Patientenverfügung - Ist der Patientenwille durchsetzbar?
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- Josef Keller
- vor 7 Jahren
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1 Putz Sessel - Steldinger Rechtsanwälte Kanzlei für Medizinrecht München Wolfgang Putz Rechtsanwalt - Lehrbeauftragter für Recht und Ethik der Medizin an der Ludwig-Maximilians- Universität München Patientenverfügung - Ist der Patientenwille durchsetzbar? 1
2 I. Die Rechtslage 2
3 Jede ärztliche Behandlung ist ein Eingriff in den Körper, auch eine lebensverlängernde Behandlung! 3
4 Rechtfertigung des ärztlichen Eingriffs Indikation Patientenwille Voluntas aegroti suprema lex 4
5 Merke: Patientenwille sticht Indikation! 5
6 Therapiezielbestimmung nach 630a Abs 2, 630 d, 1901 b BGB: dann erst dann erst Patientenwille? Indikation? Behandlung! Medizinrechtliche Sozietät Putz & Steldinger 6
7 Sterbehilfe (Überbegriff) erlaubt / verboten Sterben durch die Hand eines Menschen (aktive Formen) Palliation mit tödlicher Nebenwirkung (Indirekte akt. Sterbehilfe): Tod als unausweichliche oder ungewollte Nebenwirkung billigend i. Kauf gen. Krankheit Sterben an der Hand eines anderen (passive Formen) Sterbebegleitung: Hospiz, Seelsorge, Palliativmedizin /-pflege Symptomkontrolle, z. B. Schmerzbekämpfung oder Sedierung ohne lebensverkürzende Wirkung Tötung des Patienten: (Direkte aktive Sterbehilfe): Gezielte Tötung des Patienten - z. B. durch Gift- auf Verlangen o. in Eigeninitiative Beihilfe zum Suizid des freiverantwortlichen Patienten Geschäftsmäßige Beihilfe Tod Sterben zulassen: Therapiezieländerung, nämlich Beendigung der Substitution bei palliativer Begleitung des Sterbens, auch aktives Handeln Bei entsprechendem Patientenwillen erlaubt: bzw. trotzdem verboten:
8 II. Umsetzung der Rechtslage die Praxis: 8
9 1) Wer mandatiert uns? Vorher: Der Sterbewillige selbst (Zulassen des Sterbens oder Suizidplanung) Die Angehörigen als Vertreter des Patienten (Zulassen des Sterbens ) Danach: Die Angehörigen als Rechtsnachfolger (aktives straf- oder zivilrechtliches Vorgehen) Die Täter (Strafverteidigung) 9
10 2) Anwaltliches Vorgehen (hier: Zulassen des Sterbens) n Immer entsprechend dem materiellrechtlichen System des Medizinrechts: n Erst Indikation n dann Patientenwille! 10
11 Erst Indikation 11
12 Wer ist für die Frage der richtigen Indikationsstellung zuständig? n Der Arzt! also Arzt fragen, wie er die geplante oder laufende lebens- und leidensverlängernde Therapie indiziert n Im Prozess ist die Frage der Indikation immer durch den medizinischen Fachgutachter ( Sachverständiger ) zu klären! 12
13 Herr S., seit sechs Jahren Alzheimer, seit drei Jahren an der PEG, ein Jahr vor seinem Tod bereits abgemagert auf 30 Kilo. Ernährungs-Substitution nicht indiziert! Putz - Sessel - Steldinger / Medizinrecht 13
14 dann Patientenwille 14
15 Der Patientenwille des Willensunfähigen Urkundenbeweis Zeugenbeweis PV, die trifft 1901 a, I BGB PV, die interpretiert werden muss; 1901 a, I i.v. m. 133 BGB Behandlungswünsche 1901a II BGB Mutmaßlicher Wille, 1901 a, II BGB 25 % aller Patienten 75 % aller Patienten 100 % aller Patienten haben einen Willen immer! 15
16 Lena kurz bevor sie mit Lenas 21 Jahren letztes ins Wachkoma Bild vor fällt dem Wachkoma 16
17 1994: Patientenverfügung der 19-jährigen chronisch kranken Lena, zwei Jahre bevor sie 1996 ins Wachkoma fällt 17
18 Lena 2011, mit 34 Jahren, Nach 15 Jahren im Koma darf sie sterben 18
19 Wenn der Patientenwille ermittelt ist ( 1901 a BGB): n Dem Patientenwillen ist Ausdruck und Geltung zu verschaffen 19
20 Lässt sich der Patientenwille nicht ermitteln oder bleiben Zweifel: Rechtfertigung des ärztlichen Eingriffs Indikation 20
21 Gerichte einschalten? n Sterben Zulassen nach dem Patientenwillen ist ein Rechtsanspruch! n Prima Ratio wäre Zivilgericht (Unterlassung) Klageverfahren oder Verfahren auf Einstweilige Verfügung gg. verbotene Eigenmacht - Sinn??? n Bei Konsens vor Ort: kein Betreuungsgericht n Lediglich informatorische Mitteilung des Vorgehens an Betreuungsgericht Heimaufsicht MDK STA 21
22 Genehmigung durch das Betreuungsgericht n Zulassen des Sterbens, 1904, Abs.2 BGB n Genehmigung durch das BetrG muss erteilt werden, wenn das beabsichtigte Verhalten dem Willen des Patienten entspricht, 1904, Abs. 3 BGB n Keine Genehmigung erforderlich bei Konsens Arzt Betreuer/Bevollmächtigter hinsichtlich des Patientenwillens, 1904, Abs. 4 BGB 22
23 F(t)aktisches Handeln (Zulassen des Sterbens) n Informieren über Palliativmedizin n Informieren über Rechtslage n Zeit lassen Zeit geben Team aufbauen n Gespräche, Gespräche, Gespräche n Arzt wechseln? n Pflegeort wechseln? Nach Hause? n Pflegeteam wechseln? SAPV? n Info an BetrG, Heimaufsicht, MDK, Staatsanwaltschaft n Schlauch durchschneiden? Ankündigung reicht! 23
24 n n n n n n n n Störfeuer gegen das Zulassen des Sterbens Angstmache Drohungen aller Art Einflussnahme Außenstehender oder von Organisationen Polizei / Staatsanwaltschaft werden durch Anzeige eingeschaltet Unzulängliche Rechtskenntnisse der speziellen Materie bei der Strafjustiz führt zu nicht haltbaren Vorwürfen, Bejahung eines nicht existenten Anfangsverdachts und teils extrem langen strafrechtlichen Verfahrensabläufen Anzeige beim Betreuungsgericht ; unsichere Richter leiten reflexartig Verfahren ein Einstweilige Verfügung beim Zivilgericht BVerfG erzwingt vorerst Lebenserhaltung (Folgenabwägungsentscheidungen) 24
25 Suizidbeihilfe: n Suizidbeihilfe ist seit 1871 vom Gesetzgeber nie als eigene Beihilfestraftat in das StGB aufgenommen worden n 12/2015 teilweises Verbot: 217 StGB: Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung Putz - Sessel - Steldinger Ludwig- Maximilians-Universität 25
26 217 StGB Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung (1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zur drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht Putz - Sessel - Steldinger Ludwig- Maximilians-Universität 26
27 Beteiligung am Suizid aus strafrechtlicher Sicht drei Phasen: n Beihilfe zur Vorbereitung der Selbsttötung n Nicht hindern n Nicht retten Dann: Selbsttötung des Suizidenten Putz - Sessel - Steldinger Ludwig- Maximilians-Universität 27
28 Regelfall (92 bis 98 %): Der nicht freiverantwortliche Suizident: n n Vorbereitungshilfe: rechtswidrig geboten ist Aufklärung über medizinische oder soziale Behandlungsangebote Nicht-Hindern: rechtswidrig geboten ist Zuführung zur Behandlung wegen Selbstgefährdung bei krankhafter Störung n Nicht-Retten: rechtswidrig, w. o. n Fazit Nach geltender Rechtslage ist Suizidhilfe bei nicht freiverantwortlichem oder nicht wohlerwogenem*) Suizidenten bereits von unterlassener Hilfeleistung bis Mord (z. B., wenn Geldgier das Motiv ist) strafbar! *) Palliativmedizin kann also nie eine Alternative neben rechtmäßiger Suizidhilfe sein Putz - Sessel - Steldinger Ludwig- Maximilians-Universität 28
29 Der Ausnahmefall (2 bis 8 %): Der freiverantwortliche Suizident: n Vorbereitungshilfe: man darf - aber man muss nicht n Hindern: darf man nicht Nötigung n Retten: darf man nicht Nötigung oder sogar Körperverletzung, wenn die Rettung durch ärztliche Behandlung erfolgt n Keine Garantenstellung für Leben, wenn der Suizident Hindern oder Retten verbietet (wie bei Patientenverfügung) Putz - Sessel - Steldinger Ludwig- Maximilians-Universität 29
30 Was heißt geschäftsmäßig? n Wer in der Absicht, Beihilfe zur Selbsttötung zum Gegenstand seiner Tätigkeit zu machen, Beihilfe leistet n Auf Wiederholung angelegt n Auch Beratung kann erfasst sein n Handeln muss fördern Putz - Sessel - Steldinger Ludwig- Maximilians-Universität 30
31 Wer handelt geschäftsmäßig im Sinne des 217 StGB? n Sterbehilfe Deutschland (Roger Kusch und Dr. Spittler) n Sterbehelfer Uwe Christian Arnold n Sterbehelfer Puppe n Humanistische Vereine n Rechtsanwälte n Ärzte v. a. Palliativärzte Putz - Sessel - Steldinger Ludwig- Maximilians-Universität 31
32 Ist Sterbefasten von 217 StGB erfasst? n Abgrenzung zu natürlichem Nachlassen von Hunger, Durst und Aufnahme von Flüssigkeit und Nahrung infolge der Erkrankung n Gezieltes Handeln gegen das Leben, um unabhängig von der Erkrankung früher und ohne Spätsymptome der Erkrankung zu sterben = 217 StGB! n Viele Fallgestaltungen denkbar! ( Dublin-Poster ) Putz - Sessel - Steldinger Ludwig-Maximilians-Universität 32
33 Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin: n Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit kann für einige Patienten eine mögliche Alternative sein. Auf diese Weise das Ende des eigenen Lebens herbeizuführen, dieses Vorhaben aber auch jederzeit unterbzw. abbrechen zu können, ermöglicht diesen Patienten ein selbstbestimmtes Leben und Sterben Putz - Sessel - Steldinger Ludwig- Maximilians-Universität 33
34 Und terminale Sedierung? n Sedierung muss indiziert sein Schmerzen unerträgliches psychisches Leid Versterben an Urämie, PEG unzulässig n Wunschsedierung (nicht indiziert) ohne ärztliche Indikation nur bei gleichzeitiger PEG - Substitution! ohne PEG: Versterben an gezielt gewollter und herbeigeführter Urämie = Tötung auf Verlangen, 216 StGB! Putz - Sessel - Steldinger Ludwig-Maximilians-Universität 34
35 Juristische Nachspiele n n n n Zivilklage auf Schmerzensgeld und Erstattung der Lebensverlängerungskosten wegen fehlendem Patientenwillen (OLG München 2006) Zivilklage auf Schmerzensgeld und Erstattung der Lebensverlängerungskosten wegen fehlender Indikation (2014 laufendes Verfahren beim LG München I) Strafermittlungen wegen Lebensverlängerung (STA Mainz ) Strafverfahren, Beispiele Fall Putz 2010 (Sterben Zulassen) Fall de Ridder wegen Ankündigg. einer Straftat (Suizidhilfe) Fall Deggendorf 2013 (wie STA München zu assistiertem Suizid) Fall Ulm 2014 (Palliation im Sterbeprozess indirekte Sterbehilfe) Fall Dr. Mechtild Bach / Hannover (korrekte Palliation oder Behandlungsfehler oder Mord?) 35
36 Fazit: Auseinanderklaffen von Rechtskenntnissen bei Ärzten und Juristen n n n n n Enorme Fortbildung in Palliativmedizin und Kenntnisse vom Recht am Lebensende bei Ärzten und Pflege Zugleich immer noch weit verbreitet Unkenntnis der Rechtslage bei Ärzten und Pflege Zu selten Fortbildung oder Spezialisierung von Strafrichtern und Staatsanwälten, da meist zu wenig Fälle (anders: Betreuungsgerichte) Praktisch keine Strafverfolgung wegen Körperverletzung durch Behandlungsfehler in der Palliativmedizin am Lebensende (z. B. wg. rechtswidriger Lebensverlängerung) durch STA Hingegen derzeit neues Risiko für Ärzte von belastenden Strafverfahren wegen Tötung besonders bei ärztlichem Handeln am Ende des Lebens (z. B. bei indirekter oder passiver Sterbehilfe 36
37 Danke, dass Sie mir zugehört haben! Putz Sessel - Steldinger Kanzlei für Medizinrecht Ludwig-Maximilians-Universität München 37
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