Ralf N. Höhfeld ADIPÖS. Das fette Stück.

Transkript

1 Ralf N. Höhfeld ADIPÖS Das fette Stück. 1

2 henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1999 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1 2

3 adipös: fett[reich], verfettet PERSONEN alle fett: Anke Peter Doris Katja Arnold Thomas Dirk Miguel Linda Tim Richter Erja ORT UND ZEIT Deutschland, Gegenwart. Mit einem Ausblick in die Zukunft. 3

4 Die Bevölkerung nimmt ständig zu. Natürlich kann man von keinem Theater erwarten, daß es 16 adipöse Schauspieler hat. Natürlich kann man von keinem Schauspieler erwarten, daß er sich für eine Rolle fett frißt. Aber natürlich kann man von jedem Theater erwarten, daß es über gute Kostümund Maskenbildner verfügt. Natürlich sind 16 normalgewichtige Schauspieler schon eine schwere Herausforderung. Damit es nicht zu schwer wird, können die Rollen auch auf 7 Schauspieler verteilt werden (4 Männer, 3 Frauen). So könnte die schlanke Besetzung aussehen: Mann 1:, Richter Mann 2:, Miguel Mann 3:, Arnold, Dirk Mann 4: Peter, Thomas, Tim Frau 1:, Katja Frau 2: Anke, Linda Frau 3: Doris, Erja Die Welt wird immer voller. Jede Szene des Stücks zeigt einen bestimmten Ausschnitt der Welt. Diese Ausschnitte werden durch bestimmte Requisiten (Möbel, Accessoires etc.) zum Bühnenleben erweckt. Sind diese Requisiten einmal auf der Bühne, so bleiben sie da. Die Bühne ist eine Welt, die immer voller wird. 4

5 1. Wartehalle in einem deutschen Flughafen. Da sitzt, ein richtig fetter Mann. Ein zweiter richtig fetter Mann,, kommt dazu, setzt sich daneben. Er atmet schwer. Aus persönlichen Gründen habe ich nur sieben Tage Zeit für den Urlaub. Hoffentlich hat das Flugzeug keine Verspätung. Mit dem Taxi grad wars ziemlich knapp. Sie haben mir nämlich kein Großraumtaxi vorbeigeschickt. Obwohl ich eins bestellt hatte. Ziemlicher Streß. Aber jetzt ist Urlaub. Und wohin fliegen Sie? Nach Griechenland. Ah: Griechenland! Die Wiege der abendländischen Kultur. Herrlich. Und Olympia Werd ich mir bestimmt anschauen. Diesmal hab ich übrigens den Kühlschrank nicht abgetaut. Bin doch nur sieben Tage weg. Ich fliege auch nach Griechenland. Am liebsten seh ich ja den Weitsprung der Frauen. Wenn die Frauen fliegen, diese Leichtigkeit. Zum Glück ist Fliegen heutzutage ja insgesamt sehr leicht geworden. Obwohl die Verletzungsgefahr doch ziemlich hoch ist. Da lastet eine ganz schöne Kraft auf den Frauenbeinen beim Abflug, wußten Sie das? Ja. Ich war selber aktiver Weitspringer. Meine Bestweite war 6,82 Meter. Allerdings bei zu starkem Rückenwind. Das war in Darmstadt Ja, 79 war insgesamt ein ziemlich windiges Jahr. 93 habe ich mir meinen ersten BMW gekauft. Vorher bin ich immer Mercedes gefahren. Aber ab 93 waren die BMWs einfach bequemer. Was lesen Sie da für n dicken Schinken? Nicoletta Farini, Das Herz ist ein einsamer Muskel. Nie gehört. Muß man das kennen? Oder halt. Das ist doch diese Italienerin, die auch diesen Roman über den Hongkong- Chinesen geschrieben hat, der in New York eine farbige Sängerin kennenlernt, sie heiratet und dann stirbt, wegen Alkohol, oder nicht? Sie meinen Tage der einsamen Herzen von Mike Em Hui. Eine Italienerin kommt nach Hongkong, tötet im Rausch einen Mann, der sich als Bruder des Chefs der Drogenmafia entpuppt. 5

6 Sie kennen sich ja ganz schön aus. Ist das nicht mit Jean- Claude van Damme verfilmt worden? Mich wundert, daß der Flug noch nicht aufgerufen wurde. Riechen Sie eigentlich so? Schon möglich. Ich hab vorhin im Duty-Free-Shop ein paar After-Shaves ausprobiert. Das neue von Calvin Klein gefällt mir ganz gut. Und das letzte von Versace. Aber ich bleibe lieber bei adidas. Ja, das paßt besser zu Ihrem sportlichen Typ. Vielleicht hängt das mit den Waldbränden in Südfrankreich zusammen. Vielleicht verschieben sich dadurch alle Flüge etwas. Nein, die Brände sind gelöscht. Haben Sie heute die Zeitung nicht gelesen? Hab ich nicht mehr geschafft. Das finde ich überhaupt das Schlimmste am Urlaub, daß man da die Zeitung immer mit einem Tag Verspätung bekommt. Im Ausland, da lebt man immer irgendwie in der Vergangenheit. Jetzt brauch ich einen Kaffee. Sie auch? Schwarz, bitte. Der Automat ist da hinten rechts. ( steht schwer auf und geht Kaffee holen. liest. Kurze Zeit später kommt eine richtig fette Frau,, dazu. Sie setzt sich ein paar Plätze von entfernt hin. kommt mit zwei Bechern Kaffee zurück. Er will zu, sieht dann aber, zögert kurz, und geht zu ihr.) (Zu.) Kaffee? Schwarz? Ja. Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen. Süßstoff? Schon seit einem Jahr nicht mehr. Sie brauchen sich übrigens keine Sorgen mehr zu machen. Die Waldbrände in Südfrankreich sind gelöscht. Wirklich? Das ist schön. Heute morgen hab ich nämlich noch gedacht: Wie lange das wohl noch dauern wird mit diesen Waldbränden? Da wollte einfach keine rechte Urlaubsstimmung bei mir aufkommen. 6

7 Ja, es ist schrecklich. Über einhundert französische Graufüchse wurden Opfer der Flammen. Sie tragen übrigens eine sehr hübsche Bluse. Finden Sie? War bestimmt nicht leicht zu finden? Nicht in meiner Größe, hahaha. (Lacht mit.) Hahaha. ( hört die beiden lachen und dreht sich zu ihnen um. Er sieht sie Kaffee trinken. geht zu den beiden.) (Zu.) Entschuldigung. Sie trinken meinen Kaffee. Bitte? Sie trinken meinen Kaffee. (Zeigt auf.) Dieser Mann hat mich eingeladen. Eben. (Zu.) Nun sagen Sie doch was. Ein bedauerlicher Irrtum. Ich habe keine Lust zu diskutieren. Ich bin durstig. Da kommt mein Mann. (, ein ziemlich fetter Mann, kommt.), dieser Mann belästigt mich. (Zu.) Lassen Sie meine Frau in Ruhe. Sie fette Sau. Das ist ein bedauerlicher Irrtum. Sag ich doch. Ich habe in den letzten vier Wochen fünf Kilo abgenommen. Was hat er dir getan, Mäuschen? 7

8 Er will meinen Kaffee. Das ist mein Kaffee. Oh. Sie lesen Das Herz ist ein einsamer Muskel? Ein trauriges Buch. Ganz und gar nicht. Doch. Wenn die Blondine stirbt, weil sie in das falsche Auto steigt. Sie stirbt? So weit bin ich noch nicht. Ja. Sie stirbt. Sehr traurig. Und dabei wirkt sie noch so lebendig. Ich bin gerade an der Stelle, wo sie den kleinen Finnen verführt. Im Riesenrad. Ich erinnere mich., tu doch was. (Zu.) Darf ich Sie aus diesem traurigen Anlaß zu einem Kaffee einladen? Gern. ( und gehen ab zum Kaffeeautomaten. und bleiben schweigend zurück. Augenblicke später kommt Anke, sie ist ziemlich fett. Sie setzt sich auf s Platz und liest einen Brief. Dann kommen und zurück. Lächelnd verabschieden sie sich. geht zu seiner Frau, zu seinem Platz.) (Zu Anke.) Sie sitzen auf meinem Platz. (Anke reagiert nicht.) Sie sitzen auf meinem Platz. Anke (Schaut sich um.) Hier ist doch genug Platz. Sogar für uns beide. Ob Sie es glauben oder nicht: Ich bin ein sehr rücksichtsvoller Mensch. Aber jetzt bin ich auf dem Weg in einen wohlverdienten Urlaub und nicht bereit, mich von Ihnen provozieren zu lassen. Ich möchte gerne auf meinem Platz sitzen und an der Stelle weiterlesen, wo die Blondine gerade den kleinen 8

9 Finnen verführt. Seit etwa zehn Minuten weiß ich, daß diese Blondine bald sterben wird, und das verbessert meine Laune auch nicht gerade. Anke Anke (Zu.) Müssen Sie eigentlich jede Frau hier im Raum belästigen? Nicht nur, daß Sie abscheulich riechen, Sie verhalten sich auch noch so. Ich finde, er riecht gut. Das ist aber auch schon das einzig Positive, was ich über ihn sagen kann. Du sollst nicht immer so vorschnell urteilen. Immerhin hat er auch einen exquisiten Literaturgeschmack. Als ob du was davon verstehst. Das Buch war 63 Wochen lang Nummer eins in den Bestsellerlisten. In Österreich. Und in Ungarn, Norwegen, der Slowakei und Finnland. (Zu.) So ist er. Immer. Ich hasse ihn. Können wir jetzt wieder auf mein Problem zurückkommen? Ich bin der Meinung, Sie setzen sich einfach auf einen anderen Platz. Wenn Sie mir einen Kaffee holen. Wenn ich mal was dazu sagen darf. Nicht jetzt. Warum nicht? Das ist eine Sache zwischen uns beiden. Ich finde, das sehen Sie etwas eng. Sie wissen gar nicht, worum es hier geht. (Zu.) Ich warne Sie. Ich bin Polizist und in Selbstverteidigung ausgebildet. 9