Studien zu EMF. Untersuchungsrahmen und Bewertungsmaßstäbe. Dr. Gunde Ziegelberger. Bundesamt für Strahlenschutz

Transkript

1 Studien zu EMF Untersuchungsrahmen und Bewertungsmaßstäbe Dr. Gunde Ziegelberger Bundesamt für Strahlenschutz

2 Strahlenschutz beim Netzausbau Basiskonzept des BfS Grenzwerte nach Stand von Wissenschaft & Technik zum Schutz vor nachgewiesenen Wirkungen bei bestehenden wissenschaftlichen Unsicherheiten sind die Grenzwerten durch Vorsorgemaßnahmen zu ergänzen: Minimierung der Exposition frühzeitige Information und Beteiligung betroffener Personen konsequente Erforschung wissenschaftlicher Kenntnislücken

3 Biologische Wirkungen von 50 Hz-Feldern Wahrnehmung (Belästigung) Schwelle E ext ~ 2-20 kv/m (10%) Nervenstimulation Schwelle E in situ ~ 4-25 V/m Phosphene (Retina) Schwelle (bei 20 Hz) E in situ Neuronale Netzwerke Schwelle E in situ < 100 mv/m ~ mv/m Grenzwerte (26. BImSchV) schützen vor akuten Gesundheitsgefahren aufgrund induzierter Felder

4 Biologische Wirkungen von statischen Feldern Elektrisches Gleichfeld nur an Körperoberfläche: Kraftwirkung auf Haare, Funkentladung keine gesundheitlichen Wirkungen bekannt, daher kein Grenzwert Magnetisches Gleichfeld keine direkten gesundheitlichen Wirkungen unter 4 T indirekte Wirkungen auf elektronische Implantate bereits bei niedrigeren Feldstärken möglich Grenzwert (26. BImSchV) schützt Implantatträger

5 Grenzwerte (26. BImSchV) schützen vor akuten Gesundheitsgefahren aufgrund induzierter Felder und sonst? Untersuchungen zu möglichen expositionsbedingten Einflüssen auf das endokrine System, das Immunsystem, das blutbildende System, das Herz- Kreislaufsystem und auf Reproduktion und Entwicklung, etc. Besonderheiten bei der Bewertung der Studien: stark variierende Expositionsparameter (kontinuierlich, intermittierend, etc.) breite Palette an Endpunkten z.t. inkonsistente Studienergebnisse Tierstudien insgesamt widersprüchlich (häufig kleine Tierzahl, geringe statistische Power) In Humanstudien keine negativen Einflüsse nachgewiesen, aber wissenschaftliche Unsicherheiten bei - Leukämie im Kindesalter - neurodegenerativen Erkrankungen

6 Leukämie im Kindesalter * upper CL=126 erste Studie in 1979 konsistenter epidemiologischer Zusammenhang keine Hinweise aus tierexperimentellen Studien kein Mechanismus bekannt 0.1 Pooled estimate Risikoabschätzung aus Metaanalysen Ahlbom et al., Br J Cancer Sep;83(5):692-8 Messungen; 24h/48h Mittelwert

7 Neurodegenerative Erkrankungen Parkinson und multiple Sklerose Risiko nicht belegt (wenige nicht konsistente Studien) Amyotrophe Lateralsklerose 10% genetisch bedingt, Umwelteinflüsse im Verdacht konsistent erhöhtes Risiko (Epidemiologie; beruflich exponiert) Alzheimer Demenz Risikofaktor Nr. 1: das Alter schwacher Zusammenhang (beruflich exponiert) leicht erhöhte Sterblichkeit < 50m zur Freileitung; zeitabhängig; wenig Fälle (häuslich exponiert)

8 Alzheimer und beruflich NF-Exponierte (Metaanalyse) 14 Studien Case-controls Tendenz zu erhöhtem Alzheimerrisiko Fall-Kontroll-Studien: 2.03 (95% CI: ) Kohortenstudien: 1.62 (95% CI: ) Odds ratios Cohorts Garcia, A.M., Sisternas, A., Hoyos, S.P. Occupational exposure to extremely low frequency electric and magnetic fields and Alzheimer disease: a meta-analysis. Int J Epidemiol, Rate ratios

9 Feldquellen im Haushalt Erdkabel max. Freileitung max.

10 26. BImSchV (Novellierung 2013) Vorsorge (bei Neubau von NF-Anlagen oder wesentlicher Änderung) keine kleinräumigen und kurzzeitigen Überschreitungen an sensiblen Orten (Wohnungen, Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Spielplätze o.ä.), aber Bestandschutz für Altanlagen Überspannungsverbot für NF-Anlagen (50 Hz, 220 kv) in neuer Trasse bei Gebäuden und Gebäudeteilen zum dauerhaften Aufenthalt, unberührt bleiben bestehende Genehmigungen, Planfeststellungsbeschlüsse und bis zum vollständig eingereichte Planfeststellungs-/ Plangenehmigungsanträge anlangenbezogene Emissionsminimierung nach dem Stand der Technik unter Berücksichtigung von Gegebenheiten im Einwirkungsbereich, ist in einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (AVV) gemäß 48 BImSchG zu detaillieren

11 Stand der AVV (Sept 2015) Minimierungsgebot für Niederfrequenzund Gleichstromanlagen Entwurf: Minimierungsziel, das Vorgehen und die technische Möglichkeiten zur Minimierung wurden von einer Arbeitsgruppe definiert Ziel: Immissionen an den maßgeblichen Minimierungsorten im Einwirkungsbereich der jeweiligen Anlage minimieren und dabei alle maßgeblichen Minimierungsorte gleichrangig betrachten Vorgehen in drei Teilschritten: - Vorprüfung (gibt es maßgebliche Minimierungsorte im Einwirkungsbereich) - Ermittlung der Minimierungsmaßnahmen (Auswahl aus einem Katalog) - Maßnahmenbewertung (Verhältnismäßigkeit, nachteilige Auswirkungen auf andere Schutzgüter) Technische Möglichkeiten: umfassender Katalog der Minimierungsmöglichkeiten für jeden Anlagentyp (ausgeschlossen ist die Prüfung von Alternativen, z.b. Erdkabel statt Freileitung, Gleichstrom- statt Niederfrequenzanlage, alternative Trassenführung oder Standortalternativen)

12 Studien zu EMF, bzw. Forschungsvorhaben werden initiiert bei Kenntnislücken, die Relevanz für den Strahlenschutz haben (Ressortforschung nach Vorgaben den Umweltforschungsplans) Kenntnislücken, bzw. wissenschaftliche Unsicherheiten entstehen bei neuen Anwendungen in neuen Frequenzbereichen/Modulationen Forschungsergebnissen, die Hinweise auf neue mögliche Wirkungen liefern, aber bisher nicht reproduziert vorliegen

13 Identifizierung von Kenntnislücken interne kontinuierliche Bewertung der wissenschaftlichen Veröffentlichungen, unter Berücksichtigung externer Empfehlungen (WHO, SCENIHR, ) In Einzelfällen Initiierung von Forschungsvorhaben, an denen besonders starkes öffentliches Interesse besteht, bzw. Besorgnis in der Bevölkerung groß ist

14 Umweltforschungsplan - Vorgaben zielgerichtet/zweckgebunden, zur Erfüllung der Amtsaufgabe (= der Schutz der Bevölkerung vor ionisierender und nichtionisierender Strahlung ist zu gewährleisten); im Zuständigkeitsbereich des BMUB Markterkundung - öffentliche Ausschreibung; in Ausnahmefällen freihändige Vergabe Bewertung der eingehenden Angebote im Abgleich zur Leistungsbeschreibung (Bewertungsmatrix) Wahl des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses Vergabe als Zuwendung oder Vertrag Ergebnisse sollen in Gutachter-gestützten Fachjournalen veröffentlicht werden, bzw. in die internationale scientific community eingebracht werden

15 Wissenschaftliche Veröffentlichung in Gutachter-gestütztem Fachjournal (mit hohem Zitierindex) im naturwissenschaftlichen Bereich in englischer Sprache ( Allgemeingültigkeit ) vollständige Beschreibung des Versuchsdesigns: Ergebnisse müssen überprüfbar/reproduzierbar sein Besonderheit bei EMF: belastbare Dosimetrie Kontrollansätze (Positiv- und Negativkontrollen) versuchsgerechte Statistik doppelblindes Versuchsdesign fachgerechte Diskussion der Ergebnisse (Einordnung der Ergebnisse in den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand) Schwierigkeiten bei EMF: Wenn keine EMF-Effekte gefunden werden, lässt sich dies schwer veröffentlichen ( Publication bias ) Leitfäden zur Beurteilung von Studienergebnissen

16 Vielfältige Untersuchungen auf verschiedenen Ebenen Studien an Menschen Tiermodell (in vivo) Zellen (in vitro) Probandenstudien akute Wirkungen; unterhalb der Grenzwerte; kontrollierte Laborbedingungen Epidemiologische Studien statistische Zusammenhänge zwischen Feldeinwirkung und Erkrankungen aber: Epistudien nicht ausreichend für Kausalitätsnachweis Langzeiteffekte; auch oberhalb der Grenzwerte; Beziehung Feldintensität und Wirkung Vorraussetzung: Geeignete Tiermodelle für relevante menschliche Erkrankungen aber: Übertragbarkeit auf den Menschen nur bedingt möglich geeignet zur Überprüfung wissenschaftlicher Modelle und zur Suche nach Wirkmechanismen aber: gesundheitliche Bedeutung für den Menschen schwer zu bewerten

17 Forschungsbedarf NF und statische Magnetfelder Kausalität vorausgesetzt wären etwa 1(-5)% der Leukämien im Kindesalter durch Magnetfelder verursacht. Diese Zahl ist ein mittlerer Schätzer, der numerisch mit erheblichen Unsicherheiten verbunden ist. Eine abschließende Bewertung einer möglichen Kausalität ist derzeit nicht möglich. Es besteht ein schwach erhöhtes Risiko für Kinder an Leukämie zu erkranken, bei häuslichen Magnetfeldexpositionen über 0,3-0,4 µt (Grenzwert liegt bei 100, bzw. 200µT) IARC/WHO 2002: Magnetfelder sind möglicherweise kanzerogen (Gruppe 2b) Wohnort rund um Kernkraftwerke (KiKK-Studie 2008) Beobachtungen sind mit wissenschaftlichen Kenntnisstand zu Wirkungen von derart schwachen Expositionen nicht vereinbar BfS setzt sich für Intensivierung der Ursachenforschung ein Hinweise auf einen Zusammenhang zu neurodegenerativen Erkrankungen können noch nicht abschließend bewertet werden HGÜ-Freileitungen (im Vergleich zu HWÜ): - höhere elektrische Bodenfeldstärken - Ladungswolke (Koronaionen) über größere Bereiche - entscheidende Frage: Werden geladene Schadstoffionen vom Körper stärker absorbiert als ungeladene?

18 Entstehen von Grenzwerten Internationale Forschung Risikobewertung Rechtlicher Rahmen Experimente, Modelle und epidemiologische Studien zu Wirkungen Wissenschaftliche Basis Bewertung der Gesamtheit der vorliegenden Forschungsergebnisse durch nationale und internationale, interdisziplinäre Expertengremien: WHO, ICNIRP, BfS u.a. Empfehlungen Umsetzung der Empfehlungen in national bindende Gesetze Gesetze, Verordnungen

19 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!