Vorlesung Wirtschaftsprivatrecht
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- Miriam Holtzer
- vor 7 Jahren
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1 Vorlesung Wirtschaftsprivatrecht Übung Einheit 5: Anscheins-/Duldungsvollmacht (Fall 15), Holschuld/Gattungsschuld (Fall 24)
2 Anscheins-/Duldungsvollmacht (Fall 15) U betreibt eine große Unternehmensberatung. Er hat zwei Räume der von ihm angemieteten Büroetage an Makler M untervermietet. Sein Büromaterial bezieht M der Einfachheit halber bei L, der mit größeren Mengen auch U beliefert. Dabei bestellt M das von ihm benötigte Material jeweils im Namen des U und bittet um Lieferung zu seinen Händen, ohne entsprechend bevollmächtigt zu sein. 2
3 Anscheins-/Duldungsvollmacht (Fall 15) Da M monatlich mit der Untermietzinszahlung auch die diesbezüglichen Kosten an U überweist, schreitet dieser gegen diese Praxis nicht ein, sondern zahlt die an ihn gerichteten Rechnungen. Als M insolvent wird, weigert sich U, die letzte Rechnung des L unter Verweis auf die fehlende Vollmacht des M zu bezahlen. Zu Recht? 3
4 Vertragsverhältnis zw. U und L? Voraussetzungen für Zahlungsanspruch: Liegt ein wirksamer Kaufvertrag vor? Wiederholung Anspruch aus Vertrag: I. Vertrag geschlossen? II. Vertrag wirksam? III. Vertrag durchsetzbar? 4
5 Vertragsverhältnis zw. U und L? I. Vertrag geschlossen? Voraussetzung: Zwei übereinstimmende Willenserklärungen (Angebot und Annahme, 145 ff. BGB): 1. Angebot liegt hier in der telefonischen Bestellung des Büromaterials. 2. Die Annahme durch L liegt konkludent in der Lieferung der bestellten Ware. 3. Fraglich ist aber, ob die Bestellung des M eine Willenserklärung des U. darstellt. Entscheidend, ob die Willenserklärung des M dem U als eigene Willenserklärung zurechenbar ist. 5
6 Vertragsverhältnis durch Vertretung? Willenserklärung des M könnte im Rahmeneiner Vertretung gem. 164 BGB zurechenbar sein, Voraussetzungen: 1. Eigene Willenserklärung (kein Bote) 2. Handeln im Namen des Vertretenen 3. Handeln mit Vollmacht des Vertretenen 6
7 Vertragsverhältnis durch Vertretung? 1. Voraussetzung: Eigene Willenserklärung (kein Bote) Eigene Willenserklärung des M gegeben, da z.b. Einkaufsmodalitäten verhandelt. 7
8 Vertragsverhältnis durch Vertretung? 2. Voraussetzung: Handeln im Namen des Vertretenen Die M hat ausdrücklich im Namen des U gehandelt. Auch diese Voraussetzung liegt vor. 8
9 Vertragsverhältnis durch Vertretung? 3. Voraussetzung: Handeln mit Vollmacht des Vertretenen? Erteilung einer Vollmacht: Einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Vertreter (M) (Innenvollmacht) oder dem Dritten (L) (Außenvollmacht), 167 BGB. Hier: Hat U Vollmacht gegenüber M oder L erteilt? Nein. 9
10 Vertragsverhältnis durch Vertretung? Handelte M möglicherweise mit Rechtsscheinsvollmacht?. 10
11 Vertragsverhältnis durch Vertretung? Voraussetzungen einer Rechtsscheinsvollmacht? Rechtsschein einer Bevollmächtigung Der Rechtsschein ist dem Vertretenen zurechenbar, weil er den Rechtsschein kennt und duldet (Duldungsvollmacht) oder der Rechtsschein für ihn erkennbar/vermeidbar war (Anscheinsvollmacht) Keine Kenntnis bzw. kein Kennenmüssen des Dritten vom tatsächlichen Fehlen einer Vollmacht Rechtsfolge: Die Vertretungsmacht besteht im Umfang des Rechtsscheins. 11
12 Vertragsverhältnis durch Vertretung? Ergebnis: Hier liegt eine sogenannte Duldungsvollmacht vor. Für den L bestand der Rechtsschein einer Bevollmächtigung des M, weil dieser bereits mehrfach als Vertreter des U bei der Bestellung von Büromaterial aufgetreten war und diese Rechnungen auch stets bezahlt wurden. Dieser Rechtsschein wurde von U zurechenbar gesetzt, weil ihm das Handeln des M bekannt war und von ihm geduldet wurde. Da L im Vertrauen auf diesen Rechtsschein den Kaufvertrag schloss und ihm das tatsächliche Fehlen einer Bevollmächtigung weder bekannt war noch bekannt sein musste (infolge Fahrlässigkeit nicht bekannt war, 122 Abs. 2 BGB) liegen die Voraussetzungen der Duldungsvollmacht vor. 12
13 Vertragsverhältnis durch Vertretung? Durch d. Vorliegen d. Rechtsscheinsvollmacht sind die 3 Voraussetzungen der Vertretung erfüllt. Damit ist die Willenserklärung des M dem U gem. 164 BGB als eigene zuzurechnen. Damit liegen Angebot und Annahme vor. Damit wurde ein Kaufvertrag geschlossen. 13
14 Abwandlung zu Fall 15 Wie wäre es, wenn M ohne die vorangehende Praxis ausschließlich die letztgenannte Bestellung dadurch erwirkt hätte, dass er ein gebräuchliches Bestellformular des U ausgefüllt, mit dem im Büro frei zugänglichen Firmenstempel des U versehen und an L abgesendet hat? 14
15 Abwandlung zu Fall 15 Hier: Duldungsvollmacht? (-) U kannte das Verhalten des M nicht. Anscheinsvollmacht? Hat U Rechtsschein einer Bevollmächtigung, der bei sorgfaltsgerechtem Verhalten des Vertretenen erkennbar bzw. vermeidbar gewesen wäre, gesetzt? Aufgrund der Verwendung eines Bestellformulars und des Firmenstempels des U konnte L davon ausgehen, dass ein bevollmächtigter Mitarbeiter des U die Bestellung aufgegeben hatte. Da der Firmenstempel offen für M zugänglich war, hat der U sorgfaltswidrig zur Entstehung dieses Rechtsscheins beigetragen. Deshalb ist L im Vertrauen auf eine tatsächliche Bevollmächtigung schützenswert, so dass auch in der Fallabwandlung der Kaufpreis gemäß 433 Abs. 2 BGB zu zahlen ist. 15
16 Holschuld/Gattungsschuld (Fall 24) K ist Anhänger der amerikanischen Pop-Hoffnung Britney Spears. Zufällig beobachtet er diese bei einem Besuch eines Juweliers in der Hamburger Innenstadt, wo sie u. a. eine Uhr anprobiert, diese aber später nicht kauft. Um später in seinem Fanclub brillieren zu können, will K deshalb diese Uhr unbedingt erwerben. Da ihm seine Leidenschaft indes (zu Recht) unangenehm ist, merkt er sich die Artikelnummer und bestellt anschließend telefonisch beim Geschäftsinhaber V eine solche Uhr, in der Erwartung, ihm werde das im Geschäft liegende Exemplar geliefert. Als er später 16
17 Holschuld/Gattungsschuld (Fall 24) postalisch ein eingeschweißtes, also ein anderes Exemplar erhält, verweigert er die Kaufpreiszahlung. Zu Recht? 17
18 Zahlungsanspruch des V gegen K aus 433 Abs. 2 BGB? - Angebot und Annahme? Ja - Aber K könnte Zahlung gemäß 320 BGB verweigern, wenn V seine Pflichten aus dem Kaufvertrag nicht erfüllt hätte. - Hat V seine Lieferverpflichtung aus 433 Abs. 1 BGB erfüllt? Erfüllung: siehe 362 BGB, Bewirken der geschuldeten Leistung. - Welche Leistung schuldet V aus dem Kaufvertrag? 18
19 Leistungsgegenstand? Der Gläubiger kann vom Schuldner kraft des Schuldverhältnisses ein Tun, Dulden oder Unterlassen verlangen ( 241 BGB). Der Schuldner hat dabei die richtige Leistung am richtigen Ort, zur richtigen Zeit in der rechten Art und Weise zu erbringen. 19
20 Leistungsgegenstand: Schuldarten Stückschuld Geschuldet ist eine individuell bestimmte Sache. Gattungsschuld Geschuldet ist eine nur nach Gattungsmerkmalen bestimmte Sache; der Schuldner hat dann aus der Gattung eine Sache mittlerer Art und Güte zu liefern, 243 Abs. 1 BGB. Die Gattungsschuld beschränkt sich durch Konkretisierung auf eine individuelle Sache, 243 Abs. 2 BGB. 20
21 Leistungsgegenstand: Schuldarten Was hat K hier bestellt? Eine bestimmte, individuelle Uhr (Stückschuld)? Nein, K hat vielmehr um einen Gegenstand nur nach bestimmten abstrakten Gattungsmerkmalen, hier der Artikelnummer, bestellt. In diesem Fall darf der Schuldner aus der Gattung, also der Fabrikationsserie, ein Exemplar aussuchen. Dieses muss lediglich gemäß 243 Abs. 1 BGB mittlerer Art und Güte sein. Da dies bei der von V verschickten Uhr der Fall ist, hat V seine Verpflichtung gemäß 362 Abs. 1 BGB erfüllt. K kann also nicht die Zahlung des Kaufpreises verweigern. 21
22 Abwandlung zu Fall 24 K bestellte die Uhr nach Artikelnummer im Laden, bat indes den V, ihm diese auf Kosten des V zuzuschicken. V sendet die Uhr per UPS ab, auf dem Transport zu K geht diese jedoch verloren. Hat V den Vertrag erfüllt? Muss V eine andere Uhr dieses Fabrikats aus seinem Lagerbestand liefern? 22
23 Anspruch des K gegen V auf Lieferung gemäß 433 Abs. 1 BGB? - Angebot und Annahme? (+) - Aus dem Kaufvertrag folgt Verpflichtung des V zur Lieferung, 433 Abs.1 BGB. - Ist diese Pflicht erloschen? 23
24 Erfüllung, 362 BGB? 362 BGB: Erlöschen durch Leistung (1) Das Schuldverhältnis erlischt, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. 24
25 Erfüllung, 362 BGB? Leistungserfolg nach 433 Abs. 1 BGB: V hat die Sache (hier eine Sache aus der Gattung mittlerer Art und Güte) zu übereignen und übergeben. Übergabe? Verschaffung des unmittelbaren Besitzes i. S. d. 854 BGB zu verstehen. Hier? (-) Uhr kam auf dem Weg zu K abhanden, keine Übergabe. Also kein Bewirken der geschuldeten Leistung, keine Erfüllung. 25
26 Verpflichtung des V gemäß 275 Abs. 1 BGB erloschen? 275 BGB: Ausschluß der Leistungspflicht 1) Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. 26
27 Verpflichtung des V gemäß 275 Abs. 1 BGB erloschen? Leistung für den V wirklich unmöglich? Es könnte doch noch ein anderes Exemplar der Produktionsserie geliefert werden? Vgl. 243 BGB: Gattungsschuld (1) Wer eine nur der Gattung nach bestimmte Sache schuldet, hat eine Sache von mittlerer Art und Güte zu leisten. (2) Hat der Schuldner das zur Leistung einer solchen Sache seinerseits Erforderliche getan, so beschränkt sich das Schuldverhältnis auf diese Sache. 27
28 Verpflichtung des V gemäß 275 Abs. 1 BGB erloschen? Beschränkt sich Schuld des V auf die zum Transport gebrachte Uhr, welche nicht mehr auffindbar ist? Entscheidend, ob der V gem. 243 Abs. 2 BGB das seinerseits Erforderliche getan hat (sogenannte Konkretisierung). Darunter ist die Vornahme der geschuldeten Leistungshandlung zu sehen. 28
29 Leistungshandlung? Ergibt sich aus Vereinbarung, sonst aus Gesetz: Im Zweifel ist die Leistung am Sitz des Schuldners zu erbringen ( 269 Abs. 1 BGB). Nach dem Leistungsort sind drei Schuldarten zu unterscheiden: Holschuld: Bereitstellen beim Schuldner Schickschuld: Absenden am Ort des Schuldners Bringschuld: Transport bis zum Gläubiger 29
30 Leistungshandlung? Holschuld: Nein, K sollte die Uhr nicht abholen. Aber Schickschuld: Absenden am Ort des V d.h. Übergabe an UPS auf Kosten des V, möglich aber auch Bringschuld Da hier nicht klar, bleibt es bei der Zweifelsregelung des 269 Abs. 1 BGB 30
31 Leistungshandlung? V hat seine Leistungspflicht daher an seinem Geschäftssitz zu erfüllen. Damit ist eine Schickschuld gegeben. Durch das Absenden der Uhr hat damit V alles seinerseits erforderliche getan, so dass sich das Schuldverhältnis auf die abhanden gekommene Uhr beschränkte. Da diese wegen des Verlustes beim Transport nicht mehr übergeben werden kann, ist Unmöglichkeit gemäß 275 Abs. 1 BGB eingetreten. Die Lieferungsverpflichtung des V ist erloschen. 31
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