Konkurrenz von Unterhaltsansprüchen
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- Hanna Kalb
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1 Daniel Bähler Konkurrenz von Unterhaltsansprüchen Rechtsgrundlagen von Ansprüchen auf wirtschaftliche Versorgung im Familienrecht Kinder Unterhalt, wenn unmündig: Art. 276 ZGB Unterhalt, wenn mündig: Art. 277 Abs. 2 ZGB Stiefkinder indirekt via Beistandspflicht unter Ehegatten, so lange Ehe der Stiefeltern besteht Ehegatten Unterhalt: Art. 163 ZGB, Konkretisierung Art. 173 ZGB während gemeinsamem Haushalt, Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts Beistand allgemein: Art. 159 Abs. 3 ZGB Beistand zur Erfüllung der Unterhaltspflicht gegenüber vorehelichen Stiefkindern: Art. 278 Abs. 2 ZGB Ex-Ehegatten Unterhalt nachehelich: Art. 125 ZGB Verwandte in auf- und absteigender Linie Unterstützung: Art. 328 ZGB Anderer Elternteil eines ausserehelichen Kindes Kein Unterhaltsanspruch Allgemeines Es kommt immer häufiger vor, dass sich eine Vielzahl von Unterhaltsansprüchen gegen die gleiche Person richtet (Kinder aus verschiedenen ehelichen und nicht ehelichen Beziehungen, Ehegatten aus verschiedenen Ehen). BGE 126 III 353: Vier Kinder, davon zwei aus einer früheren Ehe, eines aus der gegenwärtigen Ehe und eines aus einer ausserehelichen Beziehung, dazu Ehegattin und zwei Stiefkinder. BGE 127 III 68: Ehefrau, zwei eheliche und ein aussereheliches Kind. BGE in Pra : Ehefrau, drei eheliche und zwei aussereheliche Kinder. BGer 5A.62/2007 vom : Drei nicht eheliche Kinder. Solche Konstellationen führen oft zu Abänderungsverfahren und sind sehr komplex. Erschwerend ist noch, dass häufig verschiedene Gerichte zuständig sind und Verfahren parallel laufen. Genügende Beurteilungsgrundlagen sind erst vorhanden, wenn die Verhältnisse aller beteiligten Haushalte bekannt sind (BGE 126 III 353). Grundsatz: Gleichbehandlung aller Kinder unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedürfnisse. Ungleichheiten können bestehen und sind gerechtfertigt, wenn die verschiedene Elternteile von Halbgeschwistern unterschiedlich leistungsfähig sind. Wer seine finanzielle Situation durch Eingehen neuer Unterhaltspflichten verschlechtert, hat die Folgen in erster Linie selbst zu tragen (vgl. Urteil Appellationshof BE 192/98 vom ). Wer eine mit Unterhaltspflichten belastete Person heiratet, kann nicht erwarten, dass bestehende Unterhaltspflichten gekürzt werden, sondern muss im Gegenteil damit rechnen, über die Bei-
2 Daniel Bähler Konkurrenz von Unterhaltsansprüchen Seite 2 standspflicht zur Erfüllung dieser Unterhaltspflichten herangezogen zu werden, und zwar auch dann, wenn die neuen Unterhaltspflichten erst während der Ehe entstehen (BGE 127 III 68). Frage der Berücksichtigung mündiger Kinder aus früheren Beziehungen: Unterhaltspflichten gegenüber unmündigen Kindern und (Ex-)Ehegatten gehen vor (BGE 132 III 209). Vollständige Nichtberücksichtigung wäre jedoch ungerecht, wenn dadurch beim Unterhaltspflichtigen und den anderen Unterhaltsberechtigten Überschüsse entstehen. Häufige Konstellationen Fall 1 Während (noch) bestehender Ehe wird der Ehemann Vater oder die Ehefrau Mutter eines Kindes aus einer neuen Beziehung. Während bestehender Ehe kommt die allgemeine eheliche Beistandspflicht gemäss Art. 159 Abs. 3 ZGB (nicht die Beistandspflicht gegenüber vorehelichen Stiefkindern gemäss Art. 278 Abs. 2 ZGB) zum Zug, was dazu führen kann, dass der andere Ehegatte seine Eigenversorgungskapazität besser ausschöpfen muss, jedenfalls um einen höheren Anteil an seinem eigenen Unterhalt decken zu können (BGE 127 III 68). Folgen bei traditioneller Rollenverteilung für die Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen bei Trennung oder Scheidung: Kind von Ehemann: Neue Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind schmälert die Leistungsfähigkeit des Ehemannes und schränkt die Unterhaltsansprüche der bisherigen Familie ein, sofern nicht genügend Mittel vorhanden sind, um alle Unterhaltsansprüche zu befriedigen. Aufnahme eines Unterhaltsbeitrags an das neue Kind (Bemessung unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes) in das Existenzminimum des Ehemannes. Kind von Ehefrau: Dadurch verminderte Eigenversorgungskapazität ist nicht unterhaltsrelevant, Berechnung fiktiv ohne Kind (kein ehebedingter Nachteil, keine Solidarität). Fall 2 Vater von Kindern aus einer Beziehung oder Ehe gründet nach deren Scheitern eine neue Familie (analoge Konstellation bei einer Mutter ist bei traditioneller Rollenverteilung nur nach einer Scheidung im Zusammenhang mit der Konkubinatspraxis von Bedeutung). Die neue Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind ist ein Herabsetzungsgrund, sofern nicht genügend Mittel vorhanden sind, um den bisherigen Unterhaltsansprüchen weiter nachzukommen. Bei einer neuen Ehe muss neue Ehefrau ihre Eigenversorgungskapazität ausschöpfen. Tut sie das und reichen die Mittel dennoch nicht aus, um Unterhalt in der bisherigen Höhe zu gewährleisten, sind die Unterhaltsbeiträge für die frühere Familie herabzusetzen, wobei beide Haushalte wirtschaftlich gleich gestellt sein sollten (sonst Ungleichbehandlung der Kinder). Keine schematische Anwendung von Prozentzahlen für Kinderunterhalt, da die kleinen Kinder in der neuen Familie weniger kosten und vom Wegfall der Unterhaltsbeiträge an die frühere Familie profitieren werden. Problem bei Mangelfällen: Gilt die Garantie des Existenzminimums für die ganze neue Familie oder nur für den Ehemann allein? In BGE 127 III 68 ist nicht klar, ob das angenommene Exis-
3 Daniel Bähler Konkurrenz von Unterhaltsansprüchen Seite 3 tenzminimum von CHF 3' die Ehefrau einschliesst (die Kinder sind wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung ausgeklammert); angesichts der Höhe ist dies jedoch zu vermuten, wobei sich die Frage nach dem Grund der Privilegierung der Ehefrau gegenüber den Kindern stellt. Im Verhältnis zwischen den Angehörigen der ersten Familie und der intakten zweiten Familie muss wohl faktisch die erste Familie hintanstehen, wenn die Sozialhilfe die zweite Familie als Einheit betrachtet und Unterhaltsbeiträge nicht als anrechenbare Ausgaben anerkannt. Fall 3 Die zweite Ehe des aus erster Ehe unterhaltspflichtigen Ex-Ehemannes scheitert ebenfalls. Die adäquate Festsetzung der Unterhaltspflichten gegenüber zweiter Ehefrau und Kindern wird durch die gerichtlich festgelegten Unterhaltsbeiträge gegenüber Ehefrau und Kindern aus der ersten Ehe erschwert. Verfahren betreffend zweite Ehe kommt früher als Abänderungsverfahren betreffend erste Ehe. Daher für den Unterhalt der zweiten Familie in einer ersten Phase die bisherigen Unterhaltsbeiträge anerkennen, aber nach einer gewissen Zeit eine automatische Erhöhung der neuen Unterhaltsbeiträge vorsehen, wenn der Pflichtige nicht nachweist, dass ihm die Herabsetzung der bisherigen Unterhaltsbeiträge auf die als angemessen betrachtete Höhe nicht gelungen ist. Fall 4 Die Ehe einer Ehefrau mit Kindern aus früheren Beziehungen scheitert. Es stellt sich die Frage, wie die Kinder aus den früheren Beziehungen in die Berechnung des wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unterhalt beanspruchenden Ehefrau einzubeziehen sind. Während der Ehe besteht die Beistandspflicht. Für Kosten der Kinder, welche nicht aus den Unterhaltsbeiträgen des leiblichen Vaters gedeckt sind, und für betreuungsbedingte Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit der Ehefrau muss deshalb der Ehemann, welcher die Ehe im Bewusstsein der Situation eingegangen ist, aufkommen. Bei der Überschussteilung sind jedoch die vorehelichen Kinder nicht zu berücksichtigen, da sie keinen direkten Unterhaltsanspruch gegenüber dem Stiefvater haben. Sind die Unterhaltsbeiträge des leiblichen Vaters höher als das Existenzminimum der vorehelichen Kinder inkl. Wohnkostenanteil, so sind weder die Unterhaltsbeiträge noch die Kosten dieser Kinder zu berücksichtigen. Vom Überschuss soll nicht der Stiefvater profitieren. Nach der Scheidung entfallen die Beistandspflichten. Durch die Aufnahme der vorehelichen Kinder in den gemeinsamen Haushalt kann sich jedoch unter Umständen nach dem Grundsatz von Treu und Glauben und dem Anspruch auf Weiterführung der ehelichen Lebenshaltung ein Unterhaltsanspruch aus nachehelicher Solidarität (Art. 125 ZGB) ergeben (BGer 5C.149/2004 vom ). Beispiele Zu Fall 2 a) LIATOWITSCH, FamPra 1/ ff. Veränderte Konstellation 3, Lösung Richter B Hans Abt, EDV-Entwickler, geboren 1951 Barbara Abt-Müller, Kindergärtnerin, geboren 1953 Heirat 1987
4 Daniel Bähler Konkurrenz von Unterhaltsansprüchen Seite 4 Scheidung 2000 Kind Anna geboren 1990 Kind Ralph geboren 1992 Einkommen Ehemann bei Scheidung: Fr im Schnitt netto (+Kinderzulage) Einkommen Ehefrau bei Scheidung: Fr im Schnitt netto Die Parteien haben sich bei Scheidung darauf geeinigt, dass Hans einen Kinderunterhalt von je Fr zuzüglich Kinderzulagen und einen nachehelichen Unterhalt von Fr bis 2008 (jüngeres Kind 16) und einen solchen von Fr bis 2010 zahlt. Kein namhaftes Vermögen, entsprechend auch kein Vermögensertrag. Die Einkommensverhältnisse sind seit der Scheidung unverändert geblieben. Hans hat sich wieder verheiratet und ist im Mai 2005 Vater von Zwillingen geworden. Seine Frau ist nicht berufstätig. Die Wohnkosten liegen unverändert bei Fr Keine Einigung. Hans wendet sich im Juli 2005 an das Gericht mit dem Gesuch um definitive Reduktion sowohl der Kinder- als auch der Ehegattenrenten. Vollständige Neuberechnung; Kinderunterhalt je 1'000 zuzüglich Kinderzulagen, nachehelicher Unterhalt 1'150. b) Urteil Appellationshof BE in FamPra 1/2006 Nr. 22 Klage des Kindsvaters D.G. auf Herabsetzung des Unterhaltsbeitrags für die aus einer nicht ehelichen Beziehung stammende Tochter L.I., 11-jährig, von zur Zeit 650 pro Monat auf 430. Beklagte beantragt Abweisung der Klage. Kläger hat sich später verheiratet und ist Vater von zwei ehelichen Kindern, 6- und 4-jährig, geworden. Er verdient 3'700 netto pro Monat zuzüglich Kinderzulagen für die ehelichen Kinder von total 320. Seine Ehefrau C.G.-B. verdient 800 pro Monat (total 4'820). Kindsmutter M.I. verdient 3'100 netto pro Monat zuzüglich Kinderzulage für L.I. von 160 (total 3'260). Die Existenzminima betragen inkl. Steuerbelastung bei einem mittleren Unterhaltsbeitrag für den Haushalt I. 3'600 und für den Haushalt G. 3'850. Unterhaltsbeziehungen zwischen den Beteiligten M.I. D.G. C.G.-B. L.I. L.G. N.G. ausgezogen: Unterhaltspflichten, gestrichelt: Beistandspflicht (indirekt) Bei Unterhaltsbeitrag 430 ist Haushalt G. deutlich besser gestellt als Haushalt I., bei 650 ist es umgekehrt. Bei 550 wären beide Haushalte gleich gestellt. Da aber keine Unterhaltspflicht von D.G. gegenüber M.I. besteht und C.G.-B. für L.I. nur indirekt einstehen muss, rechtfertigt sich eine gewisse Besserstellung des Haushalts G. Neuer Unterhaltsbeitrag daher 520. Zu Fall 3 SPYCHER/BÄHLER, Berechnung des Kindesunterhalts, Tagungsband Symposium Kind und Scheidung, Universität Freiburg 2005, Fall "Neuhaus" Fabienne und Markus Neuhaus haben zwei Kinder, Barbara (10jährig) und Christof (8jährig). Fabienne erzielt mit einer 20%igen Erwerbstätigkeit ein Einkommen von monatlich CHF Die Kosten für die zeitweise Fremdbetreuung der beiden Kinder betragen monatlich CHF Markus verdient monatlich CHF 6'500.- netto zuzüglich 13. Monatslohn von CHF netto pro Monat (1/12 des Jahresbetrags); für Barbara und Christof erhält er Kinderzulagen von je
5 Daniel Bähler Konkurrenz von Unterhaltsansprüchen Seite 5 CHF Markus bezahlt seiner 18jährigen Tochter Irene aus erster Ehe (welche in Freiburg im 1. Semester Jus studiert) einen Unterhaltsbeitrag von monatlich CHF (inkl. Kinderzulage von CHF 280.-). Seiner ersten Ehefrau welche zu 80% erwerbstätig ist und damit ein Einkommen von netto CHF 4'000.- verdient - bezahlt er monatlich CHF Grundlage beider Leistungen ist eine Ehescheidungskonvention aus dem Jahr 1993, in der der Kindesunterhalt bis zum 20. Geburtstag von Irene festgesetzt wurde. Die Unterhaltspflicht gegenüber der ersten Ehefrau besteht gestützt auf aart. 151 ZGB und ist befristet bis Phase: je 820 pro Kind aus zweiter Ehe zuzüglich Kinderzulagen, 150 für zweite Ehefrau 2. Phase: je 820 pro Kind aus zweiter Ehe zuzüglich Kinderzulagen, 1'000 für zweite Ehefrau (Aufhebung Unterhalt 1. Ehefrau, Reduktion Unterhalt mündige Tochter auf 820 zuzüglich Kinderzulagen, muss Stipendien beantragen; zweite Ehefrau muss Arbeitspensum ausdehnen)
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