Aufhebung der oralen Antikoagulation für elektive Eingriffe
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- Benedikt Bachmeier
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1 PRAXIS Praxis 2011; 100 (23): Aufhebung der oralen Antikoagulation für elektive Eingriffe Einleitung Bei vielen kardiovaskulären Erkrankungen ist die Rolle einer oralen Antikoagulation (OAK) zum Schutze vor venösen oder arteriellen Thromboembolien gut etabliert. Es kommt daher häufig vor, dass Patienten unter OAK einer elektiven Intervention oder Operation bedürfen. Kleine und oberflächliche Eingriffe mit der Möglichkeit einer guten Blutstillung oder Kompression können bei einem INR im therapeutischen Bereich durchgeführt werden, das heisst die Antikoagulation muss nicht unterbrochen werden. Grössere Eingriffe mit einem signifikanten Blutungsrisiko gehen meist auch mit einem erheblichen Risiko für thromboembolische Ereignisse einher. Es ist daher in diesen Situationen ratsam, periinterventionell eine Blutverdünnung durchzuführen, meist mit einer rasch steuerbaren intravenösen Antikoagulation wie z.b. unfraktioniertem Heparin. In all diesen Fällen muss das Thromboembolierisiko immer sorgfältig gegen das Risiko und den möglichen Schweregrad einer klinisch signifikanten Blutung abgewogen werden. Zu dieser Fragestellung gibt es keine prospektiven Studien und insbesondere die Empfehlungen zu Marcoumar (Phenprocoumon) basieren auf klinischen Erfahrungen, Expertenmeinungen und Extrapolationen aus retrospektiven Untersuchungen mit Coumadin (Warfarin ), wobei die unterschiedlichen Halbwertszeiten der Medikamente berücksichtigt werden. online-cme der PRAXIS ist gemäss Fortbildungsprogramm der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SGAM) als strukturierte und nachweisbare Fortbildung anrechenbar. Die Fortbildung entspricht einem geschätzten Arbeitsaufwand von einer Stunde pro Fortbildungsbeitrag und wird somit mit 1 Credit bewertet. SGAM-Mitglieder können online-cme der PRAXIS auf dem Selbstdeklarationsprotokoll notieren. Die Schweizerische Gesellschaft für Innere Medizin (SGIM) vergibt im Rahmen der nachzuweisenden Fortbildung Innere Medizin pro online-cme der PRAXIS 1 Credit. Im Artikel verwendete Abkürzungen: ASS Aspirin ATE Arterielle Thromboembolie COX-2 Cyclooxigenase-II-Hemmer CVI Zerebrovaskulärer Insult ERCP Endoskopische retrograde Cholangio-Pankreatikographie INR International Normalised Ratio J Jahr/e LMWH Low molecular weight heparin = Niedermolekulares Heparin LVEF Left ventricular ejection fraction = Linksventrikuläre Auswurffraktion MT Monat/e NSAR Nichtsteriodale Antirheumatika OAK Orale Antikoagulation OP Operation STEMI ST-elevation myocardiac infarction = ST-Hebungs-Myokardinfarkt TIA Transient-Ischämische Attacke UFH Unfraktioniertes Heparin VHF Vorhofflimmern VTE Venöse Thromboembolie 2011 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern DOI / /a000724
2 PRAXIS Continuing Medical Education Praxis 2011; 100 (23): Aufhebung der oralen Antikoagulation für elektive Eingriffe Periinterventionelles Thromboembolierisiko [1] Zur Beurteilung des Thromboembolierisikos ist zum Einen die Wahrscheinlichkeit einer solchen Komplikation, zum Anderen aber auch der Schweregrad einer allfälligen Thromboembolie massgeblich. So sind arterielle Thromboembolien (ATE) in ihrer Konsequenz meist gravierender als venöse (VTE) ATE enden in bis zu 20% tödlich und 40% mit bleibenden Schäden, VTE sind in bis zu 6% tödlich und bei bis 2% finden sich bleibende Schäden [1]. Dies wird in der klinischen Risikostratifikation, wie z.b. in Tabelle 1 dargestellt, berücksichtigt. Auch das ATE-Risiko kann abhängig von der Antikoagulationsindikation weiter stratifiziert werden (Tab. 1). Beim Vorhofflimmern ist das Thromboserisiko mittels Scores wie dem CHA 2 DS 2 -VASc-Score oder seinem Vorgänger, dem CHADS 2 - Score quantifizierbar, wo Herzinsuffizienz, Hypertonie, Alter über 75 Jahre sowie Diabetes je einen Punkt und ein durchgemachter ischämischer Hirnschlag (Stroke) oder eine transiente zerebral-ischämische Attacke (TIA) zwei Punkte ergeben. Nach Eingriffen kommt es zu einem während Wochen transient erhöhten Risiko für VTE bedingt durch eine operationsbedingte Gerinnungsaktivierung sowie durch die postoperative Immobilisation. Auch das Risiko für ATE ist durch die veränderte Gerinnungssituation peri- und postinterventionell leicht erhöht. Eingriffsbedingt ist jedoch postinterventionell insbesondere unter Antikoagulation auch das Blutungsrisiko deutlich höher. Bei einem tiefen Risiko für ATE kann auf eine periinterventionelle Heparinisierung verzichtet werden, und die Antikoagulation postoperativ aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos erst verzögert wiederangesetzt werden. Die VTE tritt als Zeichen einer aktivierten Gerinnung auf, führt aber auch selbst wieder zur Gerinnungsaktivierung. Dies führt zu einem deutlich erhöhten Rezidivrisiko in den Tagen bis Wochen nach dem Ereignis. Deshalb soll in den ersten drei Monaten nach einer stattgehabten VTE möglichst auf Eingriffe verzichtet werden. Ist ein Eingriff nicht verschiebbar ist eine prä-, peri- sowie postoperative Heparinisierung möglichst im therapeutischen Bereich anzustreben. Nach ATE soll ebenfalls in den ersten drei Monaten möglichst auf Eingriffe verzichtet werden und bei Notfalleingriffen auf eine periinterventionelle Heparinisierung geachtet werden. Tab. 1: Thromboembolie-Risiko bei gängigen Indikationen zur OAK [4,5,9]. Risiko tief 4%/J für ATE Risiko moderat 4 0%/J für ATE Risiko hoch 10%/J bei ATE 4%/Mt für VTE 4 10%/Mt für VTE 10%/Mt bei VTE VHF CHADS 2 = 0 2 CHADS 2 = 3 4 CHADS 2 = 5 6 (kein CVI/TIA) CVI/TIA in letzten 3 Mt Rheumatische Klappenpathologie Mech. Bikuspide Aorten- Bikuspide Aortenklappenprothesen mit Mitralposition Klappe klappenprothesen min. 1 Risiko für CVI: (VHF, St.n. CVI/TIA, Alte «Caged ball» und Klappdisk-Prothesen Hypertension, Diabetes, Herzinsuffizienz, 75 J) St.n. CVI/TIA innert 3 Mt Biolog. Klappenprothesen VTE-Risiko VTE vor 12 Mt VTE vor 3 12 Mt (15%/J) VTE in letzten 3 Mt (50%/J) v.a. postop. Rezidiv VTE (15%/J) Schwere Thrombophilie (Homozygote Leichte Thrombophilie (heterozyg. FV-Leiden-Mutation, Protein-C-, -S- oder FV-Leiden-/FII-Mutation) Antithrombinmangel, Antiphospholipid- Aktives Malignom (palliativ/therapiert in letzten 6 Mt) AK-Syndrom, multiple Thrombophilien) Hochrisikopostmyokardinfarkt (schwere Herzinsuff., intrakardialer Thrombus) LVEF nach STEMI mit schweren Wandbewegungsstörungen Non-Compaction-Kardiopathie INDIVIDUALISIERTES MANAGEMENT Akutes Koronarsyndrom V.A. SCHUTZ VOR THROMBOEMBOLIE
3 PRAXIS Continuing Medical Education Praxis 2011; 100 (23): Periinterventionelles Blutungsrisiko Bei jedem Eingriff muss neben dem periinterventionellen TE-Risiko auch das Blutungsrisiko möglichst umfassend evaluiert werden. Dafür massgeblich sind zum Einen patientenbezogene Faktoren wie Alter, Vorerkrankungen und die Medikation während des Eingriffes, zum Anderen ist das Blutungsrisiko von der Invasivität des operativen Eingriffes abhängig (s. Tab. 2). Das Blutungsrisiko ist z.b. tief bei dermatologischen oder einfachen Zahneingriffen (Zahnextraktionen), sodass dort die orale Antikoagulation periinterventionell weitergeführt werden kann. Lokale Blutungen können bei Zahnextraktionen vermindert werden durch hämostatische Mundspühlungen mit Tranexamsäure (Cyklokapron ) 25 mg/kg 4 /Tag für 2 Tage. In diesen Fällen sollte zudem zur Analgesie auf ASS, NSAR oder Cox-2-Antagonisten verzichtet werden. Patienten mit einem hohen TE-Risiko weisen aufgrund ihres Alters und Komorbidität oft auch ein hohes periinterventionelles Blutungsrisiko auf, hier müssen Vor- und Nachteile der Antikoagulation und die Indikation des Eingriffes genau gegeneinander abgewogen und mit dem Patienten besprochen werden. Bei einem tiefen perioperativen Blutungsrisiko kann die OAK ohne Unterbrechung im unteren therapeutischen Bereich (Ziel-INR ) weitergeführt werden. Bei Eingriffen mit einem beträchtlichen Blutungsrisiko muss der INR perioperativ auf mindestens 1.5 abgesenkt werden. Die individuellen Zielwerte müssen hierbei mit dem Chirurgen/ Interventionalisten abgesprochen werden. Tab. 2: Operationsbedingtes Blutungsrisiko [3,6,7]. Tiefes perioperatives Blutungsrisiko: Gelenks- und Weichteilaspirationen, Kataraktoperation, Hautexzisionen Zahnextraktionen Gewisse endoskopische Eingriffe: Obere-/Untere Endoskopie (inkl. Biopsien, Entfernung Polypen 1 cm Durchmesser), Endosonographie Kapselendoskopie ERCP (ohne Sphinkterotomie) Dünndarm-Enteroskopie (Push), Enterales Stenting ohne Dilatiation Herzkatheter Tiefes perioperatives Blutungsrisiko, aber erhöhtes Blutungsrisiko bei perioperativer Antikoagulation: Prostata- oder Nierenbiopsien Wahrscheinlich Herzschrittmacher-/ICD-Einlage (Prospektive Studie hängig [8]) Hohes perioperatives Blutungsrisiko: Offene Herzoperationen (ACBP, Klappenersatz) Intrakranielle oder spinale Eingriffe Grosse Gefässeingriffe (z.b. Aneurysma-OP, peripherer Arterienbypass) Orthopädische Operationen (z.b. Hüft-, Kniegelenksersatz) Grosse Tumoroperationen Urologisch: Prostata- und Blasenoperationen Gewisse endoskopische Eingriffe: Polypektomie ( 1 cm), Endoskopische Resektionen Sphinkterotomie Bougierungen PEG-Sondeneinlage Ösophagusvarizenbehandlung ZIEL: INR TIEF-NORMAL ZIEL: INR 1.5
4 PRAXIS Continuing Medical Education Praxis 2011; 100 (23): Aufhebung der oralen Antikoagulation für elektive Eingriffe Procedere Unterbrechung der Vitamin-K-Antagonisten Die meisten Empfehlungen zur periinterventionellen Pausierung einer OAK in der Literatur beziehen sich auf das 4-hydroxy-Coumarin (Warfarin ), das in Amerika und Grossbritannien verbreitet ist. Mit seiner kurzen Halbwertszeit von 36 h wird meist empfohlen, dieses 5 Tage vor dem Eingriff zu pausieren, sofern die Antikoagulation aufgehoben werden soll. In dieser Zeit sinkt ein INR von meist auf die geforderten 1.5 ab. Im Vergleich dazu hat sich in den deutschsprachigen Ländern Phenprocoumon (Maroumar ) durchgesetzt, das mit seiner langen Halbwertszeit von h eine stabilere Langzeitantikoagulation erlaubt. Aufgrund seiner längeren Halbwertszeit müsste Phenprocoumon bereits deutlich mehr als 5 Tage, eher 10 Tage vor einem geplanten Eingriff pausiert werden. Vitamin K wird für die Synthese der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X in der Leber als Kofaktor benötigt. Die Halbwertszeit von Faktor II, dem wichtigsten Gerinnungsfaktor und hauptverantwortlich für die Qualität der Antikoagulation, beträgt h. Der INR sollte daher mindestens am Tag vor der Operation kontrolliert werden. Ist der INR dann noch nicht in den gewünschten Bereich gefallen, wird empfohlen zusätzlich orales Vitamin K (z.b. 1 5 mg) zu verabreichen [9]. Solange der INR nicht therapeutisch ist und eine Antikoagulation indiziert ist, muss während einer solchen Vitamin-K-Antagonisten-Pause eine Heparinisierung (vgl. unten) durchgeführt werden. Alternativ dazu kann, zumindest bei Eingriffen mit einem niederen bis mittleren Blutungsrisiko, auf die perioperative Unterbrechung des Phenprocoumons verzichtet werden und stattdes - sen der INR durch die Gabe von Vitamin K ein bis zwei Tage vor der Intervention, am ehesten ca. 36 h vor der Intervention, in 95% 1.8 und in 66% 1.5 gesenkt werden. Anschliessend kann durch die einmalige doppelte Durchschnittsdosis der INR rasch wieder in einen therapeutischen Bereich angehoben werden [2]. Als weiterer Vitamin-K-Antogonist wird v.a. in der französischsprachigen Schweiz Acenocoumarol (Sintrom ) eingesetzt. Die vom Hersteller angegebene Halbwertszeit beträgt 8 11 h. Da aber nach Absetzten des Medikamentes die Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren erst wieder ausreichend gebildet werden müssen, ist die OAK-Wirkung unter Sintron nicht innert Stunden aufgehoben, sonder benötigt in der Regel 24 h. Dies ermöglicht ein kurzfristigeres Stoppen der OAK; eine stabile INR-Anhebung mit dem Zielwert 2 3 ist dafür bei gewissen Patienten schwieriger zu erreichen. Periinterventionelle Überbrückung mit Heparinen Die Mittel der ersten Wahl zur periinterventionellen Überbrückung sind heute meist die niedermolekularen Heparine (LMWH). Diese sind dem unfraktionierten Heparin (UFH) in ihrer besser vorhersehbaren Dosis-Wirkungsbeziehung mit einem Wegfall von Laborkontrollen, ihren niedrigeren Kosten sowie des einfacheren Applikationsweges überlegen. Sie verkürzen damit die Hospitalisationsdauer für eine grosse Zahl von Patienten. Zudem scheinen unter LMWH eher weniger schwere Blutungen aufzutreten als unter UFH [11,12,13]. Einzig in Fällen mit sehr hohem Blutungsrisiko (z.b. neurochirurgische Eingriffe), wo es prognoseentscheidend bleibt, im Falle einer Komplikation die Antikoagulation schnellstmöglich unterbrechen zu können, ist unfraktioniertes Heparin unter engmaschigem Monitoring weiterhin das Mittel der Wahl, da es nach Beendigung lediglich kurze Zeit aktiv bleibt (seine Halbwertszeit beträgt dosisabhängig 1 2.5h) und die Faktor-IIa-Aktivität mit Protamin-Sulfat rasch antagonisiert werden kann. Die überbrückende Heparinisierung wird in der Regel begonnen, sobald der INR unter den therapeutischen Bereich (INR 2) sinkt. Dabei kann bei Dalteparin und Enoxaparin die Tagesdosis entweder 1 /24 h oder aber verteilt auf 2 Dosen pro 12 h verabreicht werden. Bei den LMWH wird Aufgrund ihrer Halbwertszeit von 4 6 h die letzte Dosis rund 24 h (also 5 Halbwertszeiten) vor dem Eingriff verabreicht. Da ein residueller Antikoagulationseffekt auch noch 24 h nach dem Stopp andauert, wird für die letzte Verabreichung lediglich eine halbe Tagesdosis empfohlen [9]. Wird UFH eingesetzt, soll dieses mit der entsprechenden Sicherheitsmarge 4 5 h vor dem Eingriff sistiert werden (auch hier ca. 5 Halbwertszeiten bei einer biologischen Halbwertszeit von 45 min). Postinterventionell soll die Heparinisierung nicht zu rasch wiederangesetzt werden, da sowohl bei LMWH wie auch bei UFH die Wirkung bereits nach ca. 1 h beginnt, mit einer maximalen Wirkung nach ca. 3 5 h. So wird die Heparintherapie in voller Dosis 24 h nach Operationen mit kleinem Blutungsrisiko wiederangesetzt, während bei Ope-
5 PRAXIS Continuing Medical Education Praxis 2011; 100 (23): Tab. 3: In der Schweiz zugelassene Antikoagulatien. LMWH s.c. Therapeutische VTE-Dosis Halbwertszeit Dalteparin Natrium (Fragmin ) 100 IU/kg/12 h oder 200 IU/kg/24 h 3 4 h Enoxaparin Natrium (Clexane ) 1 mg/kg/12 h oder 1.5 mg/kg/24 h 4 h Nandroparin (Fraxiparine, Fraxiforte ) 85 IE/kg/12 h 3.5 h UFH i.v. Heparin-Kalzium (Calciparine ) E/24 h als Dauerinfusion h Heparin-Natrium (Heparin Bichsel, Heparin (steigt mit zunehmenden Fresenius, Heparin Na-B.Braun, Liquemin ) Therapiesteuerung über TZ (oder aptt) Dosierungen) Orale Vitamin-K-Antagonisten Phenprocoumon (Marcoumar ) nach Ziel-INR h Acenocoumarol (Sintrom ) nach Ziel-INR 8 11 h rationen mit einem hohen Blutungsrisiko für h zugewartet werden soll. Da die Indikation zur Antikoagulation und die Risiken individuell und je nach Eingriff unterschiedlich sind und randomisierte Studien fehlen, gibt es zur konkreten Handhabung der periinterventionellen Überbrückung mit Heparinen keine genügende Evidenz zur Formulierung von Empfehlungen. Demnach findet sich in der Praxis eine grosse Streuung. So zeigen zum Beispiel bei bis intermediärem Thromboembolierisiko einzelne kleine, nicht-randomisierte Studien gute Erfahrungen mit lediglich subtherapeutischen oder gar prophylaktischen Dosierungen von LMWH. Eventuell kann unter gewissen Umständen das Phenprocoumon wie gewohnt weitergeführt werden, während die Antikoagulation durch die einmalige Verabreichung von Vitamin K temporär aufgehoben wird. So fanden Klamroth et al. [10] in einer prospektiven Studie bei 198 mit Phenprocoumon behandelten Patienten (88% mit intermediärem Thromboembolierisiko) nach Stoppen von Phenprocoumon 7 d vor dem Eingriff und Überbrückung mit Enoxaparin in halb-therapeutischer Dosis in einem relativ kurzen Follow-up von nur 28 d nur 1 (0.5%) postoperative arterielle Thromboembolie sowie 1 (0.5%) revisionsbedürftige schwere Blutung. Für Herzkatheteruntersuchungen, Eingriffe mit einem tiefen periinterventionellen Blutungsrisiko, wurde gezeigt, dass die OAK auch effektiv durch Gabe einer INR-adaptierten Einmaldosis von Vitamin K (Konakion MM, Ka-Vit Tropfen ) am Tag vor dem Eingriff aufgehoben werden kann. Dazu wird die Phenprocoumondosierung mit Ausnahme der Gabe einer doppelten Durchschnittsdosis am Abend nach der Intervention unverändert beibehalten [2]. Bei der heutigen Datenlage bleibt es allerdings fraglich, ob mit einer subtherapeutischen Heparinisierung ATE verhindert werden können, so wie dies kurzfristig bei VTE gezeigt wurde. Es ist zudem fraglich, ob bei Patienten mit einem tiefen und moderaten thromboembolischen Risiko überhaupt ein Benefit einer Überbrückungstherapie zu erwarten ist, da thromboembolische Ereignisse dort innerhalb des in der Regel ohnehin kurzen periinterventionellen Zeitraumes nur sehr selten vorkommen. Es gibt nur wenige Daten zu Langzeitverläufen, sodass die wahre Inzidenz von postoperativen VTE, welche bis 3 Monate später auftreten können, möglicherweise unterschätzt wird. Eine diesbezügliche Klärung könnten die für 2013 erwarteten Resultate von zwei grossen prospektiven Studien (BRIDGE und PERIOP 2) mit total 5000 Patienten bringen. In Zukunft wird es mit Hilfe von neuen OAK wie Dabigatran etexilat (in der Schweiz nicht zugelassen) oder Rivaroxaban (Xarelto, in der Schweiz zur VTE-Prophylaxe nach orthopädischen Eingriffen zugelassen) aufgrund ihrer kurzen Halbwertszeiten (12 17 h und 7 11 h) und vorhersehbarer Pharmakokinetik eventuell sogar möglich werden, auf eine Überbrückungstherapie gänzlich zu verzichten. Diese neuen Medikamente könnten ggf. einfach 24 h vor der Operation pausiert werden. Beide sind jedoch bis anhin noch nicht zur therapeutischen OAK bei Vorhofflimmern und VTE zugelassen, dies dürfte jedoch bald der Fall sein. Empfehlungen zu deren Aufhebung periinterventionell stehen jedoch aktuell noch aus. Wiederbeginn des Phenprocoumon Auch zum richtigen Zeitpunkt zum Wiederansetzten des Phenprocoumons in der postoperativen Phase ist die Datenlage ungenügend. Es ist sicher vorsichtig, das Phenprocoumon nicht vor h nach der Operation und erst nach ge-
6 PRAXIS Continuing Medical Education Praxis 2011; 100 (23): Aufhebung der oralen Antikoagulation für elektive Eingriffe sicherter Hämostase wiederanzusetzen. Das Phenprocoumon kann dabei entweder in der präinterventionellen Durchschnittsdosis oder mit einer Ladedosis wiederangesetzt werden. Eine Ladedosis von maximal 6 mg Phenprocoumon während 2 Tagen ist möglich. Höhere Ladedosen sind nicht zu empfehlen, da initial hiermit v.a. der FVII abfällt und weniger der INR-bestimmende FII, der Steady-State damit nicht wesentlich früher erreicht wird, der therapeutische Bereich überschritten wird und es zu Mikrothrombosen führen kann. Das LMWH wird in jedem Fall überlappend weitergeführt, bis der INR während zwei Tagen im therapeutischen Bereich lag. Abb. 1: Aufhebung der OAK vor elektiven Eingriffen (modifiziert nach [9]).
7 PRAXIS Continuing Medical Education Praxis 2011; 100 (23): Fragen zur Aufhebung der oralen Antikoagulation mit Phenprocoumon vor elektiven Eingriffen Frage 1 Ein 75-jähriger Gefängnisinsasse, dem ein kariöser Zahn gezogen werden soll, ist aufgrund einer echokardiographisch dokumentierten linksventrikulären Auswurffraktion von 23% und einem ventrikulären Aneurysma unter einer Therapie mit Marcoumar. Aufgrund eines stattgehabten Myokardinfarktes vor 15 Monaten, der mit einem Stent versorgt wurde, ist der Patient zudem mit Aspirin behandelt. Der Gefängniszahnarzt bittet Sie nun darum, die Blutverdünnung vor der geplanten Zahnextraktion aufzuheben. Wie gehen Sie vor? (Einfachauswahl) a) Aspirin sowie Marcoumar sind perioperativ unverändert weiterzuführen. Sie verabreichen zudem für 2 d eine Mundspühlung mit Cyklokapron. b) Sie sistieren das Aspirin 7 10 d vor der Zahnextraktion. Die Therapie mit Marcoumar wird 7 d vor der Intervention pausiert und die perioperative Zeit mit einer therapeutischen Dosis von Fragmin überbrückt. c) Aspirin wird periinterventionell weitergeführt. Das Marcoumar sistieren Sie 7 d vor der Intervention bis zum Erreichen einer postoperativen Hämostase. d) Die Aspirintherapie wird 7 10 d vor der Intervention sistiert. Das Marcoumar wird periinterventionell weitergeführt. Frage 2 Bei einer 85-jährigen Patientin mit hohem Blutdruck, einem Diabetes und einem intermittierenden Vorhofflimmern soll eine Ösophagusstenose bougiert werden. Wie verfahren Sie mit der Marcoumarisierung? (Einfachauswahl) a) Da die Patientin das Risiko zu einer arteriellen (im Gegen - satz zu einer venösen) Thromboembolie hat, soll die periinterventionelle Marcoumartherapie keinesfalls unterbrochen werden. b) Eine periinterventionelle Therapie mit unfraktioniertem Heparin ist in diesem Fall während der Marcoumar- Pause von 10 Tagen Mittel der Wahl. c) Es ist nicht indiziert, die Marcoumartherapie periinterventionell zu unterbrechen. d) Die Marcoumartherapie zu unterbrechen und keine über - brückende Heparintherapie einzusetzen, würde die Patientin einem erhöhten perioperativen Thromboembolierisiko aussetzen. e) Die Intervention hat ein tiefes Blutungsrisiko, das Vorhofflimmern hat ein intermediäres Thromboembolierisiko. Frage 3 1. Ein 45-jähriger aufgrund einer mechanischen Mitralklappe antikoagulierter Patient benötigt die operative Sanierung eines Bandscheibenvorfalls. Bei diesem Patienten ist eine periinterventionelle Überbrückung mit unfraktioniertem Heparin die Methode der Wahl, weil 2. eine Überbrückung mit unfraktioniertem Heparin zu weniger Blutungskomplikationen führt als eine Überbrückung mit niedermolekularen Heparinen. a) 1. richtig, 2. falsch b) 1. falsch, 2. richtig c) alles richtig d) alles falsch e) 1. richtig, 2. richtig, «weil» falsch Frage 4 Bei einem aufgrund von Vorhofflimmern mit einem CHADS2-Score von 4 Punkten oral antikoagulierten 65-jährigen Mann ist eine elektive Herzkatheteruntersuchung geplant. Wie gehen Sie am besten vor? (Einfachauswahl) a) Die OAK mit Marcoumar wird 10 d präoperativ aufgehoben. b) Der Patient wird für die Herzkatheteruntersuchung von Marcoumar auf Aspirin umgestellt. c) Da sein INR 36 h vor der geplanten Herzkatheter 2.5 beträgt, verabreichen Sie ihm 5 mg Vitamin K p.o., führen aber die Marcoumartherapie unverändert weiter. d) Gemäss gängigen Richtlinien kann periinterventionell in diesem Fall unfraktioniertes Heparin eingesetzt werden. e) Am Abend nach der Herzkatheteruntersuchung soll Marcoumar in der vorwöchentlichen Durchschnittsdosis verabreicht werden.
8 PRAXIS Continuing Medical Education Praxis 2011; 100 (23): Frage 5 Bei welchem Patienten ist es verhältnismässig, das Marcoumar 5 10 d vor der Intervention zu sistieren und keine überbrückende Heparintherapie durchzuführen? (Einfachauswahl) a) Ein Patient mit multiplen paraneoplastischen Embolien, bei dem ein intrazerebraler maligner Primärtumor operativ angegangen werden soll. b) Ein Patient mit einer geplanten elektiven Herzkatheteruntersuchung und einer OAK aufgrund einer VTE vor 4 Monaten. c) Ein Patient mit einer geplanten elektiven Herzkatheteruntersuchung und einer OAK aufgrund einer mechanischen Mitralklappenprothese. d) Ein Patient mit einer geplanten grossen Tumoroperation und einer Antikoagulation aufgrund einer mechanischen Mitralklappe. e) Ein Patient mit einer geplanten grossen Tumoroperation und einer Antikoagulation aufgrund einer biologischen Aortenklappenprothese. Auflösung der Fragen und Kommentar in PRAXIS Nr. 24 vom 30. November 2011 Sie können die Fragen auch online unter lösen. Nach Beantwortung der Fragen sind Auflösung und Kommentar sofort abrufbar. Korrespondenzadresse PD Dr. med. Silvia Ulrich Somaini Oberärztin MbA Bereich Herz-Gefäss-Thorax Universitätsspital Zürich Rämistrasse Zürich silvia.ulrich@usz.ch Autoren Klinik und Poliklinik für Innere Medizin 1, Bereich Herz-Gefäss-Thorax 2, Universitätsspital Zürich; Klinik für Innere Medizin, Spital Uster 3 1 Dr. med. Alessandro Marzan, 3 PD Dr. med. Esther Bächli, 2 PD Dr. Silvia Ulrich Somaini Bibliographie 1. Righini M, de Moerloose Ph. Modulation de l anticoagulation en casde gestes invasifs. Méd et Hyg. 2000;58: Ulrich S, Debrunner J, Stoll S, Rentsch K, Bachli E. A single dose of oral vitamin K effectively reverses oral anticoagulation with phenprocoumon during heart catheterisation. Swiss Med Wkly. 2006;136: Jaffer AK, Brotman DJ, Chukwumerije N. When patients on warfarin need surgery. Cleve Clin J Med. 2003; 70: Spyropoulos AC. To bridge or not to bridge: that is the question. The argument FOR bridging therapy in patients on oral anticoagulants requiring temporary interruption for elective procedures. J Thromb Thrombolysis. 2010;29: Douketis JD. Perioperative management of warfarin therapy: to bridge or not to bridge, that is the question. Mayo Clin Proc. 2008; 83: Thachil J, Gatt A, Martlew V. Management of surgical patients receiving anticoagulation and antiplatelet agents. Br J Surg- 2008;95: ASGE Standards of Practice Committee, Anderson MA, Ben-Menachem T, Gan SI, Appalaneni V, Banerjee S, Cash BD, et al. Management of antithrombotic agents for endoscopic procedures. Gastrointest Endosc. 2009;70: Garcia DA, Regan S, Henault LE, Upadhyay A, Baker J, Othman M, et al. Risk of thromboembolism with short-term interruption of warfarin therapy. Arch Intern Med. 2008;168: Douketis JD, Berger PB, Dunn AS, Douketis JD, Berger PB, et al.; American College of Chest Physicians. The perioperative management of antithrombotic therapy: American College of Chest Physicians Evidence-Based Clinical Practice Guidelines (8th Edition). Chest. 2008;133: S. 10. Klamroth R, Gottstein S, Essers E, Landgraf H. Bridging with enoxaparin using a half-therapeutic dose regimen: safety and efficacy. Vasa. 2010;39: Spyropoulos AC, Douketis JD. Guidelines for antithrombotic therapy: periprocedural management of antithrombotic therapy and use of bridging anticoagulation. Int Angiol. 2008;27: Spyropoulos AC, Frost FJ, Hurley JS, Roberts M. Costs and clinical outcomes associated with low-molecular-weight heparin vs. unfractionated heparin for perioperative bridging in patients receiving long-term oral anticoagulant therapy. Chest. 2004;125: Spyropoulos AC, Turpie AG, Dunn AS, Kaatz S, Douketis J, Jacobson A, et al.; REGIMEN Investigators. Perioperative bridging therapy with unfractionated heparin or low-molecular-weight heparin in patients with mechanical prosthetic heart valves on long-term oral anticoagulants (from the REGIMEN Registry). Am J Cardiol. 2008;102:883-9.
9 PRAXIS Continuing Medical Education Praxis 2011; 100 (24): Antworten zu den Fragen zur Aufhebung der oralen Antikoagulation mit Phenprocoumon vor elektiven Eingriffen aus PRAXIS Nr. 23 Frage 1 Richtig ist Antwort a). Es handelt sich bei der Zahnextraktion um einen Eingriff mit einem niederen Blutungsrisiko, sodass weder das Aspirin noch das Marcoumar periinternventionell pausiert werden müssen für beides hat der Patient eine gute Indikation. Lokale Blutungen können durch eine blutstillende Mundspühllösung (z.b. Tranexamsäure (Cyklokapron ) 4 /d für 2 d) deutlich reduziert werden. Zudem ist darauf zu achten, zur Analgesie keine NSAR oder COX-II-Hemmer zu verschreiben. Das Aspirin oder das Marcoumar zu pausieren ist nicht nötig, b) bis d) sind somit falsch. Frage 2 Richtig ist Antwort d). Die geplante Intervention hat ein hohes Blutungsrisiko (somit ist e) falsch), die Patientin hat ein hohes arterielles Thromboserisiko, somit ist das periinterventionelle Sistieren von Marcoumar mit einer Überbrückung mit niedermolekularen Heparinen (womit a), b) und c) falsch sind) das Vorgehen der Wahl. Frage 3 Richtig ist Antwort a). Eine Überbrückung mit unfraktioniertem Heparin ist niedermolekularem Heparin vorzuziehen, weil diese im Falle einer Komplikation rascher abklingt und antagonisierbar ist, so ist der Schweregrad einer das Rückenmark komprimierenden Blutung eher begrenzbar. Trotzdem besteht unter unfraktionierten Heparinen sogar eher eine Tendenz zu mehr Blutungskomplikationen als unter niedermolekularen Heparinen. Frage 4 Richtig ist Antwort c). Gemäss der Studie von Ulrich et al. [2] kann bei Eingriffen mit einem niedrigen Blutungsrisiko die OAK weitergeführt werden und INR-adaptiert ca. 36 h vor dem Eingriff eine orale Vitamin-K-Gabe verabreicht werden. Bei dem niederen Blutungsrisiko der Herzkatheteruntersuchung muss die OAK weder 10 d vorher gestoppt, noch auf Aspirin umgestellt werden (a) und b) sind somit falsch), unfraktioniertes Heparin einzusetzen ist bei dem geringen Blutungsrisiko ebenfalls nicht zweckmässig (d) ist falsch). Postinterventionell soll Marcoumar nach der Vitamin-K-Verabreichung einmalig in einer doppelten Durchschnittsdosis gegeben werden (die in e) vorgeschlagene einfache Durchschnittsdosis ist ungenügend.) Frage 5 Richtig ist Antwort e). Bei einer biologischen Aortenklappe ist eine orale Antikoagulation nicht notwendig. Die Patienten a) bis d), welche alle eine gute Indikation für eine OAK haben, nicht überbrückend zu heparinisieren, würde diese einem unnötigen Thromboserisiko aussetzen by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern DOI / /a000725
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