VERTUMNUS. Berliner Beiträge zur Klassischen Philologie und zu ihren Nachbargebieten Herausgegeben von Ulrich Schmitzer. Band 2

Transkript

1 VERTUMNUS Berliner Beiträge zur Klassischen Philologie und zu ihren Nachbargebieten Herausgegeben von Ulrich Schmitzer Band 2

2 Dan Drescher Der Goldene Nachttopf Beobachtungen zu einem Motiv von Herodot bis García Márquez Göttingen 2004

3 Schreiber ( ) sieht circiter so aus: E.T.A. Hoffmann an seinen Verleger Kunz, 4. März 1814 (MÜLLER, SCHNAPP 1967, 445)

4 Für Svann Vorwort Es gibt Bilder von besonderer Drastik und Anschaulichkeit, die ihrer Verwendung Grenzen setzen. Zu ihnen gehört das Motiv des Goldenen Nachttopfes, dessen Bedeutungsträger, Gold und der Bereich des Defäkierens, in einer kaum zu überbietenden Spannung zueinander stehen. Daß ich das Motiv bei mehreren Autoren entdeckte, ist eher dem Zufall geschuldet. Aus geweckter Neugier wurde das systematische Unterfangen, das literarische und soziale Potential des Motivs von der Antike bis in die nahe Gegenwart zu verfolgen, das so unterschiedliche Autoren und Denker wie Herodot und Chrysipp, Plutarch und Plinius, Martial und Flavius Clemens, Thomas Morus und E.T.A. Hoffmann sowie Lenin und Gabriel García Márquez zu Übernahme und Anverwandlung reizte. Zu Hause in der klassischen Antike wagte ich mich also auf das benachbarte Terrain neulateinischer, germanistischer und romanistischer Literaturwissenschaft sowie auf das entferntere frühneuzeitlicher und moderner Historiographie. Meinem Bemühen, mich in die entsprechenden Gebiete einzuarbeiten, waren aufgrund meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Klassische Philologie der Humboldt-Universität Grenzen gesetzt, so daß ich die jeweiligen Spezialistinnen und Spezialisten um Nachsicht für mögliche Lücken bitte. Da der rezeptionsgeschichtliche bzw. komparatistische Ansatz meiner Forschung von Anfang an auf ein Publikum zielte, das in den seltensten Fällen sowohl in der Antike als auch der Nachantike heimisch sein würde, ergab sich der Grundsatz, die Darstellung eher ausführlicher als zu knapp anzulegen. So hoffe und wünsche ich, nicht allzu viele offene Türen einzurennen und für beide Seiten die eine oder andere Anregung geben zu können. Die Arbeit in der vorliegenden Fassung war Mitte 2003 abgeschlossen. Die Einarbeitung neuerer oder weiterer Literatur war danach leider nicht mehr möglich. Literatur wird beim ersten Verweis ausführlich, dann mit dem Kürzel von Autor und Jahr zitiert. Die Literaturliste am Ende des Bandes erleichtert ggf. die Auflösung der Kürzel. Abkürzungen von Periodika sind bequem mithilfe des Abkürzungsverzeichnisses der L Année philologique aufzulösen. Autoren und

5 Werke sind so zitiert, daß Abkürzungen entweder problemlos erkennbar oder ggf. mithilfe der Abkürzungslisten in LIDDELL-SCOTT-JONES (A Greek-English Lexicon), Der Neue Pauly oder dem Autoren- und Werkverzeichnis des Thesaurus Linguae Latinae aufgelöst werden können. Folgende Lexika werden nur abgekürzt zitiert: ANRW Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt, DNP - Der Neue Pauly, OCD The Oxford Classical Dictionary, RAC Reallexikon für Antike und Christentum, RE Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaften. Ich danke meinen Eltern, die mich mit Geduld und Liebe förderten, und allen, die mit ihren Ratschlägen und ihrer Hilfe zum Entstehen dieser Arbeit beigetragen haben. Dies waren zuerst die Teilnehmerinnen, Teilnehmer und Gäste des Doktorand/inn/en-Kollegs Antike der Humboldt-Universität zu Berlin, vor denen ich meine Überlegungen zum Thema am ein erstes Mal vortrug. Es waren dann Marita Müller, Roderich Kirchner und Svenja Ölkers sowie die Professoren Johannes Christes, Bernd Manuwald, Ulrich Schmitzer und Hermann Steinthal, die das Manuskript zur Gänze oder in Teilen kritisch lasen und mit mir diskutierten. Schließlich danke ich Grit und Norbert Diaz de Arce, Tobias Knoblich, Prof. Dr. Klaus Hallof sowie Dr. Thomas Poiss für ihre Hinweise. Verbliebene Fehler gehen zu meinen Lasten. Dank schulde ich auch dem Herausgeber von Vertumnus, Prof. Dr. Ulrich Schmitzer, für die Aufnahme des opusculum in die mit dem Institut für Klassische Philologie verbundenen Schriftenreihe und auch dem Institut für Klassische Philologie der Humboldt-Universität zu Berlin für den gewährten Druckkostenzuschuß sowie dem Verlag Duehrkohp & Radicke für die unkomplizierte Zusammenarbeit. Dan Drescher Berlin, im November 2004

6 Inhaltsverzeichnis Einführung 11 Gold und Defäkation in der Antike.. 13 Herodot: Ein goldenes Urinal wird Statue 16 Chrysipp und Plutarch: Machen goldene Nachttöpfe glücklich? Messalla und Plinius der Ältere: Goldene Nachttöpfe als Gegenstand der Invektive Martial: Teurer Defäkieren als Trinken Flavius Clemens: Goldene Nachttöpfe typisch pagane Frau! Thomas Morus: Privates und öffentliches Toilettengold.. 33 E.T.A. Hoffmann: Vom Piß- zum Blumentopf 40 Lenin: Kriegsgold zu Toilettengold.. 47 Gabriel García Márquez: Gold als Illusion 51 Zusammenfassung 61 Literaturverzeichnis.. 65

7 11 Einführung Bilder wie Metaphern und Allegorien verlieren an Anschaulichkeit und Aussagekraft, je öfter sie verwendet werden. Umso mehr gilt dies für diejenigen von ihnen, bei denen der zum Vergleich herangezogene Gegenstand in besonders kräftigen Farben gezeichnet ist. Zu ihnen gehört das Bildmotiv des Goldenen Nachttopfes 1. Würde es allzu häufig in Anwendung gebracht, verlöre der Rekurs auf Gold als Höchstwert und Defäkieren als Tabubereich schnell an kommunikativer Wirkung. Die Intention der Metapher, neue Aspekte eines Sachverhaltes oder intensive Konnotationen einer Rede zu bezeichnen, könnte verblassen. So wird es wenig verwundern, daß diese Faktoren dazu beitrugen, daß das Motiv sehr selten literarisch fixiert wurde. Der Historiker Herodot, der stoische Philosoph Chrysipp und der vielseitige Plutarch, der Enzyklopädiker Plinius, der Epigrammatiker Martial, der christliche Philosoph Flavius Clemens in der Antike, der Politiker und Humanist Thomas Morus in der frühen Neuzeit, der Jurist, Musiker und Musikwissenschaftler, Zeichner und Literat E.T.A. Hoffmann im 19., der Revolutionär und Staatsmann Lenin und der Romancier Gabriel García Márquez im 20. Jh. sind die hier untersuchten Zeugen für seine Verwendung. Angesichts der Prominenz und Wirkungskraft dieser Autoren ist zu erwarten, daß das Motiv nicht jeweils neu erfunden wurde, vielmehr ist ein Rückgriff auf die vorgefundenen und vorgeformten Gestaltungsmuster wahrscheinlich. Läßt sich die Annahme einer solchen Rezeption evident machen? Wie eigneten sich die jeweiligen Autoren das Motiv und seine Gestaltung durch die Vorgänger für ihre jeweils spezifischen Zwecke an? Diese und weitere Fragestellungen gehen im Folgenden dem Rezeptionsstrang nach. Vor der Frage nach der Tradierung und Rezeption muß allerdings die Untersuchung des Motivs in seinem jeweils spezifischen Kontext und in seiner jeweils spezifischen Funktion stehen. 1 Wenn im folgenden vom Motiv Goldener Nachttopf die Rede ist, dann ist damit in erster Linie die Erwähnung von Nachttöpfen aus Gold in literarisch stilisierten Kontexten gemeint. Ihre reale Existenz ist in einigen Fällen wahrscheinlich, wichtiger ist hier jedoch deren Transzendenz zur Metapher.