Johannes der Täufer sieht, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!

Transkript

1 Predigt: Joh 1, Johannes der Täufer sieht, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! 30 Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. 31 Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen, zu taufen mit Wasser. 32 Und Johannes bezeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herab fuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. 33 Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte, zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herab fahren und auf ihm bleiben, der ist's, der mit dem heiligen Geist tauft. 34 Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn. Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen. Liebe Gemeinde! Über der englischen Gemeinde Balmoral ging einmal ein heftiger Regenschauer nieder. Eine Bäuerin wollte gerade ihr Hoftor schließen, als eine einfach gekleidete Frau vor ihr stand und bat: Können Sie mir einen Schirm leihen, damit ich einigermaßen trocken heimkomme? Die Bäuerin sah die Fremde von oben bis untern an und sagte dann: Da, den alten Schirm hier, den können Sie haben. Den neuen bekommen Sie nicht. Man weiß ja nie, wem man etwas gibt und ob man es zurück bekommt. Mit diesen Worten gab sie der Bittstellerin einen alten, verschlissenen Schirm und schloss ihr Hoftor. Am nächsten Tag hielt eine Kutsche vor diesem Tor. Ein Mann, in königliche Livree gekleidet, brachte den verliehenen Schirm zurück mit den Worten: Ihre Majestät, Königin Viktoria von England dankt Ihnen für den Schirm. Er hat ihr gute Dienste geleistet! Erst jetzt ging der Bäuerin auf, mit wem sie tags zuvor gesprochen hatte. Sie hatte die Bittstellerin nicht erkannt. Ähnlich, ganz ähnlich, liebe Gemeinde, muss es Johannes dem Täufer ergangen sein, von dem wir im heutigen Predigttext gehört haben, wenn er hier zweimal sagt: "Und ich kannte ihn nicht." (.V.31.33) Auch er erlebte eine Überraschung, die ihm wahrscheinlich sogar peinlich gewesen ist: Da kommt ein Mann aus Galiläa zu ihm, um sich taufen zu lassen. Über seine Mutter ist Johannes sogar verwandt mit ihm. Er weiß: das ist Jesus, der Sohn des Zimmermanns Josef und seiner Frau Maria aus Nazareth. - Aber dann, erst hier am Jordan, erkennt er plötzlich einen noch ganz anderen in ihm. Er erkennt den Sohn Gottes. - "Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!" (V.29b) Jemanden kennen, liebe Gemeinde, und jemanden erkennen als den, der er in Wirklichkeit ist, das ist zweierlei. Ob wir jemanden an-schauen oder ihn durch-schauen, bedeutet einen gewaltigen Unterschied. Deshalb meine Frage: Wie geht es uns mit diesem Jesus? Als wen erkennen wir ihn, den wir in den vergangenen Weihnachtstagen gefeiert haben? - Jesus von Nazareth - dieser Mensch ist zugleich der Christus, der Heiland Gottes. So bekennt Johannes der Täufer, nachdem er ihn mit Wasser getauft hat. So haben wir es an

2 Weihnachten gehört, gesungen und selbst bekannt: Jesus, der Christus! Nach unserem Predigttext ist er es sogar gleich in dreifacher Weise: Jesus ist 1. der Christus vor uns, 2. der Christus für uns, 3. der Christus in uns. 1. Jesus - der Christus vor uns: Johannes der Täufer bezeichnet Jesus als den Mann, der vor ihm gewesen ist, der eher war, als er selbst. - Was meint Johannes damit? - Da ist einmal Jesaja, der Prophet. Der sagte an, was die Stunde geschlagen hat. Er prophezeite nicht nur den kommenden Erlöser, er hielt dem Volk auch seine sozialen und gesellschaftlichen Verfehlungen vor. Er verkündigte nicht nur den Anbruch der Heilszeit, sondern korrigierte ebenso deutlich das Fehlverhalten seiner Zeitgenossen. - Doch mit Jesus ist Jesaja nicht wiedergekehrt. Auch Jesaja hätte über Jesus gesagt: "Er war eher als ich." Da ist des weiteren David, der große König Israels, der im Stammbaum Jesu sogar namentlich erwähnt wird. Für Recht und Gerechtigkeit hat er in seinem Staat gesorgt. Die Grenzen Israels hat er ausgeweitet und gesichert. - Doch auch er ist mit Jesus nicht wiedergekehrt. Auch David hätte über Jesus sagen müssen: "Er war eher als ich." Und da ist Mose, der Vermittler der Gebote Gottes. Er ist der begnadete Führer des Volkes Israel durch die Wüste, in der auch Jesus immer wieder viel Zeit verbracht hat. Mose ist der Lehrer des Volkes, der die Ordnungen zum Leben weiter gab und sie verbindlich machte. - Doch auch Mose ist in Jesus nicht wiedergekehrt. Auch er hätte über Jesus sagen müssen: "Er war eher als ich." Und da ist schließlich Abraham, der Vater des Glaubens, der entgegen aller Vernunft glaubte und an den Verheißungen Gottes festhielt. - Und auch Abraham ist nicht in Jesus wiedergekehrt. Auch er hätte sagen müssen: "Er war eher als ich." Jesus war eher. Er war bei Gott noch ehe die Welt erschaffen wurde, - so sagt es das Johannesevangelium: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort... Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns." (Joh 1,1.4) Wir sehen in Jesus zwar den Menschen, der anderen Menschen vergleichbar ist. Wir sehen in ihm einen Propheten - wie Jesaja, einen König - wie David, einen Lehrer - wie Mose, und Glaubensvater - wie Abraham. Aber Jesus ist mehr: Er ist der Sohn Gottes. Er geht nicht auf in den Vorstellungen, die wir uns von ihm machen. Er lässt sich nicht festlegen auf das, was wir von ihm denken. Er bleibt uns voraus, zeigt sich immer wieder überraschend und neu. - Und das macht schließlich auch unser Leben immer wieder neu, weil mit Jesus ein Stück der Ewigkeit Gottes in unserer Welt offenbar geworden ist. Unser irdisches Leben ist nur ein Teil dieser Ewigkeit. Unser Suchen und Streben, unsere Glücksmomente und auch unser Scheitern sind nicht das Einzige. Oder mit den Worten der diesjährigen Jahreslosung aus dem Hebräerbrief: "Wir haben hier keine bleibende Stadt, die zukünftige suchen wir." (Hebr 13,14) - Jesus ist der Christus vor uns. 2. Jesus - der Christus für uns: Johannes der Täufer kennt die Erwartungen seines Volkes ganz genau. Die alttestamentlichen Propheten hatten den kommenden Heilsbringer deutlich angekündigt: Als einen, der Licht bringt, das alle Völker erleuchten soll. Als Friedenbringer, der alle Waffen zu friedlichen Werkzeugen umschmieden lässt.

3 Als Verkünder eines friedlichen Zusammenlebens aller Menschen. So waren die Erwartungen des Volkes Israel. - Und unsere Erwartungen sind ganz ähnlich, denke ich, die Erwartungen, was im Namen Jesu Christi geschehen kann: Jesus, der Lichtträger, der alle Dunkelheit von Krieg und Verfolgung endgültig vertreiben wird. Jesus, der Gesellschaftsreformer, der alle Ungerechtigkeiten anprangert und beseitigt. Jesus, der alle Sehnsucht nach Gott erfüllt und sich durchsetzen wird in der Weltgeschichte. "Siehe, das ist Gottes Lamm", sagt Johannes der Täufer, "das Lamm, das der Welt Sünde trägt und wegnimmt." (V.29) - Zugegeben, dieses Bild vom Lamm passt nicht in unsere hoch technisierte Welt. Allenfalls sprechen wir noch von einer "Schafsgeduld", wenn sich jemand alles gefallen lässt, zu allem "Ja und Amen" sagt und sich nicht widersetzt. Die Zuhörer damals verstanden das Bild sofort. Sie waren - wie man so schön sagt - im Bilde: Da gab es den großen Versöhnungstag, den "Jom Kippur". Der Hohepriester legte symbolisch die Schuld des Volkes auf einen Schafsbock, - daher der Ausdruck "Sündenbock", - der dann samt Sünde und Schuld in die Wüste hinausgejagt wurde. Die Menschen wussten: Da wird auch meine Sünde, da werden auch mein Versagen und meine Schuld weggetragen. Ein anderer trägt das, was ich eigentlich zu tragen hätte. Ein anderer trägt für mich... Und weil er es für mich trägt, darum trägt er auch mich. Deshalb hat das Lamm Gottes nichts mit Schafsgeduld zu tun: Deshalb müssen wir uns nicht alles gefallen lassen. Deshalb müssen wir nicht zu allem "Ja und Amen" sagen. Und deshalb müssen wir auch nicht unter dem zusammenbrechen, was uns belastet. Ein anderer trägt uns, einer, dessen Rücken so breit und dessen Füße so stark sind, dass sie unter keiner Last zusammenbrechen. - Das ist das Lamm, der Christus für uns. 3. Jesus - der Christus in uns: Johannes der Täufer kennt die Verheißung des Propheten Joel: "Ich will meinen Geist ausgießen über alles Fleisch." (Joel 3,1) In Jesus sieht er diese Verheißung verwirklicht. Denn vor den Augen des Täufers kommt der Geist Gottes - wie eine Taube - auf Jesus herab. Und er weiß: Durch Jesus wird der Geist Gottes weiter gegeben in unsere Welt. Darum gilt auch heute und für uns: Nicht von allen guten Geistern verlassen soll die Zukunft, soll das neue Jahr 2013 vor uns liegen, sondern erfüllt vom Geist Gottes. Der Geist Gottes ist allerdings kein Zeitgeist, kein Vordenker, der uns abnimmt, selbst zu denken. Der Geist Gottes ist auch kein Weltgeist, der uns - angeblich - herrlichen Zeiten entgegenführt. Und er ist auch kein Geist, durch den alles in einer allgemeinen "Vergeistigung" endet. - All diese Geister haben unsere Welt nur, nur gespenstischer, nur schauerlicher nur "geisterhafter" gemacht, nie aber "geist-voll". Der Heilige Geist hat nichts Spektakuläres, nichts Spekulatives an sich. Auf Taubenschwingen kommt er leise daher und nimmt von Jesus Besitz. Und wer in Kontakt mit Jesus steht, der bekommt Kontakt mit Gott. Der Heilige Geist will Wohnung nehmen in uns. - Durch den Heiligen Geist wird Jesus zum Christus in uns. Seit dem Wort des Täufers: "Dieser ist Gottes Sohn" (V.34), sind wir nicht mehr von allen guten Geistern verlassen, sondern können uns mit Gottes Geist erfüllen lassen. Denn: Der Sohn Gottes ist der Christus vor uns. Das Lamm Gottes ist der Christus für uns.

4 Und der Geist Gottes ist der Christus in uns. Wie war das noch mit der Bäuerin, die die Königin Viktoria nicht erkannt hatte und ihr deshalb nur ihren alten und zerschlissenen Schirm auslieh? - Hätte sie gewusst, mit wem sie es zu tun hatte, wäre ihr wahrscheinlich auch ihr neuer Schirm nicht gut genug gewesen, um ihn ihr auszuleihen. Um wie viel wertvoller muss uns dann Jesus, der Christus sein! - Ihm können wir nicht nur unser altes und belastetes Leben übergeben. Ihm können wir nicht nur unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart und unsere Zukunft anvertrauen. Ihm können wir nicht nur unsere Sorgen und Probleme aufbürden... Ihm können wir auch unser Kostbarstes und Ureigenstes, ihm können wir unsere Freude und unsere Hoffnung und unsere Liebe geben, - damit er sie uns zurück gibt als die Erfüllung unseres Daseins. Amen. Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus. Amen. Klaus Gruzlewski

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