Die kulturelle Modernisierung der rechtsextremen Jugendszene. Redemanuskript für einen Vortrag bei der Tagung der aej am

Transkript

1 1 Die kulturelle Modernisierung der rechtsextremen Jugendszene Redemanuskript für einen Vortrag bei der Tagung der aej am Insbesondere seit Ende der siebziger Jahre gibt es tiefgreifende Veränderungen im jugendlichen Rechtsextremismus. Mit zwei kleinen Episoden möchte ich die Situation in der Bundesrepublik zum Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre illustrieren: 1. Ende der siebziger Jahre gründeten Mitglieder des NPD-Studentenverbandes NHB die Band Ragnaröck und veröffentlichten die ersten Rechtsrock- Aufnahmen in der Geschichte der Bundesrepublik. Es war hierzulande der erste Versuch, moderne Musik mit rechtsextremen Inhalten zu verbinden. Geplant war, mit Hilfe von Rockmusik die Hemmschwelle bei Jugendlichen gegenüber der extremen Rechten zu verringern. Der Versuch scheiterte kläglich: Der Band mangelte es an Authentizität. Auch die Resonanz aus der rechten Szene war gering. Es sollte auf Jahre hinaus der letzte Versuch von organisierten Rechtsextremen in diese Richtung sein. 2. Am 26. Oktober 1983 fand in West-Berlin ein Fußball-Länderspiel Türkei gegen Bundesrepublik Deutschland statt. Am Vorabend sollte ein Treffen stattfinden, zu dem eine Gruppe namens "Nationale Skins" zahlreiche bekannte rechte Skinheads aus der ganzen Bundesrepublik per persönlichem Anschreiben

2 2 eingeladen hatte. Kurz vorher stellte sich heraus, wer wirklich hinter diesen "Nationalen Skins" steckte: Michael Kühnens Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS) - die wichtigste Neonazigruppe zu dieser Zeit, deren Mitglieder allesamt keine Skinheads waren. Diese hatte mit den Einladungen enthüllt, daß sie eine Skinhead-Kartei führte, mit dem Ziel, neue Mitglieder in der Skinhead-Szene zu rekrutieren. Eben diese Kartei fiel zusätzlich noch der Polizei bei einer Hausdurchsuchung in die Hände. Der Ärger in der Skinhead- Szene war groß, und so reisten zwar zahlreiche Skinheads zu dem Treffen an, jedoch nicht, um Kühnen zuzuhören. Stattdessen wurde die versammelte Führung der ANS verprügelt. Zitat aus einem rechten Skinhead-Fanzine aus jener Zeit: "Es waren rechte und Nazi-Skins, die Kühnens ANS kurz und klein schlugen, nicht irgendwelche Aushilfs-Antifaschisten." Wenig später veröffentlichte die rechte Skinhead-Band KDF (Kraft durch Froide) einen Song, in dem in Anspielung auf diesen Vorfall die Kühnen-Anhänger als feige Träumer, als "Nickelbrillenträger mit Pickelgesicht" verhöhnt wurden. Was zeigen diese beiden Beispiele? Im ersten Fall, daß die Rechtsextremen zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgreich auf moderne Musik setzen konnten, weil ihnen die soziale Verankerung in modernen Jugendkulturen fehlte, weil sie auf ihr traditionalistisches Ghetto beschränkt waren. Im zweiten Fall, daß in den achtziger Jahren auch der rechtsextreme Flügel der Skinheadszene wenig Interesse an einer Rekrutierung und Vereinnahmung durch Neonazis hatte.

3 3 Insbesondere der letztere Vorfall wäre heute undenkbar. Heute gibt es keine strikte Trennung zwischen Neonazi-Szene und rechter Skinhead-Szene und anderen rechten Jugendszenen mehr, vielmehr existieren umfangreiche Überschneidungen. Heute ist etwa die NPD erfolgreich am Geschäft mit dem Rechtsrock beteiligt und setzt seit Jahren Rechtsrock gezielt in Wahlkämpfen ein ( Schulhof-CD ). Heute ist rechtsextreme Rockmusik weitaus erfolgreicher als Ende der siebziger Jahre, ja das wichtigste und erfolgreichste Mittel, das Rechtsextremen zur Verbreitung ihrer Ideologie bei Jugendlichen zur Verfügung steht. Ein bedeutender Teil der rechtsextremen Szene hat sich kulturell tiefgreifend modernisiert. Noch in den siebziger und achtziger Jahren waren rechtsextreme Jugendorganisationen durch straffe Organisation und ein hohes Maß an Disziplin geprägt, verbunden mit einem Festhalten an den kulturellen Formen des Nationalsozialismus und der bündischen Jugend-Wanderfahrten, Lagerfeuerromantik und traditionellem Liedgut. Die Szene war damals auch deshalb ein gesellschaftlich randständiges Phänomen. Heute hingegen ist der Rechtsextremismus für viele Jugendliche durch andere Angebote attraktiv geworden. Konzerte, Rockmusik und Kleidungsstil, die in ihrer Ästhetik jugendkulturelle Einflüsse, insbesondere der Skinheads und aus der Hardcore-Szene aufgenommen haben, prägen nun sein Bild. Im Gegensatz

4 4 zur Marginalität der rechten Szene in den achtziger Jahren muß heute festgestellt werden, daß sich eine rechte Alltagskultur etabliert hat, die an manchen Orten auch hegemonial ist. Bemerkenswerterweise gerät der moderne Rechtsextremismus durch die Übernahme angelsächsischer jugendkultureller Formen, wie Rainer Erb schreibt, in Widerspruch zur "deutsch-völkischen, nationalistischen Tradition". Seit den neunziger Jahren ist eine regelrechte kleine "Industrie" zur Versorgung dieser Szene entstanden. Über Versandhandel und Ladenlokale, durch "fliegende Händler" bei Konzerten und anderen Events werden Kleidung und insbesondere Tonträger in großen Mengen verkauft. Es gilt: In fast jeder deutschen Schulklasse, nicht nur in Ostdeutschland, kann man heute auf Schülerinnen und Schüler treffen, die mit Namen wie Skrewdriver, Hassgesang, Kraftschlag und vor allem Landser etwas anfangen können, eventuell sogar eine CD oder häufiger eine aus dem Internet heruntergeladene Kopie zu Hause haben. Auch die entsprechenden Kleidungsstücke gehören an vielen Orten zum Alltagsbild. Zudem zeigen sich insbesondere seit Mitte der neunziger Jahre auch in der Gothic-Szene und seit Ende der neunziger Jahre auch in der Black-Metal-Szene offen rechtsextreme Flügel. Bei den Gothics handelt es sich um eine der größten Jugendkulturen in der Bundesrepublik. Gothics verstehen sich als intellektuelle Elite, die der angeblich

5 5 oberflächlichen Welt den Rücken kehrt, indem sie sich auf romantische, nach innen gewandte Weise mit Themen wie Tod und Esoterik beschäftigt. Gewalt ist absolut verpönt. Black Metal ist eine extrem harte und schnelle Spielart des Heavy Metal. Typisch für die Szene ist insbesondere eine ausgeprägt antichristliche Haltung, die in Skandinavien sogar in zahlreichen Brandstiftungen an Kirchen endete. Wie bei Skinheads findet sich auch hier eine hohe Gewaltbereitschaft, zwei der prominentesten Szeneangehörigen sind wegen Mordes vorbestraft: Hendrik Möbus, früher Musiker bei der Band Absurd und Varg Vikernes von der Band Burzum. Die rechten Ränder bei Gothics und im Black Metal sind aus den jeweiligen Jugendszenen heraus entstanden, ohne daß dies bedeutend durch die NPD oder andere Organisationen beeinflußt worden wäre. Ein weiterer wesentlicher Musikstil, der heute für die neonazistische Szene von Bedeutung ist, ist Hardcore, eine besonders schnelle und harte Spielart von Punkrock. Dieser Einfluss findet sich heute insbesondere bei den sogenannten Autonomen Nationalisten, der gegenwärtig dynamischsten Strömung der deutschen Neonaziszene, die gleichfalls durch ein hohes Maß an Gewalttätigkeit auffallen und in ihrem Stil optische Elemente der linken Autonomen kopieren. Dieser Veränderungsprozess war nicht von Führungspersonen der extremen Rechten strategisch geplant. Bernd Wagner schreibt: "Entgegen der

6 6 landläufigen, in den Medien und im Bereich der Inneren Sicherheit kolportierten Ansicht, daß die Lebensfähigkeit und die Ausstrahlungskapazität des modernen Rechtsextremismus einen hohen Organisationsgrad (Zentralismusmodell) verlange, ist das Gegenteil festzustellen. Der moderne Rechtsextremismus ist deswegen erweitert reproduktionsfähig, weil er eine Kulturbewegung mit der Tendenz zum sozialen Bewegungsmilieu und politischer Implikation und nicht politische Bewegung mit kultureller Implikation ist". Es gibt nicht den jugendlichen Rechtsextremismus, wie dies manche Autorinnen und Autoren meinen, vielmehr handelt es sich um ein Phänomen mit vielfältigen Erscheinungsformen und teilweise erheblichen inhaltlichen und kulturellen Unterschieden. Während früher der Zugang zur Szene über formale Mitgliedschaften in Organisationen geregelt wurde, wird nun Zugehörigkeit durch Stiladaption definiert: Wer eine bestimmte Musik hört, wer bestimmte Kleidungsstücke trägt der ist dabei. Henning Flad, 2012