Rechtsanwalt Klaus Ramming Diplom-Wirtschaftsingenieur für Seeverkehr Lebuhn & Puchta, Hamburg
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- Wolfgang Bayer
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1 Kollisionen Der Anwalt als Interessenvertreter und Rechtsbewahrer aller Interessen zwischen internationalem Privatrecht, Zivilrecht, Strafrecht und Verwaltungsrecht Magier des Rechts? Rechtsanwalt Klaus Ramming Diplom-Wirtschaftsingenieur für Seeverkehr Lebuhn & Puchta, Hamburg Hat eine Kollision stattgefunden, so kommt es nicht selten vor, daß ein Rechtsanwalt damit beauftragt wird, sich vor Ort an Bord einzufinden. Seine Mandanten sind normalerweise sowohl der Kasko- bzw. Haftpflichtversicherer als auch der Reeder des Schiffes. Die Aufgabe des Rechtsanwalts betrifft verschiedene Gesichtspunkte. In erster Linie geht es um die Aufklärung des Sachverhalts, insbesondere mit Blick auf die jeweils maßgeblichen Rechtsvorschriften. Eine damit eng verbundene zweite Aufgabe des Rechtsanwalts ist es, Beweise zu sichern. Eine dritte Funktion des Rechtsanwalts vor Ort ist es, als Mittler zwischen den Beamten der Wasserschutzpolizei einerseits und dem häufig verunsicherten Kapitän und den Besatzungsmitgliedern des Schiffes andererseits zur Verfügung zu stehen. Dies umfaßt eine Beratung von Kapitän und den Besatzungsmitgliedern, gegebenenfalls auch eine Vertretung im Rahmen von Ermittlungsverfahren. Darüber hinaus ist es von Vorteil, daß die ermittelnden Beamten einen kompetenten Ansprechpartner vor Ort haben. Generell geht es den Mandanten des Rechtsanwalts darum, die Kollision und ihre Folgen möglichst unbeschadet abzuwickeln und die wirtschaftlichen Auswirkungen des Vorfalls so gering wie möglich zu halten. 1. Die Aufklärung des Sachverhalts Hauptaufgabe des Rechtsanwalts vor Ort ist es, sich von dem Kapitän und den betreffenden Besatzungsmitgliedern den Hergang der Kollision und alle sonstigen, für die Beurteilung der Kollision maßgeblichen Umstände im einzelnen schildern zu lassen und ggf. unklar gebliebene Gesichtspunkte zu erfragen. Darüber hinaus nimmt der Rechtsanwalt Einsicht in die maßgeblichen Dokumente, etwa die Seekarte, die Seetagebücher, das Brückenbuch, sonstige Aufzeichnungen der Beteiligten, Aufzeichnungen von Manöverdaten oder ggf. die Schiffspapiere. Zweckmäßigerweise sorgt der Rechtsanwalt dafür, daß
2 umgehend Kopien dieser Dokumente angefertigt werden. Das Befragen des Kapitäns und der Besatzungsmitglieder muß umfassend und sorgfältig geschehen. Denn es kommt nicht selten vor, daß es das letzte Mal ist, daß diese Personen für eine Befragung zur Verfügung stehen. So ist es denkbar, daß die betreffenden Personen abmustern und im weiteren Verlauf nicht mehr erreicht werden können. Normalerweise sind der Kapitän und die übrigen Besatzungsmitglieder auch bereit, dem Rechtsanwalt Rede und Antwort zu stehen; insofern ist seine Position deutlich besser als die der Ermittlungsbehörden. In vielen Fällen haben der Kapitän oder die Besatzungsmitglieder, sofern sie Ausländer sind, Schwierigkeiten, den Sachverhalt auf englisch im einzelnen zu schildern. Je nach den Umständen kann es daher sinnvoll sein, von Anfang an einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Es kann vorkommen, daß im Verlaufe der Befragung weitere Einzelheiten hinsichtlich des Ablaufs der Kollision bekannt werden. Diese können sich aus den Ermittlungen der Behörden ergeben, von denen der Rechtsanwalt Kenntnis erlangt, oder auch auf Informationen der vor Ort für den Reeder bzw. den Versicherer des Schiffes tätigen Surveyor beruhen. In diesen Fällen müssen ergänzende Fragen an die Besatzungsmitglieder gerichtet werden. Stets muß der Rechtsanwalt berücksichtigen, daß er grundsätzlich nur über einseitige Informationen zum Geschehen verfügt. Von Gesichtspunkten, die sich im Zuge der Ermittlungen der Polizei ergeben haben, oder die bei der Befragung von Kapitän und Besatzungsmitgliedern des gegnerischen Schiffes bekannt werden, und die Anlaß für eine ergänzende Befragung sein können, hat der Rechtsanwalt in der Regel keine Kenntnis. In dieser Phase des Geschehens ist es unbedingt erforderlich, daß der für den Reeder bzw. die Versicherer beauftragte Surveyor möglichst eng mit dem Rechtsanwalt zusammenarbeitet. Sinnvollerweise halten sich beide jeweils gegenseitig auf dem neuesten Stand. Hinweise von Kapitän oder Besatzungsmitgliedern können Anlaß sein, bestimmte Gesichtspunkte des Schadensbildes näher zu untersuchen und zu dokumentieren. Umgekehrt können Gesichtspunkte, die dem Surveyor auffallen, Ausgangspunkt für weitere Fragen an den Kapitän oder die Besatzungsmitglieder sein. Das Ergebnis der Befragungen wird häufig in Form von Statements des Kapitäns und der betreffenden Besatzungsmitglieder zusammengefaßt. Diese Statements werden vom Kapitän oder dem Besatzungsmitglied unterschrieben. Sie haben namentlich in englischen Verfahren eine erhebliche Bedeutung als Beweismittel. Dasselbe gilt grundsätzlich auch für Verfahren in der Bundesrepublik. Unterschriebene Privaturkunden begründen im Zivilverfahren den vollen Beweis dafür, daß die in ihnen enthaltenen Erklärungen von dem 2
3 Aussteller abgegeben worden sind. Statements, die dem Gegner oder den ermittelnden Behörden überlassen werden, sind häufig unter Mitwirkung von Rechtsanwälten erstellt worden. Dabei wird sorgfältig darauf geachtet, daß die eigene Rechtsposition und die des eigenen Schiffes durch den Inhalt der Statements möglichst wenig beeinträchtigt wird. Aus diesem Grund tragen die offiziellen Statements normalerweise nichts zur Aufklärung des Sachverhalts bei. Abgesehen von alldem ist der Rechtsanwalt selbstverständlich gehalten, seinem Auftraggeber alle Erkenntnisse über den Geschehensablauf weiterzugeben, auch und gerade für ihn nachteilige. 2. Die zivilrechtliche Seite Kollisionen zwischen Schiffen führen häufig zu nicht unerheblichen Schäden. So werden die Schiffe selbst beschädigt und müssen repariert werden. Unter Umständen wird ein Berger tätig, der Ansprüche auf Bergelohn geltend macht. Kommt es zum Untergang eines Schiffes, so muß möglicherweise das Wrack beseitigt werden. Eine weitere typische Schadensposition ist der Ausfall des Schiffes für die Dauer der Reparaturarbeiten. Darüber hinaus kann durch die Kollision die Ladung beschädigt werden oder verloren gehen. Ebenso können auch am Geschehen gänzlich unbeteiligte Dritte geschädigt werden, etwa wenn es zu einer Umweltverschmutzung kommt. Schließlich kann eine Kollision auch zur Verletzung oder zum Tod von Besatzungsmitgliedern oder von außenstehenden Dritten führen. Die Fragen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, betreffen den Grund und die Höhe der Haftung und die Haftungsbeschränkung. a) Die Haftung der beteiligten Schiffe Die Beurteilung der Haftung der an einer Kollision beteiligten Schiffe kann im Hinblick auf die Rechtsanwendung Schwierigkeiten machen. Diese können zunächst den internationalprivatrechtlichen Bereich betreffen. Anhand des internationalen Privatrechts bestimmt sich, welches Recht im Einzelfall zur Anwendung kommt. Zum anderen kann das jeweils anwendbare materielle (Sach-) Recht im Einzelfall Besonderheiten aufweisen. Grundsätzlich kann allerdings von dem Prinzip ausgegangen werden, daß jedes der beteiligten Schiffe in Höhe seines Verursachungs- und Verschuldensbeitrages an der Kollision für die entstandenen Schäden einstehen muß. Ein deutsches Gericht, das mit der Frage einer Haftung aus einer Kollision befaßt ist, muß in erster Linie das Übereinkommen vom 23. September 1910 zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen (Kollisions-Übereinkommen) beachten. Dieses Übereinkommen kommt zur Anwendung, wenn alle beteiligten Schiffe die Flagge von Vertragsstaaten führen, unabhängig davon, wo die Kollision stattgefunden hat. Nicht zu den 3
4 Vertragsstaaten des Übereinkommens gehören etwa Liberia oder Panama, so daß das Übereinkommen schon aus diesem Grund in vielen Fällen nicht herangezogen werden kann. Das Übereinkommen gilt darüber hinaus auch dann nicht, wenn alle an der Kollision beteiligten Schiffe die Flagge des Staates führen, in dem die Klage erhoben worden ist. Grundlage der Haftung ist nach dem Kollisions-Übereinkommen das Verschulden der an der Kollision beteiligten Schiffe. Jedes Schiff haftet für die entstandenen Schäden im Verhältnis seines Verschuldens. Im Vergleich zu den allgemeinen Haftungsbestimmungen des deutschen Rechts ergibt sich eine Besonderheit. Ist ein Dritter durch die Kollision geschädigt worden, so könnte er nach den allgemeinen Grundsätzen beide Schiffe als Gesamtschuldner in Anspruch nehmen. Im Unterschied dazu haftet nach dem Kollisions-Übereinkommen jedes Schiff für Sachschäden nur anteilig, in Höhe seines Verschuldens. Etwas anderes gilt nach dem Kollisions-Übereinkommen für Personenschäden; für diese müssen die beteiligten Schiffe als Gesamtschuldner einstehen. Nicht im Kollisions-Übereinkommen geregelt sind die ersatzfähigen Schadenspositionen, also der Umfang der Ersatzpflicht. Soweit das Kollisions-Übereinkommen nicht zur Anwendung kommt, etwa weil ein Schiff unter der Flagge eines Nicht-Vertragsstaates an der Kollision beteiligt ist oder weil die betreffende Frage nicht im Übereinkommen geregelt ist, so ist das anwendbare nationale Recht zu bestimmen. Maßgeblich für diese Beurteilung sind die Grundsätze des internationalen Privatrechts. In der Bundesrepublik gelten seit dem 1. Juni 1999 die neu eingeführten Regelungen über außervertragliche Schuldverhältnisse (Art. 38 bis 42 EGBGB). Diese betreffen auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung, wie sie in Zusammenhang mit Kollisionen von Schiffen eine Rolle spielen. Danach ist in erster Linie das Recht des Tatortes maßgeblich. Der Geschädigte hat auch die Möglichkeit, die Anwendung des Rechts zu wählen, an dem der Schaden eingetreten ist. Das neue Recht befaßt sich nicht ausdrücklich mit der Situation im Falle einer Kollision von Schiffen. Insgesamt sind die Auswirkungen der neuen Bestimmungen im Rahmen von Kollisionen noch völlig offen. Vorläufig kann man im Hinblick auf das anwendbare Recht als Daumenregel von den folgenden Grundsätzen ausgehen: 1. Hat die Kollision in dem (bis zu 12 Seemeilen breiten) Küstenmeer eines Staates stattgefunden, so gilt für Ansprüche aus der Kollision das Recht dieses Staates. 2. Ist es außerhalb des Küstenmeeres eines Staates zur Kollision gekommen, so beurteilt sich die Haftung nach dem Recht des Flaggenstaates des in Anspruch genommenen 4
5 Schiffes. Es kann also dazu kommen, daß die wechselseitigen Ansprüche der an der Kollision beteiligten Schiffe verschiedenen Rechten unterliegen. In allen Fällen steht es den Reedern der beteiligten Schiffe frei, nach der Kollision das jeweils anwendbare Recht zu vereinbaren. Ist geklärt, welches Recht zur Anwendung kommt, so gelten dessen Bestimmungen, entweder in vollem Umfange oder jedenfalls insoweit, als das Kollisions-Übereinkommen nicht zur Anwendung kommt oder keine Regelungen enthält. Gelangt man über das internationale Privatrecht zum deutschen Recht, so sind die Bestimmungen der 734 ff. HGB heranzuziehen. Diese entsprechen inhaltlich den Bestimmungen des Kollisions- Übereinkommens. Im Hinblick auf die ersatzfähigen Schadenspositionen gelten die Grundsätze des allgemeinen Schuldrechts. Besonderheiten gelten schließlich für die Haftung des Reeders für den Verlust oder die Beschädigung von Ladung, die sich an Bord seines Schiffes befand. Hierfür muß der Reeder lediglich wie ein Verfrachter einstehen, der in besonders privilegierter Weise haftet. In Zusammenhang mit Kollisionen wird sich der Reeder in vielen Fällen auf die Nicht- Zurechnung des Verhaltens der Schiffsbesatzung bei nautischem Verschulden berufen können, mit der Folge, daß die Haftung des Reeders ausgeschlossen ist. b) Die Beschränkung der Haftung Die Haftung des Reeders eines Seeschiffes ist ebenso wie etwa die des Eigners eines Binnenschiffes in besonderer Weise ausgestaltet. Er kann für jedes Ereignis, für dessen Folgen er einstehen muß, seine Haftung beschränken. Grundlage hierfür ist das Internationale Übereinkommen vom 19. November 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen. Hier sind im Hinblick auf die Höhe der Haftung bestimmte Grenzen festgelegt, unter anderem abhängig vom Raumgehalt des Schiffes und von der Art der Ansprüche. Insbesondere gilt für Personenschäden eine höhere Haftungssumme. Die Beschränkung der Haftung erfolgt durch die Errichtung eines Fonds bei Gericht, in den Geld eingezahlt wird. Dieses wird durch das Gericht in einem bestimmten Verfahren geregelt in der Schiffahrtsrechtlichen Verteilungsordnung an die verschiedenen Geschädigten verteilt. 5
6 Ein rechtlicher Gesichtspunkt, der für die Reeder und die Haftpflichtversicherer der an der Kollision beteiligten Schiffe von erheblicher Bedeutung ist, liegt darin, daß im Falle eines schweren Verschuldens das Recht zur Beschränkung der Haftung nicht besteht. Dies ist der Fall, wenn nachgewiesen wird, daß die Kollision auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die vom Reeder absichtlich oder leichtfertig und dem Bewußtsein begangen wurde, daß ein solcher Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. Das absichtliche Herbeiführen der Kollision wird für den Gegner praktisch nie zu beweisen sein. Um so größere Bedeutung hat die zweite Alternative des leichtfertigen Verhaltens. Zu beachten ist, daß dem Reeder selbst bzw. einem seiner Organe, also etwa dem geschäftsführenden Gesellschafter, dem Geschäftsführer oder dem Vorstand, ein solches Verhalten nachgewiesen werden muß. Dies kann in der Regel nur gelingen, wenn der Kollisionsgegner zeigen kann, daß organisatorische Mängel bei der landseitigen Organisation des Schiffsbetriebes vorhanden waren. Eine Rolle kann in diesem Zusammenhang der ISM-Code spielen. Für den Rechtsanwalt vor Ort ergibt sich hieraus die Verpflichtung, die Aufklärung des Sachverhalts auch auf das Vorhandensein, die Durchführung und die Überprüfung der Einhaltung von Befehls- und Organisationsstrukturen an Bord zu erstrecken. Klassische Fälle, um die es hierbei im Zusammenhang mit Kollisionen geht, ist beispielsweise die Verfügbarkeit eines Ausgucks oder eines Rudergängers auf der Brücke. 3. Strafrechtliche Gesichtspunkte Hat sich eine Kollision ereignet, so erscheint in der Regel nach kurzer Zeit die Wasserschutzpolizei an Bord und nimmt die Ermittlungen auf. Die Polizeibeamten werden dabei grundsätzlich in zwei verschiedenen Funktionen tätig. Zum einen führen sie ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren durch; insoweit handeln sie als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft. Zum anderen ermitteln die Beamten auch im Rahmen der Seeunfalluntersuchung (siehe dazu unten 4.). Besteht der Verdacht einer Straftat, so ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren durchzuführen um zu entscheiden, ob Anklage erhoben werden soll. Durchgeführt werden die Ermittlungen zunächst durch die Polizeibeamten vor Ort, im weiteren Verlauf möglicherweise auch durch die Kriminalpolizei. In diesem Zusammenhang vertritt der Rechtsanwalt nicht mehr nur die Interessen des Reeders bzw. der Versicherer des Schiffes, sondern er wird darüber hinaus zum Verteidiger des Beschuldigten, also derjenigen Person, die als Täter in Frage kommt. Im Zusammenhang mit Kollisionen kommen in der Regel nur fahrlässig begangene Straftaten in Betracht. Typischerweise 6
7 handelt es sich um den Vorwurf der Gefährdung des Schiffsverkehrs ( 315 a StGB). Danach macht sich strafbar, wer durch grob pflichtwidriges Verhalten gegen Rechtsvorschriften zur Sicherung des Schiffsverkehrs verstößt. Ist es aufgrund der Kollision zu Personenschäden gekommen, so wird auch wegen einer fahrlässigen Körperverletzung ( 229 StGB) oder einer fahrlässigen Tötung ( 222 StGB) ermittelt. Das deutsche Strafrecht gilt für alle Taten, die im Inland einschließlich des Küstenmeeres der Bundesrepublik begangen wurden, auch wenn die Täter ausländische Staatsangehörige sind. Außerdem kommt das deutsche Strafrecht zur Anwendung auf alle Taten, die auf Schiffen unter deutscher Flagge begangen werden, unabhängig von dem Ort des Schiffes. Die Wasserschutzpolizei ermittelt außerdem nicht nur wegen Straftaten, sondern auch im Hinblick auf möglicherweise begangene Ordnungswidrigkeiten. Im Zusammenhang mit der Kollision von Schiffen kommen in erster Linie die Ordnungswidrigkeitentatbestände des Verkehrsrechts in Betracht, namentlich also die Vorschriften der Verordnung zu den internationalen Regeln von 1971 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See sowie der Seeschiffahrtsstraßen-Ordnung. Zu den Maßnahmen der Ermittlungsbehörden gehört das Befragen von Kapitän und Besatzungsmitgliedern zum Hergang des Unfalls. Für den vor Ort anwesenden, vom Reeder bzw. den Versicherern des Schiffes beauftragten Rechtsanwalt spielt es eine erhebliche Rolle, ob der Beschuldigte oder ein Zeuge vernommen wird. Dem Beschuldigten steht ein uneingeschränktes Schweigerecht zu, er kann jede Einlassung zur Sache selbst verweigern, ohne daß dies Folgen hat. Der Rechtsanwalt als sein Verteidiger wird ihm in der Regel hierzu auch raten; grundsätzlich sollte ein Beschuldigter sich zur Sache erst äußern, nachdem der Verteidiger Gelegenheit hatte, Einsicht in die Ermittlungsakte zu nehmen. Anders als der Beschuldigte sind Zeugen dagegen grundsätzlich verpflichtet, eine Aussage zur Sache zu machen. Weigert sich der Zeuge, so bleibt dies im Rahmen einer bloßen polizeilichen Vernehmung folgenlos. Allerdings hat die Polizei dann die Möglichkeit, nunmehr unmittelbar die Staatsanwaltschaftschaft einzuschalten. Diese kann eine Aussage des Zeugen zur Sache mit den Mitteln des Ordnungsgeldes oder Ordnungshaft erzwingen. In vielen Fällen werden der Beschuldigte oder Zeugen, die sich zunächst nicht zur Sache äußern wollen, darauf verweisen, später eine schriftliche Aussage vorzulegen. Der Verteidiger hat bei der polizeilichen Vernehmung des Beschuldigten oder der Zeugen kein Recht auf Anwesenheit; freilich steht es den ermittelnden Beamten frei, dem Verteidiger dies zu gestatten. Stets sind sowohl der Beschuldigte als auch der Zeuge wie jeder andere auch verpflichtet, Angaben zu ihrer Person zu machen. 7
8 Eine typische weitere Ermittlungsmaßnahme der Polizeibeamten an Bord ist die Anfertigung von Kopien der Schiffstagebücher, des Brückenbuches, der verwendeten Seekarte, der Aufzeichnungen von Manöverdaten, der Schiffspapiere oder sonstiger Dokumente, die im Zusammenhang mit der Kollision eine Rolle gespielt haben können. Der Kapitän ist verpflichtet, einer entsprechenden Anordnung der Polizeibeamten, die Unterlagen zur Verfügung zu stellen, nachzukommen. Tut er dies nicht, so besteht die Möglichkeit, daß die Polizeibeamten die Dokumente beschlagnahmen. Dies kann bei Gefahr im Verzug auch ohne eine entsprechende richterliche Anordnung geschehen. Diese Voraussetzung liegt vor, wenn die richterliche Anordnung nicht eingeholt werden kann, ohne daß der Zweck der Maßnahme gefährdet wird. Zu denken ist an Fälle, in denen die Möglichkeit besteht, daß die Dokumente vernichtet, beiseite geschafft oder die Aufzeichnungen geändert werden, oder wenn vorgesehen ist, daß das Schiff seine Reise bei nächster Gelegenheit fortsetzt. Eine weitere denkbare Maßnahme der ermittelnden Beamten ist die Durchsuchung von Räumen des Schiffes zum Zwecke des Auffindens von Beweismaterial oder die Einschaltung von Sachverständigen, die sich mit den technischen Einrichtungen des Schiffes befassen. Im Falle von Trunkenheitsdelikten kann auch die Entnahme von Blutproben verfügt werden. Von Bedeutung für die Praxis ist weiter die Befugnis der Ermittlungsbehörden, zur Sicherstellung der Durchführung des Strafverfahrens anzuordnen, daß der Beschuldigte eine angemessene Sicherheit für eine zu erwartende Geldstrafe und die Kosten des Verfahrens leistet und einen Zustellungsbevollmächtigten im Bezirk des zuständigen Gerichts bestellt ( 132 StPO). Voraussetzung hierfür ist, daß der Beschuldigte einer Straftat dringend verdächtigt ist, aber in der Bundesrepublik keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt hat. Letzteres ist in der Regel bei allen ausländischen Besatzungsmitgliedern der Fall. Die Sicherheit wird normalerweise in Form einer Bürgschaft des Agenten des Schiffes gestellt, der auch gleichzeitig zum Zustellungsbevollmächtigten ernannt wird. Die Anwesenheit eines Rechtsanwalts als Verteidiger des Beschuldigten hilft in der Regel allen Beteiligten. Der Rechtsanwalt kann dem Beschuldigten erläutern, daß die Anordnungen der ermittelnden Beamten rechtmäßig sind bzw. kann im Falle unrechtmäßiger Anordnungen dies sogleich geltend machen. Von besonderer Bedeutung ist häufig auch der Hinweis an die Zeugen, daß sie sich gegenüber der Polizei nicht zur Sache einlassen müssen. Auf der anderen Seite trägt die Anwesenheit des Rechtsanwalts häufig dazu bei, daß sich auch die ermittelnden Beamten kooperativer zeigen. Die Herstellung eines guten Verhältnisses 8
9 zwischen Verteidiger und Polizei hat häufig die zusätzliche Wirkung, daß die Polizei eher gewillt ist, von ihr gewonnene Erkenntnisse dem Verteidiger mitzuteilen. Nicht zu unterschätzen ist die dem Rechtsanwalt offen stehende Möglichkeit, unabhängig von den Maßnahmen der ermittelnden Beamten seinerseits Gesichtspunkte aufzuklären und zu dokumentieren, die für den Beschuldigten sprechen. Häufig wird hierzu erst Gelegenheit sein, wenn die ermittelnden Beamten das Schiff verlassen haben. Die vom Verteidiger zusammengetragenden entlastenden Momente können bereits im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens, also bei der Entscheidung des Gerichts über die Eröffnung der Hauptverhandlung oder auch erst in der Hauptverhandlung selbst eine Rolle spielen. 4. Die Seeunfalluntersuchung Wie bereits erwähnt, werden die Beamten der Wasserschutzpolizei nicht nur zur Ermittlung des Sachverhalts im Hinblick auf Straftaten und Ordnungswidrigkeiten tätig, sondern auch im Rahmen der Seeunfalluntersuchung. Die Untersuchung von Seeunfällen ist Sache der Seeämter. Es handelt sich um ständige Untersuchungsausschüsse, die bei den Wasser- und Schiffahrtsdirektionen gebildet werden. Eingerichtet worden sind die Seeämter Kiel, Hamburg, Emden, Bremerhaven und Rostock sowie das Bundesoberseeamt in Hamburg, das für die Entscheidung über Rechtsmittel gegen Sprüche des Seeamts zuständig ist. Eine der Aufgaben der Seeämter besteht darin, die Ursachen und Umstände des Seeunfalls festzustellen. Hierzu ist die Bundesrepublik aufgrund völkerrechtlicher Übereinkommen verpflichtet. Der Zweck des Untersuchungsverfahrens ist ein anderer als der des Ermittlungsverfahrens; es geht nicht um eine Bestrafung der Beteiligten, sondern um die Gewinnung von Erkenntnissen im Hinblick auf die zukünftige Vermeidung von Seeunfällen. Gleichzeitig befaßt sich das Seeamt aber auch mit der Frage, ob ein fehlerhaftes Verhalten eines der Beteiligten vorliegt. Ausgehend davon hat das Seeamt außerdem die Befugnis, Befähigungszeugnissse zu entziehen oder, wenn der Beteiligte über ein von einer ausländischen Behörde ausgestelltes Befähigungszeugnis verfügt, Fahrverbote auszusprechen. Die Polizeibeamten, die sich nach einer Kollision auf den beteiligten Schiffen einfinden, nehmen gleichzeitig die Ermittlungstätigkeiten der Seeämter im Rahmen der Seeunfalluntersuchung wahr. Grundlage hierfür ist eine Vereinbarung zwischen dem Bund und den Küstenstaaten. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat die Polizei umfassende Befugnisse, 9
10 an Bord zu gehen und die Räume des Schiffes zu betreten. Der Kapitän ist verpflichtet, den Beamten Auskünfte zu erteilen und Unterlagen vorzulegen. Im Hinblick auf die Ermittlungen der vor Ort anwesenden Beamten der Wasserschutzpolizei wird der Rechtsanwalt als Beistand des Beteiligten tätig. Seine Funktion unterscheidet sich insoweit nicht wesentlich von seiner Rolle als Verteidiger des Beschuldigten. Dem Untersuchungsverfahren vor den Seeämtern kommt häufig bei der Beurteilung der Verantwortlichkeit der beteiligten Schiffe an der Kollision eine entscheidende Bedeutung zu. In vielen Fällen wird das Seeamtsverfahren verhältnismäßig schnell durchgeführt, so daß bereits einige Monate nach der Kollision der Spruch des Seeamtes vorliegt. Zwar binden die Feststellungen des Seeamtes weder die Straf- noch die Zivilgerichte. Allerdings sind die Seeämter durch den Vorsitzenden, den ständigen Beisitzer und die weiteren Beisitzer sachverständig besetzt und genießen ein hohes Ansehen. Die Feststellungen des Seeamtes binden weder die Straf- noch die Zivilgerichte. Nicht selten werden Strafverfahren, möglicherweise bereits anhängige Zivilverfahren und auch die Verhandlungen der Parteien über die wechselseitigen Schadenersatzansprüche unterbrochen oder verzögert, bis die Entscheidung des Seeamtes vorliegt. 10
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