Wie wählte Rinteln? Thomas Gräfe. Reichstagswahlen im Wahlkreis Kassel I, im Kreis Rinteln und in der Stadt Rinteln
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1 Geschichte Thomas Gräfe Wie wählte Rinteln? Reichstagswahlen im Wahlkreis Kassel I, im Kreis Rinteln und in der Stadt Rinteln Wissenschaftlicher Aufsatz
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3 Thomas Gräfe Wie wählte Rinteln? Reichstagswahlen im Wahlkreis Kassel I, im Kreis Rinteln und in der Stadt Rinteln Inhaltsverzeichnis I. Wahlrecht, Wahlkreise, Wahlbeteiligung 2 II. Wahlergebnisse : Honoratiorenpolitik und nationalliberale Vorherrschaft 7 III. Wahlergebnisse : Politischer Massenmarkt und antisemitischer Populismus 10 IV. Fazit 19 V. Reichstagsabgeordnete für den Wahlkreis Rinteln- Hofgeismar- Wolfhagen VI. Literatur 20 Abbildungen und Tabellen Hessen im Kaiserreich (Karte) 3 Wahlbeteiligung (Diagramm) 5 Friedrich Oetker (Foto) 8 Max Liebermann von Sonnenberg (Foto) 12 Reichstagswahl 1903 (Diagramm) 14 Wahlergebnisse im Wahlkreis Kassel I (Diagramm) 15 Wahlergebnisse im Kreis Rinteln/ Schaumburg (Diagramm) 16 Wahlergebnisse in der Stadt Rinteln (Diagramm) 16 1
4 I. Wahlrecht, Wahlkreise, Wahlbeteiligung Das deutsche Kaiserreich von 1870/71 war laut Verfassungstext eine konstitutionelle Monarchie. Das Machtzentrum lag beim Kaiser und dem von ihm ernannten Reichskanzler. Zwar konnten ohne die Zustimmung des Reichstags keine Gesetze gemacht werden, und er verfügte über das Budgetrecht. Ihm stand aber der undemokratisch zusammengesetzte Bundsrat, die Ländervertretung, mit ihrem Vetorecht gegenüber. Außerdem hatte der Reichstag keine Möglichkeit, die Regierung effektiv zu kontrollieren, deren Ernennung und Entlassung ausschließlich der Kaiser besorgte. Als Zugeständnis an seine liberalen Bündnispartner hatte Bismarck 1867 im Norddeutschen Bund und 1871 für das Reich das freie, gleiche und geheime Reichstagswahlrecht eingeführt: Zur damaligen Zeit das freieste Wahlrecht in ganz Europa. Ihm standen aber nicht nur die eng begrenzten verfassungsmäßigen Kompetenzen des Parlaments gegenüber, sondern auch undemokratische Wahlgesetze auf Länder- und Kommunalebene. Die große Mehrheit der preußischen Wähler (zu denen auch die Rintelner gehörten) lebte in einer paradoxen Situation: Zwar durften sie den Reichstag frei wählen, bei der Wahl des preußischen Abgeordnetenhauses zählten ihre Stimmen dagegen weitaus weniger als die des Rittergutsbesitzers oder des Fabrikanten und an der Wahl ihres Bürgermeisters durften sie sich nicht einmal beteiligen. Die noch im Kaiserreich durchgeführten Wahlrechtsreformen auf Länderebene bieten ein uneinheitliches Bild: Bayern führte das allgemeine, freie und gleiche Wahlrecht ein, während Hamburg und Sachsen das Wahlrecht ihrer Bürger wieder einschränkten. In Preußen, dem mit Abstand größten und wichtigsten Staat des Reiches, wurde das extrem ungleiche Dreiklassenwahlrecht erst 1917 abgeschafft. Die verfassungsmäßigen Hindernisse für eine Parlamentsherrschaft konnten im Kaiserreich selbst nicht mehr überwunden werden. Die Ansicht mancher Historiker, dass sich Deutschland ohne den Ersten Weltkrieg auf dem Weg zur parlamentarischen Monarchie befunden hätte, ist pure Spekulation. Sie ignoriert vor allem die Dammfunktion des Obrigkeitsstaates gegenüber den unterbürgerlichen Massen, von der nicht nur die Junker, sondern auch das Bürgertum profitierte. 1 Bei den Reichstagswahlen besaßen Männer über 25 Jahren aktives und passives Wahlrecht. Die Einführung des Frauenwahlrechts wurde kontrovers diskutiert, aber erst 1919 zusammen mit einer Herabsetzung des Wahlalters durchgesetzt. Aber auch einigen männlichen Gruppen der Bevölkerung wurde das passive Wahlrecht vorenthalten: Wehrdienstleistende, Strafgefangene und Bezieher öffentlicher Armenunterstützung durften nicht wählen. 1 Vgl. Reinhold Zippelius, Kleine deutsche Verfassungsgeschichte, München 1994, S ; Hans- Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd.3, München 1995, S
5 Der Provinz Hessen- Nassau standen 14 von 397 Reichstagsmandaten zu, 8 dem Regierungsbezirk Kassel, 6 dem Regierungsbezirk Wiesbaden. Der Kreis Rinteln, bis 1866 eine Exklave Kurhessens, gehörte nach der Annexion durch Preußen zur Provinz Hessen- Nassau und wurde nicht der geographisch näher liegenden Provinz Hannover zugeschlagen. Daher bildete Rinteln gemeinsam mit den ca. 100 km entfernten hessischen Kreisen Hofgeismar und Wolfhagen den Wahlkreis Kassel I. Trotz ihrer Nähe zur Industrie- und Gewerbestadt Kassel waren die Kreise Hofgeismar und Wolfhagen im Vergleich zu Rinteln ländlicher geprägt und galten als in jeder Beziehung rückständig. 2 Wir werden sehen, dass sich diese künstliche Wahlkreiskonstruktion in den starken Abweichungen der Wahlergebnisse von Stadt, Kreis und Wahlkreis bemerkbar machte. Hessen im Kaiserreich. Quelle: Deutschland. Portrait einer Nation, Bd.7, S Die Legislaturperiode des Reichstags dauerte drei Jahre, nach 1893 fünf Jahre. Aber auch in der Zwischenzeit konnten die Wähler zu den Urnen gerufen werden, wenn der Kaiser die Auflösung des Reichstags anordnete. Außerdem wurden Ersatzwahlen fällig, wenn der Reichstag die Abstimmung in dem betreffenden Wahlkreis für ungültig erklärte, wenn ein Kandidat in mehreren Wahlkreisen gewonnen hatte, wenn er durch Krankheit oder Tod sein Mandat nicht mehr ausüben konnte, wenn er zurücktrat oder in hohe Staatsämter ernannt wurde - denn anders als heute gab es im Kaiserreich die Trennung zwischen Amt und Mandat. Im Wahlkreis Kassel I mussten zwischen 1881 und 1912 fünf Ersatzwahlen durchgeführt werden: 1881 und 1906 starben die Mandatsinhaber, 1893 nahm der Gewählte wegen Doppelwahl das Mandat nicht an, 1895 wurde die 2 Vgl. Thomas Klein (Hg.), Die Hessen als Reichstagswähler. Tabellenwerk zur politischen Landesgeschichte , Bd.1: Provinz Hessen- Nassau und Waldeck- Pyrmont , Marburg 1989, S
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