BGH, Urteil vom 18. Juni 1957, BGHSt 10, 291 Piepslaute
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- Käte Günther
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1 BGH, Urteil vom 18. Juni 1957, BGHSt 10, 291 Piepslaute Sachverhalt: Berta wird im Oktober 2006 von ihrem Freund Anton schwanger. Jedoch wollen weder Berta noch Anton das Kind bekommen, sodass sich Berta für eine Abtreibung entscheidet. Einen Arzt oder eine Schwangerschaftskonfliktberatung will sie nicht konsultieren. Die Voraussetzungen einer medizinisch-sozialen ( 218a II StGB) oder einer kriminologischen Indikation ( 218a III StGB) liegen ebenfalls nicht vor. Nach mehreren erfolglosen Selbstversuchen einer Abtreibung nimmt Berta im März 2008 (d.h. im 6. Schwangerschaftsmonat) einen weiteren Abtreibungsversuch vor. Nach Eröffnung der Fruchtblase wird ein ca. 25 cm langer Embryo geboren, dessen Körperformen bereits deutlich zu erkennen sind. Der Embryo macht zuckende Bewegungen und gibt Piepslaute von sich. Auch scheint er bereits zu atmen. Bei Berta entsteht nunmehr der Eindruck, ein überlebensfähiges Kind geboren zu haben. Um das Kind schließlich zu töten, drückt Berta es ungefähr zwei Minuten fest gegen ein Kopfkissen bis es sich nicht mehr regt. Der Sachverständige stellt später fest, dass das zu früh geborene Kind zwar selbstständig geatmet hat, aber nicht dauerhaft überlebensfähig gewesen wäre. Strafbarkeit Bertas? Thema: Abgrenzung 212 StGB 218 StGB Materialien:
2 Lösungsübersicht: A. Strafbarkeit Bertas gemäß 212 StGB I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Kausale Tötungshandlung (+) b) Anderer Mensch (+) Abgrenzung 212 StGB 218 StGB 2. Subjektiver Tatbestand (+) II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) B. Strafbarkeit Bertas gemäß 218 I, III StGB I. Objektiver Tatbestand 1. Abbruch der Schwangerschaft (+) Problem: Anwendbarkeit des 218 I, III StGB bei Tötung bereits lebender, aber nicht überlebensfähiger Frühgeburten? 2. Kausalität der Abbruchshandlung (+) Problem: Kausalität der Abbruchshandlung für Tod des Frühgeborenen trotz späterer erneuter Tötungshandlung? 3. Objektive Zurechnung ( ) Vorsätzliches Dazwischentreten Dritter (hier: der Berta selbst) II. Ergebnis
3 Lösungsvorschlag: A. Strafbarkeit gemäß 212 StGB Indem Berta das Neugeborene gegen ein Kopfkissen drückte, bis es sich nicht mehr regte, könnte sie sich wegen eines Totschlages gemäß 212 StGB strafbar gemacht haben. I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Kausale Tötungshandlung Durch das Drücken des Kindes in das Kopfkissen trat dessen Tod ein. b) Anderer Mensch Fraglich ist, ob es sich bei dem Neugeborenen um einen anderen Menschen i.s. des 212 StGB handelte. Hieran könnte man deswegen zweifeln, weil das geborene Wesen nicht überlebensfähig war und nach wenigen Stunden gestorben wäre. Andererseits muss es als ausreichend angesehen werden, dass ein menschliches Wesen nach Abtrennung von der Nabelschur wenigstens kurzfristig selbstständig lebt, d.h. Kreislauf und Atmung wenigstens kurzfristig funktionieren. Insoweit lag hier also ein Mensch i.s. des 212 StGB vor. 2. Subjektiver Tatbestand Berta handelte zielgerichtet, sodass ein direkter Tötungsvorsatz vorlag. II. Rechtswidrigkeit und Schuld Es liegen weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgründe vor. Berta hat mithin rechtswidrig und schuldhaft gehandelt und sich wegen eines Totschlages gemäß 212 StGB strafbar gemacht. B. Strafbarkeit gemäß 218 I, III StGB
4 Dadurch, dass Berta im sechsten Schwangerschaftsmonat einen Abtreibungsversuch vornahm, könnte sie sich wegen eines Schwangerschaftsabbruchs gemäß 218 I, III StGB strafbar gemacht haben. I. Objektiver Tatbestand 1. Abbruch der Schwangerschaft Das Öffnen der Fruchtblase zum Zweck der Einleitung der Eröffnungswehen und schließlich einer Frühgeburt stellt eine taugliche Abtreibungshandlung dar. Fraglich ist aber, ob der Anwendungsbereich des 218 I, III StGB hier überhaupt einschlägig sein kann, da eine Schwangerschaft bereits mit dem Beginn der Geburt endet und vorliegend durch die Frühgeburt ein lebendes Kind zur Welt kam. Der Embryo wurde demnach nicht vor dem Geburtsvorgang abgetötet. Eine vollendete Abtreibung ist aber auch dann anzunehmen, wenn das Kind zwar nach der Geburt kurze Zeit lebt, dann aber alsbald infolge der Abtreibungshandlung verstirbt, weil es auf Dauer nicht überlebensfähig war. Denn zur Verwirklichung einer Abtreibung gemäß 218 StGB ist es nicht erforderlich, dass die Leibesfrucht bereits im Mutterleib stirbt. Vielmehr reicht es aus, wenn das Kind zwar lebend zur Welt kommt, dann aber infolge des Schwangerschaftsabbruchs verstirbt. Berta hat ihre Schwangerschaft demnach abgebrochen. 2. Kausalität der Abbruchshandlung Fraglich ist aber, ob die Abtreibungshandlung auch kausal für den Tod des Kindes war oder ob die spätere Tötungshandlung diese Kausalität beseitigt hat. Nach der conditio-sine-qua-non Formel kann die Abtreibungshandlung nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Hätte Berta die Abtreibungshandlung nicht vorgenommen, wäre es ihr unmöglich gewesen, das Kind durch das Drücken auf das Kopfkissen zu diesem Zeitpunkt zu töten, da es noch nicht geboren gewesen wäre. Mithin ist die Abtreibungshandlung kausal für den Tod des Kindes.
5 Der BGH bestraft daher auf Grund der vorangegangenen Feststellungen in solchen Fällen wegen Totschlages in Tateinheit mit vollendetem Schwangerschaftsabbruch gemäß 212, 218 I, III, 52 I StGB. Eine in der Literatur weit verbreitete Gegenansicht fordert aber ein Entweder-Oder. Mit 218 StGB solle der Abbruch der Schwangerschaft unter bestimmten Voraussetzungen unter Strafe gestellt werden. Die Schwangerschaft ende aber anerkannterweise mit dem Beginn der Geburt. Kommt demnach trotz der Abtreibungshandlung ein zumindest kurzzeitig lebensfähiger Mensch zur Welt, sei der Schwangerschaftsabbruch, also die Abtötung der Leibesfrucht, fehlgeschlagen, sodass lediglich ein versuchter Schwangerschaftsabbruch in Tateinheit mit einem vollendeten Totschlag vorliege, sofern es nach der Geburt zu einem Tötungsakt kommt. Der Ansatz des BGH überzeugt in der Tat nicht. Es ist nicht logisch nachvollziehbar, dass sowohl die vollendete Tötung einer Leibesfrucht, als auch die eines Menschen bestraft wird. Denn diese beiden Lebensformen schließen sich gegenseitig aus, da eine von 218 StGB geschützte Leibesfrucht ab dem Zeitpunkt, ab dem sie lebensfähig ist, zum von 212 StGB geschützten Menschen wird. Daher lag zwar ein Angriff auf die Leibesfrucht vor, dieser ist aber fehlgeschlagen, sodass nur ein versuchter Schwangerschaftsabbruch vorliegt. Rechtsdogmatisch lässt sich dies durch einen Ausschluss der objektiven Zurechnung mittels der Rechtsfigur des vorsätzlichen Dazwischentretens Dritter konstruieren. Indem Berta nach dem Eingriff, der letztlich den Abbruch der Schwangerschaft bewirkt hätte, vorsätzlich den Tod des Kindes durch Ersticken beschleunigte, griff sie vorsätzlich in den Kausalverlauf ein und verursachte auf diese Weise den Tod in seiner konkreten Gestalt. II. Ergebnis Berta hat sich nicht wegen eines vollendeten Schwangerschaftsabbruches strafbar gemacht. Auch eine Strafbarkeit wegen eines versuchten Schwangerschaftsabbruches gemäß 218 I, III StGB scheidet aus, da der Versuch einer Selbstabtreibung wegen 218 IV 2 StGB nicht strafbar ist.
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