S Ü D W E S T R U N D F U N K F S - I N L A N D R E P O R T MAINZ S E N D U N G:

Transkript

1 Diese Kopie wird nur zur rein persönlichen Information überlassen. Jede Form der Vervielfältigung oder Verwertung bedarf der ausdrücklichen vorherigen Genehmigung des Urhebers by the author S Ü D W E S T R U N D F U N K F S - I N L A N D R E P O R T MAINZ S E N D U N G: Abschiebung mit fatalen Folgen: Das tragische Schicksal einer Romafamilie aus Deutschland AutorIn: Julia Ballaschk Oliver Heinsch Kamera: Zarko Bogdanovic Steffen Heyermann Schnitt: Jörg Hommer Moderation Fritz Frey: Die folgende Geschichte kann wirklich ratlos machen, und die Beteiligten müssen sich die Frage gefallen lassen, ob die Katastrophe, von der jetzt zu berichten ist, wirklich nicht zu vermeiden war. Worum geht es? Vor gut sieben Wochen dringt die Polizei im Morgengrauen in die Wohnung einer dreiköpfigen Familie ein. 30 Minuten bleiben, um zu packen. Abschiebung nennt man das. Heute ist die Mutter tot, Vater und Sohn gestrandet in einem Niemandsland. Oliver Heinsch und Edgar Verheyen mit den Details.

2 2 Bericht: Ende einer Abschiebung. Noch vor ein paar Wochen ist Avdil in Deutschland zur Schule gegangen. Jetzt steht er am Grab seiner Mutter. Irgendwo im Süden von Serbien. Für Avdil ist klar:»hätten sie uns nicht abgeschoben, wäre meine Mutter jetzt eigentlich noch am Leben.«Avdil ist 14. Zusammen mit seinem Vater steht er vor dem Nichts. Wie konnte das passieren? Rückblende: Vor 11 Jahren fliehen Avdils Eltern aus dem Kosovo nach Deutschland. Avdil ist knapp drei. Krieg und Verfolgung im Kosovo lässt die Mutter nie los. Sie wird daran krank. Avdil kennt nichts außer ein Leben in Deutschland. Hier in Mayen bei Koblenz fühlt er sich zu Hause, hat Freunde, ist längst integriert. Doch Anfang Dezember vergangenen Jahres werden sie aus der Wohnung geholt. Nach wenigen Stunden landen sie im Kosovo. Dort können sie keinen Tag bleiben. Keine Verwandte. Kein Geld. Nur Angst vor neuer Verfolgung. Wieder eine Flucht. Schließlich landen sie hier, in Serbien, in einem Roma-Lager am Rand von Kraljevo. Wer hier lebt, der hat keine Chance und wird wohl auch nie eine bekommen. Dritte Welt mitten in Europa. Hier treffen wir Avdil und seinen Vater. Der 14-Jährige ist in einer Welt gelandet, von der er zuvor keine Ahnung hatte. Ein fremdes Land, eine fremde Sprache.»Ich bin hier schon einen Monat oder fast zwei Monate und komme immer noch nicht damit klar. Ich denke immer, ich stehe morgens auf und gehe in die Schule oder so, aber es ist halt nicht so. Irgendwie so ein Stück Zukunft abgebrochen.«avdils Tante hatte sie hier aufgenommen. Für eine Zeit wenigstens. Doch Avdils Mutter kam hier nicht zur Ruhe Schlaflosigkeit, Angst. Es ging ihr immer schlechter, erzählt die Familie.

3 3»Da waren wir so ganz normal, waren wir alle am Sitzen mit meiner Mutter, dann wollte die mir Palatschinken machen, dass sind so Pfannkuchen, da hat die Teig und so gemacht und dann hat sie zu meinem Vater gesagt: Ja, ich gehe schlafen. Und dann ist sie schlafen gegangen, und dann hat mein Vater sie aufgeweckt: Steh auf, steh auf! Und die hat nicht darauf gehört. Da hat mein Vater die angeschrien, aber das hat die nicht gehört, weil die war schon im Koma.«Einen Tag später stirbt die Mutter. An einer Hirnblutung. Vielleicht durch die Aufregung? Das werden Avdil und seine Familie niemals erfahren. Zurück in Deutschland: Der Anwalt der Familie erhebt schwere Vorwürfe gegen die Behörden. Denn die Frau hatte schwere Depressionen ein Kriegstrauma. Ein Attest ihres Arztes warnte vor der Abschiebung. Dort heißt es: Es besteht bis auf weiteres keine Reisefähigkeit. O-Ton, Jens Diekmann, Rechtsanwalt:»Wir konnten und wir mussten und wir durften erwarten, dass die Behörde das ernst nimmt, und ein qualifizierte Begutachtung in die Wege leitet, nach allem, was wir bis heute wissen, ist dies nicht geschehen.«die Kreisverwaltung Mayen-Koblenz. Sie hat das Attest nicht berücksichtig. Als der Anwalt dagegen protestiert, beschwichtigt die Behörde: Es bestehe ja gar keine unmittelbare Gefahr einer Abschiebung. Denn die Familie habe ja bereits eine vorläufige Duldung. Eine Woche später wird die Familie doch abgeschoben. Die Duldung wird morgens direkt bei der Abschiebung aufgehoben. O-Ton, Gerd Neuwirth, Kreisverwaltung Mayen-Koblenz:»Eine Duldung kann zu jeder Zeit widerrufen werden. Und das ist genau hier passiert.«

4 4 Frage: Aber wenn eine Duldung zu jeder Zeit widerrufen werden kann, warum haben Sie dann überhaupt geschrieben, dass keine Gefahr einer Abschiebung besteht? O-Ton, Gerd Neuwirth, Kreisverwaltung Mayen-Koblenz:»Wir haben nicht geschrieben, dass keine Gefahr einer Abschiebung besteht. Wir haben eine Duldung bis zum ausgesprochen, die jederzeit widerrufen werden kann. Das wusste auch der Anwalt.«Doch der Anwalt erfährt erst von der Abschiebung, als die Familie schon im Kosovo ist. O-Ton, Jens Diekmann, Rechtsanwalt:»Wenn eine Behörde abschiebt in Kenntnis dessen, dass die Betroffenen einen Anwalt haben, und das alles getan wird, um den Anwalt aus der konkreten Abschiebesituation rauszuhalten und eine effektive Verteidigung seiner Mandanten zu verhindern, dann hat dies nichts mit einem rechtsstaatlichen Verhalten zu tun, so wie ich es eigentlich voraussetze.«auf jeden Fall hat die Entscheidung für Avdil und seine Familie verheerende Konsequenzen: Leben an einem Ort ohne jede Perspektive.»Ich kann hier eigentlich nicht leben. Also, für meine Zukunft bedeutet das eigentlich, dass ich keine Schule zu Ende machen kann, weil ich, erstens, die Sprache nicht so gut kann. Ja, das Arbeiten ist hier eigentlich schlecht.«das rheinland-pfälzische Innenministerium. Der Anwalt bittet unmittelbar nach der Abschiebung die Landesregierung um Hilfe noch lebt die Mutter. Doch erst als REPORT MAINZ anfragt, heißt es: Avdil und sein Vater dürfen zurückkehren. Der Tod der Mutter sei eine besondere humanitäre Härte.

5 5 O-Ton, Karl Peter Bruch, SPD, Innenminister Rheinland-Pfalz:»Der Tod der Mutter sicherlich, das ist das Entscheidende gewesen, dass wir natürlich diese Situation haben. Aber wenn uns der Fall vorgetragen worden wäre, gleichgültig von wem, wäre er sicher in der Härtefallkommission auch positiv beschieden worden. Das war der Hintergrund, dass ich gesagt habe, warum nehmen wir diese Personen eigentlich nicht zurück, sie würden sich integrieren, der Junge war in der Schule, also von daher gesehen, denke ich, hat alles dazu geführt, dass man sagen kann aus guten Gründen: Hier ist eine Zurücknahme angebracht.«also eine Geschichte mit Happy End? Wohl kaum. Avdil darf nur zurückkehren, weil seine Mutter tot ist. O-Ton: Jens Diekmann, Rechtsanwalt»Wenn man es mit vielen andere Verfahren vergleicht, es bleibt doch die bittere Feststellung, dass wahrscheinlich kein Hahn nach der Familie gekräht hätte, wenn es nicht zur dieser furchtbaren Eskalation gekommen wäre.«links: Allgemein zu Flüchtlingen: Zur Situation der Roma aus dem Kosovo: Human Rights Watch Bericht zu Abschiebung und Lage der Roma im Kosovo: