Die Klinik für Suchtmedizin im St. Joseph-Krankenhaus, Berlin-Weißensee
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- Reinhold Gärtner
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1 Dr. med. Ute Keller Leitende Oberärztin St. Joseph-Krankenhaus Klinik für Suchtmedizin Gartenstr. 1, Berlin Tel: Die Klinik für Suchtmedizin im St. Joseph-Krankenhaus, Berlin-Weißensee Im St. Joseph-Krankenhaus, Berlin-Weißensee hat die Behandlung Suchtkranker eine lange Tradition, die bis in die 1920er-Jahre zurückreicht. Unser Therapiekonzept beruht auf dem Verständnis der Sucht als einer Krankheit, die vielfältige Ursachen hat und deren Hauptmerkmal die körperliche und seelische Abhängigkeit ist. So unterschiedlich die Entstehung einer Abhängigkeitserkrankung und die Einflüsse auf ihre Dauer sind, so differenziert und flexibel muss das Behandlungsspektrum sein. Daher haben wir ein auf die Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnittenes ambulantes, teilstationäres und stationäres Behandlungsangebot in unserer Klinik erarbeitet. Wir sehen uns als ein Bestandteil der Behandlung und Betreuung Suchtkranker, der durch viele weitere Angebote ergänzt wird. So ist es in unserem Hause selbstverständlich und wöchentliche Praxis, dass sich die unterschiedlichen Selbsthilfegruppen auf den Suchtstationen vorstellen und Patienten Mut machen, sich mit ihrer Abhängigkeit auseinanderzusetzen. Genauso ermutigen wir alle Patienten, so rasch wie möglich noch während des Aufenthaltes bei uns, ihre schon bekannte oder eine Selbsthilfegruppe ihrer Wahl aufzusuchen. Dieser Austausch unter Betroffenen ist von unschätzbarem Wert. Viele Patienten stehen nicht selten, wenn sie zu uns in die Klinik kommen, noch ganz am Anfang mit vielen Fragen zum Thema Sucht und Abhängigkeit. Sie sprechen nach diesen ersten Begegnungen mit ebenfalls Betroffenen oft von einer Entlastung ihrer eigenen Scham- und Schuldgefühle, ( ich bin doch kein Alki! nein, das ist niemand!). Das wir Mitarbeiter durch diese Besuche aus der Selbsthilfe einen Einblick in das hohe ehrenamtliche Engagement vieler Betroffener bekommen, ist ein weiterer Wert, den wir, besonders auf den Entzugsstationen zu schätzen wissen. Dabei lehnen wir den Ausdruck Drehtürpatient entschieden ab, bietet er doch nicht mehr als eine abstrakte und stigmatisierende Begrifflichkeit. 1
2 Als vor kurzem eine Patientin zur 120. Entzugsbehandlung kam, waren wir im Team uns lieber darüber einig, dass es gut ist, dass es sie noch gibt. Und dass sie immer noch bereit ist, trotz ihrer schweren Suchterkrankung weiter zu kämpfen und auf ihrer Heimatstation in unserer Klinik einen Ort gefunden hat, an dem sie seit mehr als 20 Jahren sich immer wieder erholen und neue Kraft schöpfen kann. Ab und zu sagen Patienten allerdings auch ganz offen, dass sie die Entgiftung lediglich als eine Pause vom Trinken verstehen. Hier bewährt sich die Patientengemeinschaft, in der sich die Betroffenen nicht selten sehr offensiv mit sich und den Anderen auseinandersetzen. Für die Mitarbeiter ist es im besonderen Maße eine Herausforderung, hier mittels motivierender Gesprächsführung eine Einsicht in Veränderungsnotwendig- aber auch Möglichkeiten zu versuchen. Es sind die täglichen und oft sehr persönlichen Geschichten der von Abhängigkeit in all ihren Facetten Betroffenen, die uns in unserem Engagement aber auch in der Flexibilität unseres Handelns herausfordern. Es ist das Wissen, dass nach wie vor zu wenig Betroffene oder deren Freunde und Angehörige adäquate Hilfe bei psychischen und Suchtproblemen erhalten oder erst spät in entsprechende Behandlungen kommen. Oft hören wir von Jahren der Hilflosigkeit und quälender Scham- und Schuldgefühle. Daher ist es für uns nicht nur Aufgabe, in der Klinik therapeutische Angebote vorzuhalten, sondern sowohl hier als an anderen Orten Menschen für die Wahrnehmung psychischer Probleme zu sensibilisieren und vor allem jungen Menschen Möglichkeiten der primären Prävention aufzuzeigen. So ist noch lebendig ein Nachmittag in unserer Klinik mit Schülern einer 9. Klasse aus Berlin- Lichtenberg und ihrem Lehrer erinnerlich, die i.r. einer Projektwoche zum Thema Alkohol viele Fragen hatten. In den offen geführten Diskussionen wurde deutlich, wie vielschichtig das Thema Sucht in unserer Gesellschaft angelegt ist. So ging es um Fragen von Maß und Maßlosigkeit, um Freiheit und Grenzen, Selbst- oder Fremdbestimmtheit und die Sehn- (Sucht) nach einem erfüllten Leben. Die Schüler staunten sowohl über die Tatsache, dass eine Psychiatrische Klinik und ihre Patienten ganz normal aussehen, als auch über die Fülle der therapeutischen- sowie Freizeit und lebensbegleitenden Angebote. Auch Themen wie Seelsorge und Sinnsuche waren gefragt und die Reflexion eigenen Verhaltens deutete sich an. Wobei die Aussage unseres Ergotherapeuten bei der Führung über die Entwöhnungsstation, dass Freizeitgestaltungen incl. Disko auch ohne Alkohol Spaß machen können noch mit großer Skepsis beantwortet wurde. Das hinter aller jugendlichen Leichtigkeit, die sich in den zwei Stunden des Besuches entfaltete auch schon tiefer Ernst stecken kann, zeigte die abschließende, am Rande und unter vier Augen gestellte Frage einer Schülerin, ob ihr Vater, den sie nie kennen lernte und der seit vier Jahren auf dem angrenzenden Friedhof liege, wohl auch in unserer Klinik mit seiner schweren Alkoholproblematik gelegen und warum er es am Ende nicht geschafft habe. 2
3 Spätestens hier wird wie in vielen anderen Geschichten immer wieder unser Auftrag deutlich, beim Thema Sucht den Blick über die unmittelbar Betroffenen hinaus zu richten und auch nach denen zu fragen, die sowohl mit betroffen (Angehörige/Freunde) sind als auch mit in die Verantwortung genommen werden können und müssen. In unserer Klinik für Suchtmedizin bieten wir auf zwei Stationen die qualifizierte Entzugsbehandlung aller so genannten stoffgebundenen Süchte an (Alkohol, Medikamente, illegale Drogen). Der Zugang zu uns sollte über den Haus- oder ambulanten Nervenarzt bzw. über Vermittlung aus den örtlichen Suchtberatungsstellen erfolgen. Hier können sich Angehörige zunächst auch ohne die Betroffenen beraten lassen und ggf. erst einmal für sich selbst, z.b. in einer Selbsthilfegruppe für betroffenen Angehörige Unterstützung einholen. Außerdem gibt es von der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit eine ständig aktualisierte Broschüre Sucht, Drogen Rat & Hilfe, in der umfangreich über alle suchtspezifischen Behandlungs- Betreuungs- und Beratungsangebote informiert wird. Und auch Zeitschriften wie die TrokkenPresse informieren regelmäßig über ganz konkrete Hilfen und Zugangswege zu den entsprechenden Hilfen. Für eine stationäre Aufnahme zu uns braucht es die ärztliche Einweisung, bei der auch geklärt wird, wann eine stationäre Entgiftung erforderlich ist und eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Kalte Entzüge empfehlen wir grundsätzlich nicht, da die Gefahr von Entzugskrampfanfällen oder auch Delirien nicht einschätzbar sind und bei Auftreten zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen können. Bei Drogen- oder Medikamentenabhängigkeit ist immer ein Vorgespräch erforderlich, bei dem auch Angehörige oder Mitarbeiter der Suchthilfe zu gegen sein können. Hier lassen sich in der Regel alle wichtigen Fragen zu Aufnahme, Verlauf und Nachsorge klären. Im Notfall können sich alle, die im Bezirk Pankow wohnhaft sind, auch rund um die Uhr in unserer Akutaufnahme vorstellen. Ein Arzt klärt die Kriterien einer Notfallaufnahme ab und sorgt bei schweren internistischen Problemen unter Umständen zunächst für eine Verlegung in ein entsprechendes Krankenhaus. Liegt neben der Suchterkrankung eine relevante psychiatrische Zusatzerkrankung vor, nehmen wir diese Patienten bevorzugt auf die Station 4 mit einem gut bewährten Konzept zur Behandlung von Doppeldiagnosen auf. Eine bloße Entgiftung dauert meist nur wenige Tage mit einer entsprechenden Medikation und Überwachung der wichtigsten Körperfunktionen. Dass die Welt nach 5-7 Tagen Krankenhausaufenthalt immer noch dieselbe ist mit all ihren Problemen, Nöten und Abhängigkeiten ist mittlerweile so bekannt, dass die sogenannte Sieben-Tage-Regel sich zum Glück nicht flächendeckend durchsetzen konnte. Wir bieten die Qualifizierte Entzugsbehandlung an, die neben dem medizinisch überwachten körperlichen Entzug ein umfangreiches weiteres Therapieprogramm bietet. Dieses besteht u.a. aus Einzel- und 3
4 Gruppengesprächen, Entspannungsverfahren incl. Ohr-Akupunktur, kreativen Angeboten, Sport zum körperlichen Wiederaufbau und vielfältigen sozialarbeiterischen und sozialtherapeutischen Unterstützungen. Anmeldung und Information zur Qualifizierten Entzugsbehandlung unter: (Station 9), zur Behandlung von Doppeldiagnosen: (Station 4). Auf der Station 3 findet sich das Angebot der Entwöhnungsbehandlung bei Alkohol- und/oder Medikamentenabhängigkeit mit dem Ziel der körperlichen, psychischen und sozialen Rehabilitation, also dem Erhalt bzw. der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit bei stabiler Abstinenz. Dabei fühlen sich Entzugs- und Entwöhnungsstation so zusammengehörig, dass die Patienten noch während der Entzugsbehandlung von den Patienten der Entwöhnungsstation eingeladen werden, sich eine mögliche Weiterbehandlung z.b. in Form einer Entwöhnung anzuschauen. Für alle von Außen Interessierte gibt es jeden Montag Uhr eine Informationsveranstaltung auf der Station, die ohne Voranmeldung besucht werden kann. Die Entwöhnungsbehandlung ist nicht stadtbezirksgebunden. Weitere Informationen unter (Station 3). Bei den regelmäßigen Besuchen der Selbsthilfeverbände und den wöchentlichen Sprechstunden der Mitarbeiter der regionalen Suchtberatungsstellen werden die Betroffenen in ihren Krisen von ihnen oft schon vertrauten Personen unterstützt und erleben, dass sie trotz Rückfall wieder aufstehen und weiter gehen dürfen. Genau so wichtig sind die Erstkontakte für noch am Anfang stehende Betroffene, die auf den Stationen feste Verabredungen für die Zeit nach der Entlassung hinein in Selbsthilfe, Suchtberatung und medizinische Nachsorge (z.b. in unsere Psychiatrische Institutsambulanz) treffen können. Dies wurde auch deshalb so notwendig, da sich in der Kette der Suchtbehandlung bei unseren Patienten oft eine Lücke in der medizinischen Weiterversorgung auftat, in der Rückfälle regelhaft stattfanden, so dass geplante weitere Therapien oder Beetreuungsformen gar nicht erst griffen. Diese Sprechstunden sind eine Ergänzung zur ambulanten Suchtberatung, die in unserem Stadtbezirk von VISTA und Stiftung SPI (STAB) durchgeführt wird. Durch unsere Mitgliedschaft im Suchtverbund Pankow findet monatlich mit der Sucht-Koordinatorin des Bezirksamtes ein enger Austausch aller an der Beratung, Behandlung und Betreuung Beteiligter statt. Unsere langjährigen Behandlungs- und Betreuungserfahrungen haben gezeigt, dass gerade für suchtkranke Menschen ein klar strukturiertes Hilfesystem und verlässliche Bezugstherapeuten aller Berufsgruppen erforderlich sind, um zum schnellstmöglichen Zeitpunkt die angemessene Therapie und Unterstützung zu bekommen. Dies ist auch 4
5 deshalb so nötig, da gerade Suchtpatienten in ihren Krisen (akute Intoxikation) wenig in der Lage sind, ihren Hilfebedarf ausreichend oder angemessen zu benennen und nicht selten mit ihrem Verhalten eher auf Ablehnung oder Abweisung von Helfenden stoßen. Eine zunehmende Nachfrage gibt es auch an suchtspezifischen Angeboten für suchtkranke Frauen mit Kinderwunsch, Begleitung während der Schwangerschaft und postpartal sowie von suchtkranken Müttern mit Kindern jeglichen Alters. Die Arbeit mit den Angehörigen ist ebenfalls ein zentraler Bestandteil unseres Selbstverständnisses und unserer Arbeit und wird als Beratung unter Wahrung der Schweigepflicht, vor allem aber in Form von Gesprächen unter Einbeziehung der Betroffenen angeboten. Wenn dann beim Ehemaligentreffen auf der Entwöhnungsstation, beim Sommerfest oder der Weihnachtsfeier, bei Sport- und Kulturveranstaltungen eine Vielzahl an Menschen auf uns zukommen, die wir lange nicht sahen und die uns fröhlich, manchmal auch nachdenklich, jedoch selbstbewusst und zufrieden abstinent erzählen, wie sie es geschafft haben, ist dies für uns hier in der Klinik Antwort genug auf die doch immer wieder gestellte Frage: Lohnt sich denn die Arbeit mit Suchtkranken? 5
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