Soziale Ungleichheit und Gesundheit im Kindesalter
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- Fritz Maurer
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1 Soziale Ungleichheit und Gesundheit im Kindesalter in Landshut Martin Heyn, M.S.M, Würzburg in Kooperation mit Prof. Dr. habil. Christian Janßen, M.A. Hochschule München
2 Gliederung: Gliederung Prävention von was und bei wem? 1) Zur Situation in Deutschland 2) Was ist soziale Ungleichheit? 3) Wie hängen soziale Ungleichheit und Gesundheit zusammen? 4) Soziale Ungleichheit und Gesundheit im Kindesalter 5) Zusammenfassung
3 Grundbegriffe der Prävention und Gesundheitsförderung (Krankheits-)Prävention Prävention bedeutet Vorbeugung (lat. prevenire: Zuvorkommen): Die meisten Krankheiten sind nicht angeboren, sondern im Laufe des Lebens erworben. Jeder hat die Chance, möglichen Erkrankungen aktiv vorzubeugen. Neben dem individuellen Verhalten kann aber auch durch Veränderungen in der Lebenswelt ein Beitrag geleistet werden, um Krankheitsrisiken zu verringern (Lexikon GKV) = Maßnahmen zur Verhütung von Krankheiten und Störungen M.Heyn 3
4 Grundbegriffe der Prävention und Gesundheitsförderung Prävention: eine Klassifikation nach Zielgruppen (dürfte allen bekannt sein) Primärprävention Sekundärprävention Tertiärprävention Zeitpunkt der Intervention Vor Eintreten einer Krankheit In Frühstadien einer Krankheit Nach Manifestation / Akutbehandlung einer Krankheit Ziel der Intervention Adressaten der Intervention Verringerung der Inzidenz von Krankheiten Gesunde bzw. Personen ohne Symptomatik Eindämmung der Progredienz oder Chronifizierung einer Krankheit Akutpatienten / Klienten Verhinderung von Folgeschäden oder Rückfällen Patienten mit chronischer Beeinträchtigung M.Heyn 4 (Leppin in Hurrelmann et al., 2004, und S.32) Rehabilitanden vergleiche auch Caplan, 1964
5 Grundbegriffe der Prävention und Gesundheitsförderung Prävention: eine Klassifikation nach Zeitpunkt der Intervention (könnte noch nicht allen bekannt sein) Universelle Prävention Selektive Prävention Indizierte Prävention Charakter Inhaltlich Vermittlung Mit geringem Aufwand, standardisierten Programmen, möglichst flächendeckend Grundkenntnisse vermitteln Soziale Kompetenz, Assertivität, Peergruppenresistenz, Empathie, pers. Kompetenz (Entscheidungsfindung, Bewältigungsstrategien) Wissen über Suchtmittel Elternworkshops versch. Schulstufen Interaktive Vermittlung z.b. Normative Beliefs in Intensivgruppen Nur wenige der Konsumenten entwickeln später einen problematischen / abh. Konsum Konzentriert sich auf vorh. Ressourcen und Brennpunkte. Zielgruppen: Schulversager, junge Delinquenten, Ethnische Gruppen, Experimentierer FreD, HALT, Sportangebote, FemmesTische, Hotlines, Strukturelle Programme in Schule, Betrieb, Zonen Gerichtet auf Individuen mit erkanntem Risiko, z.b. vielfältigem Risikoverhalten u. anderen Verhaltensauffälligkeiten Risikofaktoren: Früher Beginn Konsum, Kleinkriminalität, Aggressives Verhalten, Sozialangst, Psychische Störungen (Depression, Angst, ADHS...) Massgeschneiderte Interventionen für das Individuum M.Heyn 5 angelehnt an Suchtprävention und Gesundheitsförderung in Mitteilungen der Suchtpräventionsstelle Zürcher Oberland, Nr. 23, 2005
6 Lebenserwartung (ab Geburt) Quelle: GBE 2006
7 Lebenserwartung (ab Geburt) SOEP, , Personen ab 50 Jahre, 939 Todesfälle Lebenserwartung (in Jahren) Männer Frauen Äquivalenz-Einkommen a) > Mittelwert < Mittelwert 77 (- 4) 83 (- 2) b) obere 25 % untere 25 % 72 (-10) 81 (- 5) Reil-Held A (2000): Einkommen und Sterblichkeit in Deutschland: Leben Reiche länger? Beiträge zur angewandten Wirtschaftsforschung, No
8 Relative Häufigkeit chronischer Krankheiten von Unter- (US) im Vergleich zur Oberschicht (OS) in Deutschland Männer Frauen Herzinfarkt Prävalenz OR (US:OS) Prävalenz 3.3% % 2.15* OR (US:OS) Schlaganfall 1.6% 2.56** 1.7% 2.01 Diabetes mellitus 3.8% 0.39** 4.1% 2.02** Depression 12.5% 2.01*** 20.8% 1.58*** Signifikanzniveaus: *** p < 0,001; ** p < 0,01; * p < 0,05 Quelle: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003, > 18 J.
9 Sozialwissenschaftliche Grundlagen Bis auf wenige Ausnahmen (Erstmanifestation Mammakarzinom, Neurodermitis bei Kindern und Jugendlichen), nehmen die Risiken für Erkrankungen und vorzeitige Sterblichkeit mit abnehmender Sozialschicht zu. (Geyer in Kolip 2002, S.54) Gesundheitliche Ungleichheiten manifestieren sich ab dem frühen Kindesalter; sie erreichen ihre maximale Ausprägung etwa zwischen dem 45. und 50. Lebensjahr, um zwischen dem 65. und 70. kleiner zu werden und zu verschwinden. Frauen Männer Angestellte und Führungskräfte Referenzkategorie Risiko=1 1 1 Facharbeiter(innen) 1,67 1,73 Un- und Angelernte 1,58 1,92 Gesundheitliche Ungleichheit hinsichtlich der Risiken des Auftretens von Herzinfarkt in Abh. der berufl. Situation. Daten einer gesetzl. Krankenkasse von Frauen und Männern. (ebenda)
10 Sozialwissenschaftliche Grundlagen Mortalität Das Sterberisiko (relatives Risiko) bis zum 5. Lebensjahr: unterste soziale Schicht bis zu 1,4fach erhöht im Vergleich zur höchsten. Zwischen dem 5. und 9. LJ verringert sich der Schichtgradient unwesentlich. Jenseits des 15. LJ sind die Schichtgradienten eher schwach ausgeprägt, um nach dem 20. LJ wieder anzusteigen. Wesentliches Moment: Unfälle. Deutsche Herz-Kreislauf-Präventionsstudie weist ein um bis zu 150% fach erhöhtes Infarktrisiko (von niedrigsten i.vergl. zur höchsten sozioökonom. Schicht). Generell gilt, dass soziale Gradienten bei Frauen schwächer ausgeprägt sind als bei Männern, und die Differenzen sind z.t. schwerer interpretierbar.
11 Schematische Darstellung des sozialen Gradienten von Morbidität t und Mortalität hoch Morbidität & Mortalität niedrig niedrig Sozioökonomischer Status hoch
12 Soziale Ungleichheit & Gesundheit. angelehnt an Andreas Mielck, 2000 Soziale Ungleichheit Alter, Geschlecht, Bildung, Beruf & Einkommen Belastungen Wohnen, Arbeit Ressourcen Kontrollüberzeugunge n soziale Unterstützung Medizinische Versorgung Prävention, Kuration Rehabilitation Unterschiede im Gesundheitsverhalten Gewicht, Rauchen, Alkohol, Bewegung Ernährung Gesundheitliche Ungleichheit Lebensqualität, Morbidität & Mortalität
13 Bolte, G. & Mielck, A.: Umweltgerechtigkeit Die soziale Verteilung von Umweltbelastungen. Weinheim & München: Juventa, 2004
14 Soziale Benachteiligung am Wohnort
15 Soziale Benachteiligung am Arbeitsplatz
16 Das Modell der sozialen & gesundheitlichen Ungleichheit Soziale Ungleichheit Alter, Geschlecht, Bildung, Beruf & Einkommen Gesundheitliche Belastungen Wohnen, Arbeit Bewältigungsressourcen Kontrollüberzeugungen soziale Unterstützung gesundheitliche Versorgung Prävention, Kuration Rehabilitation Unterschiede im Gesundheitsverhalten Gewicht, Rauchen, Alkohol, Bewegung Ernährung Gesundheitliche Ungleichheit Lebensqualität, Morbidität & Mortalität Angelehnt an: Mielck. Soziale Ungleichheit & Gesundheit. Bern: Huber, 2000
17 Soziale Ungleichheit in der Prävention: - Kenntnisse über Krankheit & Gesundheit - Inanspruchnahme von Leistungen - Informationsnutzung Prävention kommt zur Zeit nicht da an, wo sie am dringendsten benötigt wird!.
18 Das Das Modell der der sozialen und & gesundheitlichen Ungleichheit Soziale Ungleichheit Alter, Geschlecht, Bildung, Beruf & Einkommen Gesundheitliche Belastungen Wohnen, Arbeit Bewältigungsressourcen Kontrollüberzeugungen soziale Unterstützung gesundheitliche Versorgung Prävention, Kuration Rehabilitation Unterschiede im Gesundheitsverhalten Gewicht, Rauchen, Alkohol, Bewegung Ernährung Gesundheitliche Ungleichheit Lebensqualität, Morbidität & Mortalität Angelehnt an: Mielck. Soziale Ungleichheit & Gesundheit. Bern: Huber, 2000
19 Personen, die zur Zeit rauchen nach sozialer Schicht (BGS 98) % a Odds-Ratio b Fallzahl Oberschicht Mittelschicht Unterschicht a Anteil von Personen, die zur Zeit rauchen; ohne keine Angabe b Odds-Ratio im Vergleich zur Oberschicht; kontrolliert nach Alter, Geschlecht und Ost-West. Wolf, C.: Vorschläge zur Messung sozialer Ungleichheit. Beitrag zum Workshop Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Public Health Forschungsverbund NRW, 2002
20 Und wer verdient wirklich an jeder Zigarette pro Jahr in Deutschland? 20
21 Und wer verdient wirklich an jeder Zigarette pro Jahr in Deutschland? Umsatz Tabaksteuer 12 Milliarden Mehrwertsteuer 3 Milliarden Einnahmen Tabakindustrie 21
22 Und wer raucht am meisten in Deutschland?? Bauhilfsarbeiter ~ % 13% Raucherquote Gymnasiallehrer ~
23 Und wer raucht am meisten in Deutschland?? Landwirtin selbst. 45% 9% Raucherquote Kellnerin ~
24 Finanzkreislauf Geld für Tabak niedriges Einkommen 15 Milliarden 24
25 Personen mit starkem Übergewicht nach sozialer Schicht (BGS 98) % a Odds-Ratio b Fallzahl Oberschicht Mittelschicht Unterschicht a Anteil von adipösen Personen (Body-Mass-Index> 30) b Odds-Ratio im Vergleich zur Oberschicht; kontrolliert nach Alter, Geschlecht und Ost-West. Wolf, C.: Vorschläge zur Messung sozialer Ungleichheit. Beitrag zum Workshop Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Public Health Forschungsverbund NRW, 2002
26 Adipositas I (>30) Adipositas II (> 35) Adipositas III (> 40)
27 Adipositas nach Sozialstatus 25 % ,8 7,5 6,3 5,9 4,4 5, ,6 1,3 3-6 Lj Lj Lj Lj. niedrig mittel hoch KiGGS (2006)
28 Die Ernährungs- und Bewegungssituation von Kindern in Deutschland Ein zunehmendes Problem: 2003: 11 bis 16jährige Schüler: übergewichtig 4,6%, 2,1% davon bereits adipös 2006: bereits 15% der 3-17jährigen übergewichtig, darunter 6,1 % als adipös. Auffallend: rascher Anstieg in der Lebensphase: 3-6jährige: übergewichtig 9% (weitere 2,9% adipös) 10-14jährige: über 15% (weitere 6,9% adipös) 14-17jährige: 17% (weitere 8,5% adipös) Andere Studien gehen je nach Definition von insgesamt 10% bis 20% Anteil übergewichtiger bzw. adipöser Schulkinder und Jugendlichen in Deutschland aus (RKI, 2004). (vgl. Jugendgesundheitssurvey 2003: Zubrägel u. Settertobulte, 2003 und KIGGS Studie des Robert-Koch-Insituts Berlin (vgl. Bundesgesetzblatt 5/6 2007). 28
29 Die Ernährungs- und Bewegungssituation von Kindern in Deutschland Ein adipöser Junge im Alter von 7 Jahren hat ein Risiko von 31% im Erwachsenenalter weiter adipös zu sein, wohingegen ein adipöser Elternteil das Risiko auf über 70% steigen lässt (vgl. DGE, 2008). Neben dem Bildungsgrad der Eltern, der gewählten elterlichen Lebensstile (Gerhards u. Rössel, 2003) ist der sozioökonomische Status entscheidend. Vereinfacht lässt sich formulieren: je niedriger die Schicht, desto höher erscheint das Risiko für Adipositas (vgl. Zubrägel u. Settertobulte, 2003, KIGGS 2007). 29
30 Die Ernährungs- und Bewegungssituation von Kindern in Deutschland Bewegungsaktivitäten setzen im Kindes- und Jugendalter Entwicklungsreize für ein normales Wachstum, unterstützen die physiologischen Funktionen des Herz-Kreislauf- und Atmungssystems, beeinflussen die geistige Entwicklung und das Befinden. Sie schulen die sensomotorische Wahrnehmung, ermöglichen soziale Erfahrungen und fördern über ein positives Körperbewusstsein eine Stärkung der Ich-Identität, Selbstverantwortung und Selbstkompetenz (RKI, 2004). 30
31 Bewegungsempfehlungen Mindestens einmal pro Woche treiben in Deutschland rund ¾ der 3-10jährigen Sport, etwa ein Drittel sogar mindestens dreimal (vgl. Bundesgesundheitsblatt, 5/6 2007). Dies bedeutet jedoch auch, dass ein Viertel in dieser Altersgruppe nicht regelmäßig sportlich aktiv ist und jedes achte Kind nie Sport treibt. Wie viele sich darunter tatsächlich zu wenig bewegen, wurde leider nicht eindeutig erhoben. Empfehlung: Sich an den meisten Tagen der Woche zumindest moderat körperlichsportlich (dabei ins Schwitzen kommend, ca. 60min) bewegen: Realität: unter den 11-17jährigen nur etwa jeder vierte Junge und jedes sechste Mädchen (vgl. Bundesgesundheitsblatt, 5/6 2007). Insbesondere Mädchen bewegen sich im Alter von 17 Jahren weitaus weniger regelmäßig als Jungen (siehe oben). 31
32 Bewegungsempfehlung für Kinder 32
33 Bewegungsempfehlung für Erwachsene 33
34 Da rollt `was auf uns zu: Adipositas und die Folgen... 34
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53 Studien zur gesundheitlichen Lage im Kindes- und Jugendalter Kinder- und Jugendgesundheitsstudie (KiGGS, 2007) des Robert Koch Instituts ( inklusive Bella-Studie der KiGGS-Studie des RKI ( Ravens-Sieberer et al. (2006, 2007) ) Health Behavior in School-aged Children (HBSC, Hurrelmann et al., 2008) EU Youth Report (2009) Gesundheitsberichte der Länder und der Kommunen, z.b. Berliner Kinderspezialbericht (Oberwöhrmann & Bettge 2008)
54 Gesundheitliche Einschränkungen sozial benachteiligter Kinder Störungen der motorischen Entwicklung und Koordination Sprech- bzw. Sprachstörungen, Hör- und Sehstörungen Konzentrationsstörungen Adipositas, Essstörungen, Ernährungsverhalten (z.b. Obst essen, Fehlernährung) und Zahnerkrankungen Bewältigungsverhalten und -ressourcen psychische Auffälligkeiten & Störungen Gewalterfahrungen Unfälle Geringe Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen
55 Zusammenfassung 1) Menschen mit niedrigerem sozialen Status müssen früher sterben & sind häufiger krank in Deutschland 2) Diese soziale Schere in Morbidität und Mortalität beginnt bereits in Kindesalter und wird zzt.wieder größer! 3) Prävention und Gesundheitsförderung kommen z. Zt. nicht da an, wo sie am dringendsten benötigt werden (Mittelschichtsorientierung bei P & GF) 4) Wir sollten in der Prävention und Gesundheitsförderung auch und gerade bei den Kindern neue Wege gehen 5) Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten. Ohnmacht kommt nicht nur von oben, sondern auch von innen. (J. Gauck am )
56 Gesundheitliche Chancengleichheit Quelle: Flyer LZG-download
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