Erklären Sie Piagets System der Operationen. Zur Hilfe können Sie u.a. folgende Begriffe verwenden: Äquilibration, Assimilation, Akkomodation; Reifung, Erfahrung, Erziehung, Objektpermanenz, Entstehung von Identität. (4 Punkte) Worin besteht das Neuartige der Gedanken des Schweizer Entwicklungspsychologen und Epistemologen Jean Piaget, wenn Sie an andere Strömungen in der Psychologie denken? (2 Punkte) Schildern und erläutern Sie ausführlich Piagets vier Stadien der kognitiven Ent- 7
8 wicklung. Unterscheiden Sie dabei deutlich zwischen den Vorgängen des präoperationalen Denkens und des formal-operativen Denkens. (5 Punkte) Entwickeln Sie aus Piagets genetischer Entwicklungspsychologie Leitlinien für die Pädagogik. (3 Punkte) Kontrastieren Sie eine auf den Gedanken von Piaget fussenden Pädagogik mit einer geisteswissenschaftlichen Pädagogik (Nohl), einer an Kunst orientierten Pädagogik (Steiner) und an Montessoris Reformpädagogik. (5 Punkte) 8
Philosophie / Psychologie / Pädagogik
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