Beitrag: Von wegen Bio Die Lüge vom glücklichen Huhn

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1 Manuskript Beitrag: Von wegen Bio Die Lüge vom glücklichen Huhn Sendung vom 5. März 2013 von Jörg Göbel und Christian Rohde Anmoderation: Keiner weiß, wie viele Milchkühe tatsächlich verseuchtes Futter gefressen haben. Offen auch, wie viel Pferdefleisch jeder so verspeist hatte, bis der Skandal neulich aufflog. Ahnungslos war, wer Eier mit falschem Biostempel aß. Denn wie üblich erfahren wir Verbraucher als letzte von den Pannen bei der Lebensmittelproduktion. Die Eier stammten aus überfüllten Ställen, in denen Lege-Hennen ein mieses Leben fristeten. Nix mit Bio. Vielmehr industrielle Agrarunternehmen, die vorgaben, wie Ökohöfe zu arbeiten. Doch Bio aus Massenproduktion - eine Lüge. Jörg Göbel und Christian Rohde. Text: Immer mehr Menschen wollen Bio-Eier von glücklichen Hühnern. Doch Bio braucht Grundsätze. Davon ist Willi Paetsch überzeugt. Futter vom eigenen Hof, viel Platz für die Tiere und persönliche Verantwortung. O-Ton Willi Paetsch, Bio-Legehennenhalter: Wenn man das einhält, dann funktioniert der Kreislauf und man bewegt sich im Einklang mit der Natur. Und da geben wir uns große Mühe, uns danach zu richten. Paetsch hält rund 2000 Hennen in fünf Ställen. Sein Betrieb im Spreewald sicherlich ein idealer Biohofe. Seit über 20 Jahren produziert Peatsch so Bio-Eier. O-Ton Willi Paetsch, Bio-Legehennenhalter: Man muss sich an die Richtlinien halten und wer sich nicht daran hält, der betreibt eben keinen ökologischen Landbau. Doch der jüngste Eierskandal hat die Biobranche in Verruf gebracht. Vor allem Großlieferanten von Massen-Bio. Gelten die Grundsätze der Biobranche auch im Supermarkt? O-Ton Eckehard Niemann, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche

2 Landwirtschaft: Das ist leider in den allermeisten Fällen nicht der Fall. Das, was da in den Regalen liegt, kommt zum allergrößten Teil aus agrarindustriellen Strukturen, also aus Agrarfabriken. Rückblick: 2001 verspricht die grüne Landwirtschaftsministerin Renate Künast den Hühnern das Ende des Käfigs und den Verbrauchern 20 Prozent Bio. Agrarunternehmer wie Heinrich Tiemann erkennen ihre Chance. Bio als Geschäft: Bio in Massen und billig für den Supermarkt. O-Ton Heinrich Tiemann, 2001, Geschäftsführer Wiesengold Landei: Wenn wir ein Volk von 80 Millionen Menschen mit Freiland- Eiern versorgen wollen, dann können wir das nicht in Einheiten mit 300 und 500 Hühnern machen. Diese Vorstellung haben einige Produzenten, aber das ist unrealistisch. Dann würden die Eier auch so teuer, dass sich die Masse der Verbraucher das nicht leisten kann. Heute ist Tiemanns Firma Wiesengold Landei nach eigenen Angaben der größte Vermarkter von Bio-Eiern in Deutschland. Rund 150 Millionen im Jahr. Stefan Bröckling von PETA hat Ende vergangenen Jahres heimlich in Hühnerstellen der Tiemann-Gruppe gefilmt. O-Ton Stefan Bröckling, Tierschutzorganisation PETA: Wir haben im Stall tote und sterbende Tier gefunden. Wir haben im Stall Parasiten gefunden, der ganz Stall war verkotet. Die Einstreu, die war praktisch nicht mehr vorhanden, das war nur noch alter Hühnerkot. Es hatten sich stellenweise richtig harte Platten gebildet. Die Tiere wirkten teilweise apathisch. Ein ganz großer Teil hatte überhaupt kein Gefieder mehr. In den Ställen von Heinrich Tiemann: Hühner-Horror statt Bio Glück. Der Unternehmer räumt nach Bekanntwerden der Bilder Versäumnisse ein. Ton Stefan Bröckling, Tierschutzorganisation PETA: Wenn ich bedenke, dass er früher aber ausschließlich Käfighalter war, dann sehe ich hier nicht jemanden, der auf einmal Hühner für die liebenswerte Tiere hält, die auch ein Recht auf ein artgerechtes Leben haben, sondern jemand, der sich einfach nur dem Markt angepasst hat: Der Konsument fordert heute mehr Bio und dem hat sich Heinrich Tiemann angepasst. Gequälte Hühner und möglicherweise Verbrauchertäuschung. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg ermittelt im aktuellen Eierskandal

3 offenbar auch gegen das Bio-Ei-Imperium von Heinrich Tiemann. In den Ställen seien mehr Hühner gehalten worden, als bei Bio erlaubt. Wir wollen von Heinrich Tiemann wissen, wie es dazu kommen konnte. Doch niemand will mit uns reden. Nicht vor der Kamera, nicht am Telefon und auch schriftlich kein Kommentar. Und das obwohl Bio Transparenz verspricht. Auch die Unternehmensstruktur nicht das, was der Verbraucher bei Bio erwartet. Hinter Tiemanns Bio-Ei-Firmen steckt Europas größter Eierproduzent: die Deutsche Frühstücksei GmbH - ein undurchsichtiger Agrarkonzern. Das Handelsregister weist mehrere Beteiligungsgesellschaften und Agrarindustrielle aus Niedersachsen als Eigentümer aus. O-Ton Eckehard Niemann, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft: Wer wirklich dahinter steht, weiß man nicht mal. Denn alle Recherchen enden bei einer Anwaltskanzlei in OIdenburg. Es ist doch eigentlich ein Skandal und hat mit Transparenz überhaupt nichts zu tun, dass man nicht mal weiß, wie Europas größter Eierkonzern beherrscht wird und wer dahinter steckt. Jahrelang war dieser Eierkonzern für den Hühnerkäfig und gegen Biohaltung. Für industrielle Massenproduktion - gegen ökologischen Landbau. Erst nach dem Käfigverbot hat sich die Deutsche Frühstücksei GmbH 2007 in die Biobranche eingekauft - im großen Stil. Auch an der Tiemann-Gruppe hält der Konzern 85 Prozent. So durfte ein undurchsichtiger Agrarkonzern Bio-Eier vermarkten mit dem Segen des größten Ökoverbands Naturland. Der gibt sich nach dem Eierskandal selbstkritisch. O-Ton Steffen Reese, Geschäftsführer Naturland: Tatsächlich sind Verflechtungen, die intransparent sind, inakzeptabel. Da sind wir im Geflügelbereich tatsächlich in einer Größenordnung gelandet, wo man feststellen muss, das ist möglicherweise doch etwas groß und wir müssen an der Stelle auch die Größenordnungen einschränken. Eine späte Einsicht. Denn viele Großproduzenten haben die Grundsätze der Biobranche nie ernst genommen. Beispiel Tierfutter. Das sollte für Biohühner vom eigenen Hof kommen oder zumindest aus der Region. Im Ökolandbau heißt das Flächenbindung. Doch die ist bei Massen Bio oft Wunsch

4 nicht Wirklichkeit. O-Ton Prof. Gerold Rahmann, Bundesforschungsinstitut für Ökologischen Landbau: Legehennenhalter kaufen ihr Futter aus einer großen Futtermühle, die kaufen sich die Komponenten relativ günstig zusammen und da müssen sie im Endeffekt nur sicherstellen, dass 20 Prozent aus einem Umkreis, ich sag mal ganz allgemein, von 100 bis 200 Kilometer kommen. Da kann ich nicht mehr erkennen, dass hier eine Flächenbindung stattfindet. Nächstes Bespiel: Kontrollen. Die Vorschriften waren gemacht für bäuerliche Biobetriebe. Mit dem Landwirt als direktem Ansprechpartner und übersichtlichen Tierzahlen. Doch so produzieren Agrarkonzerne schon lange nicht mehr. O-Ton Prof. Gerold Rahmann, Bundesforschungsinstitut für Ökologischen Landbau: Ich habe Ställe, die mit 3000 Hühner in einer Abteilung voll sind, bis zu in einem Gebäude, dann bin ich als Kontrolleur vollkommen überfordert, diese Tiere zu zählen. Die wuseln alle durcheinander und ich kann überhaupt nicht mehr beurteilen, wie viele Hennen sind in der einen Abteilung, in der nächsten Abteilung und der übernächsten Abteilung. Und dann muss man häufig einfach nur dem Produzenten glauben und der Produzent vor Ort ist meist gar nicht der Betriebsleiter. Und dieses Konstrukt ist überhaupt nicht mehr überblickbar. Trotz aller Mängel bei Transparenz und Kontrolle. Der Markt für Massen-Bio wächst weiter. Ein ehemaliger DDR- Rinderstall in Löpten südlich von Berlin. Hier sollen demnächst mehr als Hennen leben. Kaum vorstellbar, dass in diesem Riesenstall einmal glückliche Hühner Bio-Eier produzieren. O-Ton Matthias Rackwitz, Bürgerinitiative Löpten: Es ist im Prinzip die Fortsetzung von normaler Massentierhaltung mit dem feinen Unterschied, dass die Tiere ein bisschen Land haben und dass die Tiere ein anderes Futter bekommen. Ansonsten ist es für mich einfach Massentierhaltung. Ich glaube auch letzten Endes ganz entscheidend, dass der Verbraucher, der nachher im Lebensmittelhandel solche Produkte kauft, eine grundsätzlich andere Vorstellung von der Produktionsweise hat. Doch Agrarkonzerne verdienen gut am Geschäft mit dem Massen-Bio. Auf der Strecke bleibt die Glaubwürdigkeit der ganzen Biobranche.

5 Abmoderation: Geht's Ihnen auch so? Man wollte ja gerne glauben, dass die Bio- Eier aus dem Supermarkt tatsächlich welche sind. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.