Mobilitätseingeschränkte Menschen Herausforderungen für den Nahverkehr

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1 Mobilitätseingeschränkte Menschen Herausforderungen für den Nahverkehr Annerose Hintzke Institut für barrierefreie Gestaltung und Mobilität (Mainz) 4. ÖPNV Innovationskongress 10. März 2009, Freiburg i. Br.

2 Gliederung: 1. Die Kundengruppe mobilitätseingeschränkter Menschen 2. Problemaufriss und Lösungsbeispiele (Fahrzeuge, Einstiegssituationen, Haltestellen und Bahnhöfe, Fahrgastinformation) 3. Wege zu guten Lösungen

3 Die Kundengruppe mobilitätseingeschränkter Menschen

4 Formen von Mobilitätseinschränkungen: in Situationen z. B. für Personen mit schwerem Gepäck oder Kinderwagen in Lebensphasen z. B. für werdende Mütter oder Personen mit postoperativen Beeinträchtigungen in Lebensabschnitten z. B. für kleine Kinder oder alte Menschen dauerhaft behinderte und als amtlich schwerbehindert anerkannte Menschen

5 Zahlen zu einzelnen Gruppen mobilitätseingeschränkter Menschen Behinderung/Mobilitätseinschränkung Sehbehinderung und Blindheit Lernschwierigkeiten/psychische Behinderung Eingeschränkte Gehfähigkeit/Unfähigkeit zu gehen Funktionsbeeinträchtigungen innerer Organe Gehörlosigkeit/Schwerhörigkeit Bevölkerungsanteil (grobe Schätzwerte) 0,8% 10,4% 10,4% 16% 17% Ständig anwachsende Zahl älterer Menschen: Aktuell sind ca. 16 Millionen Menschen 65 Jahre und älter, bis zum Ende der 2030er Jahre werden es ca. 24 Millionen sein. Die Bevölkerung ab 80 Jahren von aktuell ca. 4 Millionen wird bis zum Jahr 2050 auf ca. 10 Millionen anwachsen.

6 Anforderungen an barrierefreie Fahrzeuge des Nahverkehrs

7 Stufenlos, nahezu schwellen- und spaltenlos sowie neigungsarmer Zugang Zwingender Einsatz von Niederflurfahrzeugen Lift oder automatische bzw. mechanische Rampe Leicht erkennbare, standardisierte Piktogramme am barrierefreien Zugang

8 Kontrastreiche Gestaltung der Türen, Anforderungstaster, Haltestangen, Piktogramme Taktil erfassbarer Anforderungstaster, hier mit Profilleiste Visuelle und akustische Türschließung Höhe der Anforderungstaster von 85 cm oberhalb der Standardhöhe von Haltestellen/Bahnsteigen. Bei Differenz dieser Höhen um mehr als 20 cm mindestens 2 Anforderungstaster in unterschiedlicher Bedienhöhe Zusätzliche taktile Orientierung durch hervortretendes Dichtgummi an den Türen Rot-grün Farben vermeiden wg. Rot-Grün- Sehschwäche!

9 Kontrastreiche optische Fahrzielinformation außen am Bug, am Heck und entlang der Längsseite des Fahrzeugs Zusätzlich: Akustische Fahrzielinformation außen, sofern keine Ansagen an Haltestellen bzw. Bahnhöfen

10 Stufenlose, schwellenlose und neigungsfreie Gänge und Bewegungsflächen im Bereich der Stellplätze für Rollstuhlnutzer und der besonderen Sitzplätze (mit größerer Beinfreiheit!) für behinderte Fahrgäste Bewegungsfläche im Eingangsbereich und am Stellplatz für Rollstuhlnutzer: 150 cm x 150 cm (zzgl. 130 cm x 90 cm je weiterem Stellplatz) bzw. multifunktionale Fläche Platzgewinn durch Außenschwingtüren

11 Zielkonflikte: Personen mit Kinderwagen, Rollstuhlnutzer, Rollatorennutzer, Fahrräder, Gepäckstücke Lösung: Multifunktionale Fläche

12 Kontrastreiche Gestaltung des Innenraums (Gänge, Podeste, Stehflächen, Sitze, Haltestangen, Entwerter) für sehbehinderte Fahrgäste mit Kantenmarkierung Kantenmarkierung fehlt So nicht: fehlende Kontraste

13 Grundsatz: Gleichwertige Darreichung von akustischer und optischer Fahrgastinformation Optisch-elektronische Fahrgastinformation - in angemessener Schriftgröße - Standardschriften ohne Serifen (z. B. Futura, Helvetica, VAG-Rundschrift) - ausreichender Leuchtdichtekontrast Akustische Fahrgastinformation - Verständlichkeit: klare Sprachausprägung, auch bei Nebengeräuschen Kontrast zu umgebenden Geräuschen - angepasste Aussteuerung der Lautstärke - Ankündigung von Sprachdurchsagen durch einen einleitenden Ton (Gong)

14 Für Fahrzeuge des SPNV Barrierefreies WC mit Bewegungsfläche (Durchmesser 150 cm oder Fläche von 150 cm x 150 cm) und unterfahrbarem Waschbecken

15 Rollstuhlstellfläche in Bussen Anforderungstaster in Höhe 85 cm Haltegriffe zu hoch! Höhe von 85 cm einhalten Seitliche Haltestange fehlt! Seitliche Haltestange

16 Einstiegssituationen

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18 Ein Faltrollstuhl lässt sich ankippen (nicht barrierefrei: Begleitperson notwendig!) Ein Fuß passt gut in einen 10 cm breiten Spalt ein Elektrorollstuhl nicht: Gewicht ca. 150 kg + der Person, die darin sitzt Lösung: Spaltüberbrückung

19 Einstieg in Nahverkehrszüge Höhenunterschied Bis 50 mm Höhe und 50 mm Spaltbreite (werden praktisch nur in geschlossenen Systemen, z. B. bei U- und S-Bahn erreicht) Bis maximal 200 mm Ab 200 mm Einstieghilfe Spaltüberbrückung (bei praktischer Überschreitung der Höhe und Spaltbreite von je 50 mm) Automatische oder manuelle Rampe, falls Neigung im Bereich von max. 12 % und Bewegungsfläche von 1500 mm x 1500 mm am Rampenanfang und -ende Hublift

20 Manuelle Rampen an Nahverkehrszügen

21 Automatische Rampen an Nahverkehrszügen Achtung: Hier Neigung zu groß, Bewegungsfläche zu gering!

22 Hublifts an Nahverkehrszügen Hublift am ET 425, Einstieghöhe 798 mm Hublift am redesignten Silberling, Einstieghöhe ca mm Neuentwicklung eines Hublifts

23 Einstieg in den Bus: mit Kneeling ca. 25 cm Höhe abzgl. der Bordsteinhöhe Zu große Neigung, hohe Kippgefahr Zulässige Neigung: max. 12%

24 Haltestellen und Bahnhöfe

25 Auffindbarkeit für blinde und sehbehinderte Menschen Orientierung mit dem Langstock an der inneren Leitlinie Orientierung mit dem Langstock an der äußeren Leitlinie mit Bordhöhe von 3 cm Auffindbarkeit der Haltestelle durch taktil erfassbares und kontrastreiches Leitsystem (Bodenindikatoren)

26 Zugänglichkeit für Rollstuhl- und Rollatornutzer sowie gehbehinderte Menschen Borde nicht höher als 3 cm Rampen nicht steiler als 6% Aufzüge mit einer Breite 110 cm und Tiefe 140 cm

27 Orientierungshilfen für blinde und sehbehinderte Menschen Taktiler und kontrastreicher Bahnhofsplan (Reliefkarte) Taktil erfassbares und kontrastreiches Leitsystem im Bahnhof Taktile Information am Handlauf einer Treppe

28 Ausgestaltung und Möblierung Achtung: Abfallkorb und Informationstafeln können von blinden Menschen mit dem Langstock nicht ertastet werden, Verletzungsgefahr! Lösung z. B. so: Tafel endet max. 10 cm 15 cm über dem Boden Kontrastreiche Sicherheitsmarkierungen auf den Glasflächen Achtung: zu niedrig, müssen in Sichthöhe angebracht werden! Kontrastreiches und taktil erfassbares Aufmerksamkeitsfeld markiert die Einstiegsstelle Achtung: Keine akustische Fahrgastinformation vorhanden!

29 Ausgestaltung und Möblierung Achtung: Sitzgelegenheiten für gehbehinderte Menschen ungeeignet! Lösung: Arm- und Rückenlehnen zum leichteren Aufstehen und Hinsetzen. Geeignete Sitzhöhe beachten Ausreichende Bewegungsfläche vor dem Wartehäuschen und Stellfläche im überdachten Bereich für Rollstuhlfahrer, Personen mit Kinderwagen, etc. Rutschfester und leicht befahrbarer Oberflächenbelag Erhöhter Bord zum erleichterten Einstieg (min. 16 cm empfehlenswert,

30 Fahrgastinformation

31 Verfügbarkeit der Fahrgastinformation: - zur Vorbereitung vor der Fahrt bzw. Reise, vorzugsweise über PC und Telefon - während der Fahrt, vorzugsweise über Mobiltelefon - durch barrierefreie Darreichung der Information insbesondere für blinde Menschen Aussagekraft: - Aktualität und Zuverlässigkeit der Angaben auch bei Störfällen - detaillierte Angaben für Fahrgäste mit differenziertem Informationsbedarf - Angaben zu Reiseketten, vorzugsweise von Tür zu Tür

32 Beispiel: Innovatives Auskunftssystem BAIM (Barrierefreie ÖV-Information für mobilitätseingeschränkte Personen Inhalte zu: - Haltestellen - Bahnhöfen - Fahrzeugen - weiterem Haltestellenumfeld in Vorbereitung Eingabemaske

33 Kriterien der Barrierefreiheit wurden auf der Grundlage der allgemein anerkannten Regeln der Technik und in Zusammenarbeit mit Experten aus Behindertenverbänden entwickelt. Details zum Fußweg

34 Fahrzeuginformationen

35 Stationsplan

36 Neuentwicklung: Taktil-Akustischer Navigations- und Informationsassistent für blinde und taubblinde Menschen Auf der Grundlage eingespeicherter Karten und detaillierter Umgebungsinformationen gelingt die Navigation durch akustische Angaben oder über die Braillezeile

37 Wege zu guten Lösungen

38 Anwendung der EU-Busrichtlinie (Richtlinie 2001/85 EG) 1. Vorgaben für Stadtbusse Klasse I als Mindeststandards verstehen und durch Qualitätsstandards verbessern, z. B.: Rampenlast 300 kg besser: 350 kg Rampenbreite 800 mm Anforderungstaster auf Höhe 1300 mm besser: 850 mm über Bordhöhe besser: 900 mm Reflektierende Warnmarkierungen Maximale Rampenneigung 12 % (gemessen auf einem Bord mit 150 mm Höhe)

39 2. Anwendung der Vorgaben für Stadtbusse Klasse I und der darüber hinaus gehenden Qualitätsstandards - auch bei Stadtbussen mit 22 Fahrgästen (einschließlich Fahrzeuge für flexible Bedienungsformen!) - auch bei Überlandbussen 3. Unsachgemäße Auslegung der Richtlinienvorgaben vermeiden - die Richtlinie ist als Zulassungsrichtlinie zu verstehen - die Richtlinie regelt nicht die Beförderungspraxis - daher ist die Mitnahme von mehr als einem Rollstuhlfahrer bei nur einem richtlinienkonform eingerichteten Rollstuhlstellplatz mittlerweile erlaubt (Nutzung der multifunktionalen Fläche)

40 Barrierefreiheit bei GVFG-Nachfolgeregelungen - Beibehaltung der Fördervoraussetzung, dass die Vorhaben den Anforderungen der Barrierefreiheit entsprechen müssen - Beibehaltung der Festlegung, dass die Vertreter behinderter Menschen bei der Vorhabenplanung anzuhören sind - rechtzeitige Bereitstellung vollständiger Angaben über geplante Maßnahmen durch den Vorhabenträger für eine sachgerechte Beurteilung durch die Vertreter behinderter Menschen

41 Barrierefreiheit in Nahverkehrsplänen 1. Konkrete Angaben zu Maßnahmen, durch die eine möglichst weitreichende Barrierefreiheit erreicht werden soll sowie Bennennung von Fristen, in denen diese zu realisieren sind (Grundlage PBefG). 2. Differenzierte Aussagen zu Anforderungen der Barrierefreiheit an - die Haltstellen und Verknüpfungspunkte - die Fahrzeuge - die Verknüpfungsqualität - den Betrieb - die Fahrgastinformation

42 3. Anhörung der Behindertenbeauftragten oder -beiräte durch die Aufgabenträger bei der Aufstellung des Nahverkehrsplans (Grundlage PBefG). - Gesetzeslücke schließen: sofern Behindertenbeauftragte oder -beiräte nicht vorhanden sind, Anhörung der Behindertenverbände - rechtzeitige Beteiligung der Behindertenvertreter bei der Erarbeitung des Nahverkehrsplans 4. Beteiligung der Behindertenvertreter bei der Planung des SPNV bzw. bei der Erarbeitung und Aufstellung von Nahverkehrsplänen für den SPNV

43 Programme der Eisenbahnen 1. Aufstellung von Programmen, in denen dargestellt wird, wie die möglichst weitreichende Barrierefreiheit von Bahnanlagen und Fahrzeugen einschließlich einem Betriebsprogramm zu erreichen ist (Grundlage EBO) 2. Anhörung der anerkannten bundesweiten Behindertenorganisationen (Grundlage EBO) 3. Kontinuierliche Beteiligung der Behindertenvertreter bei der Umsetzung und Fortschreibung des Programms

44 Barrierefreiheit in Ausschreibungen und Lastenheften 1. Beteiligung der Behindertenvertreter bei der Ausschreibung von Verkehrsleistungen durch die Aufgabenträger. 2. Erstellung von Lastenheften mit präzisen Vorgaben zur Barrierefreiheit insbesondere von Fahrzeugen. 3. Kooperation mit ausgewiesenen Fachleuten für Barrierefreiheit bei der Erstellung von Lastenheften. 4. Rückgriff auf ausgewiesene Fachleute für Barrierefreiheit bei strittigen Fragen im Bieterverfahren.

45 Die geschlossene Reisekette Geschäftlich oder privat barrierefrei reisen bedeutet vor allem geeignete - Verbindungen von Tür zu Tür - Unterkünfte (Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen, etc.) - Nahverkehrsverbindungen am Ort und verkehrsräumliche Voraussetzungen - Gastronomie und Betätigungsmöglichkeiten (Ausflüge, Sport, etc.) - leicht verfügbare und zuverlässige Informationen über diese Angebote Das Ziel geschlossener Reiseketten ist nur über das enge Zusammenwirken der verschiedenen Akteure insbesondere der Kommunalverwaltung, des ÖPNV und des Tourismus zu erreichen.

46 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!