Aphasie. T. Brandt, H.C. Diener, C. Gerloff (Hrsg.) Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen
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- Gertrud Krause
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1 H. Ackermann, G. Liuzzi ISBN Kapitel D1 aus T. Brandt, H.C. Diener, C. Gerloff (Hrsg.) Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen 6., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2012 Kohlhammer
2 D 1 von H. Ackermann und G. Liuzzi * D 1.1 D Klinik Definitionen Als»«werden Kommunikationsstörungen bezeichnet, die durch eine erworbene Hirnschädigung oder -erkrankung bedingt sind und sich sowohl auf laut- als auch schriftsprachliche Äußerungen erstrecken. In der Regel sind dabei die Sprachproduktion und das Sprachverständnis betroffen. Allerdings können die einzelnen Domänen des Sprachsystems (Laut-/Schriftsprache, Sprachproduktion/-verständnis) in unterschiedlichem Ausmaß beeinträchtigt sein. Abhängig von und Ausdehnung der zugrunde liegenden Läsion werden aphasische Syndrome von sensomotorischen, affektiven oder zusätzlichen kognitiven Beeinträchtigungen begleitet, die unter Umständen die Kommunikationsstörung verstärken und Rehabilitationsmaßnahmen erschweren. D Aphasische und nichtaphasische Kommunikationsstörungen Die Linguistik unterscheidet drei grundlegende Beschreibungsebenen bzw. sstufen des menschlichen Sprachsystems: Phonologie (Lautstruktur lexikalischer Einheiten), Syntax (Wortstellung und -beugung in Sätzen) und Semantik (Bedeutung sprachlicher Äußerungen; z. B. Fromkin 2000). In der Regel weisen die Äußerungen von Aphasikern in allen genannten Dimensionen charakteristische Beeinträchtigungen auf (Huber et al. 2006; Tab. D 1.1). Meist werden die expressiven und perzeptiven lautsprachlichen Funktionseinschränkungen von in ihrer Form und Ausprägung vergleichbaren Lesestörungen begleitet. Abzugrenzen sind die durch distinkte sprachsystematische Defizite gekennzeichneten n von Kommunikationsstörungen, die durch Beeinträchtigungen vorgeschalteter bzw. nachgeordneter perzeptueller und motorischer Leistungen bedingt sind, einen herabgesetzten oder erhöhten Sprechantrieb widerspiegeln oder Begleiterscheinungen eines intellektuellen Abbaus darstellen (Ackermann und Wildgruber 2006, Ackermann et al. 2010; Tab. D 1.2). Reine Lesestörungen ohne weitergehende Beeinträchtigungen der lautsprachlichen Kommunikation und des Schreibens sind sehr selten und wurden beispielsweise nach Läsionen des linkshemisphärischen Sehzentrums in Verbindung mit einer Unterbrechung der Projektionen des rechtsseitigen visuellen Kortex zu den linkshemisphärischen Sprachregionen beobachtet (»Diskonnektionssyndrom«, z. B. Cherney 2004). Häufig ist in Verbindung mit aphasischen Konstellationen eine bukkofaziale Apraxie zu beobachten, ein Syndrom, das durch eine kompromittierte Kontrolle willkürlicher nicht-sprachlicher orofazialer Bewegungsabläufe charakterisiert ist (Bizzozero et al. 2000). D Aphasische Syndrome: Klassifikation und Sprachstörungen bei erworbener Hirnschädigung oder -erkrankung treten häufig insbesondere nach ischämischen Infarkten in charakteristischen Symptomkonstellationen auf (Tab. D 1.3). Als häufigste Syndrome in diesem Zusammenhang gelten die Globale, die Broca-, die Wernicke- und die Amnestische (Huber et al. 2006). Die detaillierte Charakterisierung dieser Konstellationen erfordert eine psychometrisch fundierte Testung, die alle Ebenen sprachlicher Strukturbeschreibung im schrift- und lautsprachlichen Bereich berücksichtigt und nicht-aphasische Kommunikationsstörungen differentialdiagnostisch abzugrenzen erlaubt (siehe unten). Eine orientierende Zuordnung zu den genannten vier häufigsten Syndromen lässt sich jedoch meist schon auf der Grundlage einer Beurteilung von Spontansprache und Sprachverständnis im Rahmen eines kurzen Gesprächs vornehmen. Oft kommt es zu raschen Veränderungen der Symptomatik innerhalb der ersten Tage und Wochen nach Eintritt einer Hirnschädigung, die eine Re-Klassifizierung im Verlauf erforderlich machen. Insbesondere im Gefolge von Hirntumoren, Enzephalitiden oder auch intrazerebralen Blutungen treten häufiger»atypische«störungsbilder in Erscheinung, die sich nicht den vor allem auf der Grundlage von ischämischen Infarkten definierten Standardsyndromen zuordnen lassen. Obwohl systematische klinisch-neuropathologische Korrelationsstudien an größeren Patientengruppen gezeigt haben, dass die verschiedenen Konstellationen einer nur in gewissen Grenzen mit jeweils einem begrenzten Schädigungsort assoziiert werden können (Kreisler et al. 2000), lassen sich doch einige»faustregeln«einer topografischen Zuordnung distinkter Sprachstörungen formulieren (Tab. D 1.3). D 1 * Autoren dieses Kapitels in der 5. Auflage: D. Wildgruber und H. Ackermann. 239
3 Kognitive und Verhaltensstörungen Tab. D 1.1: Symptome aphasischer Störungen Tab. D 1.2: Nicht-aphasische Störungen der Lautkommunikation 1. Symptome gestörter phonologischer Phonematische Paraphasien Fehlerhafte lautliche Realisation von Wörtern: Ersetzung, Auslassung, Vertauschung oder Hinzufügung von Sprachlauten (Phonemen), z. B.»Afpel«statt»Apfel«. Phonematischer Jargon Aneinanderreihung phonematisch entstellter und deshalb unverständlicher Lautäußerungen. Wortfindungsstörung Unterbrechung des Redeflusses aufgrund fehlenden»zugriffs«auf eine passende lexikalische Einheit, oft in Verbindung mit Umgehungsstrategien wie Ausweichen auf ähnliche Begriffe, Umschreibungen des Zielworts oder Gebrauch von Lückenfüllern, z. B.»Ding«,»Dingsda«. Benennstörung/Anomie Fehlender»Zugriff«auf die Bezeichnung eines visuell präsentierten oder lautsprachlich beschriebenen Objekts oder einer Tätigkeit. 2. Symptome gestörter syntaktischer Agrammatismus Verminderte grammatikalische Komplexität von Sätzen bis hin zu einem völligen Verlust an Flexionsformen und Funktionswörtern. Telegrammstil Ausgeprägte Form des Agrammatismus, gekennzeichnet durch die von kurzen Phrasen, die nur aus unflektierten Nomen und Verben bestehen. Paragrammatismus Bildung grammatikalisch komplexer, aber fehlerhafter Sätze, charakterisiert durch unangemessene Vielfalt von Satzverschränkungen, Funktionswörtern und Flexionen. 3. Symptome gestörter semantischer Semantische Paraphasien Verwendung eines bedeutungsmäßig vom intendierten Begriff abweichenden Wortes, häufig besteht jedoch ein inhaltlicher Zusammenhang, z. B.»Gemüse«statt»Obst«,»Möbelstück«statt»Stuhl«. Neologismen Verwendung von Wortneuschöpfungen, meist mit inhaltlichem Bezug zum intendierten Begriff, z. B.»Beißfrucht«statt»Apfel«. Semantischer Jargon Aneinanderreihung von phonologisch korrekten Wörtern und Redewendungen (Floskeln), die aber keine Information vermitteln. Wortfindungs- und Benennstörungen Diese Symptome können nicht nur durch eine Beeinträchtigung der phonologischen (siehe oben), sondern auch durch kompromittierte semantische Repräsentationen bedingt sein. 4. Symptome schwerer n Sprachautomatismen Repetitionen weitgehend identischer Lautäußerungen (sinnlose Silbenfolge, einzelnes Wort, kurze Phrase oder Floskel) ohne Situationsbezug. Echolalie Stereotypisierte Wiederholung von Äußerungen des Gesprächspartners. 240 Dysarthrie Beeinträchtigung der Lautbildung (Artikulation/ Phonation) im Gefolge von Erkrankungen/Läsionen des zentralmotorischen Systems, der Hirnnerven und/oder dervokaltraktmuskulatur (einschließlich neuromuskulärer Übertragung). Anarthrie (Weitgehend) Kompletter Verlust der Fähigkeit, Sprachlaute zu bilden, z. B. bei ausgeprägter Parese der Muskulatur des Vokaltrakts. Mutismus Fehlen willkürlicher Lautäußerungen (spontan oder auf Fragen) bei erhaltener Innervation der Sprechmuskulatur, meist durch eine Antriebsstörung hervorgerufen (akinetischer Mutismus). Dysphonie Weitgehend isolierte Beeinträchtigung der Stimmbildung (Phonation), z. B. bei Laryngitiden oder fokaler Dystonie der Kehlkopfmuskulatur (spasmodische Dysphonie). Aphonie Verlust der Stimmgebung (Phonation) im sprachlichen (verbale Kommunikation erfolgt flüsternd) und nicht-sprachlichen Bereich (Husten oder Räuspern nicht möglich). Sprechapraxie Gestörte Sprachlautbildung (unflüssige und angestrengte Sprechweise, artikulatorische Suchbewegungen, Lautenstellungen etc.) bei im Gegensatz zu Dysarthie und Dysphonie unbeeinträchtigten elementaren sensomotorischen Leistungen der Vokaltraktmuskulatur (keine Paresen!), oft in Verbindung mit einer motorischen. Dysprosodie Beeinträchtigung der Kontrolle der»sprachmelodie«(intonation, Sprechrhythmus und Lautstärkemodulation) verbaler Äußerungen, die beim Sprechen unter anderem linguistische Funktionen erfüllt wie die Spezifikation des Satzmodus (z. B. Frage:»Heute ist Montag?«versus Aussage:»Heute ist Montag!«) als auch zum»ausdruck«des aktuellen Gefühlszustandes beiträgt. Worttaubheit Beeinträchtigung des auditiven Sprachverständnisses bei (weitgehend) ungestörter Sprachproduktion, erhaltenen Lese- und Schreibfähigkeiten und diskrepant besserer Rekognition nicht-sprachlicher akustischer Signale. Logorrhoe Vermehrter Redefluss (»Redseligkeit«) Das zerebrale»netzwerk«der Sprachverarbeitung scheint auch subkortikale Strukturen mit einzubeziehen. Im Gefolge einer ischämischen oder hämorrhagischen Schädigung des Thalamus wurden in Abhängigkeit vom Läsionsort unterschiedliche -Syndrome beschrieben (z. B. Graff-Radford und Damasio 1984). Beispielsweise können Dysfunktionen der linksseitigen ventrolateralen und anterioren Kerne zu Beeinträchtigungen des Sprachverständnisses, Benennstörungen und Dyslexien führen in Verbindung mit meist flüssiger Sprachproduktion. Und nach einer Schädigung des Pulvinar oder des Nucleus lateroposterioris sind in der Regel nur transiente aphasische Kommunikationsstörung zu beobachten, die am ehesten dem Syndrom einer transkortikal-sensorischen
4 entsprechen. Bei Infarkten im Bereich des linksseitigen Nucleus caudatus oder seiner Faserverbindungen zum dorsolateralen frontalen Kortex muss mit Wortfindungs- und Benennstörungen, aber auch Perseverationstendenzen bis hin zu einer Echolalie gerechnet werden (Kreisler et al. 2000). Allerdings gehen Läsionen von Striatum und Thalamus falls überhaupt sprachsystematische Defizite auftreten mit uneinheitlicheren Störungsbildern einher als kortikale Dysfunktionen (Bhatia und Marsden 1994). Schließlich sind in der Literatur vereinzelt auch bei Erkrankungen des Kleinhirns Defizite der semantischen bzw. syntaktischen Sprachverarbeitung dokumentiert worden (Ackermann et al. 2007). Bei Rechtshändern tritt nur sehr selten (etwa 1 3 % der Fälle) eine nach rechtshemisphärischer zerebraler Läsion auf (gekreuzte ). Demgegenüber sind immerhin % der n von Linkshändern durch eine derartige Konstellation bedingt (Marien et al. 2004). In beiden Patientengruppen können sich jedoch nach Schädigung rechtshemisphärischer Strukturen charakteristische nicht-aphasische Kommunikationsstörungen einstellen, wie die Beeinträchtigung von und/oder Perzeption der Sprachmelodie verbaler Äußerungen (Aprosodie) oder des Verstehens von Metaphern bzw. ironischer Bemerkungen (Wildgruber et al. 2006). D 1 Tab. D 1.3: -Syndrome Globalaphasie,, Broca- Wernicke- unflüssig, oft nur Automatismen und Stereotypien, schwerste störungen auf Einzelwort- und Satzebene, meist umfangreiche Läsionen im Bereich von Frontal- und Temporallappen (Beteiligung von Gyrus frontalis inferior und Gyrus temporalis superior in ca % der Fälle) unflüssige Sprechweise, kurze Phrasen, vorwiegend phonematische Paraphasien, Agrammatismus, häufig assoziiert mit Sprechapraxie relativ gut erhalten, Probleme vorwiegend bei bedeutungsrelevanten grammatikalischen Konstruktionen Frontallappen (kortikal und subkortikal), eventuell unter Einbezug der vorderen Insel und der Basalganglien (Beteiligung des Gyrus frontalis inferior in ca % der Fälle) flüssige Sprachproduktion, häufige phonematische und semantische Paraphasien, Paragrammatismus, Neologismen, Benennstörungen ausgeprägte störung auf Einzelwort- und Satzebene Temporallappen (und Parietallappen) (Beteiligung des Gyrus temporalis superior in ca %) Amnestische Leitungsaphasie Wortfindungsstörungen, Einsatz von Umgehungsstrategien, Satzabbrüche, ansonsten flüssige, Grammatik intakt, wenige semantische Paraphasien, Benennstörung weitgehend intakt als Ursache kommen Läsionen Im Bereich der gesamten linken Hemisphäre infrage (Beteiligung des vorderen Anteils des Gyrus temporalis superior in ca. 40 % der Fälle) flüssig, Wortfindungsstörungen, phonematische Paraphasien, Nachsprechen (und Diktat) stärker gestört als Spontansprache weitgehend intakt Transkortikal-motorische meist temporo-parietaler Übergang (Gyrus supramarginalis) verminderter Sprechantrieb, unflüssig, Wortfindungsstörungen, Nachsprechen in Diskrepanz zur Spontansprache kaum gestört kaum beeinträchtigt Transkortikal-sensorische frontale Strukturen (dorsal/rostral des Broca-Areals oder supplementär-motorisches Areal) flüssige Sprechweise, Wortfindungsstörungen, semantische und phonematische Paraphasien, Benennstörungen, Nachsprechen in Diskrepanz zur Spontansprache kaum gestört stark beeinträchtigt vorwiegend temporo-parietale Areale (Gyrus angularis) oder Thalamus 241
5 Kognitive und Verhaltensstörungen D Diagnostik Die orientierende Evaluation des sprachlichen Leistungsprofils am Patientenbett sollte zumindest folgende Bereiche überprüfen: Flüssigkeit spontaner Äußerungen, auditives Sprachverständnis, Nachsprechen, Benennen, Lesen und Schreiben. Auf der Grundlage der beobachteten sprachsystematischen Defizite kann dann häufig bereits eines der klassischen -Syndrome nach Maßgabe der oben beschriebenen Kriterien diagnostiziert werden. Als standardisiertes und validiertes Testinstrument hat sich im deutschen Sprachraum der Aachener--Test (AAT) (Huber et al. 1983) etabliert. Der AAT umfasst eine Analyse der Spontansprache im Rahmen eines standardisierten Interviews sowie mehrere Untertests, die das Nachsprechen, die Schriftsprache, das Benennen und das Sprachverständnis überprüfen. Mithilfe dieses Instruments lässt sich die Diagnose einer sichern, man kann deren Schweregrad einschätzen und eine Syndromzuordnung auf der Basis einer Analyse des Störungsprofils vornehmen. Allerdings erfordert die vollständige Durchführung des AAT einen Zeitbedarf von ca. zwei Stunden. Eine raschere standardisierte Evaluation in der Akutphase wird durch den Aachener- -Bedside-Test (AABT) ermöglicht (Biniek 1997). Neben diesen psychometrischen Instrumenten, die typische Symptome von Sprachstörungen semiquantitativ erfassen und eine Zuordnung zu den Standardsyndromen erlauben, haben in den letzten Jahren Verfahren an Bedeutung gewonnen, die sich an psycholinguistischen Modellen der Sprachverarbeitung orientieren (s. D 1.3.2). D 1.2 D Epidemiologie und Verlauf Epidemiologie und Ätiologie n treten mit einer Inzidenz von ca pro Einwohner pro Jahr auf (Lang 1996). Die Prävalenz dieser Syndrome wird in Deutschland auf pro Einwohner geschätzt, d. h. bundesweit dürften zurzeit etwa Patienten betroffen sein. Vaskuläre Erkrankungen, insbesondere ischämische Infarkte im Versorgungsgebiet der linken A. cerebri media, stellen die weitaus häufigste Ursache der Standard-Konstellationen dar. Seltener werden n nach intrakraniellen Blutungen, Schädel-Hirn-Traumata, Hirntumoren oder Enzephalitiden beobachtet. D Verlauf Nach zerebrovaskulären Ereignissen kommt es bei % der Patienten zu aphasischen Störungsbildern (Berthier 2005). Innerhalb der ersten Wochen ist in diesen Fällen meist eine deutliche Besserung der Symptomatik feststellbar. Im Verlauf kann es nicht nur zu einer graduellen Rückbildung einzelner sprachsystematischer Defizite, sondern auch zu einem Syndromwechsel kommen, beispielsweise zum Übergang von einer Global- in eine Broca- (Pedersen et al. 1995, Laska et al. 2001). Rund % der nach einem vaskulären Ereignis aufgetretenen n bilden sich innerhalb von 3 18 Monaten vollständig zurück. Meist sind die ausgeprägtesten Verbesserungen der sprachlichen Leistungsfähigkeit innerhalb der ersten 2 10 Wochen nachzuweisen. Nach etwa 12 Monaten ist ein weitgehend stabiler Zustand erreicht, d. h. es kann nicht mehr mit einer weiteren Erholung im Rahmen des Spontanverlaufs gerechnet werden. Durch gezielte therapeutische Interventionen lassen sich aber durchaus noch zusätzliche Verbesserungen erreichen (siehe unten). Der Verlauf einer hängt von mehreren Faktoren ab, insbesondere Umfang und der zugrunde liegenden Läsion und Alter des Patienten. Initial weniger schwer ausgeprägte n weisen eine erheblich bessere Prognose und schnellere Rückbildungstendenz auf. Zu den häufigsten Residual-Symptomen zählen störungen bei längeren und komplexeren Texten. Funktionelle Bildgebungsstudien unter Verwendung insbesondere der funktionellen Magnetresonanztomographie (fmrt) oder früher der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) weisen darauf hin, dass sich bei Patienten mit nach ischämischem Insult im Bereich des perisylvischen Kortex dynamische neuroplastische Vorgänge entfalten, und in diesem Rahmen scheint interhemisphärischen Reorganisationsvorgängen eine besondere Rolle zuzukommen. Eine jüngere Studie konnte beispielsweise drei Etappen der zerebralen Reorganisation herausarbeiten: eine frühe Stufe (0 4 Tage nach Infarkt) mit deutlich reduzierter hämodynamischer Aktivierung der unbeeinträchtigten linkshemisphärischen Sprachareale, eine postakute Phase (ca. 2 Wochen nach dem zerebrovaskulären Ereignis), die mit einer der klinischen Befundbesserung parallelen Rekrutierung perisylvischer, vor allem inferior-frontaler Strukturen der rechten Hemisphäre einhergeht, und eine späte Phase (4 12 Monate nach Infarkt), die wieder parallel zur weiteren Verbesserung der durch einen Rückgang rechtshemisphärischer und eine Zunahme linkshemisphärischer hämodynamischer Antworten im Bereich intakter Anteile der perisylvischen»sprachzonen«gekennzeichnet ist (Saur et al. 2006). Der mehr oder weniger ausgeprägten Wiederherstellung einer linkslateralisierten Organisation sprachlicher Leistungen scheint also eine wichtige Rolle bei der Rückbildung von n nach Schlaganfall zuzukommen. n nach geschlossenen Schädel-Hirn-Verletzungen haben insgesamt eine bessere Prognose als Sprachstörungen zerebrovaskulärer Genese (Levin 1991). Allerdings könnte dieser Unterschied auch durch das im Mittel jüngere Alter der Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma bedingt sein. Bei n im Gefolge von neoplastischen oder entzündlichen Hirnerkrankungen ist dem Verlauf der Grunderkrankung entsprechend mit einer Progredienz der Sprachstörungen und dem Auftreten weiterer Symptome wie Hirndruck- oder Infektzeichen zu rechnen. Auch im Rahmen demenzieller Entwicklungen unterschiedlicher Ätiologie (s. Kap. D 8) sind häufig sprachsystematische Beeinträchtigungen zu beob- 242
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