dem Gutsherrn Carl Fessel an der ersten Reise teilnehmen und den Zug sozusagen einweihen. Doch Großmamas Vater weigerte sich standhaft, in die

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2 du aber gar nichts hast, ach, so lasse dich begraben denn ein Recht zum Leben, Lump, haben nur, die etwas haben! Daneben aber weckte der Vater auch früh in dem Schulkind Hedwig die Fähigkeit der geistigen Anregung durch Musik und Theater. Zu Konzerten fuhren sie mit dem Pferdewagen in die Kreisstadt Angerburg und ein Opern- oder Theaterabend fand einmal im Jahr unter großem Aufwand in Königsberg statt. Mit der Kutsche ging es über eine mit Jahrhundertlinden gesäumte Landstraße zum Bahnhof Possessern. Noch lagen die Getreide- und Kartoffelfelder rechts und links des Weges unter Nebelschwaden, doch Störche und Kraniche staksten schon auf Futtersuche durch die betauten Furchen. Für die kleine Hedwig war die Fahrt bis dorthin bereits ein großes Ereignis, was hielt da wohl

3 erst die weite Eisenbahnfahrt nach Königsberg noch an Abenteuern bereit? Sie konnten allerdings nicht geradewegs bis in die ostpreußische Hauptstadt reisen, sondern mussten in Angerburg umsteigen. Ein paar Jahre früher hatte es auf dieser Strecke überhaupt noch keine Eisenbahn gegeben. Und wer einen Besuch in Königsberg machen wollte, der musste mit dem Pferdewagen bis zur Bahnstation nach Insterburg kutschieren, quer durch die Landschaft, aber vierspännig, bitteschön; denn anders kam man nicht weit, da genügend befestigte Straßen fehlten. Dann wurde der rasende Masur, wie er im Volksmund hieß, Anfang der achtziger Jahre eingeweiht und somit die Verbindung Lötzen- Possessern-Angerburg hergestellt. Der Urgroßvater, als Mitglied der Kuttener Gemeindevertreter, sollte gemeinsam mit

4 dem Gutsherrn Carl Fessel an der ersten Reise teilnehmen und den Zug sozusagen einweihen. Doch Großmamas Vater weigerte sich standhaft, in die Eisenbahn einzusteigen. Eine Fahrt mit einer Geschwindigkeit von vierzig Kilometern in der Stunde erschien ihm dann doch zu rasant. Die Urgroßmutter seufzte wieder ihr ach Gottchen, ich sag ja, und Carl Fessel musste die Einweihung alleine begehen... oder besser gesagt... befahren. Begossen wurde der rasende Masur dann allerdings gemeinsam, das ließ sich der Urgroßvater selbstverständlich nicht entgehen. Den rasenden Masur gibt es übrigens auch heute noch. Mein Mann und ich haben ihn mit eigenen Augen an uns vorbeikeuchen sehen, Anno 1985, etwa hundert Jahre später auf unserer Reise in die Vergangenheit. Eine alte Dampflok, schwarzen Rauch ausstoßend,

5 vielleicht mit etwas höherer Geschwindigkeit als zu Großmamas Zeiten, aber immer noch mit denselben antiquierten Waggons im Gefolge. In Königsberg versäumte der Urgroßvater es außerdem nicht, seine Jüngste mit einem großen Sohn der Stadt Königsberg vertraut zu machen, dem Philosophen Immanuel Kant: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie allgemeines Gesetz werde. Und unter diesen Spruch mischte Großmama später dann noch eine gehörige Portion Karl Marx und Friedrich Engels! Eines Tages verließ Großmama ihr Geburtshaus, die Schule von Przytullen, ihre Eltern und Geschwister, um bei ihrer Freundin Meta auf dem rittergütlichen Herrensitz zu leben. Und das kam so: Als die beiden Mädchen alt genug waren für die

6 Höhere Töchterschule in Angerburg, bat Hedwig Fessel die Urgroßeltern, ihnen das Patenkind zu überlassen, damit das aufgeweckte Mädchen zusammen mit der eigenen Tochter auf dem Gut durch einen Privatlehrer unterrichtet werden konnte. Der Herr Schulmeister war strikt dagegen, dass seine Jüngste eine Extra-Wurst bekam, doch die Urgroßmutter vergaß vorübergehend ihr Ach Gottchen, ich sag ja und unterstützte vehement und erfolgreich den Plan der Gutsbesitzersfreundin. Nun lebten die beiden Mädchen unter einem Dach in dem großen Gutshaus aus grüngestrichenem Holz direkt an einem der Seen Masurens, der gutseigenen Tiefen Kutte, und es begann ein Leben voller Abenteuer und Romantik. Meta wurden vom Hauslehrer die alten Klassiker nahe- und Großmama von