Kommunikation als Konstruktion von Wirklichkeit
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- Gisela Seidel
- vor 7 Jahren
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1 Autor: Watzlawick, Paul. Titel: Kommunikation als Konstruktion von Wirklichkeit. Quelle: ide - Informationen zur Deutschdidaktik. Zeitschrift für den Deutschunterricht in Wissenschaft und Schule. 23. Jg., Nr. 3/99. Innsbruck/Wien S Verlag: Studien Verlag. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Paul Watzlawick (im Interview mit Werner Wintersteiner) Kommunikation als Konstruktion von Wirklichkeit Paul Watzlawick im Interview Ide: Herr Prof. Watzlawick, Sie sind bekannt für Ihre Arbeiten zum Thema Kommunikation. Was bedeutet für Sie Kommunikation und was interessiert Sie an diesem Begriff? Kommunikation heißt an und für sich die Übermittlung von Information. Das ist aber keineswegs alles. Unser großer Mentor Gregory Bateson hat schon darauf verwiesen, daß jede Kommunikation sich auf zwei Stufen abspielt. Die erste nannte er die Inhaltsebene, wo neutrale Information vermittelt wird, und die zweite ist die Beziehungsebene, da nämlich jeder, der kommuniziert, unweigerlich in seiner Kommunikation auch eine Definition seiner Sicht der Beziehung zu dem, mit dem er kommuniziert, formuliert. Da gibt s sehr schöne Witzchen dazu, zum Beispiel der Graf- Bobby-Witz, den ich gerne in diesem Zusammenhang erwähne: Das Dienstmädchen kommt gelaufen: Herr Graf, ich glaube, wir bekommen Regen! Graf Bobby richtet sich steil auf und sagt: Mitzi, ich bekomme vielleicht Regen und Sie bekommen vielleicht Regen! Er lehnt das vertrauliche wir zwischen ihm, dem Aristokraten, und ihr, dem Dienstmädchen, ab. 1
2 Was mich an diesem Begriff am meisten interessiert, ist, daß die Kommunikation zwischenmenschliche Wirklichkeiten schafft, d. h. Situationen, die von einigen Leuten als die Wirklichkeit gesehen werden, und von anderen Leuten als Unsinn oder eben nicht als Wirklichkeit. Das kann natürlich sofort zu großen Schwierigkeiten führen. Ide: Was ist Ihr persönlicher Antrieb, sich mit Kommunikation auseinanderzusetzen? Der Antrieb ist der, daß ich Therapeut bin und daher mit der Kommunikation versuche, Menschen zu helfen. Und das besonders, seit wir begonnen haben, konstruktivistisch zu denken. Der radikale Konstruktivismus ist eine Möglichkeit zu begreifen, wie das, was ich die Wirklichkeit zweiter Ordnung nenne das heißt der Sinn, die Bedeutung, der Wert, den Menschen den Wahrnehmungen zuschreiben, was bei verschiedenen Menschen natürlich vollkommen verschieden sein mag wie diese Wirklichkeitskonstruktionen verwendet werden können, um Änderungen herbeizuführen und Menschen zu helfen, die an ihrer Konstruktion der Wirklichkeit leiden. Ide: Ich habe den Eindruck, daß dieser Begriff, den Sie sehr stark mit Therapie verbinden, zu einem gesellschaftspolitischen Begriff geworden ist, etwa nach dem Motto: Eine ganze Gesellschaft gehört therapiert. Das ist wohl unmöglich. Man kann nur versuchen, die Probleme zu mildern, indem man interveniert in einer Form, die diese Situation weniger schmerzvoll macht, neue Faktoren einzuführen, verschiedene andere Interpretationen annehmen zu lassen. Ganze Gesellschaften können nicht therapiert werden, bestenfalls eine Familie oder ein Unternehmen. Auch was die internationalen Beziehungen betrifft, gibt ist allerhand, was nicht stimmt, was gemacht werden könnte, aber nicht wird. Ide: Man hat den Begriff Kommunikation, der aus den zwischenmenschlichen Beziehungen entwickelt wurde, übertragen auf einen Bereich Telekommunikation, moderne Massenmedien ohne daß man sich seiner Metaphorisierung bewußt wäre. Ist Massenkommunikation nicht etwas ganz anderes? Ich bin ganz Ihrer Meinung. Ich muß gestehen, ich habe eine sehr negative Einstellung gegenüber den modernen Massenmedien, denn die sind meines Erachtens sehr 2
3 verantwortlich für die enorme Zunahme der Gewalttätigkeit. In Amerika hat ein fünfjähriges Kind, nach Untersuchungen, bereits Gewaltakte, Morde usw. gesehen. Und auf diese Weise wird, viel wirkungsvoller als die politische Propaganda es vermag, eine Wirklichkeitskonstruktion hergestellt, in der es mehr und mehr Gewalt gibt. Wenn ich jemanden umgebracht habe, dann bin ich jemand, dann habe ich etwas erreicht! Ich habe schon oft zu Medienmachern gesagt: Könnt Ihr nicht Programme machen, in denen Akte menschlicher Güte das Hauptmotiv sind? Das ist außerhalb ihres Gedankenkreises... Ide: Sie sehen also eine Zunahme der Kommunikation der Gewalt? Natürlich, und auf diese Weise wird auch die Gewalt zunehmen. Das sehen wir auch an diesen schrecklichen Blutbädern in den amerikanischen Schulen. Diese Ereignisse werden in den Medien in allen Einzelheiten gezeigt und in einer Weise dargestellt, die geradezu Bewunderung einflößt. Unannehmbar! Gegenüber dieser Kommunikation der Gewalt sind wir genauso hilflos wie gegenüber der Propaganda von Hitler oder Stalin oder wem immer. Dagegen kann ich persönlich nichts tun. Ich kann nur vielleicht gewisse Leute dazu bringen einzusehen, daß es Möglichkeiten gibt, diese Gewalttätigkeit zu bremsen eben indem man andere Werte ins Bild bringt. Ide: Wie versuchen Sie, Kommunikation als Faktor einer friedlichen Konfliktlösung einzusetzen? Wenn ich eingeladen werde, z. B. in einem Betrieb ein Problem zu beseitigen, so versuche ich, eine Reihe von neuen Faktoren einzuführen, die, wenn schon nicht eine Lösung, so doch eine Milderung des Zustands herbeiführen. Ich versuche zunächst das Problem überhaupt zu begreifen. Das kann schon sehr schwierig sein. Wenn ich glaube, das Problem einigermaßen begriffen zu haben, ist mein nächster Schritt die Untersuchung der bisher versuchten Lösungen. Nach unserer Erfahrung ist die bisher versuchten Lösung das, was das Problem nicht nur schuf, sondern es erhält und erschwert. Da trifft man natürlich sofort auf den Widerstand der Betroffenen, denn die halten es für völlig unlogisch, die bisherigen Lösungsversuche abzuschaffen. Für sie ist das das Selbstverständliche, Logische, einzig Wahre, was man tun muß. So versuche ich eben durch ganz kleine Schritte hineinzukommen und kleine Änderungen herbeizuführen. 3
4 Dazu ein Beispiel, das ich schon oft erwähnte: Ich bekomme einen Anruf von einem Firmenchef, der sich beraten lassen möchte, wie er mit seinen sehr unangenehmen, unhöflichen, kalten Mitarbeitern fertig werden kann. Wie er hereinkommt, das denke ich mir sofort, mein Gott, das ist aber eine autoritäre Person, das ist ein strenger Mann. Das entspricht auch seiner eigenen Beschreibung, nur sieht er seine kalte und aggressive Haltung als Resultat, als Folge des Verhaltens der anderen, während wie man sich leicht vorstellen kann die anderen sein Verhalten als Ursache ihres Verhaltens sehen. Das ist der Teufelskreis von Ursache und Wirkung, von dem die Betreffenden jeweils glauben, nur Wirkungen zu sein und nicht die Ursache. Da ist es mir gelungen, diesen Mann dazu zu bringen, etwas zu tun, was ich eine Als-ob-Intervention nenne. Ich fragte: Wären Sie bereit, ein Experiment auszuführen? Das nächste Mal, wenn Sie mit einem dieser unangenehmen Mitarbeiter zu tun haben, würden Sie sich so verhalten, als ob der Betreffende Angst hätte und Ihrer Beschwichtigung bedürfte. Bitte ich sage nicht, daß es so ist, ich bitte Sie nur, das Experiment zu machen, als ob es so wäre. Das war annehmbar, das hat er akzeptiert, und es hat zu einer Klimaverbesserung geführt. Hätte ich ihm gesagt: Hören Sie, Sie sind selbst so kalt!, Sie können sich leicht vorstellen, daß der das abgelehnt hätte. Das ist die Therapie des als ob : Verhalten Sie sich in einer Problemsituation so, als ob das der Fall wäre. Ide: Also eine Methode, die Menschen zu Übernahme von Fremdperspektiven zu bringen? Das ist eine Sache, die bereits 1911 vom deutschen Philosophen Hans Feichinger in seinem Buch»Die Philosophie des als ob«beschrieben wurde. Auf 800 Seiten hat Feichinger unzählige Beispiele gegeben, wie wir in allen Lebensbereichen mit als ob -Aktionen arbeiten ein Vorläufer des Konstruktivismus, aber sicher nicht der einzige und erste. Schon Epiktet hat gesagt: Es sind nicht die Dinge, die mich beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben. Ide: Wenn Sie Ihre Form der Intervention mit anderen Formen vergleichen, welche Unterschiede sehen Sie da? 4
5 Einen ganz großen Unterschied gibt es bereits innerhalb meines Faches. Der Ausbildung nach bin ich Jung-Analytiker und habe daher erlernt und praktiziert, die Lösung menschlicher Probleme der Gegenwart durch das Auffinden und Bewußtmachen der Ursachen in der fernen Vergangenheit und im Unbewußten herbeizuführen. Das ist diese klassische Auffassung, an der heute noch eisern festgehalten wird. Das setzt allerdings voraus, daß es eine wirkliche Wirklichkeit gibt, die der Analytiker entdecken muß. Das habe ich in den 50er Jahren aufgegeben, und folge Bateson, von Foerster, Glasersfeld und anderen. Schon Einstein hat 1927 im Gespräch mit Heisenberg festgestellt: Es trifft nicht zu, daß die Theorie auf Beobachtungen aufbaut. Die Theorie bestimmt, was wir beobachten können. Die Wirklichkeit ist eine Konstruktion, und die Hilfe besteht darin, die Konstruktion etwas abzuändern, so daß sie weniger schmerzhaft ist. Ide: Wenn wir alle unsere Wirklichkeiten konstruieren, inwiefern ist der Außenstehende, in ihrem Falle der Therapeuth, in der Lage, die Situation richtiger zu sehen als die Kontrahenten des Konflikts? Ist das, was er einbringt, nicht bloß die Wirklichkeit des Therapeuten? Nein, das ist sie nicht ausschließlich. Das Wesentliche ist wie gesagt, daß seine Intervention auf seinem Verständnis der bisher versuchten Lösungen aufbaut nach unserem Wissen der Faktor, der nicht nur das Problem schafft, sondern es auch erhält und seine Lösung erschwert. Denn wenn es nicht mehr so gut geht wie einmal, tue ich mehr desselben. Und somit habe ich mehr derselben negativen Wirkungen. Ide: Welche Perspektiven sehen Sie für die menschliche Kommunikation? Sie müssen in Betracht ziehen, daß der Konstruktivismus sich selbst als Konstruktion sieht. Das kann bedeuten, daß wir in einigen Jahren eine wesentliche wirksamere, bessere Form der Intervention haben werden als heute. Ich nehme an, daß wir uns wie schon seit Jahrtausenden weiterentwickeln und zu neue Konstruktionen kommen werden, die es uns besser ermöglichen werden, mit einander zu kommunizieren. Ide: Herr Watzlawick, wir danken für das Gespräch. 5
6 Das Gespräch mit Prof. Paul Watzlawick führte Werner Wintersteiner. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Rechteinhabers unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 6
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