Fachhochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit, Erziehung und Bildung. Zweiter Fachtag. 14. Oktober 2014 / Karlsruhe Susanne Gerull / ASH Berlin
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- Richard Neumann
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1 Armut und Benachteiligung im Lebensbereich Wohnen Zweiter Fachtag Armutsbekämpfung 14. Oktober 2014 / Karlsruhe Susanne Gerull / ASH Berlin
2 Fragestellung und Aufbau Welche Unterversorgungslagen und Benachteiligungen können im Lebensbereich Wohnen identifiziert werden? Welche Maßnahmen zur Überwindung dieser Armutslagen sind erforderlich? Begriffsklärungen Deprivationsaspekte im Kontext von Wohnen Wohnungs- und sozialpolitische Herausforderungen
3 Begriffsklärung: Armut Eine universelle Definition von Armut existiert nicht. Je nach Ziel und Standpunkt ist das Verständnis von Armut in Deutschland sehr unterschiedlich. Versuch einer Definition für die Soziale Arbeit: Unter Armut ist die Kumulation von Unterversorgungslagen und sozialen Benachteiligungen zu verstehen, wobei diese weder vollständig objektivierbar sind noch ausschließlich anhand des subjektiven Erlebens definiert und operationalisiert werden können. Armut in Deutschland ist dabei immer relativ zu betrachten und dem Lebensstandard der Gesamtbevölkerung gegenüberzustellen. So definierte Armut ist durch die massive Einschränkung von Handlungsspielräumen gekennzeichnet, sodass ein Leben in Menschenwürde gefährdet und im Extremfall unmöglich gemacht wird. Sie wird individuell erfahren, basiert auf sozialer Ungleichheit und kann Ausgrenzungserfahrungen nach sich ziehen. (Gerull 2011)
4 Begriffsklärung: Einkommensarmut Einkommensarmut gilt als Schlüsselmerkmal von Armut Armutsschwelle: < 60 % des regionalen oder nationalen Durchschnittseinkommens (EU 2001) Deutschland 2012: 869 Euro // 15,2 %
5 Begriffsklärung: Wohnungsarmut Der Begriff Wohnungsarmut bezeichnet eichnet Lebenslagen, in denen Lebenschancen und die Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand durch Wohnbedingungen und gesellschaftliche Strukturen der Wohnungsversorgung eingeschränkt sind. (Breckner 1995)
6 Deprivationsaspekte im Kontext von Wohnen Zugang zu Wohnraum Art der Wohnung Zustand und Größe der Wohnung Ausstattung und Einrichtung Kosten der Wohnung Wohnqualität Sozialräumliche Aspekte Infrastruktur Umweltbedingungen Erholung und Freizeit Nachbarschaftliche Beziehungen Drohender Wohnungsverlust und Wohnungslosigkeit (Gerull 2011)
7 Zugang zu Wohnraum Je weniger Wohnungen zur Verfügung stehen, desto stärker greifen Exklusionspraktiken, die Menschen aus finanziellen, ethnischen oder sonstigen Gründen den Zugang zu Wohnraum erschweren
8 Beispiel: Exklusion aufgrund eines Migrationshintergrunds da würde ich zum Beispiel eine Dame mit Kopftuch ungern reinsetzen Interviewzitat eines Mitarbeiters einer Wohnungsbaugesellschaft zur Mieterauswahl für eine attraktive Wohnlage (Barwick 2011) 2009 wurden Testpersonen für eine empirische Studie nach gleichlautenden Bewerbungen, aber mit deutsch bzw. türkisch klingenden Namen, zu Wohnungsbesichtigungen geschickt (Kilic 2010) 4 Wohnungsbesichtigungen, 4 Wohnungsangebote 4 Wohnungsbesichtigungen, 0 Wohnungsangebote, dafür unterschwellige Feindseligkeit bis offene Ablehnung
9 Zustand der Wohnung / Wohnbelastungen (Beispiele) Wohnbelastung Insgesamt Armutsgefährdete Feuchtigkeitsschäden 13,7 % 23,9 % Lärmbelästigung g 25,8 % 33,6 % Umweltverschmutzung im Wohnumfeld 23,1 % 25,6 % (Datenreport 2013 / Angaben für 2011)
10 Kosten der Wohnung Subjektive Belastung Objektive Belastung 2012 gaben die Menschen durchschnittlich 28 % für Wohnkosten aus Bei armutsgefährdeten Personen waren es 51 % Am stärksten betroffen waren armutsgefährdete Alleinlebende (60 %) sowie armutsgefährdete Menschen in Haushalten von Alleinerziehenden i (51 %). (Statistisches Bundesamt 2014)
11 Sozialräumliche li Aspekte Unter Sozialraum wird der Ort verstanden, an dem die Menschen leben, ihre Kontakte pflegen, an dem sie agieren und interagieren (Hinte 2001) Bei einer räumlichen Konzentration von Armut können sog. Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf entstehen Wegzug von Besserverdienenden Zuzug weiterer armer Menschen Entmischung des Sozialraums Kumulation von Problemlagen Schließung des Viertels und Stigmatisierung seiner Bewohner/-innen
12 Wohnungslosigkeit it Wohnungslosigkeit gilt als existenziellste Armutslage im Lebensbereich Wohnen. Laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. gelten Menschen als wohnungslos, wenn sie nicht über mietvertraglich gesicherten Wohnraum oder Wohneigentum verfügen (BAG W 2011). Nach Schätzungen der BAG W waren Menschen wohnungslos: Ca. 64 % Männer Ca. 26 % Frauen Ca. 10 % Minderjährige Über das Ausmaß von Wohnungslosigkeit gibt es keine bundesweiten gesicherten Zahlen
13 Drohender Wohnungsverlust Von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen gehören ebenfalls zu den sog. Wohnungsnotfällen. Hauptursachen für einen drohenden Wohnungsverlust sind Mietschulden und familiäre Brüche. Auch über das Ausmaß von drohendem Wohnungsverlust gibt es keine bundesweiten gesicherten Zahlen Zivilgesellschaftliche Bewegungen wie in Berlin fordern den Stopp von Wohnungsräumungen
14 Folgen von Wohnungsarmut Armutslagen im Lebensbereich b Wohnen wirken sich auf andere Lebensbereiche aus und umgekehrt: Schlechte Wohnbedingungen können gesundheitsschädlich sein Beengte Wohnverhältnisse häl können zu eingeschränkten Sozialkontakten führen Arbeitslosigkeit kann zum Verlust der Wohnung durch Mietschulden führen Wohnungslosigkeit g kann Ursache und Folge von Stigmatisierung sein
15 Sozial- und wohnungspolitische Herausforderungen (1) Wohnen ist ein Menschenrecht! (Art. 11, Nr. 1 der Internationalen Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966) In Deutschland wird lediglich das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (GG) umgesetzt sowie der Anspruch auf Unterbringung bei unfreiwilliger Wohnungslosigkeit (Ordnungsgesetze der Länder)
16 Sozial- und wohnungspolitische Herausforderungen (2) Zielgruppe der sozialen Wohnraum- förderung sind Haushalte, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind. ( 1 Wohnraumförderungsgesetz WoFG) Verantwortung für die Wohnungsversorgung hat die Wohnungspolitik, nicht die Sozialpolitik! Im besten Fall arbeiten die beiden Ressorts zusammen, wenn es um die Versorgung armer und benachteiligter Menschen geht.
17 Sozial- und wohnungspolitische Herausforderungen (3) Wohnungen sind keine Ware und der Wohnungsmarkt reguliert sich nicht von selbst! Sicherung von Belegungsrechten, wo auch immer öffentliche Gelder fließen Vorgabe bei Neubau: 1/3 der Wohnungen müssen sozialhilferechtlich angemessen sein Mietpreisbremse auch bei Neubauten Segregationsprozesse frühzeitig stoppen
18 Sozial- und wohnungspolitische Herausforderungen (4) Nach SGB II und XII sollen Mietschulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Sicherstellung dass Entscheidungen der Jobcenter und Sicherstellung, dass Entscheidungen der Jobcenter und Sozialämter bei drohendem Wohnungsverlust den gesetzlichen Vorgaben entsprechen.
19 Sozial- und wohnungspolitische Herausforderungen (5) Wir wissen, wie viele Kühe in der Hauptstadt leben (721), aber nicht, wie viele Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen es in Deutschland gibt. Einführung einer Wohnungsnotfallstatistik und Entwicklung einer nationalen Strategie zur Vermeidung von Wohnungsverlusten
20 Sozial- und wohnungspolitische Herausforderungen (6) Entwicklung einer integrierten Armuts- und Sozialberichterstattung, die eine Gesamtbetrachtung der sozialen Lebenslagen ermöglicht, darauf aufbauend eine fach- und ressortübergreifende Maßnahmenplanung mit der Formulierung von überprüfbaren Zielen (Vgl. lak Berlin 2013)
21 Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt
22 Quellen BAG W: Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. (2011): Schätzung und Prognose des Umfangs der Wohnungsnotfälle In: wohnungslos, Nr. 4/2011, S Barwick, Christine (2011): Draußen vor der Tür Exklusion auf dem Berliner Wohnungsmarkt. In: WZB Mitteilungen, Nr 137/2011. Berlin, S Breckner, Ingrid (1995): Wohnungsarmut als Aspekt der Lebenslage. Empirische Befunde und Schlußfolgerungen für die Konzeptualisierung von Armut als Lebenslage. In: Bieback, Karl- Jürgen/ Milz, Helga (Hg.), S Gerull, Susanne (2011): Armut und Ausgrenzung im Kontext Sozialer Arbeit. Weinheim; Basel: Beltz Juventa Hinte, Wolfgang (2001): Fall im Feld. In: Social Management, Nr. 6/2001, S Kilic, Emsal (2010): Diskriminierung von Migranten bei der Wohnungssuche eine Untersuchung in Berlin. In: Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales (Hg.): Deutscher Name - halbe Miete? Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt. Berlin: SenIAS lak Berlin: Landesarmutskonferenz Berlin (2013): Die Zeit ist reif! Entwurf für eine integrierte Armuts- und Sozialberichterstattung in Berlin. Berlin: lak Statistisches Bundesamt (2013): Datenreport Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung Statistisches Bundesamt (2014): Amtliche Sozialberichterstattung. sozialberichterstattung.de/
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