DuMont's Kriminal-Bibliothek

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3 DuMont's Kriminal-Bibliothek Leslie Thomas wurde 1931 in Newport, Großbritannien, geboren. Neben zahlreichen Romanen veröffentlichte er mehrere Kriminalromane, in denen Dangerous Davies, ein Detective der Londoner Polizei, Verbrechen aufklärt. Mit seinem skurrilen Helden Dangerous Davies stellt sich der Autor nicht nur in die beste Tradition des britischen Humors, er liefert darüber hinaus auch eine exzellente Studie des Lebens in einem der ärmeren Londoner Stadtviertel Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Von Leslie Thomas ist in der DuMont's Kriminal-Bibliothek bereits erschienen:»dangerous Davies... Bis über beide Ohren«(Band 1045).

4 Herausgegeben von Volker Neuhaus

5 Leslie Thomas der letzte Detektiv DuMont Buchverlag Köln

6 Für Eric Hiscock, der mich von Anfang an ermutigt hat Umschlagmotiv von Pellegrino Ritter Aus dem Englischen von Irmgard Andrae 1976 by Leslie Thomas 1991 der deutschsprachigen Ausgabe by DuMont Buchverlag Köln Editorische Betreuung: Petra Kruse 3. Auflage 1995 Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Die der Übersetzung zugrundeliegende Originalausgabe erschien 1987 un ter dem Titel»Dangerous Davies. The last detective«bei Methuen London Ltd, London Satz: Froitzheim Satzbetriebe, Bonn Druck und buchbinderische Verarbeitung: Clausen & Bosse GmbH, Leck Printed in Germany ISBN

7 Celia: Nun, der Anfang, der ist tot und begraben. Wie es euch gefällt Kapitel 1 D ies ist die Geschichte eines Mannes, dem ein unaufgeklärter, 25 Jahre zurückliegender Mord an einer jungen Frau keine Ruhe ließ... Der Mann war ein Sonderling, versoffen, häufig ratlos, und man lachte ihn gern aus - alles schlechte Eigenschaften für einen Detektiv. Aber er war auch geduldig und hartnäckig. Die Leute nannten ihn Dangerous Davies - denn er galt als ungefährlich. Bei der Londoner Polizei hieß er intern nur DER LETZTE DETEKTIV, weil er immer erst dann eingesetzt wurde, wenn die Aufgabe besonders gefahrvoll war oder sonst niemand da war, den man hätte schicken können.

8 Kapitel 2 Über dem Friedhof wurde es hell. Der Tag brach unvermittelt an - die Dämmerung fiel anscheinend aus - und beleuchtete eine nicht besonders aufregende Szene. Ein Goldregenbaum tropfte beharrlich vor sich hin, Katzen strichen nach Hause, und der Schläfer auf dem Grab des seligen Basil Henry Weggs, vormals Bürger dieser Gemeinde (>Er liebte alle Menschen<), reckte und streckte seine schmerzenden Glieder mit Bitterkeit im Herzen. Die ganze Nacht über hatte er vergeblich gewacht. Niemand hatte versucht, den Friedhof in die Luft zu sprengen. Nicht, daß er das wirklich erwartet hätte. Es wäre nicht nur sinnlos, sondern auch schwierig, ja praktisch unmöglich zu bewerkstelligen gewesen. Aber schließlich mußte in irgendeiner sichtbaren Form auf den gekritzelten Zettel mit der Drohung, den jemand beim Polizeirevier abgegeben hatte, reagiert werden, und natürlich hatten sie ihn dazu losgeschickt. Es war eine zwar unbequeme, aber nicht besonders unheimliche Nacht geworden. In seinen braunen langen, dicken Wintermantel eingehüllt und auf dem harten Grabstein ausgestreckt, hatte Davies sich vorzustellen versucht, wie es hier wohl am Morgen des Jüngsten Tages zugehen würde. Er malte sich aus, wie sich die Grabsteine ächzend auftun würden, sah die Insassen herausklettern und sich die Augen reiben. Aber nichts war passiert, was ihn nicht sonderlich überraschte - er war wohl nicht dazu auserkoren, jemals bei einer großen Sache dabeizusein. Als mit dem ersten Tageslicht die ohnehin geringe Aussicht auf Attentäter oder Gespenster endgültig dahinschwand, nickte er ein wenig ein und erwachte erst wieder, als der Friedhofsaufseher ihm kurz nach acht einen heimtückischen Stoß versetzte. Davies öffnete blinzelnd die Augen.»Übernachten auf den Grabsteinen ist verboten«, sagte der Mann.»Wie kann man erwarten, daß jemand den verdammten Friedhof respektiert, wenn's nicht mal die Polizei tut?«6

9 Davies stand steifbeinig auf. Sein Mantel war klatschnaß. Der Wärter wischte mit der Hand die Grabplatte ab, als würde es sich um ein Polstersofa handeln.»ist das Ihre Schrottmühle da vor dem Eingang?«fragte er.»mein Wagen? Ja.Und was ist das für ein Ding auf dem Rücksitz?Ein Hund. Er wohnt da.«es fiel dem Mann sichtlich schwer, sich damit zufriedenzugeben, aber er hakte nicht weiter nach. Statt dessen sagte er:»sie können da nicht parken. Direkt vor dem Eingang.Ich dachte nicht, daß hier jemals einer rauskommt. Mich wundert, daß Sie überhaupt abschließen.das muß sein. Damit keiner reinkommt, Landstreicher und dergleichen.«er warf Davies einen mißtrauischen Blick zu.»sind Sie echt von der Polizei?«fragte er argwöhnisch.»in dem Mantel da?«davies besah sich seinen langen, nassen Mantel, der bis auf die Füße herabhing. Die Schuhspitzen lugten unter dem Saum hervor wie unter einer Bettdecke.»Ist aber gut zum Gräberbewachen, der Mantel«, sagte er ernsthaft.»schön warm bis auf die Knöchel. Ich hab' ihn auf der amtlichen Versteigerung für nicht abgeholte Fundsachen erstanden.kein Wunder, daß den niemand haben wollte«, brummte der Friedhofswärter. Er schniefte in der kühlen Morgenluft.»Also, was ist, gehen Sie jetzt? Ich habe schließlich viel zu tun.kann ich mir denken«, meinte Davies,»aufräumen und so.stimmt genau. Verschwinden Sie jetzt endlich?bin schon dabei. Es hat ja in der Nacht nicht gekracht, keine Bomben oder so etwas.bomben? Sie sind wohl verrückt?«der Mann konnte seine Verachtung kaum mehr zügeln.»wer sollte denn hier mit Bomben um sich werfen?was weiß ich.«davies zuckte die Achseln und machte sich auf den Weg.»Guten Morgen.«Während er auf das Tor zusteuerte, schneuzte der Wärter sich mit den Fingern und beobachtete, wie sich der braune Mantel zurückzog.»gut, daß ich den Heini los bin«, murmelte er so, daß man es gerade noch hören konnte. Davies war schon fast am Ausgang angelangt. Er blieb vor einem Grabstein stehen, der zerborsten und halb in der Erde ver- 7

10 sunken war.»hier«, rief er,»den können Sie auch mal aufrichten.und Sie können mich auch mal...«, entgegnete der Mann unfein. Um zehn Uhr hatte Davies ungeachtet seines unbequemen Nachtdienstes eine Vorladung als Zeuge vor Gericht. (Die Königin gegen Joseph Beech wg. versuchter widerrechtlicher Aneignung eines Taubenhauses.) Vor Gericht auszusagen, war ihm derart unangenehm, daß er sich jedesmal wünschte, die Kneipen hätten schon zur Frühstückszeit geöffnet. Vorher brachte er noch den Lagonda und seinen trägen Bewohner in die Wellblechgarage, in der er beide unterzustellen pflegte. Der Hund knurrte mißmutig, als er ihn unter seiner Segeltuchplane aufweckte, um ihn zu füttern. Kitty war ein großes, schweres Vieh, ein Mittelding zwischen einem Bernhardiner und einem Yak, und litt an Asthma. Sein Atem ging rasselnd, und er mußte sich dauernd räuspern. Während er fraß, versuchte Davies, die Schmutzreste aus dem verfilzten Fell herauszuzupfen, worauf Kitty mit einem drohenden Grollen tief in der Kehle reagierte. Also ließ er es sein.»undankbarer Köter«, sagte er gekränkt,»dann wird's eben nichts mit der Hundeausstellung.«Ein paar 100 Schritt vom Gerichtsgebäude entfernt gab es ein Café, das in der tristen Farbe von Worcestersauce gestrichen war. Es nannte sich ZUM KUPFERKESSEL, obwohl der Kessel schon vor langer Zeit gestohlen worden war. Das paßte zu der Nachbarschaft. Die Besitzer hießen Mr. und Mrs. Band und waren auch die reinsten Banditen, aber ihr Tee war gut und lockte viele Kunden an, die sich des ständigen Interesses der Polizei erfreuten. Davies hatte einmal aus Gutmütigkeit einem Mann, der es anscheinend nötig hatte, einen Tee und ein Schmalzbrot spendiert. Der Kerl befand sich, wie sich später herausstellte, wirklich in einer Notsituation, weil er nämlich am Tag zuvor einen bewaffneten Raubüberfall auf ein Postamt versucht hatte, der allerdings schiefgegangen war. Möglicherweise wäre Davies' zwar gutgemeinte, aber unangebrachte Hilfsaktion sogar unbemerkt geblieben, wenn nicht der Mann, nachdem er geschnappt und vor Gericht gestellt worden war, von der Anklagebank aus seinem Wohltäter in aller Öffentlichkeit gedankt hätte. 8

11 Davies trank die große Steinzeugtasse aus und zuckte zusammen, als der Wirt hinter der schmuddeligen Theke das 5-Pence- Stück, das er ihm hinschob, prüfend zwischen die Zähne klemmte. Das tat er bei ihm jedesmal, und der Witz hing Davies allmählich zum Hals heraus. Dafür wurde ihm im Gericht ein herzlicher Empfang zuteil. Schon in der Eingangshalle begrüßten ihn Missetäter jeglicher Couleur - all die Trunkenbolde, Langfinger, Streithähne, Schläger, Vandalen und Exhibitionisten - wie einen alten Bekannten.»Morgen, Dangerous!Gott segne dich, Dangerous.Jetzt haben sie mich doch noch geschnappt, Dangerous.«Lächelnd und nach allen Seiten nickend, schritt er durch ihre Mitte wie ein erfolgreicher, beliebter Fabrikdirektor. Die Kollegen von der uniformierten Polizei zogen eifersüchtig die Augenbrauen hoch. Der Gerichtssaal kam ihm manchmal vor wie ein Bauerntheater, in dem das Publikum, die Polizisten, die Zeitungsreporter und die Zeugen mehr schlecht als recht ihre Rollen spielten: gespannt auf jede kleine Enthüllung wartend, mit wissendem Kopfnicken jeden neuen Schuldbeweis quittierend und immer bereit, jeden faden Scherz, wenn er vom Richtertisch kam, mit Lachen zu belohnen. Manchmal stimmte selbst der Beschuldigte in das Gelächter ein. Dann war Davies in Versuchung, ihn aufzuklären, daß auf diese Weise bei dem erhabenen Trio des Gerichts nun wirklich kein Blumentopf zu gewinnen war. Die Prozesse wegen Trunkenheit waren schon erledigt, und durch den Saal schwebten noch die Alkoholfahnen. Eine Richterin hielt sich ihr Taschentuch vor die Adlernase. Der Gerichtsdiener verzog angewidert das Gesicht, dann riß er sich zusammen und rief den >Fall Joseph Beech, Sir, Nummer 23< auf. Davies seufzte. Er zog den Mantel aus wie jemand, der sich zögernd zu einem Ringkampf bereitmacht, und schlurfte in seinem alten, schlechtsitzenden blauen Anzug zur Zeugenbank hinüber. Er beugte sich vor, um mit der Hand auf der Bibel den Eid zu leisten. Sein Anzug hing vornüber wie eine drohende Lawine, und der Richter blickte ihn fast ebenso mißbilligend an wie den Angeklagten Joseph Beech, der inzwischen die 9

12 Treppe von den Arrestzellen her heraufgeführt worden war und jetzt, wie von einem Zauberstab berührt, von seinem Platz auf der Anklagebank aufsprang. Er brüllte»schuldig!«, bevor ihn irgend jemand überhaupt gefragt hatte. Davies sprach den Eid und machte dann seine Aussage:»Aufgrund erhaltener Information begab ich mich zum Haus Whitley Crescent Nr. 23 und fand dort den Beschuldigten vor, der vom Hauseigentümer, einem Mr. Wallace, festgehalten wurde. Dieser äußerte: >Ich habe den Bastard eben erwischt, wie er mein Taubenhaus klauen wollte.<sag ihnen, von wem du die Information hattest, Dangerous«, rief der Mann auf der Anklagebank ungeduldig dazwischen.»alles zu seiner Zeit, Mr. Beech«, erwiderte Davies betreten.»los, mach schon, sag's ihnen«, beharrte der Angeklagte. Davies schickte einen hilfesuchenden Blick zum Richtertisch.»In Gottes Namen, Mr. Davies, verraten Sie es uns endlich«, sagte der Vorsitzende Richter ungeduldig. Anscheinend wurde jeder Auftritt von Davies als Zeuge zu einer Art Farce.»Verzeihung, Sir«, sagte Davies höflich.»ich erhielt die Information tatsächlich von dem Angeklagten selbst. Ich hätte dies selbstverständlich in meiner Aussage erwähnt, wenn er mir Zeit dazu gelassen hätte.vom Angeklagten selbst? Er hat Sie darüber informiert, daß er das Taubenhaus zu stehlen beabsichtigte?jawohl, Sir. Vor einigen Jahren, Sir, sagte ich zu ihm, falls er wieder den Drang zu einer Straftat verspüren sollte, möge er mich vorher anrufen, damit ich ihn davon abbringen könne. Ich hielt es für ein Mittel, Sir, ihm das Gefängnis zu ersparen.ich auch«, bestätigte Beech selbstzufrieden.»ich rufe ihn immer an, und er kommt dann und hält mich zurück. Aber diesmal kam er zu spät, der andere Typ hatte mich schon gekrallt.ich war in der Badewanne«, sagte Davies entschuldigend.»schon gut, schon gut«, rief der Richter gereizt.»wir wollen kein Drama daraus machen.«er warf Davies einen kurzen Blick zu und wandte sich dann an Joseph Beech.»Das kostet Sie möglicherweise drei Monate Gefängnis.«Joseph Beech seufzte zufrieden auf.»das wird 'ne schöne Abwechslung. Das letzte Mal im Knast hab' ich ein Modell vom Buckingham-Palast gemacht, aus Holz. Ein bewegliches Modell. Es war echt gut, stimmt's, Dangerous?«10

13 Auf dem Revier ging er in den stickigen CID-Raum, das Büro der Kriminalabteilung, um seinen Bericht über die Nacht auf dem Friedhof zu schreiben und den Fußballtotoschein auszufüllen. Er hatte sich kaum hingesetzt, als auch schon das Telefon klingelte. Er nahm den Hörer ab.»dangerous«, sagte der Sergeant vom Dienst,»in Kilburn läuft ein Westinder Amok, oder wie auch immer man es nennen soll. Er sitzt jedenfalls in seiner Bude und droht damit, das Haus in Brand zu stecken. Der Streifenwagen fährt gleich los - sie wollen, daß du mitkommst.wer sonst?«seufzte Davies. Er knöpfte den Mantel wieder zu und ging nach draußen, wo die zwei Polizisten ihn schon im Auto erwarteten. Sie brauchten nur drei Minuten bis zur angegebenen Straße mit den heruntergekommenen Mietshäusern und billigen Pensionen. Vor der Haustür hielten sich bereits vier Polizisten von einem anderen Revier auf. Eine Handvoll Schaulustiger stand erwartungsvoll herum. Davies stapfte die morschen Stufen hinauf.»was ist hier los«, erkundigte er sich,»eine Polizeiparade? Worauf wartet ihr noch - auf die Musik?Wir sind bei der Lagebesprechung, Dangerous«, sagte der Sergeant förmlich.»mir scheint eher, ihr wartet auf mich, damit ich mir wieder den Schädel einschlagen lasse«, sagte Davies.»Wo steckt er?ganz oben. Genau gegenüber der Treppe. Allem Anschein nach ein richtiger Berserker.Ist er bewaffnet?der ist mit Fäusten bewaffnet, und mit was für welchen!«die Stimme mit dem wollüstigen Unterton gehörte der Hauswirtin des Wüterichs, einer schniefnasigen Irin mit einem boshaften Schielauge.»Er ist doppelt so groß wie Sie«, fuhr sie genießerisch fort.»und schwarz. Sie sind stärker, wenn sie schwarz sind.«davies sah sie wenig begeistert an.»warum kommt er nicht herunter? Was macht er überhaupt da oben?betrunken«, sagte sie prompt.»eine Flasche Whisky und eine Flasche Rum pro Tag. Ich hab' ihn gewarnt, er würde noch als Alkoholiker enden.voraussichtlich«, stimmte Davies zu.»haben Sie mal einen Eimer, junge Frau?Hab' ich«, sagte sie.»brauchen Sie auch einen Aufnehmer? Um das Blut aufzuwischen?«11

14 »Bloß den Eimer«, stöhnte Davies. Sie schlurfte nach drinnen und kam mit einem Eimer wieder heraus.»wie heißt er?«fragte Davies den Sergeant.»Bright«, erwiderte dieser nach einem Blick in sein Notizbuch.»Pomeroy Bright.Pomeroy?«wiederholte Davies.»Die heißen wohl nie einfach nur Bill oder Ben? Okay. Geben Sie mir den Eimer, Gnädigste.«Die Irin gab ihn ihm. Davies lehnte sich erst einmal gegen die Treppenstufen und rief nach oben:»pomeroy, hier ist die Polizei. Kommen Sie bitte herunter.«die höfliche Bitte wurde mit einem üppigen Schwall von karibischen Schimpfwörtern beantwortet. Davies spürte, wie sich seine Augenbraue nach oben zog.»ich glaube nicht, daß er freiwillig kommt«, flüsterte er dem Sergeant zu.»pomeroy«, rief er noch ein Mal.»Du hast keine Chance, Junge. Komm runter, und laß uns hier unten in Ruhe über alles reden. Warum bist du nicht vernünftig!weil ich verdammt noch mal nicht vernünftig sein will, Mann«, war die Antwort.»Ich warte nur drauf, daß ihr mich holen kommt. Komm nur rauf, Mann, komm rauf!verflucht«, murmelte Davies. Zu dem Sergeant sagte er:»ich gehe rauf. Sorg dafür, daß deine Sturmtruppen dicht hinter mir sind und nicht zwei Bushaltestellen weit weg.wir fangen dich auf«, war die zweideutige Zusage.»Wozu soll der Eimer gut sein?was glaubst du denn? Vielleicht zum Melken? Er soll das abfangen, was der Idiot von oben herunterwirft. Das nennt man Lernen aus Erfahrung. Du bist sicher, daß er keine Kanone hat?sicher bin ich nicht, aber ich glaube es nicht.«ein schöner Trost! Davies atmete einmal tief durch, hielt sich den Eimer wie ein Visier vors Gesicht und sagte:»auf geht's.«er stürmte die Treppen hoch wie ein Büffel. Der Eimer verstärkte sein Kriegsgeheul, sein Mantel flatterte um seine Fußknöchel. Die Hauswirtin wich zurück und bekreuzigte sich schnell, während die Polizisten, von dem plötzlichen Ausbruch überrascht, zögerten und dann vorsichtig hinterherstiefelten. Davies warf sich gegen die Tür, die zu seiner Überraschung gleich aufsprang. Sie war nicht verschlossen gewesen. Pomeroy 12

15 Bright erwartete ihn in zwei Schritt Entfernung. Er war ein Riese, und er hielt einen ausgewachsenen, gerahmten Wandspiegel in der Hand wie einen Kricketschläger. Davies' Erscheinung hinter dem Eimer überraschte ihn so sehr, daß er einen Augenblick wie versteinert war. Davies blieb im Türrahmen stehen und ließ, als kein Angriff erfolgte, den Eimer sinken - und genau in diesem Moment holte Pomeroy mit dem Spiegel aus und traf mit einem waagerecht geführten Schlag den Kopf seines Gegners. Das letzte, was Davies, der sich von seiner schützenden Rüstung entblößt hatte, erblickte, war das ungewohnte Spiegelbild seiner schreckverzerrten Miene. Dann ging er zu Boden und geriet unter die Stiefel seiner Polizeikameraden, die hereinstürmten, um den Westinder zu überwältigen. Als alles vorbei und seine blutende Stirnwunde notdürftig verbunden war, halfen zwei fröhliche Sanitäter ihm hinunter auf die Straße, wo ihn der halbherzige Applaus eines inzwischen zahlreicheren, dankbaren Publikums erwartete. Der Unfallwagen brachte ihn zum Krankenhaus. Er spürte, daß sein rechtes Auge langsam zuschwoll.»keine Sorge«, tröstete ihn der Mann vom Rettungswagen,»der Spiegel ist heil geblieben, also machen Sie sich keine Sorgen, daß es ein Unglück gibt.«der Sommer war nicht leicht für ihn gewesen, nicht nur, weil es in London außergewöhnlich heiß und trocken gewesen war. Im Spätsommer - oder Frühherbst, wie Davies, von Natur aus Pessimist, die Jahreszeit nannte - hatte sein Leben sich privat und beruflich noch mehr verschlechtert, als selbst er, der geborene Pechvogel, es je erwartet hätte. Seine langjährige liebevolle Beziehung zu einer konservativen Witwe in Cricklewood hatte ein jähes Ende gefunden, weil er in angetrunkenem Zustand irrtümlich in das Bett ihrer minderjährigen Tochter geklettert und dort zu seiner Überraschung mit offenen Armen empfangen, später jedoch von der konservativen Witwe dort entdeckt worden war. Sein möbliertes Zimmer im BALI HI, Furtman Gardens, London N.W., einer düsteren Pension, die sich im Besitz einer Mrs. Fulljames befand, war nicht gerade das Paradies. Seine Frau Doris wohnte getrennt von ihm in einem eigenen Zimmer ebenfalls 13

16 dort und pflegte ihn bei den gemeinsamen Mahlzeiten über den Tisch hinweg trotzig anzustarren. Zu den anderen Pensionsgästen gehörten ein Mr. Harold Smeeton - der perfekte häusliche Alleinunterhalter-, der manchmal zum Dinner als Clown oder Maharadschah verkleidet erschien, Mod Lewis, ein arbeitsloser walisischer Philosoph, Minnie Banks, Grundschullehrerin und dünn wie ein Strich, sowie ein Schwarm von ständig wechselnden Logiergästen jeglicher Konfession und Profession. In seinem Beruf hatte Davies, wie er sich eingestehen mußte, noch keine Glanzleistungen vollbracht. Brandstiftung, begangen an einem Beichtstuhl in der katholischen Kirche St. Fridewide, Entwendung eines Taubenhauses und noch unrühmlichere Vergehen wie An-Türen-Klopfen-und-Wegrennen, das waren nicht gerade große Verbrechen. Man hätte die Frage aufwerfen können - und da er ein ehrlicher Mensch war, stellte er sie sich gelegentlich auch-, warum ihn die Londoner Polizeibehörde in ihrer Kriminalabteilung behielt; vielleicht nur, weil in seinem Bezirk sonst keiner zur Verfügung stand, der bei riskanten Einsätzen den Prügelknaben spielte. Niemand in London war wohl schon mehr Treppen hinuntergeworfen worden als Davies. Man bediente sich seiner auch für die langweiligen Routineaufgaben, bei denen er auf endlosen Straßen die Türen abklappern und den Leuten die ewig gleichen, meist vergeblichen Fragen stellen mußte. Infolge dieser Vorstadtspaziergänge war er einer Unmenge Leuten bekannt und kannte selbst eine recht ansehnliche Zahl von ihnen. Er war von Natur aus vertrauensselig, sein Mißtrauen mußte immer erst geweckt werden, und die Steinwüste, die er zu durchwandern hatte, erschien seinem unschuldigen Blick freundlicher, als sie war. Selbst noch in angetrunkenem Zustand war er jedermanns Freund und Helfer. Im Augenblick aber trank er zuviel, sogar nach seinen eigenen Maßstäben; außerdem war er schon zweimal das Opfer wütender Angriffe von Kitty, seinem eigenen Hund, geworden. 33 Jahre alt und hochgewachsen, wie er war, bewohnte er den ganzen Londoner Winter hindurch, ja, bis ins Frühjahr hinein, seinen langen braunen Mantel. Gleich nach dem ersten Nachtfrost zog er wieder ein. Man konnte ihn am Steuer seines Lagonda Tourer von 1937 sehen, dessen Verdeck bei Wind und Wetter offenstand und wie ein aufgeklapptes Gebiß hämisch grinste, da es schon seit

17 klemmte. Der Wagen erregte nicht nur den Neid so manchen Liebhabers, sondern rief fast ebensoviel Empörung darüber hervor, daß solch ein Juwel nicht besser gepflegt wurde. Er war zerbeult und verrostet, die schönen großen Messinglaternen wackelten wie die Häupter zweier Bauchrednerpuppen. Die Karosserie hatte eine dunkelbraune Patina angenommen, die Polster waren schmutzig und zerlöchert. Auf dem Rücksitz lebte der riesige struppige Hund, der so ungepflegt und verkommen war wie das restliche Innere. Davies' Aktionsradius, wenn man es so nennen konnte - im Polizeijargon sein >Territorium<-, erstreckte sich wie eine ausgebreitete Hand in Richtung auf den Nordwesten von London. Zum Glück war er nicht allein verantwortlich, sondern hatte zahlreiche Kollegen zur Verstärkung. Es war ein dicht besiedelter, rußiger Stadtteil mit häßlichen Industriebauten. Sackgassen verloren sich in Fabrikgrundstücken, und die Fabrikgebäude überragten die Gleisanlagen. Ein Kraftwerk mit seinen orientalisch anmutenden Kühltürmen hockte mitten in dem Gewirr wie ein dicklicher Riese, der sich erschöpft niedergelassen hat. Im Winter war die Luft feucht, und im Sommer leuchtete die Sonne selbst an den klarsten, besten Tagen kaum heller als schmutziggelb. Kam einmal im Frühling ein junger, unerfahrener Kuckuck vom Lande angereist, machte er sich schnell wieder davon, weil es hier kein Auskommen für ihn gab. Blumen und Bäume sprossen, um zu kämpfen und früh zu sterben. Der Dunst der verschiedenen Fabriken, in denen Suppen, Generatoren, Heimorgeln, Rattengift, Fahrräder und Schuhwichse hergestellt wurden, vereinigte sich zu einer einzigen großen Rauchglocke. Ruß hing in der Luft, und dem Staub blieb sonntags kaum Zeit, sich zu setzen, ehe er am frühen Montag wieder aufgewirbelt wurde. Vor langer, langer Zeit war die Gegend einmal wegen ihrer wildwachsenden Brunnenkresse berühmt gewesen. In der Mitte von all diesem lag, wie der ausgestreckte Arm eines alten Mannes, der Grand Union Canal, der in keiner Weise mehr großartig war. Der grünliche, unbewegte Wasserweg teilte das Stadtviertel in zwei Hälften, die durch schlichte, zierliche Brücken miteinander verbunden wurden. Fast parallel zu dem Kanal verliefen gerade und ungelenk wie Abflußröhren einige kümmerliche Geschäftsstraßen. Die Bewohner waren meist Iren, 15

18 Inder, Pakistani, Westinder, Afrikaner und ein paar eingeborene Briten. Den wenigsten gefiel es hier. Es war ein Ort, wo man lebte und arbeitete, das war alles. Bis ihn die Unfallstation des Krankenhauses mit einem zugeschwollenen Auge, einer genähten Stirnwunde und anhaltenden Kopfschmerzen entließ, war es Abend geworden. Er meldete sich beim Revier, wo kaum jemand von seinen Verletzungen Notiz nahm, und ging dann in die Kneipe ZUM WICKELKIND, WO er auf dem abendlichen Heimweg mit Mod Lewis, seinem Hausgenossen und Freund, soviel Bier wie möglich zu sich zu nehmen pflegte. Der Waliser war nach Modest, dem Bruder von Tschaikowsky, benannt worden und liebte es, als Philosoph bezeichnet zu werden. Mods Stärken waren sein Hang zur Loyalität - seit zwölf Jahren hielt er ein und demselben Arbeitsamt die Treue - und sein großes, ebenso ungewöhnliches wie nutzloses Wissen, hatte er doch schon mindestens jedes zweite Buch der Stadtbibliothek gelesen. Mod musterte Davies' blaues Auge mitleidig, doch ohne Verwunderung.»Wir haben wohl mal wieder wie üblich den Angriff angeführt«, seufzte er.»wieder mal in die Bresche gesprungen«, gab Davies traurig zu. Er musterte sein Auge und die verpflasterte Stirn im Spiegel gegenüber der Bar.»Das Auge ist noch gar nichts, du solltest mal meinen Körper sehen. Die blauen Flecken, die meine Kollegen mit ihren Stiefeln hinterlassen haben, kann ich gar nicht zählen. Ich bin so eine Art menschliche Zugbrücke. Sie warten, bis ich flachliege, und dann rennen sie alle hinüber.«es war zwar nicht der Zahltag für die Arbeitslosenhilfe, aber Mod spendierte ihm trotzdem ein Bier, das er dankbar, wenn auch nicht ohne Schmerzen, hinunterschlürfte. Der Barraum war schmal wie eine Schlucht, kaum breiter als ein Korridor. Die Fenster zur Straße hin waren aus Milchglas und verziert mit eingeritzten viktorianischen Mustern. Zu dieser frühen Abendzeit waren die Läden auf der anderen Straßenseite noch erleuchtet, so daß die Vorübergehenden auf dem Heimweg von der Arbeit wie Schattenfiguren vorüberglitten. Eine ordinäre Frau trat ein und steckte eine Münze in den Musikautomaten. Sie spielte immer denselben Schlager, VIVA ESPAÑA, und wenn sie ein paar Gläser gekippt hatte, sang und tanzte sie gewöhnlich dazu. Sie blinzelte Davies zu, als hätten sie eine Liebesaffäre oder ein 16

19 Geheimnis miteinander. Die Musik übertönte die Ausrufe des Zeitungsverkäufers an der Ecke, der die Abendausgabe mit dem üblichen»neue Tragödie! Neue Tragödie!«an den Mann brachte. Es nahm nie jemand Anstoß an der stereotypen Behauptung, für die es ja auch fast täglich einen traurigen Anlaß gab.»weißt du«, sagte Mod, der Philosoph, und nahm das Bierglas langsam und mit so viel Kraftaufwand vom Mund, als sei es dort angeklebt gewesen,»egal, wie verletzt du bist, du hast eine fabelhafte Art zu trinken, Dangerous. Einfach fabelhaft.«davies bedankte sich mit wohlgesetzten Worten.»Ja, wirklich«, fuhr Mod fort.»ich hab' dir zugesehen, wie du das Glas hebst. Das sah aus wie ein Vogel im Flug.«Davies war an Mods poetische Bilder gewöhnt. Er zollte ihm Beifall, indem er sein Glas erneut hob, was Mod gebührend bewunderte. Danach waren die Gläser leer, und Davies bestellte eine neue Runde.»Es ist ein Jammer, dich in diesem Zustand zu sehen, nachdem deine Unterlippe gerade erst geheilt ist.«mod nahm das nächste Bier dankbar entgegen, als wäre es ein unerwartetes Geschenk.»Sie sah scheußlich aus. Wie der Schnabel einer Teekanne. Bei Tisch war es richtig peinlich anzusehen, wie du versuchtest, deine Suppe zu trinken.das sagst du mir jetzt!«davies zog die Unterlippe herunter und untersuchte sie im Spiegel.»Na ja, alter Junge, ich wollte nicht taktlos sein - und unsere Mitbewohner auch nicht. Genaugenommen ist es nichts Besonderes mehr, wenn du ramponiert zum Essen erscheinst. Heute abend werden sie einmal mehr von deinem neuen Äußeren fasziniert sein.«davies zuckte die Achseln.»Berufspech. Mein halbes Polizistenleben habe ich damit verbracht, flach am Boden liegend irgendeinem potentiellen Mörder ins Gesicht zu sehen.«mod schielte über den Rand seines Bierglases.»Wenn du mich fragst - gerade deswegen behalten sie dich. Eigentlich bist du kein Detektiv, das weiß ich genau.du erwähntest es bereits.nichts für ungut, Dangerous. Aber das mußt selbst du zugeben. Wann hätten sie dich je einen anständigen, normalen Fall aufklären lassen? Entweder lassen sie dich herumlatschen und an 1000 Türen klopfen, oder du sollst beim Ergreifen irgendeines 17

20 Wahnsinnigen vorneweg laufen. Wo hast du dir denn zum Beispiel, wenn ich mal fragen darf, die Teekannenschnauze geholt?raufhandel«, sagte Davies,»eine Massenschlägerei. Damit muß man halt in so einer Gegend rechnen. Hast du je darüber nachgedacht, wie viele Leute hier miteinander im Kriegszustand leben? Da gibt es außer den protestantischen und katholischen Iren noch verfeindete afrikanische Stämme, Inder und Pakistani, Juden und Araber. Bei denen habe ich mir übrigens die dicke Lippe geholt - bei den Juden und Arabern. Irgendein Idiot bei der St. Saviour's Hall hatte die Anmeldungen durcheinandergebracht und den Saal am selben Abend an die örtliche El-Fatah- Gruppe und an die jüdische Jugendbrigade vermietet. Und ich war genau dazwischen.«wieder zog er die Unterlippe herunter und betrachtete sich im Spiegel.»Sieht wieder aus wie früher«, sagte er. Er fing an, Hunger zu verspüren.»wie spät ist es?die Uhr dort über deinem Kopf zeigt halb sieben«, bemerkte Mod.»Ach ja, die Uhr. Hab' ganz vergessen, daß sie da ist.«die ordinäre Frau hatte inzwischen soviel getrunken, daß es in ihren Waden und dicken Oberschenkeln zuckte. Sie stieß schrille spanische Laute aus. Das Lied VIVA ESPAÑA, das sie heute bereits zweimal abgenudelt hatte, landete schon wieder auf dem Plattenteller.»Laß uns gehen, bevor die Flamenco-Fanny den Fußboden löchert«, schlug Davies vor.»einverstanden«, stimmte Mod zu.»außerdem zieht mich mein leerer Magen, wenn schon sonst nichts, zu Mrs. Fulljames hin.«schweigsam und müde trotteten die Leute an den staubbedeckten Fenstern der bescheidenen Lädchen vorbei nach Hause. Es war ein warmer Herbsttag gewesen, und Rauchwolken hingen über den Fabriken und färbten sich im Sonnenuntergang hinter den Kühltürmen des Kraftwerks glutrot. Die Dächer der Wohnhäuser hingen wie verdurstete Zungen herab, schmutzige Ligusterhecken schlängelten sich um winzige Vorgärten, trübe Glasscheiben brüteten über niedrigen Fenstersimsen. Viele der Vorübergehenden waren Inder, Westinder oder Iren. In der Bingospielhalle gingen pünktlich um sieben die Lichter an. 18

21 BALI HI, in Furtman Gardens, war ein etwas größeres, schwerfällig wirkendes viktorianisches Haus mit einer Araucarie im Vorgarten. Mod schloß die Haustür auf, und sie gingen hinein. Die anderen Bewohner saßen schon in trübsinniger Erwartung um den Abendtisch. Doris, Davies' Angetraute, starrte auf ihren leeren Teller, als werde im nächsten Moment eine unsichtbare Schrift darauf zum Vorschein kommen; Minnie Banks, die magere Lehrerin, saß mit gesenktem Haupt wie eine Sicherheitsnadel da, während Mr. Smeeton, der Alleinunterhalter, sich mit Lederhosen und bayrischen Hosenträgern schon für seinen abendlichen Auftritt, offenbar die Darbietung eines Schuhplattlers, kostümiert hatte. Die Tischrunde war selten sehr angeregt gewesen, heute jedoch schien die Stimmung noch gedrückter zu sein als sonst. Anscheinend waren alle auf Davies' Ankunft gespannt. Er und Mod murmelten etwas zur Begrüßung und nahmen unter allgemeinem Schweigen ihre Plätze ein. Plötzlich segelte Mrs. Fulljames aus der Küche herein und blickte Davies voll offener Verachtung an.»ich dachte immer, Sie sind ein Kriminalist«, begann sie ihre Kriegserklärung.»Dachte ich zumindest.das ist ein allgemeines Mißverständnis«, sagte Davies und nahm sein Gesicht aus der Schußlinie.»Nun werde nicht unhöflich!«rief Doris von der anderen Seite des Tisches aus.»ich weiß ja, wer das sagt, Mrs. Davies«, sagte Mrs. Fulljames von oben herab. Dann wandte sie sich schwerfällig wieder Davies zu.»kriminalist«, wiederholte sie.»um welche Angelegenheit handelt es sich?angelegenheit? Angelegenheit? Es geht um ein Verbrechen! Und das direkt vor Ihrer Nase! Ein Kriminaler - also wirklich!«ihr Busen hob sich, als würde sie mit Dampf aufgepumpt.»ich hab' bei der Polizei angerufen, und man hat mir gesagt, ich solle es Ihnen melden, sobald Sie nach Hause kommen. Ich hab' genau gehört, wie die Idioten gekichert haben - wie die Schulmädchen. Er meinte, es hätte keinen Zweck, einen Bullen herzuschicken, wenn schon einer im Haus sei.«davies zog umständlich sein Notizbuch hervor und leckte an der Spitze seines Polizeibleistifts.»Das Zeugs können Sie wieder wegstecken«, krächzte Mrs. Fulljames.»Zum Schreiben haben wir jetzt keine Zeit. Ein Brotpudding wartet auf mich in der Kü- 19

22 che.«sie warf einen besorgten Blick über seine Schulter hinweg. Durch die offene Küchentür drang eine Dampfwolke wie ein Gespenst, das sich bemerkbar machen will. Sie schwankte einen Augenblick zwischen Polemik und Plumpudding und entschied sich dann für den letzteren. Nach einer weiteren schwerfälligen Kehrtwendung walzte sie in die Küchenregionen. Davies steckte sein Notizbuch ein und warf einen Blick in die Runde.»Um was handelt es sich denn?«doris spielte die Rolle der hilfreichen Gattin.»Es ist etwas im Haus gestohlen worden, darum geht es. Ein Diebstahl.Mein Gott, ich hätte nicht gedacht, daß es hier etwas zu stehlen gibt.«davies war ehrlich überrascht.»das Messingbett«, antwortete Doris triumphierend.»das antike Bettgestell in Mr. Sahidars Zimmer. Es ist weg. Eine Antiquität.«Sie gehörte zu denen, die immer noch ein letztes Wort hinterherschicken mußten. Davies blickte sich am Tisch um.»und ich sehe, daß Mr. Sahidar nicht mehr unter uns weilt. Gehe ich recht in der Annahme, daß er und das Bett zusammen verschwunden sind?weg, alle beide«, schniefte Doris.»Und das aus deinem Nachbarzimmer. Ich würde ja nichts sagen - aber Wand an Wand mit dir! Ich kann nur sagen, ich schäme mich für dich.mrs. Davies«, sagte Davies,»Sie können kaum von mir erwarten, daß ich die ganze Nacht Wache halte, nur für den Fall, daß einer der Gäste mitsamt seinem Bett das Weite sucht. Das passiert schließlich nicht jeden Tag. Übrigens, gestern war mein Nachtquartier der Friedhof.Wir wissen jedenfalls nur, daß das Bett weg ist«, jammerte sie.»als Mrs. Fulljames heute morgen hineinging, fand sie nichts vor als einen Haufen Bettzeug und den Gestank von Weihrauch. Das Bettgestell war 100 Pfund wert. Es war Mr. Fulljames' Bett.«Die übliche Pause folgte, dann fuhr sie fort:»als er noch lebte.eine Reliquie«, murmelte Davies.»Ein antikes Stück«, rief Mrs. Fulljames, die mit einer bedrohlich aussehenden Kanonenkugel von Brotpudding hereinkam. Sie war so schwer, daß sie sie eher zu stoßen als zu tragen schien.»antik, Herr Polizist.«Sie machte sich mit einem riesigen Messer, einer wahren Mordwaffe, über den Pudding her. Davies drückte sich beiseite und erwartete beinahe, daß der Pudding zu schreien anfing. Mrs. Full- 20

23 james füllte die Teller, Davies kam zuletzt an die Reihe und bekam die übriggebliebenen Brocken. Dann verschwand sie in der Küche und kehrte mit gekochten Kartoffeln, Karotten und einer Flasche Oxosuppenwürze zurück.»unbezahlbar«, murmelte sie,»das Bett.«Niemand antwortete. Minnie Banks sah ängstlich drein. Mod schob den Pudding auf seinem Teller herum, und Mr. Smeeton in seinem Trachtenkostüm starrte zur Decke, als ob er dort die bayrischen Alpen sähe. Plötzlich ließ Mrs. Fulljames den Kopf in die Dampfwolke über ihrem Teller sinken und begann zu weinen.»es war das Bett von Mr. Fulljames«, schluchzte sie,»dem verstorbenen Mr. Fulljames.«Doris beugte sich hinüber und streichelte ihre Hand. Aber die sentimentale Anwandlung war nur allzuschnell vorüber.»wie?«kläffte die Witwe Davies an,»wie nur?«davies kämpfte mit einem heißen Bissen Pudding. Er schluckte tapfer und fühlte, wie die glühende Lava ihren Weg in sein Inneres nahm.»weiß ich nicht«, sagte er schmerzerfüllt.»woher soll ich das wissen. Mr. Sahidar war ein Perser. Vielleicht ist er ja mit dem Bett aus dem Fenster geflogen.«mrs. Fulljames sah ihn wütend an, wobei die halbe Möhre, die ihr wie eine Drachenzunge aus dem Mund hing, den Ausdruck noch verstärkte.»ich gehe davon aus«, sagte sie, während sie die Karotte mit ihrem Löffel von der Lippe nahm und neben den anderen auf ihrem Teller zur ewigen Ruhe bettete,»ich gehe davon aus, daß Sie die Ermittlungen umgehend aufnehmen werden. Noch heute abend!in einer Stunde«, versprach er.»ich werde dafür sorgen, daß dies Haus von Polizisten nur so wimmeln wird.«

24 Kapitel 3 Inspector Vernon Yardbird schaute aus seinem Bürofenster im vierten Stock des Polizeireviers mißmutig auf die zerklüftete Dachlandschaft hinaus. Die Gegend war ihm seit 30 Jahren vertraut, nur daß er in dieser Zeit vom Raum der normalen Schutzleute im Keller, der sich direkt neben den Häftlingszellen befand, in die oberste Etage befördert worden war. Seiner Meinung nach hätte er noch viel weiter befördert werden müssen. Weniger vertikal als vielmehr horizontal - nämlich zu Scotland Yard. Schon sein Name legte dies nahe. Alle berühmten Polizisten schmückten sich mit dem Namen von Scotland Yard: Hatstick vom Yard, Harborough vom Yard, Todhunter vom Yard. Was könnte sich besser anhören als Yardbird vom Yard? Ein fürwahr guter Klang. Leider hatten andere seine Perspektiven anders eingeschätzt. Er war immer ein gewissenhafter, peinlich korrekter Polizist gewesen, dem es jedoch nach allgemeiner Ansicht an Phantasie fehlte. Jetzt erwartete er einen Mann vom Special Branch. Er hielt nicht viel von dieser Abteilung. Während des Sommers hatte er sich häufiger einen Blick aus dem Fenster gegönnt. Jenseits der vordersten Dächerreihe gab es ein Studentinnenheim, dessen Bewohnerinnen sich an heißen Tagen auf dem Dachbalkon sonnten. Er hielt nicht viel von Studentinnen, hatte aber nichts dagegen, sie persönlich zu überwachen, wofür er sich mit einem Feldstecher ausgerüstet hatte. Jetzt aber war es damit vorbei. Mit der Sommersonne waren sie verschwunden, und auch der kurze Nachsommer hatte sie nicht wieder herausgelockt. Nun hing - nach ein paar schönen Tagen - die neblige Herbstluft schwer über den Dächern. Er hielt nicht viel vom Herbst. Im Erdgeschoß war der Sergeant vom Dienst bemüht, eine ältliche, jedoch sehr energiegeladene Witwe zu beruhigen, die sich 22

25 beschweren wollte, weil ihre Nachbarn sie durch den beinahe ununterbrochenen Gebrauch der Klosettspülung terrorisierten. Er sah den Mann vom Special Branch hereinkommen und unterbrach mit einer höflichen Bemerkung die pausenlose Folge von Spülvorgängen für einen Moment, um den Besucher bei Inspector Yardbird anzumelden. Er wurde oben erwartet. Yardbird kannte ihn nicht persönlich: Detective Sergeant Herbert Green. Was für ein Name für jemanden vom Yard! Dort hatten sie wohl nichts als Emporkömmlinge, und dieser Green war sicher einer von ihnen. Für solche Leute hatte er nichts übrig. Neuerdings kam der Nachwuchs zum Teil sogar von der Universität. Er hielt nichts von Universitäten. Green war ein blasser, schüchterner junger Mann. Nachdem er eingetreten war, legte er mit einer entschuldigenden Geste eine Akte auf Yardbirds Schreibtisch.»Ramscar«, sagte er.»cecil Victor Ramscar. 45 Jahre alt.ach, der ist mir längst bekannt«, rief Yardbird ungeduldig.»geboren, getauft, zur Schule gegangen, Mitglied bei den Pfadfindern und schließlich sein erster Bankraub - und das alles hier in der Gegend innerhalb von zwei Quadratmeilen.Gut«, sagte der Sergeant leichthin.»dann wissen Sie ja, nach wem Sie suchen sollen.also ist er wieder hier? Der Mistkerl. Wir dachten schon, wir wären ihn für alle Zeiten los! Hat vor ein paar Jahren das Weite gesucht.stimmt. Er ist in Australien gewesen und in Amerika. Hat seine Finger in allerhand dreckigen Sachen gehabt, aber jetzt ist er wieder da. Er ist nicht auf dem normalen Weg eingereist, sonst wäre er uns wohl sofort aufgefallen. Aber wir nehmen an, daß er sich in Ihrem Distrikt aufhält. Vermutlich ist er hier vor Anker gegangen.weswegen wird er gesucht?wissen wir nicht.«yardbird blickte gereizt auf.»verdammt guter Anhaltspunkt, muß ich schon sagen.«green zuckte die Achseln.»Eigentlich gar keiner«, stimmte er zu.»aber wir haben nichts gegen ihn in der Hand. Wir könnten ihn wegen illegaler Einreise belangen, wenn wir ihn denn schon hätten, aber selbst das wäre möglicherweise schwer zu beweisen.was wollen Sie dann von ihm?«23

26 »Wir wollen ihn aufspüren und dann im Auge behalten.und weswegen?im Moment wegen nichts. Wir vermuten aber, daß er gerade etwas ausheckt.«ein Schlag gegen die Tür war zu hören - kein Klopfen mit der Hand, sondern eher ein dumpfer Aufprall aufs Holz. Auf Yardbirds»Herein«trat eine der Kantinenfrauen mit zwei Teetassen in der Größe von Nachttöpfen ein, die auf ebenso massiven Untertassen standen. Green bemerkte den roten Fleck auf ihrer Stirne und kombinierte ganz richtig, daß sie den Kopf zum Anklopfen benutzt hatte. Sie stellte die Tassen auf Yardbirds Schreibtisch und schlurfte wieder hinaus.»was führt Ramscar denn im Schilde?Wir nehmen an, er geht mit der Mode und verlegt sich auf ein paar nette kleine Flugzeugentführungen, Verschleppungen, Geiselnahmen und dergleichen. Er war in Australien und in Kalifornien an organisierten Verbrechen in größerem Stil beteiligt und ist sicher nicht umsonst nach London zurückgekommen. Vermutlich hat er sich mit einer Terroristengruppe zusammengetan. Für Geld natürlich, nicht etwa aus Überzeugung. Vielleicht ist er die Schlüsselfigur hinter den jüngsten politisch motivierten Entführungen.«Yardbird rümpfte die Nase.»Viel wissen Sie nicht, oder? Eine Menge >wenn<, >aber< und >vielleicht<.das ist alles, was wir zur Zeit haben«, meinte Green achselzuckend. Es war zwar nicht alles, was sie wußten, aber den Rest brauchte Yardbird nicht zu erfahren.»vorerst benötigen wir nichts weiter als Ramscars Aufenthaltsort.Warum besorgt Ihre Abteilung das nicht selbst? Sie haben doch weiß Gott Leute genug.natürlich könnten wir ein paar Männer losschicken«, räumte Green ein,»aber man hielt es für zweckmäßig, jemanden von diesem Revier zu beauftragen. Jemanden, der sich hier auskennt.man hielt es für zweckmäßig?«erkundigte sich Yardbird.»Wer hielt es für zweckmäßig?der Polizeipräsident.«Green spielte vergnügt seine beste Karte aus.»oh, der Polizeipräsident. Nun, da hat er gewiß recht.«green trank seinen Tee auf einen Zug und stellte die schwere Tasse zurück auf Yardbirds Schreibtisch.»Mein Gott«, sagte er, 24

27 »für diesen Tee braucht man wirklich ganz schön dicke Tassen.«Er grinste Yardbird mit Verschwörermiene an.»es schadet nichts, wenn bei diesem Fall eine absolute Geheimhaltung nicht möglich ist. Ich denke sogar, je ungeschickter die Ermittlungen angestellt werden, desto besser ist es. Wenn sie so durchgeführt werden, daß Mr. Ramscar ein bißchen gestört wird, sich Sorgen macht, vielleicht seine Deckung verläßt oder vorzeitig seine Karten aufdeckt, dann ist unser Ziel in etwa erreicht.genügt ein Mann?Haben Sie jemanden, der dafür geeignet ist? Der die Sache garantiert so ungeschickt angeht, daß sich die Wellen ein bißchen kräuseln?«yardbird nickte und griff zum Telefon.»Schafft mir Detective Constable Davies her«, sagte er. Der alltägliche Fabrikrauch hatte sich hinter den Horizont verzogen und einen leicht verwundert dreinblickenden Himmel zurückgelassen. Davies war auf dem Weg zur Revierwache. Es kam nicht oft vor, daß er zum Inspector bestellt wurde. Er hatte es nicht eilig, obwohl man offenbar seit dem späten Nachmittag erfolglos versucht hatte, ihn zu erreichen, während er am Kanal die Enten fütterte. Jetzt, am frühen Abend, waren nicht allzu viele Menschen auf der Straße; die meisten waren von der Arbeit heimgekehrt und noch nicht wieder ausgegangen, um sich zu vergnügen. Sogar die Hauptstraße war nahezu verlassen, so daß Davies sich fühlte, als würde er einen Landspaziergang machen. Im Vergleich damit erschien ihm der Friedhof, an dem er vorbei mußte, reichlich dicht besiedelt. Das große Tor war zur Nacht geschlossen worden. Er fragte sich erneut, welchen Grund diese Sicherheitsmaßnahme für die Toten wohl hatte. Nach Einbruch der Dunkelheit wollte gewiß keiner hinein, und hinaus ging erst recht niemand. Er blieb am Tor stehen und betrachtete die grüne Wildnis, die dabei war, den in Stein verewigten sentimentalen Kitsch zu verschlingen. Dann legte er grüßend die Hand an die Stirn, murmelte»gute Nacht allerseits«und setzte seinen Weg zur Polizeiwache fort. Unterwegs spielte er mit der angenehmen Vorstellung, Inspector Yardbird habe ihn zu sich gerufen, um ihm ein spektakuläres Verbrechen, vielleicht einen Mordfall, zu übertragen. Davies hatte sich schon oft ausgemalt, wie er bei seinen Ermittlungen 25

28 vorgehen würde. Nicht, daß sie ihn jemals dazu auffordern würden - jedenfalls nicht, ehe nicht die gesamte Truppe der Metropolitan Police dem Typhus zum Opfer gefallen war. Und selbst dann würden sie wohl eher jemanden aus - na sagen wir - Devonshire zuziehen, als ausgerechnet ihm einen Fall anzuvertrauen. Ohnehin war ein Mord in dem Bezirk weder an diesem Tag noch in den letzten Wochen passiert. Den letzten hatte ein streitsüchtiger Pakistani an einem wortkargen Iren mit einem orientalischen Dolch, einer überaus auffälligen Tatwaffe, mitten auf der Straße vor dem Arbeitsamt verübt. An den diesbezüglichen Ermittlungen war Davies kein besonders großer oder rühmlicher Anteil vergönnt gewesen. Zwar wurde er mit einigen Fragen zum Arbeitsamt geschickt, aber er ging bei seiner Untersuchung mit soviel Bescheidenheit vor, daß man seine Absicht mißverstand und ihm nach einstündiger Wartezeit einen Job in einer Wäscherei anbot. Außerdem hatte er sich vor den Ohren der drängelnden Arbeitslosen vom Leiter des Arbeitsamts zurechtweisen lassen müssen, weil er nicht die korrekte Bezeichnung >Amt für soziale Sicherheit< benutzt hatte. Damals hatte er sich - nicht zum ersten Mal in seinem Berufsleben - vorgenommen, künftig mit mehr Autorität aufzutreten. Er redete sich gern ein, daß er bei seinen Untersuchungen besonders gewissenhaft vorgehe, aber wenn er ehrlich war, mußte er zugeben, daß er zwar gewöhnlich viel Zeit aufwendete, aber trotzdem nicht allzuviel Erfolg hatte. An der letzten Straßenecke vor der Wache traf er eine Frühaufsteherin unter den Prostituierten, die sich wie üblich vor dem Lorbeergebüsch in der Hoffnung postiert hatte, daß der dekorative Rahmen ihre zweifelhaften Reize steigern werde. Zu dieser Tageszeit traf man sie hier regelmäßig an. Sie hieß Beryl Suggs, aber er nannte sie immer Venus, weil sie ihn, wie er sagte, an den Abendstern erinnerte.»hallo, schon 'nen Freier gehabt?«sagte er voller Anteilnahme.»Nichts los bis jetzt, Dangerous«, antwortete sie und erwiderte sein Lächeln. Die giftig roten Lippen entblößten eine Reihe schlechter Zähne. Sie reckte die Nase in die verpestete Abendluft, als wittere sie eine Spur.»Gleich kommt einer«, prophezeite sie.»du bist heute spät dran. Sonst sehe ich dich immer am Nachmittag, wenn du die Enten füttern gehst.«26

29 »Ich darf draußen bleiben, bis es dunkel wird«, sagte Davies verschmitzt. Venus lachte, und er ging weiter auf die vertrockneten Lorbeerbüsche vor der Wache zu. Jemand hatte mit Farbe >Säubert die Polizei< quer über das Schild am Haupteingang gesprüht. Er fuhr mit dem Finger über ein staubiges Lorbeerblatt, und ihm kam der Gedanke, daß die große Säuberung ganz gut hier ihren Anfang nehmen könnte. Am Fuß der Treppe blieb er stehen und überprüfte, ob er Notizbuch und Bleistift bei sich hatte. Er wollte sich nicht wieder ohne diese Utensilien erwischen lassen. Schon einmal war er ausgerechnet in Gegenwart seines Vorgesetzten in die Situation gekommen, Vorübergehende nach Schreibzeug und einem Stückchen Papier fragen zu müssen. Als das nicht von Erfolg gekrönt war, hatte er erst den Inspector und - als dieser eisig jede Hilfe verweigerte - dann die beschuldigte Person selbst darum bitten müssen, die zum Glück bereit war, ihm mit Bleistift und Papier gefällig zu sein. An der Tür angelangt, richtete Davies sich kerzengerade auf wie jemand, der gesucht wird und sich selbst ans Messer liefert; dann trat er auf eine Weise ein, die Selbstbewußtsein ausdrücken sollte. Der Sergeant vom Dienst war an der Theke damit beschäftigt, einem Zeitungsreporter die Liste der Verkehrsunfälle des Tages vorzulesen, die dieser gelangweilt in sein Notizheft schrieb.»anthea Mary Draycott, mit Doppel-t«, diktierte der Sergeant.»Geringfügig verletzt... 'n Abend, Dangerous... Marienkrankenhaus... ambulant.«ein älteres Paar saß auf der Wartebank, offensichtlich waren sie unruhig und niedergedrückt, wie sich sogar Leute, die nichts auf dem Gewissen haben, bei der Polizei nun einmal fühlen. Ein weiteres Augenpaar warf ihm über den Rand der Milchglasscheibe, die das Verhörzimmer abtrennte, einen gehetzten Blick zu. Auf dem hölzernen Fußboden im Korridor befand sich eine noch frische Blutlache; also hatte wohl, folgerte Davies - wobei er diesmal sogar richtig lag-, Police Constable Westermans Nase wieder einmal geblutet. Davies folgte der Blutspur und fand im CID-Büro den nasenblutenden Kollegen über das Waschbecken gebeugt. Westerman verdrehte die Augen und flehte:»bring mir die Schlüssel, Dangerous.«27

30 Die Zellenschlüssel hingen wie üblich am Haken. Davies, der wußte, was von ihm erwartet wurde, holte sie und ließ sie zwischen Kragen und Hals Westermans massigen Rücken hinuntergleiten. Der Constable schrak ein wenig zusammen, als er das kalte Metall auf dem Rücken spürte, aber sein Nasenbluten hörte auf.»danke, Dangerous«, sagte er. Er sah aus, als hätte er Erdbeermarmelade genascht.»komisch, aber der Schlüsselbund hilft.erwarte nur bitte nicht von mir, daß ich ihn wieder heraushole«, erwiderte Davies.»Du solltest dir das Gesicht waschen. Man könnte sonst denken, wir folterten auch unsere eigenen Leute.«Westerman beugte sich runter und wusch sein Gesicht im Bekken.»Ich bin nur froh, daß du hereingekommen bist und nicht der alte Yardbird. Ich hätte ihn nicht bitten mögen, nicht schon wieder, diesen verdammten Sklaventreiber.Ist er oben?«fragte Davies.»Ich soll mich bei ihm melden.richtig, ja, das hätte ich fast vergessen. Er ist schon nach Hause. Er wartet nie länger als bis sechs, das weißt du ja. Aber er hat beim Sergeant etwas für dich hinterlassen.«er betrachtete die untere Hälfte seines roten Gesichts im Spiegel.»Danke für die Schlüssel, Dangerous. Ich geh' jetzt zum Lokus und fische sie wieder raus.«davies ging zur Theke der Wache zurück. Der Zeitungsmann war nicht mehr da. Der Sergeant hatte einen stattlichen Aktenordner vor sich liegen.»der ist für dich, Dangerous«, sagte er.»heute nachmittag aus dem Kriminalarchiv gekommen. Ramscar, Cecil Victor. Schon von ihm gehört?andeutungsweise. Was hat er angestellt?zwei Jahre, drei Jahre, dann fünf Jahre«, antwortete der Sergeant.»Jedenfalls, der ganze Kram ist für dich. Yardbird hat gesagt, du sollst es lesen, >durcharbeiten< nennt er es, und morgen früh zu ihm kommen. Er war ein bißchen sauer, daß er dich nicht heute nachmittag zu fassen bekommen hat, aber der Alte ist ja eigentlich immer sauer.hast du eine Ahnung, worum es geht?ramscar ist hier schon vor Jahren als Halbstarker aufgefallen. Ein übler Bursche. Dann verschwand er, stieg woanders groß ins Geschäft ein. Anscheinend ist er jetzt wieder hier, und du sollst ihn finden.«28

31 Davies' Miene hellte sich auf.»nicht übel«, sagte er,»jedenfalls eine Abwechslung. Endlich mal ein richtiger Ganove. Besser als ein geklautes Taubenhaus.«Der Sergeant lachte, führte seinen Becher zum Mund und versuchte, mit dem Lachen den heißen Tee abzukühlen.»wieviel hat er bekommen, der Typ, der sich das Taubenhaus gegriffen hat? Wie hieß er noch gleich?beech, Joe Beech«, sagte Davies.»55 Jahre, Klempner. Hat die drei Monate Haft bekommen, die er wollte. Er plant, noch ein zweites bewegliches Modell vom Buckingham-Palast zu basteln.«er griff nach dem Aktenordner und verzog angesichts des Gewichtes sein Gesicht. Dann machte er sich zum Dienstzimmer auf. Der Sergeant rief ihm nach:»was soll das bloß sein, ein bewegliches Modell vom Buckingham-Palast?Frag mich nicht«, gab Davies zurück,»ich bin ja bloß ein schlichter Polizist.«Die Kriminalbeamten dieses Reviers beklagten sich ständig über ihr gemeinsames Arbeitszimmer, das das schlimmste im ganzen Gebäude war - selbst wenn man die Häftlingszellen mit einrechnete. Es war kalt, grün angestrichen und fensterlos, wenn man von einem ewig schmutzigen Oberlicht absah. Wer sich da einschloß, konnte leicht die Uhrzeit vergessen. Die Jahreszeiten machten sich durch nichts weiter bemerkbar als durch die toten Fliegen, die im Winter von der Decke fielen, und das Surren ihrer quicklebendigen Nachkommen im Frühling. Ein paar Tische und Stühle der einfachsten Art standen herum, außerdem zwei schäbige Schreibpulte und ein paar ramponierte Schränke für die Habseligkeiten des Personals. Es gab eine schwachbrüstige Gasheizung und daneben einen Gaskocher mit Teekessel und einer Ansammlung von Bechern. Als Wandschmuck dienten eine Zielscheibe mit Wurfpfeilen, ein Kalender der Molkereigenossenschaft mit dem Bild eines Milchmädchens samt stumpfsinniger Kuh sowie eine gerahmte Darstellung DAS MARTYRIUM DES HLG. PETRUS. Der Heilige befand sich, kopfüber am Kreuz hängend, in einer äußerst unbequemen Lage. Sein hilfloser, leidender Gesichtsausdruck wurde so manches Mal von den Mienen der hier tätigen Beamten noch übertroffen. Im Moment war außer Davies niemand im Zimmer. In der Kantine, die noch geöffnet war, hatte er sich mit einem Becher Kaffee und drei nicht 29

32 sehr appetitlichen Teilchen versorgt. Als er sich setzen wollte, stieß er mit dem Kopf an die tief herabhängende Deckenlampe. Sie pendelte unheilverkündend hin und her wie eine stumme Glocke. Als sie endlich zur Ruhe kam, schlug er Cecil Victor Ramscars Akte auf. Er fing von hinten an. Alles, was man über Ramscar zusammengetragen hatte, jede Erkenntnis, jeder Verdacht, jegliche Nachforschung und alle registrierten Fingerabdrücke waren hier versammelt. Auf den Aufnahmen aus den Gefängnissen wurde er beim Zurückblättern immer jünger; auf der letzten war er ein schon ziemlich abgebrühter Knabe aus der Hockeymannschaft von Borstal. Der erste Bericht - Entwendung von Kleiderbezugsscheinen - war von 1945, der letzte - Bewaffneter Raubüberfall, begründeter Verdacht, aber Mangel an Beweisen - von Danach gab es nichts mehr, nur die Notiz: Wohnhaft vermutlich in Oakland, Kalifornien. Information durch FBI (Az. FBI 384 A), Januar Aus der Zeit vor 25 Jahren gab es ein einzelnes Blatt in Schreibmaschinenschrift. Davies beugte sich vor, um bei dem schlechten Licht besser lesen zu können. Die Überschrift war mit der Hand geschrieben worden: Protokoll der Aussagen von Cecil Victor Ramscar. Betr.: Vermißtenfahndung Celia Norris (wahrscheinlich nicht mehr am Leben). Die Akte war auf den 15. August 1951 datiert. Davies las die Aussagen sorgfältig durch. Ramscar, wie bei den meisten seiner in der Akte festgehaltenen Aussagen, stritt alles ab. Es ging um seinen Aufenthalt am 23. Juli 1951 und um die folgenden Tage. Ramscar sagte aus, er sei beim Pferderennen gewesen und habe die Nacht des 23. Juli mit zwei Stripperinnen in einem Hotel in Newmarket verbracht. Davies hob die Augenbrauen. Ramscar räumte ein, Celia gekannt zu haben, da ihr Vater ein Geschäftspartner von ihm gewesen sei, stritt aber ab, sie in der Woche vor dem 23. Juli - oder jemals nach diesem Datum - gesehen oder mit ihr gesprochen zu haben. Die Aussage war von der Polizei überprüft und nicht angezweifelt worden. Gestempelt und unterschrieben war die Akte von einem Kriminalbeamten, dessen Namen nicht zu entziffern war. Davies starrte auf die Schrift. Er hatte niemals von einem Fall Celia Norris gehört. Er erhob sich langsam und ging zur Eingangshalle an die Theke. 30

33 Der Diensthabende war ein Mann mit Glatze, den, wie Davies wußte, nur noch wenige Monate von seinem Ruhestand trennten.»ben«, fragte er,»du bist doch schon seit Adam und Eva hier. Hast du je von einem Fall Celia Norris gehört? Im Juli '51 spurlos verschwunden?«ben machte die übliche Handbewegung, als striche er sich das Haar aus der Stirn.»Oh ja, ich kann mich daran erinnern, Dangerous. Junges Mädchen, 16 oder 17, war auf dem Heimweg vom Jugendklub - mit dem Fahrrad, glaube ich. War einfach weg. Wie in Luft aufgelöst.und sie wurde niemals gefunden?keine Spur. Nicht die kleinste. Ich erinnere mich nicht an die Einzelheiten, aber ich glaube, ihre Kleider tauchten schließlich irgendwo auf.wurde es als Mordfall behandelt?nein, jedenfalls nicht am Anfang, erst später. Man nahm eben an, sie sei von zu Hause ausgerissen - wie so viele Mädchen. Vielleicht mit einem Mann. Sie war früher schon mal weggelaufen, und ihr Elternhaus war auch nicht gerade ein Grund zum Jubeln. Jetzt fällt's mir ein, ihr Vater war so ein kleiner Ganove, immer in Diebstähle und Hehlerei verwickelt. Hab' schon seit Jahren nichts mehr von ihm gehört, vielleicht sitzt er hinter Gittern.Und die Sache wurde niemals aufgeklärt?mein Gott, nein, es gab ja nicht mal einen Verdächtigen, wenn ich mich richtig erinnere. Die üblichen Festnahmen, natürlich, aber es kam nichts dabei heraus. Es gab ein ziemliches Aufheben, Aufregung in der Presse und so'n Quatsch. Die Kripo, die wir hier damals hatten, konnte nicht mal ein Kreuzworträtsel lösen, geschweige denn so was. Sie griffen sich ein oder zwei von ihren Lieblingsverdächtigen, mußten sie aber wieder entlassen, und so verlief das Ganze mehr oder weniger im Sande. Es muß noch eine Akte darüber geben. Wundert mich, daß du nie davon gehört hast. Wie kommst du überhaupt darauf?«davies blieb keine Zeit zur Antwort. Die Pendeltüren flogen auf, und eine Frau stürzte herein; in der einen Hand hatte sie einen großen Kochtopf, mit der anderen hielt sie sich den Kopf.»Der Scheißkerl hat' s schon wieder getan!«schrie sie Ben an.»schlägt mir mit dem Kochtopf auf den Schädel! Mitten auf den verdammten Schädel!«Davies wich zurück. Als die Frau die Hand vom Kopf nahm, sah man eine beträchtliche Beule. Der 31

34 Sergeant öffnete seufzend sein großes Protokollbuch.»Mrs. Goodly«, sagte er beim Schreiben.»Vera. Hawthorn Street. Welche Hausnummer war das noch?27.«das Ritual war ihr offenbar vertraut.»der Scheißkerl. Der kann was erleben.«davies machte sich davon. Er nahm sich einen Schlüssel vom Brett hinter der Theke und ging den Korridor entlang bis zu einer Tür mit der Aufschrift ARCHIV. In diesem Moment, schon in diesem frühen Stadium, spürte er, wie etwas in ihm zu keimen begann. Schwach nur, aber es regte sich. Er knipste das Licht an und blickte auf die Reihen der Aktenschränke aus Blech. Da war sie und hatte eine ganze Aktenbox für sich: Norris, Celia, Seine innere Spannung wuchs, als er sie herabnahm, auf den Tisch legte und den quietschenden Deckel öffnete. Er nahm den Inhalt heraus, Hunderte von beschriebenen Blättern, Protokollen, vergilbten Zeitungsausschnitten und Fotografien. Ein Briefumschlag enthielt das vergrößerte Foto eines Mädchens, das Eis aß. Sie machte ein Schelmengesicht; sie hatte bemerkt, daß ein bißchen Vanilleeis auf ihr Kinn getropft war, und lachte darüber. Auf der Rückseite stand: Celia Mary Norris. 153 cm, 49 kg. 17 Jahre. Während der nächsten zwei Stunden saß er in dem einsamen Zimmer über die Papiere gebeugt. Vom Korridor her vernahm er hin und wieder Geräusche, die ihm zeigten, daß der übliche abendliche Betrieb auf der Wache weiterging - die Betrunkenen lärmten, Drohungen wurden ausgestoßen, es wurde lamentiert, und zweimal hörte er sogar das Rasseln der Zellentüren. Als er endlich bei der letzten, ohne Ergebnis abschließenden Eintragung angekommen war - die ganze Sache war im Sande verlaufen, nicht zu Ende geführt, aufgegeben worden-, war es auf der großen Uhr am jenseitigen Ende des Korridors bereits zehn. Er faltete die Dokumente zusammen und legte sie wieder in die Dose. Dann gab er den Schlüssel bei dem Sergeant, der Ben inzwischen abgelöst hatte, an der Theke ab. Draußen regnete es. Er hüllte sich fester in seinen dicken Mantel und trottete schwerfällig zum WICKELKIND. Die Flamencotänzerin, die sich gerade bei ihrer Darbietung den Fuß verstaucht hatte, lag auf dem Boden. Mod war dabei, sie aufzuheben, aber als er Davies erblickte, ließ er sie wieder fallen.»herrgott noch 32

35 mal, wo warst du bloß?«rief er aus.»ich sitze hier herum und muß mir selbst mein Bier spendieren.«davies bestellte zwei Pints, trotzdem sah Mod ihn weiter vorwurfsvoll an.»verdammt schönen Abend hab' ich gehabt«, maulte er. Er nickte in Richtung der immer noch schreienden Frau, die gerade von drei starken Männern zur Tür geschleppt wurde.»hab' Stunden damit verbracht, dem verrückten Weibsstück etwas über Spanien beizubringen. Sie hat noch nie etwas von Franco oder Don Juan Carlos gehört. Alles, was sie kennt, ist das VIVA ESPAÑA-Geplärre. Granada, denkt sie, ist ein Fernsehsender.«Dann stutzte er und warf einen prüfenden Blick auf Davies, der still vor sich hin lächelte.»irgend etwas ist passiert«, sagte Mod beunruhigt.»du hast mal wieder was angestellt, Davies. Raus mit der Sprache!«Davies lächelte verschämt in sein Glas.»Ein Mord«, sagte er,»ich hab' mir einen Mordfall an Land gezogen.«mod riß vor Erstaunen den Mund auf.»einen eigenen Mordfall?«flüsterte er.»dir haben sie einen Mord gegeben?das nicht«, berichtigte Davies.»Sie haben ihn mir nicht gegeben. Ich... ich hab' ihn mir sozusagen einfach genommen.du... was hast du?«davies grinste:»ich sag' ihnen einfach nichts davon.«

36 Kapitel 4 Das Frühstück im BALI HI in Furtman Gardens wurde nicht gemeinsam eingenommen. Minnie Banks, die magere Lehrerin, versuchte noch schnell, ein paar katastrophale Schulhefte zu korrigieren, die sie heute zurückgeben wollte. Dabei trank sie ihren Tee, der ebenso dünn war wie sie. Mod blätterte den GUAR DIAN auf, setzte sich vor seinen Toast hin, blickte ihr über die Schulter und bemerkte:»aha, Sie unterrichten die künftigen Arbeitslosen.Das müssen Sie gerade sagen!«ihre Stimme war so mickrig wie ihre Figur.»Wann haben Sie denn jemals einen Handschlag getan, Mr. Lewis?«Mod breitete mit der Miene eines arroganten Firmenchefs seine Zeitung aus.»es gehört ziemlich viel Können und Erfahrung dazu, arbeitslos zu bleiben«, meinte er.»es scheint mir fraglich, ob Ihre Schüler je das erforderliche Niveau erreichen werden.«davies kam die Treppe herunter, was Mrs. Fulljames in der Küche hörte, wo sie ihr Frühstück allein und im geheimen zu verzehren pflegte.»ist mein Bett schon irgendwo aufgetaucht, Sherlock Holmes?«rief sie.»die Ermittlungen sind im Gange«, rief Davies steif zurück.»sie werden von etwaigen Ergebnissen in Kenntnis gesetzt werden.da bin ich aber gespannt!«gab sie zurück.»übrigens, wer hat denn versucht, den Friedhof in die Luft zu sprengen?niemand«, seufzte Davies. Er goß sich Tee ein und bestrich ein Stück steinharten Toast mit Marmelade. Mrs. Fulljames erschien an der Tür zu ihrer Festung mit der Teetasse in der einen und dem DAILY MIRROR in der anderen Hand.»Das hätte ich Ihnen vorher sagen können«, höhnte sie.»wie will man schon einen Friedhof in die Luft sprengen? Wie soll das gehen?«davies legte seinen Toast hin.»ein Mißverständnis«, sagte er müde.»wir hatten eine Warnung bekommen, aber sie war unle- 34

37 serlich geschrieben, eigentlich nur gekritzelt. Ich dachte, es wäre von >sprengen< die Rede, und es wäre damit Sprengstoff gemeint. Aber >sprengen< war schlecht geschrieben, es sollte >Sprünge< heißen und bezog sich auf die alten Grabsteine. Das konnte man schließlich nicht wissen. Den Grabsteinen ist übrigens auch nichts passiert, nur ich hab' mir 'ne Lungenentzündung geholt.polizisten! Bei den Pfadfindern wären Sie besser aufgehoben«, lachte Mrs. Fulljames höhnisch, während sie sich in die Küche zurückzog.»gott allein weiß, was passiert, wenn hier mal einer ermordet wird.«davies fing Mods Blick auf und grub seine Zähne in den Toast. Er hoffte, Mrs. Fulljames würde das Krachen und Mahlen hören. Aber wenn es so war, dann machte es jedenfalls keinen Eindruck auf sie. Nach dem Frühstück fütterte er Kitty, der sich wie gewöhnlich auf dem Rücksitz des Lagonda ausgestreckt hatte, ließ dann aber Wagen und Hund in der Wellblechgarage stehen und machte sich gedankenverloren zu Fuß auf den Weg zum Revier. Es war ein grauer Morgen. Die meisten Leute waren schon an ihrem Arbeitsplatz, nur an den Bushaltestellen warteten noch ein paar Nachzügler; die Fenster des Cafés ZUM KUPFERKESSEL waren vom Dampf beschlagen, in den Läden gähnten die Kaufleute hinter ihrer Theke. Aus dem Wartezimmer einer Arztpraxis vernahm man unterdrücktes Husten, ein Milchmann, der auf seiner Runde war, schepperte mit seiner wackligen Ladung, und zwei kleine Schulschwänzer zwängten sich gerade durch den Zaun an den Bahngleisen. Die große Stadt war zu manchen Tageszeiten so leer wie ein Dorfplatz. Auf der Wache wurden gerade ein paar nächtliche Missetäter von den Haftzellen zum Schnellgericht gebracht. Ein paar Gesichter unter den entweder wegen >Trunkenheit<, >Trunkenheit und Störung der öffentlichen Ordnung< oder >Trunkenheit und ungebührliche Aufführung< Festgehaltenen waren ihm bekannt, und sie sahen ihn an wie einen lieben alten Freund.»Guten Morgen allerseits«, sagte er und drängte sich zu seinem Arbeitsraum durch. Sie brummten einen Gruß und stolperten steifbeinig zur Tür. Als sie draußen waren und sich in der kalten Morgenluft fröstelnd auf den kurzen Weg zum Gerichtsgebäude machten, holte der Sergeant vom Dienst eine Dose Raumspray hervor und sprühte es verschwenderisch in die Runde.»Yardbird 35

38 will dich um zehn Uhr sprechen, Dangerous«, rief er.»er war scheißwütend, daß er dich gestern nicht mehr erreicht hat. Er wollte wissen, wo du dich herumgetrieben hättest.ermittlungen«, rief Davies zurück. Er hatte noch eine halbe Stunde Zeit, also ging er in die Kantine und besorgte sich eine Tasse schwarzen Kaffee und zwei kleine Kuchen. Dann ging er wieder in sein Dienstzimmer und nahm die Akte Cecil Victor Ramscar aus seinem Fach. Er wollte sie eigentlich nur noch einmal kurz durchsehen, aber er las sich an der Stelle, wo es um das Verschwinden von Celia Norris ging, fest. Er spürte ein seltsames Schuldgefühl dabei, als ob er auf etwas Verbotenes blicken würde. Genauso schuldig fühlte er sich, als er heimlich den Schlüssel zum Archiv nahm, um sich die Akte Celia Norris zu holen. Wieder spürte er in dem Moment, in dem er sie aufschlug, eine unerklärliche Spannung. Sie lachte ihm von dem Foto entgegen, mit dem Eiskremtropfen auf dem Kinn. Er strich gedankenverloren mit dem Daumen über den Rand all der Protokolle und Dokumente. So viel Papier, und doch war der Täter nie gefunden worden! Am Aktendeckel war ein Blatt mit dem Inhaltsverzeichnis und einem Resümee festgeklammert. David biß geistesabwesend etwas von seinem Kuchen ab und vertiefte sich wieder in die Lektüre. Der Kuchen schmeckte scheußlich und blieb am Gaumen kleben; er legte das angebissene Stück in einen Aktenbehälter, den er wahllos aus dem Regal zog. Eines Tages würde eben jemand ein Stück Kuchen in jener Akte finden. Er las sich die Zusammenfassung durch. Celia Norris hatte den Nachmittag, der wohl der letzte ihres Lebens werden sollte, damit verbracht, Zukunftspläne zu schmieden. Am 23. Juli war sie um vier Uhr nachmittags in die Stadt zum Jugendarbeitsamt gegangen, um sich nach den Möglichkeiten zu erkundigen, Krankenschwester zu werden. Danach war sie nach Hause gegangen. Ihr Elternhaus lag in der Hunter Street, dicht bei den Kühltürmen des Kraftwerks. Sie aß etwas und radelte dann zum Jugendklub der katholischen Kirche St. Fridewide. Um 10 Uhr - oder kurz danach - hatte sie von dort aus mit dem Fahrrad den Heimweg angetreten. Ihr Freund, William Lind, war nicht mitgekommen, weil es noch eine Sportsache zu besprechen gab; außerdem hatte er einen platten Reifen und mußte zu Fuß heimgehen, weshalb er sie ohnehin nicht begleiten konnte. Um 36

39 nach Hause zu kommen, hätte sie auf der Hauptstraße bis zur Ecke Hunter Street fahren müssen; oder sie hätte den Weg abkürzen können, wie sie es öfters tat - sie war anscheinend keine ängstliche Natur-, indem sie über den alten Treidelpfad am Kanal entlang bis zur Hauptstraße und dann den gewohnten Weg weiterfuhr. Nach diesem Abend hatte sie keiner mehr gesehen. Das Fahrrad wurde niemals gefunden. Ihre Kleider wurden entdeckt, aber es fehlte die Unterhose. Ein Lippenstift, den sie immer in der Tasche ihres Kleides hatte, fehlte ebenfalls. Ein Jugendlicher namens Andrew Parsons, als Wäschefetischist der Polizei bekannt, wurde verhaftet; der Wärter der rund um die Uhr geöffneten öffentlichen Toilette in der High Street hatte beobachtet, daß er sich dort an Mädchenkleidern zu schaffen machte, und ihn angezeigt. Die fraglichen Kleidungsstücke, ein grünes Baumwollkleid, weißer Büstenhalter, weiße Söckchen und braune Schuhe, wurden als diejenigen identifiziert, die Celia Norris an dem Abend, an dem sie verschwand und vermutlich starb, getragen hatte. Parsons, der nachts oft ziellos herumstreunte, sagte aus, er habe die Sachen eines Nachts um ein Uhr auf der Toilette hinter dem Wasserkasten gefunden. Die Schuhe hätten im Wasserkasten gesteckt. Soweit er sich erinnerte, sei es der 24. Juli gewesen. Als er drei Wochen später aus der Zeitung erfuhr, daß der Beschreibung nach die Kleider dem vermißten Mädchen gehörten, war er so erschrocken, daß er beschloß, sie dahin zurückzubringen, wo er sie gefunden hatte. Die Polizei verhörte ihn zwei Tage lang und ließ ihn dann laufen. Er wurde eine Zeitlang ergebnislos beschattet. Das Auftauchen dieser Kleidungsstücke und die Tatsache, daß die Unterhose fehlte, bezüglich der Parsons - bei dem man während der Hausdurchsuchung nicht weniger als 234 diverse weibliche Wäschestücke in einem Schrank gefunden hatte - schwor, er habe sie weder an sich genommen noch gesehen, veränderte die Lage. Aus der oberflächlichen Suche nach einem Teenager, der schon früher ausgerissen war, wurde die Fahndung nach einer Leiche und einem Mörder. Beide wurden nicht gefunden. Ebensowenig wie Celias Fahrrad. Passiert war es allen Angaben zufolge gegen zehn Uhr an einem Sommerabend - es war zudem ein warmer Sommerabend-, und dennoch hatte sich niemand gemeldet, der ein Mädchen in einem 37

40 grünen Kleid auf einem Fahrrad gesehen hatte. Aber das war an diesem wenig belebten Ort und zu dieser Zeit - nach Einbruch der Dämmerung - nicht so außergewöhnlich, wie es auf den ersten Blick schien. Die Leute pflegten sich nicht auf diesen abgelegenen Straßen aufzuhalten, und es war noch zu früh für die Heimkehrer aus den Kneipen und Kinos. Fernsehen war damals noch eine fesselnde häusliche Errungenschaft. Der Polizeistreifenwagen, der die früher üblichen Fußstreifen abgelöst hatte, patrouillierte regelmäßig durch die High Street und überwachte auch den Fußweg am Kanal, aber weder Police Constable Frederick Fennell noch sein Kollege P. C. James Dudley, die mit ihrem Streifenwagen bis Mitternacht in der Gegend unterwegs waren, hatten das Mädchen gesehen oder irgend etwas Auffälliges bemerkt. Celia Norris hatte vor dem katholischen Jugendklub ihr Fahrrad bestiegen und sich in Nichts aufgelöst. Davies erinnerte sich plötzlich an Yardbird und öffnete die Tür, um auf die Uhr am Ende des Korridors zu sehen. Noch sieben Minuten Zeit. Sein Kaffee sah noch unappetitlicher aus als der Kuchen und war außerdem kalt. Er probierte einen Schluck und verzog das Gesicht. Dann zog er einen Totoschein aus der Tasche - er hatte in dieser Saison begonnen, sein Glück damit zu versuchen - und schrieb auf die Rückseite des Zettels die Namen all derjenigen, die im Fall Celia Norris ausgesagt hatten: Elizabeth Norris, die Mutter; Albert Norris, ihr Vater; William Lind, Freund; Ena Brown, eine Freundin; Roxanne Potts, dito; sämtliche Mitglieder des Jugendklubs; David Boot, Leiter des Klubs; Andrew Parsons, der Wäschefetischist, und schließlich der Mann, mit dem für Davies das Ganze begonnen hatte: Cecil Victor Ramscar, ein Freund der Familie Norris. Es gab noch ein paar andere Aussagen von Leuten, die dachten, sie hätten etwas Wichtiges beobachtet, und als letztes der negative Bericht von P.C. Fennell und P. C. Dudley, die in jener Nacht Streife gefahren waren. Die Uhr im Korridor zeigte jetzt drei Minuten vor zehn. Es blieb ihm immer noch Zeit. Er entnahm der Akte den Umschlag mit Fotografien, die während der Nachforschungen zusammengestellt worden waren: Schnappschüsse, jetzt vergilbt, Momentaufnahmen eines Lebens, dem nur noch eine kurze Frist vergönnt war. Celia und ihre Mutter. Celia mit ihrem Hund. Celia am Strand mit einem Jüngling mit scharfgeschnittenem Gesicht und 38

41 einem Zeitungshelm auf dem Kopf, wahrscheinlich William Lind, und schließlich ein Foto, das er am Abend zuvor, als er den Umschlag zum ersten Mal geöffnet hatte, übersehen hatte. Es zeigte Celia und noch ein anderes Mädchen allem Anschein nach bei einem Jahrmarktsbesuch. Beide trugen Sommerkleider und lachten. Zwischen ihnen stand ein Mann im Blazer mit offenem Hemdkragen und gebräuntem Gesicht, der ebenfalls lachte. Er war 25 Zentimeter größer als die Mädchen und hatte jeder von ihnen einen Arm um die Taille gelegt. Davies eilte hinaus zur Theke und bat den Sergeant um sein Vergrößerungsglas, das er für besonders kleingedruckte Schrift zu benutzen pflegte.»vergiß Yardbird nicht, Dangerous«, mahnte ihn der Sergeant.»Nein, nein. Ich bin schon auf dem Weg«, antwortete Davies und kehrte schnell zu dem Foto zurück. Er begutachtete es mit der Lupe und konnte jetzt deutlich erkennen, daß der Mann die beiden Mädchen nicht bloß in einer freundschaftlichen Geste umfaßt hielt, sondern die Finger ausstreckte und die Unterseite ihrer Brüste berührte. Davies stülpte die Unterlippe vor. Das, dachte er, war denn ja wohl David Boot, der Jugendklubleiter. Inspector Yardbird hatte sich breitbeinig, die Schultern gestrafft, die Hände napoleonisch hinter dem Rücken verschränkt, ans Fenster gestellt. Mißmutig schaute er auf die zerklüftete Dachlandschaft hinaus, als plane er einen Eroberungsfeldzug. Zwar hatte er Davies' Klopfen beantwortet, blieb jetzt aber volle zwei Minuten mit dem Rücken zum Zimmer stehen, bis ein diskretes Räuspern ihn veranlaßte, sich seinem Untergebenen zuzuwenden.»freut mich, daß Sie kommen konnten«, sagte er ironisch.»gestern waren Sie nicht aufzufinden. Wo waren Sie denn? Im Kino?Ermittlungen, Sir«, sagte Davies. Yardbird rümpfte die Nase.»Na, dann habe ich heute ein paar weitere Ermittlungen für Sie. Und diesmal handelt es sich um eine wichtigere Sache als jede, die Sie bisher untersucht haben. Viel wichtiger. Mir scheint, Sie sind in der letzten Zeit etwas ins Hintertreffen geraten.«da mußte man ihm leider zustimmen.»ja, Sir, den Eindruck hatte ich auch. Als ob man mich übersehen hätte.«39

42 Yardbird setzte sich auf die Schreibtischkante und ließ den linken Fuß baumeln. Er sah, wie sich im Studentinnenheim etwas hinter einem Fenster bewegte, und er versuchte, genauer hinzuschauen, ohne daß Davies es bemerkte.»oh«, lächelte Davies liebenswürdig,»sind dort gegenüber immer noch die Mädchen, Sir?«Yardbird fuhr wie von einem Insekt gestochen herum.»mädchen? Zum Kuckuck, was für Mädchen?«Er drehte sich um und setzte sich an seinen Schreibtisch. Der Inspector rieb sich das Gesicht.»Ich weiß nicht, Davies, ich weiß wirklich nicht. Da ziehe ich Sie für eine wirklich große Sache an Land, aber ich weiß nicht einmal, ob ich mir oder Ihnen damit einen Gefallen tue. Ich muß immer noch an unser Gartenfest denken. Erst wurden die blöden Lose für die Tombola von dem Wind durch die ganze Gegend geblasen, und als Sie sie endlich wieder eingesammelt hatten, hatte jemand Ihnen die Einnahmen geklaut.ich war nicht der richtige Mann für die Tombola«, gab Davies zu.»sie lief wirklich nicht so gut.der Commissioner dachte, Sie wären ein Clown, den wir engagiert hätten. Ich kann es Ihnen leider nicht ersparen, Davies: Es war mir sehr peinlich, muß ich schon sagen.«er seufzte und schob das Kinn tiefer in seinen Uniformkragen.»Andererseits, ich bin immer dafür, jemandem noch mal eine Chance zu geben. Das ist es, was ich Ihnen gebe - noch eine Chance. Haben Sie sich gestern noch mit der Akte Ramscar beschäftigt?jawohl, Sir.Ein übler Kerl«, murmelte Yardbird.»Den gab's schon, als ich noch als junger Polizist zu dieser Abteilung gehörte. Er hatte überall die Finger im Spiel, bei jeder Art von Verbrechen - Diebstahl, Körperverletzung, Zuhälterei, Erpressung von Schutzgeldern und so weiter. In die damaligen Bandenkämpfe der Londoner Unterwelt war er auch verwickelt. Ein Schwerverbrecher. Mr. Ramscar hat schon manch eine Kniescheibe durchlöchert, kann ich Ihnen sagen.die Akte ist ziemlich dick, Sir«, stimmte Davies zu.»was hat er jetzt angestellt?nichts«, erwiderte Yardbird,»nichts, was unsere fabelhaften Spezialisten vom Yard ihm beweisen könnten. Aber sie sind ganz scharf auf ihn. Sie wissen, daß er aus dem Ausland zurück ist, wo er in ziemlich happige Sachen verwickelt war, und sie nehmen an, 40

43 daß er aus einem bestimmten Grund zurückgekommen ist: nämlich, um ein politisches Verbrechen vorzubereiten. Er geht nun mal gern mit der Mode. Jedenfalls wollen sie wissen, wo er steckt, aber ohne gleich eine ganze Armee auf ihn anzusetzen. Jemand soll ihn lediglich ausfindig machen. Der Jemand sind Sie. Es wird vermutet, daß er hierher zurückgekommen ist, in unsere Gegend. Jetzt sollen Sie ihn suchen.aha. Einfach suchen.genau. Schauen Sie mal in seinen damaligen Schlupfwinkeln nach, machen Sie sich an seine alten Freunde heran. Stellen Sie viele Fragen. Es schadet nichts, wenn er ein bißchen zu flattern anfängt. Ich stelle Sie von allen anderen Pflichten frei. Ich erwarte von Ihnen nur regelmäßig Bericht. Sie werden nicht lange dazu brauchen, ein bis zwei Wochen höchstens.jawohl«, sagte Davies,»ich verstehe.«yardbird blickte auf. Er erwartete, daß Davies sich verabschiedete.»sonst noch was?«fragte er.»sie sind ja jetzt im Bilde.Nein... nein, sonst nichts, Sir. Nur noch eins: Darf ich meinen eigenen Wagen benutzen?«yardbird, der weder den Lagonda noch den Hund je zu sehen bekommen hatte, nickte.»wenn er anständig aussieht. Wenn er nicht dem Ansehen der Polizei schadet. Und... noch etwas.ja, Sir?Halten Sie die Spesen niedrig. Wenn Sie zum Westend müssen, nehmen Sie lieber den Bus. Und nicht zu viele Getränke in diesen Klubs. Denken Sie daran, wir sind keine Spezialeinheit.«Davies bedankte sich und ging. Unten im CID-Büro war ein Polizist namens Myers damit beschäftigt, 300 Pornobilder durchzublättern. Zwei Kollegen schauten ihm über die Schulter, um bei der Suche nach Indizien behilflich zu sein. Davies nahm die Ramscar-Akte und machte sich daran, sie noch einmal durchzugehen. Als er zu der Aussage zum Fall Celia Norris kam, las er sie Wort für Wort. Dann atmete er tief durch und fraß sich durch den Rest der Geschichte. Aber das Bild wurde er nicht mehr los: ein lachendes Mädchengesicht mit einem Tropfen Eiskrem am Kinn. Davies verspürte nur wenig Lust, Ramscars Fährte aufzunehmen. Der würde wohl kaum, wenn er sich verbergen wollte, gerade an seinen ehemaligen Lieblingsplätzen zu finden sein, obwohl er sicher Kontakt zu seinen früheren Komplizen aufnehmen würde. 41

44 Davies dachte sich, wenn er nur auffällig genug herumwanderte und viele dumme Fragen stellte, werde Ramscar schon von selbst zu ihm kommen. Am Nachmittag ging er zum Windhundrennen im Park Royal und setzte seinen Einsatz auf ein paar klägliche Verlierer. Er fing ein Gespräch mit mehreren zwielichtigen Typen an, in dessen Verlauf er Ramscar erwähnte und sein Foto herumzeigte, doch niemand schien ihn zu kennen. In der Herrentoilette sprach er, das Foto schwenkend, einen Miturinierer an, der daraufhin erbleichte und wie ein Frosch die Rinne entlanghüpfend und immer noch Wasser lassend die Flucht ergriff. Nachdem er glücklich den Ausgang erreicht hatte, rannte er auf den nächsten Polizisten zu und zeigte Davies an. Der erste Tag war also nicht besonders hoffnungsvoll verlaufen. Um fünf Uhr ging Davies zum Revier zurück; er konnte nicht anders, es zog ihn wie ein Magnet zu der Akte über Celia Norris hin. Er mußte sich ständig schuldbewußt umsehen und fühlte sich an seine Kinderzeit erinnert. Als Junge hatte er heimlich die Illustrationen in der Rubrik Erste Hilfe bei Unfällen studiert, immer in der Angst, seine Mutter könne ihn dabei erwischen, mit welcher Faszination er das Bild einer Frau, die gerade künstlich beatmet wurde, betrachtete. Sein Inneres krampfte sich zusammen, als er von neuem diese Geschichte ohne Schluß las und die Fotos betrachtete. Er ertappte sich bei einer unwillkürlichen Handbewegung, um dem lachenden Mädchen das Eiströpfchen vom Kinn zu wischen, und fuhr erschrocken auf, als ihm sein sonderbares Verhalten bewußt wurde. Schließlich konnte er nicht widerstehen, stellte die Akten an ihren Platz, schlich sich hinaus und begann den Weg abzuschreiten, den Celia Norris vor 25 Jahren genommen hatte. Obwohl es am Rand des Distrikts, vor allem zur Londoner Innenstadt hin, allerlei Abbrüche und Neubauten gegeben hatte, war die Gegend um die High Street und den Kanal so gut wie unverändert. Einen großen Teil der Fläche bedeckte der Friedhof, der für eine gewisse Dauer angelegt war, wie Friedhöfe es nun einmal zu sein pflegen. Der Kanal zerschnitt das Stadtviertel in zwei Teile und hatte so dazu beigetragen, daß sich nicht allzuviel veränderte. Drüben auf der anderen Seite waren kleine Werkstätten und größere Fabriken in den 50er und 60er Jahren so gut ausgelastet gewesen, daß niemand auf die Idee gekommen war, sich mit 42

45 Investitionen zu befassen. Jetzt, in der Rezession, hatten die Betriebe keine Lust zu Modernisierungen und Erweiterungen. Die enge, dichtbebaute High Street ging ungefähr in dieselbe Richtung wie der Kanal, verlief dann aber am oberen Ende kurz vor dem Kraftwerk in einer scharfen Kurve und überquerte den Wasserweg. Bestehendes und Beständiges umschlossen sie von allen Seiten - im Süden war es der Friedhof, im Norden das Kraftwerk, im Westen der Kanal und im Osten die stattlichen drei- und vierstöckigen Häuser aus der viktorianischen Zeit, zu denen das BALI HI, Furtman Gardens, gehörte. Ursprünglich hatte es CRANBROOK VILLA geheißen, war dann aber umgetauft worden, als Mrs. Fulljames sich in Rosano Brazzi, den Filmhelden aus SOUTH PACIFIC, verliebt hatte. Es würde noch mindestens ein halbes Jahrhundert vergehen, ehe man hier ans Abreißen ging. So war also die Szenerie weitgehend dieselbe wie an jenem warmen Abend im Juli 1951, als Celia Norris sich mit dem Fahrrad auf den Heimweg vom Jugendklub machte. Allerdings herrschte jetzt häßliches Oktoberwetter. Davies verließ die Polizeiwache, lehnte freundlich dankend das Angebot eines kostenlosen Schäferstündchens mit Venus, dem Abendstern, ab und ging zu Fuß zur Kirche St. Fridewide. Der Jugendklub lag noch immer - wie schon damals - auf dem Kirchengelände. Das Mädchen mußte am Haupteingang losgeradelt sein. Nachdenklich legte er den Weg von hier zum südlichen Ende der High Street zurück. Der Friedhof war etwa vier Hektar groß und zog sich an der Hauptstraße entlang. Es war alles totes Land, beziehungsweise das Land der Toten. Davies ging in gleichmäßigem Tempo - später wollte er die Strecke noch einmal mit dem Rad abfahren-, beschleunigte aber seine Schritte, als er am Friedhofseingang vorbeikam. Er hatte keine Lust, dem Pförtner Rede und Antwort zu stehen wegen der Verwechslung von >Sprüngen< und >sprengen<. Der Mann würde seine Meinung schonungslos äußern. Vielleicht sollte man ihn einmal mit Mrs. Fulljames bekannt machen. Am Ende des Friedhofs befand sich die friedhofsübliche Grabmalhandlung, die mit einer einladenden Ausstellung von Kreuzen und weinenden Engeln um die Laufkundschaft warb. Hier war also der Anfang der High Street. Die modernen, großen, glänzenden Läden, die in den Jahren des Aufschwungs, in den 60ern, gegründet worden waren, hatten sich in den breiten Durchgangs- 43

46 Straßen in Kilburn, Paddington und Cricklewood angesiedelt. Hier in der High Street hingegen gab es noch die kleinen Läden, Tabakbuden, Schnellimbisse, kleinen Cafés, billigen Kleiderläden, natürlich die Wettbüros und einige größere Grundstücke, die von den Verkaufshallen der Gebrauchtwagenhändler besetzt worden waren, die in der offenen Einfahrt standen und ebenso selbstgefällig wie ihre glänzenden Autos die Kunden angrinsten. Die Lokalzeitung, der CITIZEN, logierte ziemlich beengt in einem Haus, das der einzige berühmte Sohn dieses Stadtteils, Miles Shaltoe, einmal bewohnt hatte. Dieser hatte mehrere Anfang des 19. Jahrhunderts sehr beliebte Romane geschrieben, woran eine Tafel an der Hauswand unter dem Schild NORTH WEST LONDON CITIZEN erinnerte. Es gab auch einige Damenfriseure, darunter einen, der mit dem Namen ANTOINETTE: PARIS, SCHWEIZ UND HEMEL HEMPSTEAD warb. Dazwischen verstreut waren die zahllosen kleinen Kneipen, darunter das WICKELKIND in bevorzugter Lage neben der öffentlichen Bedürfnisanstalt. Dann gab es noch zwei Kinos, von denen das feinere nur indische Filme zeigte, einen westindischen Bongoklub und einen echt englischen Bingoklub, ein Leihhaus, das schon seit 1896 existierte, und den Massagesalon HEILENDE HÄNDE, der erst vor kurzem eröffnet worden war. Trotz aller Versuche, der alten Straße mit Farbe und Kunststoff ein frisches Aussehen zu geben, war sie gebrechlich, hatte sich selbst überlebt und sehnte sich nach dem Gnadentod durch die Abrißbirne. David durchwanderte sie wie schon so oft in den fünf Jahren, die er hier zugebracht hatte. Heute sah er prüfend zu den oberen Fenstern hoch und fragte sich, ob irgend jemand an dem fraglichen Sommerabend Celia Norris von dort aus gesehen hatte. Die oberen Stockwerke waren fast alle erleuchtet, die Vorhänge zugezogen, und dahinter gab es, wie er wußte, die unterschiedlichsten Bewohner. Da waren die Geschäftsräume von Madame Tarantella Phelps-Smith, Hellseherin - erstklassige Zukunftsberatung-, der Klub der Kriegsveteranen ZUR GEFLÜGEL TEN SIEGESGÖTTIN, der unvermeidliche Billardsaal und der Gottesdienstraum der Quäker, der sicherlich von dem Gestank des Curry-Imbißladens im Erdgeschoß verpestet wurde. Überall war die dämmrige Abendluft schwer von den unterschiedlichsten Gerüchen - von Guinness-Bier, Pommes frites, Schweiß und Schmutz. Ein einzelner städtischer Baum stand an 44

47 der Abzweigung der Jubilee Road, einer der Straßen aus der viktorianischen Ära. Der Baum war vom Rotary Club gespendet, wie man aus einer Plakette erfuhr, und zur Erinnerung an die Krönung Elisabeths II. gepflanzt worden. Der Stamm hatte zum Schutz einen Eisenkäfig, sah aber dennoch aus, als hätte ein Dauerblitz ihn allmählich zerspalten. Davies brauchte 40 Minuten, um von einem Ende der High Street zum anderen und wieder zurück zu gehen. Sie war jetzt sehr belebt. In Bussen, Autos und zu Fuß strebten die Leute von der Arbeit, in Gedanken schon bei Feierabend, Essen, Fernsehen oder vielleicht sogar bei der Liebe, nach Hause. Er lenkte seine Schritte zum WICKELKIND und ging in die langgezogene Bar. Mod hielt sich, wie vorauszusehen war, an einem kleinen Glas fest, für das sein Geld gerade noch gereicht hatte. Er freute sich, daß Davies kam, weil er auf dessen privaten Mordfall gespannt war - und weil er sein Bier fast ausgetrunken hatte.»den Anfang habe ich gemacht«, sagte Davies nach dem ersten tiefen Zug,»der Anfang ist vollbracht.was hast du herausgefunden?nichts.«mod nickte angesichts der Logik dieser Antwort.»Hältst du mich auf dem laufenden, Dangerous? Du weißt, ich habe viel Zeit zum Nachdenken. Vielleicht fällt mir was ein.ich werd' dir alles erzählen«, versprach Davies. Er sah sich suchend um.»ist sie heute nicht da? Die Flamenco-Fanny.Nein. Ich glaube, sie hat sich gestern abend bei ihrem Sturz den Knöchel gebrochen. Wenn wir Glück haben.«auf dieses Stichwort hin öffnete sich die Tür, und die ordinäre Frau humpelte mit einem unförmigen Gipsverband und einer Krücke herein.»olé, olé!«rief sie.»oh Scheiße«, sagte Davies. Trotz der Belästigung durch die ordinäre Frau, die den ganzen Abend auf ihrem Gipsbein in der Kneipe herumstampfte, gelang es Davies nur mit Mühe, Mod zum Aufbruch und zu einem Spaziergang am Kanalufer entlang zu überreden.»wenn ich deinen Dr. Watson spielen soll, wäre ich dir dankbar, wenn du deine Untersuchungen nicht gerade in die Ausschankzeiten legen würdest«, murrte Mod.»Nimm's mir nicht übel, aber ich kann mir kaum vorstellen, daß irgendwelche In... 45

48 Indizien, sieh mal, ich bring's trotz Bier noch heraus, nach 25 Jahren noch hier am Kanalufer herumliegen.«ein Mann, der gegenüber der Kneipe in einem Ladeneingang herumlungerte, sah sie herauskommen und folgte ihnen im Dunkeln in etwa 50 Metern Entfernung. Als er sie in die enge Gasse zwischen dem Pfandhaus und dem Massagesalon einbiegen sah, schlüpfte er zwischen den danebenliegenden Geschäften hindurch und kletterte über einen Zaun, um zum Kanal zu gelangen. Er rannte über den lehmigen Uferweg, lief grußlos an einem Mann vorbei, der hier mitten in der Nacht angelte, und bog von der Kanalseite her in die Gasse ein, auf der Davies und Mod ihm gerade entgegenkamen.»ich suche keine Indizien, mir geht's um die Lokalitäten«, erklärte Davies geduldig.»sie könnte auf ihrem Heimweg diese Abkürzung genommen haben und über den alten Treidelpfad zur Brücke geradelt sein. Ich will mir nur die Gegend ansehen, das ist alles.«der Mann, der ihnen gefolgt war, tauchte vor ihnen auf. Sie sahen die Gestalt mit hochgeschlagenem Mantelkragen als schwarze Silhouette auf sich zukommen. Davies verspürte instinktiv ein Gefühl der Unruhe, als ob seine neue Aufgabe ihn wachsamer gemacht hätte. Es war fast unmöglich, aneinander vorbeizukommen, ohne sich zu berühren, und wie es in solch einer peinlichen Lage üblich ist, murmelten sie einen unterdrückten Gruß.»Guten Abend«, sagte Davies.»Gute Nacht«, fügte Mod hinzu.»nacht«, sagte der Mann und warf sie mit seiner Bierfahne fast um. Davies konnte nicht mehr von ihm erkennen als ein blasses, dreieckiges Gesicht, das aus dem Kragen herausragte, und eine Brille mit stechenden Augen dahinter. Der Mann war schon fast an der Ecke der High Street angelangt, ehe es Davies auffiel, daß die Brille keine Gläser gehabt hatte. Der Weg machte eine kleine Biegung, dann lag das stille Wasser des Kanals im Laternenlicht vor ihnen. Der feuchte, faulige Geruch legte sich ihnen schwer auf die Brust. Sie blieben stehen und sahen sich um. Wenn Celia diesen Weg genommen hatte, dann hatte sie von ihrem Fahrrad aus denselben Anblick in demselben Licht vor Augen gehabt. Die Hängelaterne über der Brücke hatte es schon damals gegeben. Sie schwebte noch im- 46

49 mer dort oben, als habe sie etwas im Wasser verloren und brauche eine Ewigkeit, um es zu finden. Davies und Mod standen in den Anblick versunken da und lauschten auf das eintönige Plätschern des Wassers an der alten Uferbefestigung, als zu ihrer Rechten plötzlich eine schattenhafte Gestalt auftauchte. Sie scheuten wie junge Pferde. Der Mann schrie erschreckt auf.»oh... oh... Entschuldigung«, brachte er schließlich hervor. Er stand aufrecht hinter einer Hecke, etwa anderthalb Meter über ihnen auf einer Böschung. Davies und Mod sahen ihn an, als wenn er der Leibhaftige wäre. Davies fand mit Mühe seine Stimme wieder.»keine Ursache«, lachte er nervös.»wir sind nur ein bißchen erschrocken. Wir hatten Sie nicht gesehen.konnten Sie auch nicht - von da unten. Wetten, daß ich mich hier verstecken kann?«er machte die Probe aufs Exempel, indem er sich wieder duckte.»hallo, kann man mich jetzt sehen?nein, kein bißchen. Nichts zu sehen«, tat Davies ihm den Gefallen.»Was machen Sie überhaupt da oben?«mods Frage war zweifellos berechtigt.»mein Schrebergarten.«Der Mann erhob sich und zeigte über die Schulter ins Dunkle.»Die einzige Möglichkeit, dorthin zu kommen. Wo ich so spät von der Arbeit zurück bin... Ich hole mir bloß ein bißchen Gemüse.Gut, daß Sie wissen, wo die Beete sind«, meinte Davies.»Alles schön in geraden Reihen angepflanzt. Eine Taschenlampe hab' ich auch, aber die Batterie ist alle. Ich bin sowieso fertig. Für heute reicht's.«sie blickten zu ihm auf, während er dastand wie ein Redner vor seinem Publikum.»Sind die gut, die Parzellen hier?«fragte Davies.»Nicht schlecht. Nicht so gut wie drüben beim Kraftwerk, aber auch nicht schlecht. Hier ist es immer ein bißchen feucht, wegen des Kanals. Beim Kraftwerk kriegen sie den Nebel von den Kühltürmen. Die Ernte ist an beiden Stellen ganz gut.«er hievte einen Sack über die Hecke. Davies und Mod gingen zu ihm und faßten mit an. Er bedankte sich, wünschte freundlich gute Nacht, schulterte den Sack und ging auf die Gasse zu.»der hat wohl viele Mäuler zu füttern«, bemerkte Mod. 47

50 Sie gingen weiter am Ufer entlang. Die Luft wurde immer feuchter. Das Kanalwasser, das bei Tage fast schwarz war, glich in dem schwachen Laternenlicht einem klaren tropischen See. Kurz vor der Brücke saß Pater Harvey, der Priester von St. Fridewide, am Ufer und angelte.»jetzt wundere ich mich über nichts mehr«, sagte Davies zu ihm.»dahinten war einer, der trotz der Dunkelheit im Garten arbeitete, und Sie sind beim Fischen. Schon was gefangen?wenn ich was fange, sind Sie Zeuge eines göttlichen Wunders«, brummte der Pfarrer.»Ich habe bloß ein wenig Ruhe gesucht. Leider sind die Kanalufer heutzutage eine zwielichtige Gegend, wo ein unverheirateter Priester nicht einfach herumstehen oder -gehen kann, ohne Gefahr zu laufen, mißverstanden zu werden. Deshalb gehe ich angeln.«davies kicherte in der Dunkelheit.»Ich sollte Sie wegen unerlaubten Angelns mitnehmen«, sagte er.»jesses, daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ich könnte mich vielleicht damit verteidigen, daß ich Seelen fische.dann müßten Sie aber die Hostien als Köder nehmen«, meinte Mod. Davies erklärte, wer Mod war; der Pater nickte herauf, und Mod nickte hinunter.»oben in der Gasse haben wir einen Mann mit einer Brille ohne Gläser getroffen«, sagte Davies. Man hörte den Pfarrer seufzen.»es gibt viel Armut hier.oder war es vielleicht eine Art von Verkleidung?Könnte sein«, stimmte Pater Harvey bei.»da ist dieser Sündenpfuhl oben an der Ecke eröffnet worden, sogar mit behördlicher Genehmigung. Der sogenannte >Massagesalon<. Höllenwerk unter dem Deckmantel der Heilbehandlung. Vielleicht war er auf dem Weg dorthin und wollte nicht erkannt werden. Das Leihhaus und der Massagesalon - in dem einen verpfänden sie ihre Sachen, in dem anderen ihre Seelen.Guter Witz, Sie sollten zur Polizei gehen.danke, mein Sohn.«Sie schwiegen eine Weile und starrten auf das bewegungslose Wasser, als ob jeden Moment ein Hecht anbeißen könnte. Dann fragte der Pfarrer:»Sie haben wohl noch nicht herausgefunden, wer meinen Beichtstuhl angezündet hat?nein«, räumte Davies ein,»wir sind noch nicht viel weitergekommen. Aber ich glaube nicht, daß es ein Fall von Kirchenschändung ist.«er sah, wie der Pater die Nase rümpfte. 48

51 »Ich hätte es meinen Schäfchen ja als ein Zeichen des Himmels erklären können. Oder der Hölle. Aber ich glaube eher, ein paar Lausbuben brauchten ein Versteck zum Rauchen. Wie Jungs so sind.es wird nicht leicht sein, das herauszukriegen«, warf Mod ein.»sie können Ihre Gemeinde nicht wie sonst bei der Beichte aushorchen, schließlich ist kein Beichtstuhl mehr da. Es ist wie die Sache mit dem Huhn und dem Ei.«Der Pfarrer zeigte keine Reaktion. Er starrte auf das Wasser, als ob es da ein Problem zu lösen gäbe.»wissen Sie, Dangerous«, sagte er schließlich, ohne den Blick zu heben,»wenn Sie das Trinken auf die Hälfte reduzieren könnten, würden Sie einen guten Seelsorger abgeben. Sie sind einfach nicht zum Polizisten geboren.das denken anscheinend die meisten«, seufzte Davies bekümmert.»aber jetzt bin ich zufällig mit einem sehr wichtigen Fall beschäftigt.oh, und worum geht es? Dürfen Sie darüber reden?ich glaube schon. Ich denke, Sie können schweigen.berufspflicht«, sagte der Priester. Davies hockte sich neben ihn auf den feuchten Boden. Mod blieb stehen, als ob er Wache halten müsse. Davies fragte:»pater, erinnern Sie sich an Celia Norris?Celia Norris«, nickte der Pfarrer.»Soviel ich weiß, wurde sie ermordet. Das muß lange her sein.25 Jahre«, sagte Davies.»Ich habe den Fall wieder aufgenommen.jesses«, sagte Pater Harvey.»Ich fing damals gerade hier an. Ich habe das Mädchen kaum ein paar Wochen lang gekannt. Ich kann mich nicht mal an ihr Gesicht erinnern.«davies konnte es um so besser.»die Sache wurde niemals aufgeklärt. Der Fall wurde einfach aufgegeben.sie sind doch jetzt nicht etwa hier auf der Suche nach Fußspuren?Nicht direkt. Ich wollte nur mal den Schauplatz ein wenig anschauen und sehen, ob mir etwas einfiele.sie war im Jugendklub. Und es wurde nichts, gar nichts von ihr gefunden.doch«, sagte Davies,»ihre Kleider. Außer ihrer... ihrer Unterwäsche.«49

52 »Ach ja, ihr Schlüpfer. Ja natürlich, jetzt erinnere ich mich wieder.«der Pfarrer zuckte ein paarmal nachdenklich mit der Angel.»Vielleicht hatte sie gar keinen an.pater Harvey!«Davies war schockiert. Mod pfiff durch die Zähne.»Was soll's, ich sagte ja schon, es gibt hier viel Armut. Das war vor 25 Jahren nicht anders.«davies studierte das Gesicht des Priesters. In der Silhouette sah seine Nase länger aus als bei Tageslicht.»Wissen Sie, wo die Mutter, Mrs. Norris, jetzt wohnt?ja. Lassen Sie mich überlegen. In der Hunter Street, beim Kraftwerk. Sie kommt noch manchmal zur Kirche.Dave Boot«, fuhr Davies fort.»erinnern Sie sich an Dave Boot, Pater, den Mann vom Jugendklub? Was für ein Mensch war er?muskeln«, antwortete Pater Harvey bestimmt.»nur Muskeln. Dafür machte er alle diese verrückten Übungen. Jesses, er machte mich beinahe neidisch. Ich hatte selbst ein paar ganz schöne Muskeln, damals, aber die mußte ich unter der Soutane verstecken. Der geistliche Stand verlangt doch so manches Opfer. Ich muß zugeben, es gab Zeiten, da hätte ich sogar einen Bischofsornat freudig für ein Turnhemd geopfert.«davies lachte melancholisch. Mod, der keinen Mantel trug, scharrte vor Kälte mit den Füßen. Davies verstand den Hinweis.»Wir machen uns mal wieder auf den Weg, Pater.Na gut«, sagte der Pfarrer.»Ich halte Ihnen beide Daumen für Ihren verstaubten alten Mord. Da ist ein Mensch nicht nur tot, er ist schon sehr lange tot. Der Fall ist ausgebrannt, Dangerous. Sie sollten lieber nicht in der Asche herumstochern.es ist keine offizielle Untersuchung«, sagte Davies.»Es ist mein Privatvergnügen - in meiner Freizeit.So etwas wie ein Hobby?«fragte der Priester und blickte ins Wasser.»So könnte man es nennen. Eine Art Hobby.«50

53 Kapitel 5 Er fing mit den Ermittlungen in der Hunter Street an. Sie war eine von den Straßen, die sich um die Kühltürme des Kraftwerks drängten wie ein Insektenschwarm. Der Dampf aus den Türmen sorgte für ein ständiges leichtes Nieseln. Als Entschädigung dafür breitete die Sonne, wenn sie überhaupt hervorkam, über der melancholischen Gegend die schönsten Regenbogen aus. Davis stand vor dem kleinen Reihenhaus, das genauso aussah wie all die anderen, außer, daß es noch dringender nach einem neuen Anstrich verlangte. Das Törchen hing schief in den Angeln. Vor Monaten hatte jemand Gott herausgefordert und seinen Christbaum in den winzigen Vorgarten gepflanzt, in der Hoffnung, daß er Wurzeln schlagen werde. Aber Gott hatte gewonnen, der Baum war vergilbt und vertrocknet. Jetzt zitterte er in der ersten Herbstkälte. Davies klopfte an die Tür, die daraufhin etwas von ihrem Anstrich verlor. Eine ganze Batterie verschiedener Schlösser wurden von innen entriegelt, ehe eine schmale, magere Frau sich sehen ließ.»was wollen Sie?Mrs. Norris?Die bin ich. Was wollen Sie?Ich... ich würde gern einen Augenblick mit Ihnen sprechen. Über Ihre Tochter.Josie. Was hat Josie angestellt?nein, nicht Josie, Celia.«Die Augen rollten ihr fast aus dem Gesicht.»Celia?«flüsterte sie.»wer sind Sie?Ich bin bei der Polizei.Sie haben... haben Sie unsere Celia gefunden?nein. Leider nein.dann hauen Sie ab, und suchen Sie weiter«, sagte sie schnell und verbittert.»hauen Sie ab.«51

54 Die Türe wurde vor ihm donnernd zugeschlagen, wobei sie noch mehr Farbe verlor. Er prallte zurück und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Wenn im Laufe offizieller Nachforschungen eine Tür auf diese Weise geschlossen würde, gab es Polizeimethoden, sie wieder zu öffnen, wobei man zunächst die höfliche Bitte ein zweites Mal vorbrachte. Aber in diesem Fall, wo es sich bloß um ein Hobby handelte, war das weitaus schwieriger. Er ging durch das Törchen auf die Straße und wanderte in Gedanken versunken die Straße hinunter. Von der Kraftwerksseite her näherte sich ein Motorroller. Er schlingerte um die Ecke, schlidderte an ihm vorbei und wurde heftig abgebremst. Die Fahrerin, ein zierliches dunkelhaariges Mädchen, nahm den gelben Sturzhelm mit der Aufschrift RETTET DAS ALTE BUENOS AIRES ab und schüttelte ihre Locken. Es fehlte nichts außer dem Eiskremfleck am Kinn.»Josie«, sagte Davies,»Sie sind Josie Norris.Eins zu Null für Sie«, sagte sie.»wer sind Sie denn? Ich hab' Sie vor unserm Haus gesehen.ich bin von der Polizei«, bekannte er.»police Constable Davies. Ihre Mutter hat mich rausgeschmissen.das paßt zu ihr«, nickte das Mädchen.»Wollen Sie meinen Alten einbuchten? Er hat doch gesagt, er beabsichtige, anständig zu werden.mit Ihrem Vater hat es nichts zu tun. Es geht um Celia.Mein Gott«, flüsterte sie.»sie haben sie doch nicht etwa gefunden?nein. Aber wir hoffen, etwas zu finden.hoffen? Hoffen?«Sie war skeptisch.»und ich hoffe, ich krieg' für meinen alten Roller einen nagelneuen Rolls Royce. Wenn ich 18 bin.und wie lange dauert das noch?acht Monate und drei Tage. Dann bin ich frei. Heutzutage ist man mit 18 frei.das hab' ich schon mal gehört. Ich muß das wohl irgendwie verpaßt haben.sie wollten mit meiner Mutter sprechen, oder?ja. Können Sie das irgendwie hinkriegen?wenn Sie es ernst meinen«, sagte sie nachdenklich.»ich meine, wenn Sie sie nicht nur wie eine Zitrone ausquetschen 52

55 und dann alles einfach wieder hinwerfen. Das hat sie schon zu oft über sich ergehen lassen müssen.ich meine es ernst«, nickte Davies. Zögernd fügte er hinzu:»meiner Meinung nach hat man nie richtig nachgeforscht.warum dann jetzt auf einmal?«er klammerte sich an eine Notlüge.»Weil es neue Informationen gibt. Ein Häftling hat ausgepackt.was hat er gesagt?das darf ich Ihnen nicht sagen.«sie sah ihn von der Seite an.»na gut«, sagte sie,»ich sorge dafür, daß sie mit Ihnen spricht. Kennen Sie das LYONS-CAFÉ in der High Street, neben dem Blumenladen?Kenn' ich.können Sie um drei Uhr da sein? Sie hat Ihnen wohl die Tür vor der Nase zugeschlagen, weil mein Vater zu Hause war. Sie wird da sein.«das kindliche Gesicht über der gelben Öljacke blickte ihn vertrauensvoll an.»aber hören Sie, Chef... Sie müssen versprechen, sie nicht reinzulegen.versprochen«, sagte Davies. Das Tageslicht stahl sich früh davon, als hätte es für heute die Nase voll. Nieselregen - der echte vom Himmel, nicht der von den Kühltürmen - näßte die Schaufenster; Busse nach Cricklewood rauschten durch die Pfützen. Davies drückte sich gegenüber dem LYONS in den Schatten und versteckte sein Gesicht hinter seinem riesigen Mantelkragen. Er fühlte sich in seinem Inkognito sicher und war ziemlich erschüttert, als drei ihm unbekannte Vorübergehende ihn bei seinem Namen anredeten und ihm einen»guten Tag«wünschten. Auch Mrs. Norris hatte ihn früher bemerkt als er sie; sie stand plötzlich vor ihm und sagte:»hier bin ich.«sichtlich verstimmt folgte er ihr über die Fahrbahn ins Café. Sie nickte in Richtung eines Ecktisches, wie um klarzustellen, daß sie die Situation im Griff hatte. Also schlängelte er sich folgsam zu dem Marmortischchen durch, während sie sich an der Selbstbedienungstheke anstellte. Er beobachtete sie aufmerksam. Sie war hochgewachsen, aber ihr Rücken war schon ziemlich gebeugt, obwohl sie erst in den Fünfzigern sein konnte. Ihr Gesicht wirkte erschöpft und ausdruckslos, die Augen fixierten starr den Nacken der Frau vor ihr in der Schlange, nur manchmal ließ sie sie kurz 53

56 umherschweifen, um dann wieder starr nach vorne zu blicken. Davies setzte sich und knöpfte den Mantel auf. Am Nebentisch aß ein Inder Spaghetti und eine doppelte Portion Pommes frites, die er reichlich mit brauner Sauce übergoß. Dabei summte er leise eine Melodie vor sich hin - sicher ein schwermütiges Lied aus den fernen blauen Hügeln-, das er hin und wieder unterbrach, um geräuschvoll seinen Tee zu schlürfen. Mrs. Norris kam mit dem Tee und sah ihn scharf an.»also«, seufzte sie müde, als sie sich gesetzt hatte,»was ist jetzt mit unsrer Celia?Es haben sich neue Erkenntnisse ergeben, Mrs. Norris«, sagte er mit der Amtsmiene, die er manchmal vor seinem Schlafzimmerspiegel probte.»jemand hat geredet. Ich kann Ihnen nichts Näheres sagen, außer, daß er gesungen hat.warum können Sie mir nichts sagen?die Einzelheiten müssen noch überprüft werden.«ihm war unbehaglich zumute.»ohne vorgefaßte Meinung.Ohne vorgefaßte Meinung«, schnaubte sie in ihren Tee.»Das haben sie schon vor 25 Jahren gesagt. Sind das dieselben Meinungen wie damals?«er nickte mitfühlend.»jedenfalls, Mrs. Norris, kann ich mir vorstellen, was Sie damals durchgemacht haben.nein, das können Sie nicht«, flüsterte sie und versteckte Augen und Nase beinahe in der Teetasse.»Keiner kann das. Sie war so eine gute Tochter, Mr. Davies. Sie brachte mir immer Blumen mit, das tun nicht viele Kinder. Und dann taten die so, als wäre sie so etwas wie eine Nutte, nur weil sie ihre Unterhosen nicht finden konnten.«sie schneuzte sich, und als sie die Augen hob, sah Davies, daß ihr Make-up verlaufen war.»nicht weinen, Mrs. Harris«, sagte er hilflos.»nicht hier.es geht schon wieder«, sagte sie.»die Tränen kommen einem nicht mehr so leicht, wie Sie vielleicht denken - nach so langer Zeit.«Nach einer Weile blickte sie ihn ohne große Hoffnung an.»was haben Sie denn herausbekommen?ich habe gerade erst angefangen. Aber ich glaube, nach so langer Zeit sprechen die Menschen Dinge aus, die sie damals vielleicht nur gedacht haben oder von denen ihnen damals nicht klar war, daß sie sie wußten.«sie nickte.»die Leute ändern ihre Ansichten. Das weiß ich nur zu gut.«54

57 »Wieso?«fragte er.»inwiefern?na, wissen Sie, zuerst zeigen sie Mitleid und all den Schmus, und dann gehen sie einem aus dem Weg, und der Klatsch und Tratsch geht los. Über meine Tochter... Und das geht heute noch so. Sie wissen ja, daß sie schon einmal von zu Hause weggelaufen war, sie hatte eben ihren Dickkopf. Eine von den verdammten Sonntagszeitungen hat die ganze Sache vor ein paar Jahren wieder aufgerührt. >Was geschah mit Celia?< war die Überschrift. So ein Typ kam an die Haustür und wollte mich ausfragen. Ich hab' ihm einen Eimer Seifenwasser über den Kopf gegossen.sie möchten vielleicht die Antwort gar nicht erfahren, ist es so?doch, ich will sie wissen, aber nicht auf die Art. Nicht aus den blöden Zeitungen. Die waschen bloß schmutzige Wäsche. Man müßte es irgendwie im stillen anfangen. Das ist der einzige Weg, wie Sie oder sonst jemand noch etwas herausfinden können.als sie das erste Mal weglief«, fragte Davies,»war das mit einem Mann?Ich weiß es nicht.«daß es so war, kränkte sie heute noch.»als sie zurückkam, wollte sie nicht darüber sprechen. Sie hätte eine Abwechslung gebraucht, sagte sie. Von da an hab' ich sie nie mehr gefragt.«das Café war jetzt, am Nachmittag, fast leer. Essensgeruch strömte aus der Küche und hing über der Theke mit den Mittagsgerichten, die keine Abnehmer gefunden hatten. Ein Pennbruder kam herein, nahm höflich den Hut ab und strich sein Zottelhaar mit der Hand zurück; dann setzte er sich an einen Tisch dicht bei der Theke. Von dort aus betrachtete er mit Kennermiene das appetitlich beleuchtete Essen. Er wußte, wann der beste Augenblick zum Zuschlagen war.»schusterpastete für zehn Pence? Das ist nicht mal der halbe Preis«, offerierte die Frau hinter der Theke. Der Tippelbruder schüttelte den Kopf.»Hab' bloß sechs«, antwortete er.»na gut, sechs Pence«, seufzte die Frau.»Kein Wunder, daß alle denken, du bist Millionär.«Davies sagte:»die sollten mal eine Pennerpastete für Schuster anbieten.«mrs. Norris konnte darüber nicht lachen.»es gibt eben auch noch gute Menschen«, war ihr einziger Kommentar. Sie sah Davies wieder an. 55

58 Schließlich sagte er:»mrs. Norris, könnten Sie es ertragen, die ganze Geschichte noch einmal zu erzählen? Alles, was an dem fraglichen Tag passiert ist. Ich habe die Aussagen gelesen, aber ich möchte es von Ihnen hören.von mir aus«, sagte sie müde.»kann ich noch eine Tasse haben?«er stand auf.»ich könnte auch noch eine gebrauchen.das geht sicher auf Polizeikosten?«fragte sie unbefangen.»ich frisiere das ein bißchen, dann mache ich noch einen Schnitt dabei«, sagte er. Er ging zur Theke, um den Tee zu holen.»hallo, Dangerous«, begrüßte ihn der Penner. Als er mit den zwei Tassen zurückkam, begann sie, ohne daß er sie hätte auffordern müssen.»es war am 23. Juli. Am Vormittag blieb sie zu Hause, um mir zu helfen. Sie war immer so hilfsbereit. Es war ziemlich warm, wir hatten die ganze Woche schönes Wetter gehabt. Am Nachmittag ging sie zum Arbeitsamt. Das war damals nur ein kleines Büro, nicht der große Palast, den sie jetzt haben.die Zeiten ändern sich«, nickte er.»sie wollte Krankenschwester werden, nicht wahr?«mrs. Norris nickte.»und sie wäre eine gute geworden. Sie war so ein hilfsbereiter Mensch.«Ihre Stimme war so monoton, als wiederhole sie etwas, was sie schon oft erzählt hatte.»sie sprachen mit ihr über den Beruf, aber als sie nach Hause kam, mußte sie ja gleich wieder weg zu dem bescheuerten Jugendklub. Sie sagte, sie würde mir am Abend alles erzählen. Bloß, sie kam ja nie mehr zurück.sie mochten den Jugendklub nicht?«fragte er.»ich weiß nicht.«sie schüttelte den Kopf.»Es wurde nie darüber gesprochen, aber irgendwas war faul daran. Pater Harvey führte die Aufsicht nicht so, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Er war ja damals noch neu hier. Aber ich glaube, er fühlt sich schuldig. Und er weiß, was ich davon halte.sie mochten auch Mr. Boot nicht?«legte ihr Davies die Worte in den Mund. In ihren Augen flackerte so etwas wie ein Fünkchen von Zutrauen auf. Es erstarb gleich wieder.»nein, ganz und gar nicht. Sie haben ja wohl die Fotos gesehen.ja, eins von Mr. Boot mit Celia und noch einem Mädchen bei einer Art Gartenfest.«56

59 »Ena Brown. So hieß sie damals. Jetzt heißt sie Ena Lind.Lind? Lind? Wer hieß denn noch Lind?«Er versuchte, sich an die Namen in den Akten zu erinnern.»bill Lind, Celias Freund«, sagte sie mit monotoner Stimme.»Sie gingen zusammen. Wie das so ist in dem Alter. Nichts Ernsthaftes.Und er hat die Freundin geheiratet, Ena?Ja. Ungefähr drei Jahre später. Das stand auch in dem Zeitungsartikel. Sie sagten, sie wären >durch die Tragödie zusammengeschweißt< oder so ähnlich. Blödsinn, zusammengeschweißt! Schwanger war sie, ganz einfach. Sie haben jetzt eine Mietwohnung im Hochhaus. Sie sieht aus wie eine Nutte, und er guckt weg, wenn er mich auf der Straße sieht. Tut so, als ob er mich nicht kennt.und Sie mochten Mr. Boot nicht?nein, aus dem hab' ich mir auch nicht viel gemacht.wissen Sie, wo er abgeblieben ist?in Finchley oder Mill Hill oder irgendwo in der Gegend. Er hatte eine Art Disko, stand in der Zeitung. Und jetzt besitzt er einen von diesen neuen Sexläden, ich hab' die Reklame gesehen. So etwas liegt ihm.also immer noch in der Jugendarbeit tätig, was?«bemerkte Davies. Er machte eine Pause. Sein Tee wurde langsam kalt. Er trank ihn aus und verzog das Gesicht.»Haben Sie schließlich, hm... die Kleider zurückbekommen?von der Polizei? Ja, die hab' ich bekommen. Ich hab' sie immer noch. Es war ja nicht viel, es war so warm an dem Tag. Bloß ein grünes Sommerkleid, einen BH, ihre weißen Socken und die Schuhe. Und was alle wissen - ihr Lippenstift, so ein kleines Ding von Woolworth, und ihr Schlüpfer waren nicht da; jeder weiß das.«ihre Stimme klang hart.»und Sie haben die Kleider noch, Mrs. Norris?Ja, aber ich hab' sie weggepackt. Ich zeig' sie niemandem. Auch Ihnen nicht.ja. Das kann ich verstehen. Und der... der junge Mann, der die Sachen in der Toilette gefunden und nach Hause geschleppt hat, kannten Sie den?diesen Parsons? Der arme Teufel. Die Polizei drehte ihn durch die Mangel. Sie wollten halt irgendwen vorzeigen. Aber der war's nicht, Mr. Davies. Ich kannte ihn vorher nicht, aber seitdem 57

60 ist er mir öfters über den Weg gelaufen. Er macht jetzt Musik bei der Heilsarmee. Ich hab' ihn auch im Supermarkt gesehen. Er nickt mir jedesmal zu.was hat Ihr Mann von all dem gehalten?wie meinen Sie das, >gehalten<?wie hat er reagiert?«sie dachte nach.»so wie immer, wenn's Ärger gibt - er hat rumgebrüllt, nach der Polizei geschrien, daß sie was tun sollte...«sie lachte bitter.»genaugenommen war das wohl das einzige Mal in seinem Leben, daß er was von der Polizei wollte. Natürlich war er traurig, bestimmt, aber er kann es eben nicht zeigen. Manchmal bin ich nachts aufgewacht und hab' ihn unten weinen hören. Es hat ihn schon getroffen, genau wie mich.was ist er für ein Mensch, Ihr Mann?Bert Norris ist schon in Ordnung. Meistens jedenfalls.«man merkte, daß sie ihre Worte sorgfältig wählte.»er ist bloß ein Waschlappen, das ist alles. Kein Freund der Arbeit, weiß Gott. Er hat auch schon gesessen, wie Sie sicher wissen. Wegen dummer Kleinigkeiten. Er will immer der Größte sein. Er war schon so, als wir heirateten, aber ich hab' immer gedacht, er wächst da raus. Damals hat er Lebensmittelkarten frisiert. Heute sind es Autopapiere.Er geht mit der Zeit«, bemerkte Davies.»Lieben Sie ihn?«sie blickte ihn ungläubig an.»lieben...? Ob ich ihn liebe? Mein Gott, was für eine komische Frage von einem Bullen. Ich weiß nicht... Ich wohne in demselben Haus mit ihm, wenn Sie das damit meinen. Lieben kann man den nicht - das Wort paßt einfach nicht zu Bert. Nicht zu meinem Mann.Mit Cecil Ramscar ist er befreundet, oder?«der Rest von Überraschung, der sich noch von der vorigen Frage auf ihrem Gesicht spiegelte, lebte wieder auf.»ramscar? Der ist vor Jahren abgehauen. Nie wieder von ihm gehört.er ist wieder da«, sagte Davies auf gut Glück.»Also das ist es«, murmelte sie.»ich dachte mir doch, daß irgendwas im Busch war.meinen Sie Ihren Mann?«Sie wich seiner Frage aus.»ramscar - der kam immer und lungerte bei uns herum, wenn Celia daheim war. Er war immer mit den Pfoten an ihr zugange, tatschte herum, aber das versuchte 58

61 er schließlich bei jeder zwischen acht und 80. Er fand sich toll. Bei mir hat er's auch ein- oder zweimal versucht.«er merkte, daß ihr die Sache peinlich war.»ich... natürlich war ich damals noch jünger, nicht so ein Suppenhuhn wie jetzt...«davies hob die Hand, um zu widersprechen, aber sie legte ihre Hand auf seine und brachte ihn so dazu zu schweigen. Die Finger fühlten sich an wie getrocknete Feigen.»Er hat manchmal zu Bert gesagt, er hätte am liebsten Celia und mich zusammen im Bett. So war er eben. Schweinkram. Hatte nur eine große Klappe.Glauben Sie, daß er für Celias Tod verantwortlich ist?gott allein weiß das.die Polizei konnte ihm nichts nachweisen.konnte sie bei Jack the Ripper auch nicht«, erwiderte sie trokken. Sie sah von der leeren Tasse auf.»ich muß los«, sagte sie,»die Läden machen gleich zu. Wenn Sie noch was wissen wollen, sagen Sie Josie Bescheid. Sie arbeitet bei ANTOINETTE, das ist der Friseurladen neben der Uhr in der High Street.Gut«, sagte er,»mach' ich. Es tut mir leid, daß ich Ihnen Kummer bereiten mußte. Ich hoffe, ich kann in der Angelegenheit was erreichen.«er dachte einen Augenblick nach, während sie nach Mantel und Handtasche griff.»wenigstens«, fuhr er fort,»sind die Leute noch die gleichen. Die meisten, die damals hier wohnten, sind immer noch da oder zumindest nicht weit weg.«ihr Gesicht wurde weicher.»nein, die Leute ziehen nicht oft von hier weg. Es ist eigentlich ganz nett und gemütlich hier.«

62 Kapitel 6 diesem Abend ging Dangerous mit Mod zum WICKELKIND An und ließ sich ordentlich vollaufen. Mod war ungewöhnlich redselig und ließ sich belehrend über die vergifteten Pfeile bestimmter Gebirgsstämme in Indien, die sexuellen Tabus der frühen Inkas und die Geschichte der Straßenbahnen in Liverpool aus. Auf ihrem schwankenden Heimweg zu Mrs. Fulljames trafen sie ein Pferd, das bekümmert die Straße heraufgetrabt kam. Es gehörte dem stadtbekannten Lumpenhändler. Mod sagte, man müsse es der Polizei melden, und meldete es augenblicklich Dangerous, der etwas in sein Notizbuch schrieb. Schließlich banden sie den Gaul an den Türklopfer des nächstbesten Hauses und gingen schlafen. Am nächsten Tag machte Dangerous sich auf die Suche nach Dave Boot. Der Sexladen war nicht schwer zu finden. Er hieß O-LA-LA. Quer über das Schaufenster lief ein Aufkleber, der Sonderangebote ankündigte. Davies, der solch ein Geschäft noch nie betreten hatte, zog die Augenbrauen hoch und höher. Hinter dem Ladentisch wiegte sich ein gertenschlanker Jüngling im Rhythmus der gedämpften Musik. Davies sprach ihn an:»was gibt's im Sonderangebot?Alles, Süßer«, erwiderte der Knabe.»Absolut alles. Hängt natürlich davon ab, was Sie suchen, oder?das weiß ich nicht genau«, sagte Davies.»Oh, was ihr Typen für Probleme habt!«staunte der Verkäufer.»Nehmen Sie doch den japanischen Kitzler, tadellos, nur etwas angestaubt.sind die Gummifrauen auch herabgesetzt?«erkundigte sich Davies.»Ja, aber nur die älteren. Die werden brüchig.wo ist Dave Boot?«60

63 Der plötzlich scharfe Ton, den er anschlug, erschreckte den hochnäsigen Jüngling sichtlich.»dave Boot? Ach so, Mr. Boot. Er ist in der Disko.««Detective Constable Davies.«Dangerous zeigte seinen Ausweis.»Schaffen Sie ihn her, los.«der junge Mann strich sich die Tolle aus der hübschen Stirn und beschäftigte sich mit dem Telefon. Davies sah sich weiter im Laden um, schob einen Vorhang zur Seite und betrat das Hinterzimmer. Zu seiner Überraschung sah er sich einer erst halb aufgeblasenen Gummidame gegenüber, an der noch die Fußpumpe hing; sie lehnte am Schreibtisch. Er konnte nicht widerstehen, trat auf die Pumpe, ließ wieder los, pumpte weiter und sah fasziniert zu, wie die Frau vor seinen Augen lebensnahe Formen annahm. Sie wuchs zu Lebensgröße, dann zur Übergröße und schließlich zu Riesenproportionen. Davies starrte wie gebannt und pumpte weiter und weiter. Die Frau wurde immer dicker. Ihre Augen, ihre Backen, ihre Brüste blähten sich auf. Er konnte das Gummizeug knistern hören. Er pumpte weiter. Ihr schwellendes Hinterteil stieß einen Stuhl um.»halt!«der Schrei kam von der Tür her. Ein großer, dicker Mann im knappsitzenden Jeansanzug stürzte herbei und zog ein Ventil aus einer Hinterbacke. Die Frau schrumpfte erschreckend zusammen.»wenn sie geplatzt wäre, hätten Sie zu Tode kommen können«, sagte der Mann.»Schöner Blödsinn. Ganz schön verrückt, was Sie da gemacht haben!«davies sah traurig auf die zusammensinkende Gestalt.»Jetzt weiß ich, wie Gott zumute ist«, sagte er. Er drehte sich mit einem kalten Blick um.»ein schönes Geschäft haben Sie da.wir erfüllen nur ein Bedürfnis«, war die arrogante Antwort.»Was wollen Sie von mir?ich bin Detective Constable Davies.Das hat Tarquin mir gesagt. Ich bin Dave Boot. Worum geht's denn?kann ich mich setzen? Ich bin außer Puste vom Pumpen.«Boot hob den Stuhl auf, den die Frau umgestoßen hatte. Davies ließ sich erleichtert darauf nieder, während Boot hinter seinem Schreibtisch Platz nahm. Der Jüngling Tarquin schaute durch den Vorhang und fragte, ob Kaffee gewünscht werde. Boot wollte ihn fortschicken, aber Davies sagte, er hätte gern einen. 61

64 »Na gut. Zwei Kaffee«, sagte Boot.»Aber nicht mit dem Finger umrühren«, rief Davies ihm nach. Boot runzelte die Stirn.»Ich habe viel zu tun. Was wollen Sie von mir?ich auch«, sagte Davies leichthin.»furchtbar viel zu tun. Ich möchte, daß Sie mir etwas über Celia Norris erzählen.«vor Überraschung wurde Boot blaß.»celia... Celia Norris?«brachte er schießlich hervor,»mein Himmel, das ist Jahre her.aber Sie erinnern sich doch, oder?ja, natürlich. Aber warum... warum denn jetzt?für Mord gibt's keine Saison.Ja, aber... ach, kommen Sie schon. Was soll das jetzt? Die Polizei ist doch damals alles durchgegangen. Herrgott noch mal, das dauerte ewig. Ich wurde völlig entlastet. Sie hatten nichts...ich habe nicht gesagt, daß etwas gegen Sie vorliegt. Ich frage nur, ob Sie sich erinnern können. Es will Sie ja niemand verhaften.das will ich verdammt noch mal auch meinen«, sagte Boot und fiel wieder in seinen alten Ton zurück.»ich glaube, ich verständige lieber meinen Anwalt. Ich kann kein Aufsehen gebrauchen, schließlich bin ich Geschäftsmann.Wie ich sehe«, sagte Davies und sah auf die abgeschlaffte Gummifrau. Boot folgte seinem Blick.»Und hier gibt's nichts, weswegen Sie mir an den Karren fahren können. Es ist alles legal. Jedenfalls rufe ich jetzt meinen Rechtsanwalt an.das können Sie gern tun.«davies gab sich selbstsicherer, als er sich fühlte.»aber Sie verschwenden nur Ihr Geld. Niemand setzt Sie unter Druck, Mr. Boot. Wir haben den Fall Celia Norris wieder aufgenommen, darum muß ich bei allen Personen nachfragen, die damals ausgesagt haben. Das ist alles.«boot beruhigte sich.»meinetwegen, wenn das alles ist. Weiß der Kuckuck, was dabei rauskommen soll. Ich habe damals alles gesagt.«tarquin kam durch den Vorhang geschlüpft, nachdem er kurioserweise daran wie an einer Tür angeklopft hatte, und brachte ein Papptablett mit zwei Plastikbechern voll Kaffee. Er bedachte Davies mit einem listigen Lächeln.»Hier, Inspector, das ist Ihrer.«Davies und Boot nahmen die Becher. Der Jüngling verzog sich. 62

65 »Ich hab' ihn nicht umgerührt«, rief er noch,»jedenfalls nicht mit dem Finger.«Davies starrte in den Becher und fragte sich, welcher Gegenstand wohl als Löffel gedient hatte, dann stellte er den Kaffee auf den Tisch, ohne zu trinken.»ich nehme an, Sie erinnern sich an den fraglichen Abend«, sagte er, wobei er sich vorbeugte,»an dem sie verschwand.hm, natürlich erinnere ich mich. Ist verdammt lange her... wie viele Jahre?25. Na also. Anfang der 50er Jahre. Das ist nicht gerade gestern. Aber trotzdem, ich kann mich an die Sache noch recht gut erinnern. So etwas kann man ja wohl nicht vergessen.ich hatte gehofft, Sie könnten sich jetzt auf Einzelheiten besinnen, die damals nicht so wichtig schienen. Sie haben ja inzwischen Zeit gehabt, darüber nachzudenken.«boot sah ihn unter schweren Lidern hervor an.»was ich wußte, hab' ich damals gesagt. Jede Einzelheit. Mein Gott, wir haben das lange genug durchgekaut.«davies nickte.»ich habe Ihre Aussagen gelesen. Sie hatten sie im Jugendklub noch gesehen, dann fuhr sie mit dem Fahrrad weg, und das war's. Sie wußten nicht einmal etwas von ihrem Verschwinden, bis eine ihrer Freundinnen es Ihnen einige Tage später erzählte.genauso war es. So habe ich es damals gesagt, und so sage ich es heute.«davies überlegte. Er griff geistesabwesend nach dem Kaffee und nahm einen Schluck. Der Schreck zeigte sich deutlich auf seinem Gesicht, als ihm klar wurde, was er getan hatte. Boot lachte hämisch.»machen Sie sich keine Sorgen wegen dem Kaffee. Allenfalls hat er ihn mit einem Japanischen Kitzler umgerührt.«davies zog eine Grimasse. Er schob den Becher so weit von sich, daß er nicht wieder aus Versehen danach greifen konnte. Vertraulich neigte er sich dann Boot zu.»wissen Sie, Aussageprotokolle sind so trocken wie ein Terminkalender. Ich tat dieses zu dieser Uhrzeit, dann jenes zu jener. Eine Menge Knochen und kein Fleisch dazwischen, wenn Sie verstehen, was ich meine, Mr. Boot. Sie enthalten nichts von dem, was die Menschen fühlen. Das ist es, worauf es mir ankommt. Was haben die Menschen für Celia Norris empfunden? Was haben Sie für sie empfunden?«63

66 »Empfunden?«Boot zuckte die Achseln und breitete die Handflächen aus.»nichts. Gar nichts. Sie war eben nur eines von den Mädchen im Klub.War sie nicht Ihr Typ oder was?«boot wurde wütend.»mann, verpissen Sie sich. Ich will meinen Anwalt. Ich hätte ihn vorher rufen sollen.nicht nötig«, beruhigte Davies ihn.»ich gehe ja schon. Ich wollte Sie einfach mal kennenlernen. Lassen Sie mich nur noch eine Frage stellen, dann verschwinde ich.«boot schmollte und gab keine Antwort, aber Davies tat so, als habe er das nicht bemerkt.»wie würden Sie Celias Verhalten beschreiben, was Sex anbelangt? Sie war 17. Glauben Sie, sie war noch Jungfrau?«Zu seiner Überraschung dachte Boot erst nach.»keine Ahnung. Wie Sie wissen, behielten die Mädchen damals ihre Jungfräulichkeit ein bißchen länger als heute.das denk' ich auch.ja, ich auch. Aber sie waren alle ganz versessen darauf. Wissen Sie, es waren eben... Flirtbienen.Flirtbienen«, lächelte Davies.»Oh, Mr. Boot, das ist ein hübsches altmodisches Wort, das muß ich mir aufschreiben.«er holte umständlich sein Notizbuch hervor und malte liebevoll in Druckbuchstaben das Wort FLIRTBIENE, während Boot ungeduldig zusah. Davies bewunderte sein Werk, als wäre es ein preisgekröntes Kunstwerk.»Flirtbienen«, wiederholte er.»wunderbar.na, sie war jedenfalls eine«, sagte Boot, dem es schon leid tat, daß er überhaupt etwas gesagt hatte. So, als ob er unter einem Zwang stünde, fuhr er fort:»solche nannten wir damals Scharfmacher, erinnern Sie sich, Mr. Davies?Taten wir das?«explodierte Davies.»Wir sagten so was? Und warum nannten wir sie wohl so? Scharfmacher, eine Minute, das möchte ich mir auch aufschreiben.«boot schluckte mühsam, während Davies das Wort direkt unter Flirtbiene schrieb.»meine Güte«, sagte er dann ruhiger.»das versetzt einen echt in die alten Zeiten, nicht wahr, Mr. Boot?Nicht mich persönlich«, murmelte Boot.»So drückte man sich damals eben aus. Das müßten Sie doch wissen.>flirtbiene<, Scharfmacher«, sagte Davies und massierte sich das Kinn.»Celia Norris.Genau die«, sagte Boot trotzig.»celia Norris.«64

67 »Und warum würden Sie so von ihr sprechen?ich hatte doch Augen im Kopf«, sagte Boot entschlossen.»ich konnte schließlich sehen, was für eine sie war. Sie hatte da einen Freund...Bill Lind«, soufflierte Davies.»Der gute alte Bill Lind.«Boot sah ihn unbewegt an.»genau der. Den armen Trottel hat sie fast um den Verstand gebracht. Aber die waren damals alle so, die Mädchen. Heute sind sie wenigstens ehrlich. Und sie bringen was.bringen was?«fragte Davies mit hochgezogenen Augenbrauen.»Sicherlich wissen selbst Sie das. Die jungen Leute sind heute offener und ehrlicher, was Sex angeht. Sie haben nicht diese Hemmungen, die wir hatten.hatten wir Hemmungen, Mr. Boot?«Davies betrachtete die zwei Wörter, die er aufgeschrieben hatte, als hätte er ein Anagramm vor sich, das es aufzulösen galt.»unsere Celia Norris. Eine Flirtbiene«, sagte er grinsend.»eine Flirtbiene. Genau«, nickte Boot gereizt.»und Ena Brown? Die auch?«boot war weiß wie eine Wand geworden.»ena Brown«, murmelte er,»ja, die auch.«im WICKELKIND war ein Vertreter des spanischen Fremdenverkehrsbüros gerade dabei, der ordinären Frauensperson, die sich beim Flamenco den Fuß gebrochen hatte, ein Geschenk zu überbringen. Danach überreichte der Musikautomatenvertreter ein ähnliches Präsent. Geadelt wurde die Zeremonie durch die Anwesenheit der Lokalpresse und einiger Möchtegern-Prominenter, die unbedingt ihr Foto in der Zeitung gedruckt sehen wollten. Der Kneipenwirt lächelte begeistert im Hintergrund. Davies und Mod machten sich relativ früh auf den Weg zum Abendessen im BALI HI in Furtman Gardens.»Ich glaube, da ist mir ein ruhiges Essen in dem öden Raum lieber als das falsche Theater, das wir in der Bar zu sehen bekommen haben. Eitelkeit, Eitelkeit, alles ist Eitelkeit und Reklame.Geschäft«, verbesserte Davies. Er hatte Mod gerade von seinem Besuch bei Dave Boot erzählt.»kannst du dir so einen Laden vorstellen - vom Boden bis zur Decke voll mit Schweinkram.«65

68 »Wahrscheinlich verdient er ganz nett daran«, nickte Mod.»Angeblich gibt es in Arabien Leute, die Schatten an Pilger auf dem glühenden Weg nach Mekka verkaufen. Sie hängen eine Decke an vier Pfosten auf oder mieten sich ein Stück Mauer, und dann knöpfen sie den Menschen Geld dafür ab, daß sie in der Hitze ein paar Minuten im Schatten stehen dürfen. Angebot und Nachfrage.«Im BALI HI fanden sie am Tisch einen neuen Zimmermieter vor, einen Inder namens Mr. Patel. Mod quetschte ihn sofort nach den Stammessitten an der Nordwestgrenze Indiens aus, wozu Mr. Patel aber nichts sagen konnte, da er aus Tottenham stammte. Die dünne Minnie Banks kicherte über das Mißverständnis wie ein Schulmädchen, während Mr. Smeeton, heute im Harlekinkostüm, interessiert aufhorchte.»eine von meinen Nummern ist eine Art Zauberkunststück«, sagte er.»ich könnte gut jemanden mit einem Turban als Assistenten und komische Figur gebrauchen. Hätten Sie Interesse?«Mr. Patel lehnte höflich ab mit der Begründung, daß er in seinem Beruf als Dozent für Metallurgie ziemlich ausgelastet sei und überdies auch keinen Turban besitze. Außerdem entschuldigte er sich dafür, daß ihm die Stammessitten der indischen Nordwestregionen unbekannt seien. Das mußte erst einmal verdaut werden. Es folgte ein unbehagliches Schweigen. Doris ließ ihre Gabel fallen, worauf alle erschraken. Dann sagte Davies diplomatisch:»wahrscheinlich sind die Stammessitten der Nordwestregionen von London um einiges primitiver.er ist Polizist«, sagte Mr. Smeeton spöttisch und nickte mit dem Harlekinkopf in Davies' Richtung.»Aber verdammt unfähig. Was man so hört.«mr. Patel lächelte höflich.»wie schön, wenn in einer Hausgemeinschaft so offene Worte erlaubt sind.polizist«, schnaubte Mrs. Fulljames, die gerade mit einem dampfenden Hexenkessel in den Händen aus ihrer Höhle auftauchte.»polizist!sagen Sie bloß nicht, es ist schon wieder ein Bett verschwunden«, stöhnte Davies.»Nein. Aber das andere ist noch nicht wieder aufgetaucht«, fauchte sie.»es war eine Antiquität. Sie haben wohl auch den 66

69 Radau in der Nacht verschlafen. Die Schreckensschreie und all das. Die ganze Straße war wach - abgesehen von Ihnen.Was war denn letzte Nacht los?ein Pferd war an Mrs. Connellys Türklopfer angebunden. Das hat wohl jemand für einen Witz gehalten.«mod und Davies warfen sich über den Tisch einen verstohlenen Blick zu.»ein Pferd?«wiederholte Davies.»Ich bin Polizist und kein Pferdeknecht.Es handelt sich um ein Verbrechen«, beharrte Mrs. Fulljames und schöpfte das Lammragout auf die Teller. Davies sah, daß Mr. Patel es - ebenso wie Mod - skeptisch betrachtete.»keine Sorge, Mr. Patel«, tönte Mods unsichtbare Stimme geisterhaft hinter der Dampfwolke hervor,»das Fleisch ist vom Schaf, nicht von einer heiligen Kuh.Vielen Dank«, murmelte Mr. Patel.»War das eine Aufregung!«Mrs. Fulljames war immer noch bei dem Pferd.»Der Gaul trampelte dauernd gegen Mrs. Connellys Haustür und brüllte oder wieherte oder wie man das nennt. Als die arme Frau im Nachthemd runterkam, marschierte er schnurstracks in ihr Haus. Sie war wie versteinert. Wer wollte ihr das auch verdenken?ja, wahrhaftig, wer wohl«, sagte Davies und starrte versonnen in den brodelnden Sud.»Wieso hast du nichts gehört?«beschwerte sich Doris.»Meilenweit sind die Leute aufgewacht von dem Geschrei und dem schrecklichen Getöse, das das Pferd machte. Nur du nicht.es ist schnurstracks reinmarschiert«, wiederholte Mrs. Fulljames und setzte sich, so daß die weißen Schwaden ihr Gesicht verschleierten. Die Szene glich allmählich einer Séance.»Und wie dann Mr. Connelly runterkommt, um zu sehen, was los ist, da tritt ihn das Biest auf den Fuß. Jetzt ist er für einen Monat krankgeschrieben.mindestens einen Monat. Wir kennen doch Mr. Connelly«, stichelte Davies.»Und was ist aus dem Pferd geworden? Haben sie es erschossen?es gehört diesem schrecklichen Menschen aus der Stadt, wie heißt er gleich, Scribbens? Dem Lumpenhändler. Der wurde verständigt und holte es schließlich ab. Was für ein gemeiner Streich! Die arme Frau!«67

70 Es wurde still am Tisch, während alle aßen und die Dampfwolken sich langsam verzogen. Dann sagte Mr. Patel:»Polizist. Interessant. Und welches Verbrechen, wenn Sie uns das verraten können, beschäftigt Sie im Moment?Außer meinem verschwundenen Bett«, fügte Mrs. Fulljames giftig hinzu.»nun«, Davies zögerte,»es ist ein Mensch verschwunden, sozusagen.«es war der Tag, an dem die Geschäfte schon mittags geschlossen wurden, doch der Damensalon ANTOINETTE war noch geöffnet. Davies wartete auf der anderen Straßenseite, halb hinter der Telefonzelle versteckt, bis Josie endlich gegen zwei Uhr herauskam. Wie üblich war er leicht aus der Fassung gebracht, als sie ohne Zögern auf ihn zusteuerte.»wie haben Sie mich entdeckt?«fragte er verstört.»entdeckt? Der halbe verdammte Laden hat Sie gesehen«, lachte sie.»sie würden sich wundern, wie bekannt Sie in dieser Gegend sind, Dangerous. Zum Beispiel Marie - das ist meine liebste Kollegin-, ihren Bruder haben Sie vor Jahren mal hochgehen lassen, weil er Schrott geklaut hatte. Aber wegen irgendwelcher Formalitäten ging es dann noch mal gut ab. Sie hatten Ihr Notizbuch verloren oder so was.«davies seufzte.»ja, ich erinnere mich«, gab er zu.»maries Leute auch. Sie sagt, sie lachen sich heute noch halbtot darüber.vielen Dank.«Inzwischen schlenderten sie ohne bestimmtes Ziel an den geschlossenen Läden vorbei die Straße hinunter.»und die Dauerwellenkundin hat erzählt, daß Sie eines Nachts in ihr Haus gekommen sind, weil die Tür offen stand. Und daß dann ihr Alter kam und Ihnen eins mit dem Stuhl übergezogen hat, weil er dachte, Sie wären ein Einbrecher.Ja, das weiß ich noch. Der Stuhl ist dabei kaputtgegangen.bertha - das ist die ANTOINETTE-, also Bertha und fast alle Kunden und Angestellten kennen Sie oder haben schon von Ihnen gehört. Haben Sie nicht bemerkt, wie die sich alle an den Fenstern drängelten, weil sie zusehen wollten, wie Sie versucht haben, sich hinter der Telefonzelle zu verstecken?«68

71 »Na ja, ich dachte mir, daß Sie für so einen kleinen Laden erstaunlich viel Kundschaft hatten«, gab Davies zu.»ich dachte halt, es gibt an manchen Tagen besonders viel zu tun.sie haben mit meiner Mutter gesprochen, oder?«sagte sie plötzlich.»ja.sie hat anscheinend Vertrauen zu Ihnen gefaßt. Kümmern Sie sich immer noch um die Sache mit unsrer Celia?«Davies runzelte die Stirn.»Natürlich. Ich gehe dem Fall erst seit ein paar Tagen nach.was soll das schon bringen - nach 25 Jahren?«Josie zuckte die Achseln.»Ich hab' ein paar Butterbrote dabei. Ich wollte mit dem Bus zum Stausee rauffahren. Mein Roller hat einen Platten. Ich möchte am Ufer in der Sonne sitzen. Wenn schon mal schönes Wetter ist.«das war es wirklich. Die Oktobersonne war schon am Vormittag hin und wieder herausgekommen, und jetzt lachte sie vom blauen Himmel wie im Bilderbuch.»Sie können mitkommen, Dangerous, wenn Sie wollen«, sagte Josie.»Ich schaffe meine Brote sowieso nicht allein.na gut«, sagte er. Sie gingen an den verschlossenen Ladenfronten vorbei. Die weißen Kühlturmriesen sahen im Sonnenschein wie frisch gewaschen aus. Davies und Josie gingen einträchtig nebeneinander her. Im Bus, der wie gerufen kam, setzten sie sich unten hin, ohne miteinander zu sprechen. Sie stiegen beim Stausee aus, der in der klaren Luft außerhalb des Fabrikrauchs friedlich dalag. Drei kleine Boote, eins davon mit einem roten Segel, glitten über die stille Wasserfläche. Davies und Josie suchten sich eine Bank mit Aussicht auf den See und setzten sich. Josie packte ihre Butterbrote aus und gab ihm eins ab. Es war mit Käse und Gurken belegt.»ihre Mutter«, sagte Davies kauend,»sie ist wohl nie darüber hinweggekommen, oder?man braucht kein Maigret zu sein, um das zu merken«, antwortete sie, ohne ihn anzusehen.»sie wird das nie vergessen können. Jedes Jahr, wenn der Tag im Juli kommt, wird sie fast verrückt.«sie hielt inne, als überlegte sie, ob sie noch mehr sagen sollte. Dann fuhr sie entschlossen fort:»ich weiß, es klingt komisch, wenn ich das sage, aber es... es ist für sie fast so etwas wie ein Lebensinhalt geworden.«69

72 Davies sah sie von der Seite an und pfiff leise durch die Zähne.»Wie seltsam, das so zu sehen«, sagte er.»das hab' ich ja gesagt«, wehrte sie ab.»wirklich, Dangerous... Macht es Ihnen was aus, wenn ich Sie so nenne? Wie ist eigentlich Ihr richtiger Vorname?Percival«, log er. Sie sah ihn nachdenklich an.»dangerous...«, sagte sie langsam und grub die Zähne in ihr Sandwich. Sie hatte ein feingeschnittenes, hübsches Gesicht und weichfallendes Haar. Ihr Mantel stand offen, und darunter deuteten sich ihre kleinen Brüste unter dem weiten Pullover an. Die Sonne schien auf ihr blasses Großstadtgesicht.»Was denn, Josie?Dangerous, ist dir die Sache wirklich wichtig?ja.warum? Ich meine, warum gerade jetzt? Diesen ganzen Blödsinn, von wegen, jemand im Gefängnis hat etwas Neues gesagt, den glaube ich ganz einfach nicht, selbst wenn meine Mutter es tut.ich hab' es eben nicht gern, wenn eine Sache einfach aufgegeben wird«, verteidigte er sich.»findest du nicht, daß ich es aufklären sollte?«er zögerte.»wenn ich kann.wem soll das nützen, Dangerous?«fragte sie ruhig. Sie klappte ihr Sandwich auf und murmelte:»ohne Gurke.«Dann wandte sie ihm das kleine Gesicht wieder zu.»wer hat was davon? Etwa Celia oder meine Mutter? Oder tust du es für dich?«ein Schuldgefühl durchzuckte ihn.»es ist nicht für jemanden«, widersprach er.»das einzige, was mich interessiert, ist, daß ein Mensch immer noch unbehelligt herumläuft, der Blut an den Händen hat.getrocknetes Blut«, verbesserte sie.»er erinnert sich vielleicht schon gar nicht mehr daran. Hast du schon mal einen Mordfall bearbeitet?nein.«er mochte sie nicht ansehen.»das ist der erste.hat der Inspector - oder wie dein Vorgesetzter heißt - dir den Auftrag gegeben? Oder machst du das auf eigene Faust?Es war meine Entscheidung«, murmelte er. Er drehte sein Butterbrot in der Hand herum und wählte sorgfältig die Stelle, an der er zubeißen wollte.»das hab' ich mir gedacht. Es ist also so etwas wie ein Hobby.«70

73 Das hatte auch Pater Harvey gesagt. Das Wort zum zweiten Mal zu hören, verletzte ihn.»es ist kein Hobby«, sagte er wütend.»ich werde herausfinden, wer Celia getötet hat.reg dich bloß wieder ab«, sagte Josie. Sie sah ihn ruhig an.»ich frage mich ja nur, ob jemand was davon hat. Ich möchte am liebsten nichts damit zu tun haben, das kann ich dir gleich sagen. Aber meine Mum denkt, du könntest etwas erreichen.«sie blickte auf und griff nach seinem Arm.»Mein Gott«, rief sie,»das kleine Boot ist gekentert, Dangerous. Da schwimmt einer im Wasser.Das machen sie mit Absicht«, antwortete Davies, der aufschaute.»die Leute rufen uns an - und die Feuerwehr und Gott weiß wen sonst. Wir sagen ihnen dann immer, sie sollen sich keine Sorgen machen, es gehört einfach zum Segeln dazu. Die Segler finden es toll.die laßt ihr also in Ruhe«, sagte sie anzüglich.»so ist es. Aber eines Tages ertrinkt einer dabei, dann gibt's ein großes Geschrei, und alle fragen, warum wir nichts unternommen haben.«sie seufzte und warf den Rest ihrer Brotscheibe einem hungrigen Vogel hin. Der Piepmatz flog erschrocken weg und kam dann scheu zurück; er konnte sein Glück kaum fassen.»wie weit bist du denn gekommen?«fragte sie.»hast du schon was gefunden?nur Kleinigkeiten. Es wird eine Weile dauern. Willst du mir helfen?«sie löste ihren Blick von dem Vogel.»Na gut. Aber link nicht meine Mutter. Das hat man mit ihr 25 Jahre lang gemacht.«sie zögerte, ob sie weitersprechen sollte.»sogar jetzt noch - ich weiß, es klingt verrückt-, aber sie glaubt anscheinend jetzt noch, du könntest ihr Celia zurückgeben - und zwar lebendig.mein Gott, nein.mein Gott, doch«, sagte sie.»merkst du, worauf ich hinaus will? Ich war immer nur eine Art Ersatz für sie, verstehst du? So etwas wie eine Zweitausgabe von Celia. Sie bekam zwar bald nach Celias Tod noch ein Baby, aber es kam tot zur Welt. Das war auch nicht gerade ein Trost.Kann ich mir denken«, nickte Davies. Der Segler hatte sein Boot wieder aufgerichtet und kletterte hinein. Er trug gelbes Ölzeug und eine Schwimmweste. Davies sagte:»du hast vorhin eine seltsame Bemerkung über deine Mutter gemacht...«71

74 »Daß Celia ihr Lebensinhalt ist? Ja, ich weiß, es klingt komisch, aber es sieht wirklich manchmal so aus. Wenn das nicht passiert wäre, dann wäre Celia eines Tages erwachsen gewesen, hätte geheiratet und wäre von zu Hause weggegangen wie jeder normale Mensch. In gewisser Beziehung hat meine Mutter eine engere Beziehung zu ihr, seit sie tot ist. Wenn sie tot ist. Ich kann mich anstrengen, so viel ich will, Dangerous, ich werde doch nie ihren Platz ausfüllen.«er berührte ihre Hand mit dem angebissenen Butterbrot.»Ich verstehe.«sie lächelte kindlich zurück. Noch immer wärmte die Sonne ihre Gesichter.»Schade, daß du Celia nicht gekannt hast«, meinte er.»nicht gekannt!«sie lachte bitter.»ich hab' mein ganzes Leben mit ihr zugebracht, Kumpel.Du magst sie nicht besonders gern, oder?da gibt's niemanden zum Gernhaben oder Hassen. Ein Gespenst kann man nicht lieben. Ich habe sie nie gesehen, nie sprechen hören, für mich ist sie nur ein Name. Aber ein Name, der ständig auftaucht, wenn du weißt, was ich meine. Wenn meine Mutter tauschen könnte, würde sie Celia haben wollen und nicht mich. Damit muß ich leben, verstehst du.«davies nickte.»ich verstehe«, sagte er wieder. Und nach einer Pause:»Glaubst du, daß deine Mum weiß, wer es getan hat?ich glaube, sie meint, sie wüßte es.«josie wischte sich ein Bohnenstückchen vom Kinn.»Zum Beispiel Cecil Ramscar?Sie hat nie etwas davon gesagt.und was glaubst du?weiß der Himmel. Ich war vor 25 Jahren noch nicht dabei. Aber er schon. Er hat ja einen Kranz geschickt.«

75 Kapitel 7 Auf dem Rückweg zum Revier dachte er über Ramscar nach. Als er dort ankam, entdeckte er, daß jemand den Aktenordner in den Schrank mit den Teebeuteln, den Trophäen von Polizeisportfeten und den Kanistern mit Tränengas eingeschlossen hatte. Den Schlüssel hatte ein Kollege eingesteckt, der sich gerade beim Gericht aufhielt. Davies ging gleich hinüber. Das Gericht hatte an diesem Tag viel zu tun; wie üblich waren eine Menge Leute mit Einkaufskörben, Taschen und erwartungsfrohen Mienen erschienen, um eine Weile zuzuhören. Davies stahl sich so leise wie möglich hinein, stolperte aber sogleich über eine Schubkarre, die als Beweisstück für den gerade anstehenden Fall herumstand. Alle drehten sich nach ihm um. Die Zuschauer lachten, die Polizisten und Richter seufzten, und der Mann auf der Anklagebank riß erstaunt den Mund auf. Peinlich berührt erkannte Davies ihn wieder: Es war der Mann, dem er neulich mitten in der Nacht geholfen hatte, einen Sack voll Gemüse über die Gartenhecke zu wuchten. Er verdrückte sich zur Seite, wo der Beschuldigte ihn nicht sehen konnte. Der Angeklagte wurde gerade in den Zeugenstand gebracht, um in seiner Sache auszusagen. Während er mit biederer Stimme die Eidesformel vorlas, blickte Davies sich suchend nach dem Sergeant um, der den Schrankschlüssel in der Tasche haben mußte. Der Kollege saß am Ende einer Reihe von Polizisten, die alle darauf warteten, im Laufe des Nachmittags als Zeugen aufgerufen zu werden. Darum bemüht, nicht zu stören, schlich Davies geduckt wie ein Soldat durchs feindliche Feuer zu dem Sergeant hin, ging neben ihm in die Knie und bat ihn flüsternd um den Schlüssel. Plötzlich bemerkte er, daß es ringsum still geworden war und die Götter am Richtertisch mißbilligend auf ihn herabsahen. Publikum und Zeugen waren aufgesprungen, um einen Blick auf den Zwerg in dem aufgebauschten Regenmantel zu erhaschen, der so auffällig unauffällig durch den Raum gehuscht war. 73

76 »Sie sind doch Mr. Davies?«fragte der Vorsitzende, der genau wußte, daß dem so war.»jawohl, Euer Ehren«, erwiderte Davies, immer noch am Boden hockend.»dauert es noch lange?nein, Sir. Verzeihung, Sir. Es geht nur um den Schlüssel zum Schrank im Polizeirevier.«Er sah den uniformierten Sergeant flehend an, der in seinen Taschen wühlte und schließlich den Schlüssel zum Vorschein brachte. Davies trat immer noch gebückt den Rückweg durch den Saal an.»mr. Davies«, rief der Vorsitzende.»Sie brauchen wirklich nicht weiter den Glöckner von Notre Dame zu spielen. Sie können gehen wie ein normaler Mensch.«Gelächter erhob sich. Davies, der am liebsten im Boden versunken wäre, richtete sich in voller Länge auf und verbeugte sich vor dem Richtertisch. Dann tat er einen Schritt zurück und wäre über die Schubkarre gestolpert, hätte ihn nicht eine Hand am Kragen gepackt und ihn gezwungen, sich auf einen leeren Stuhl zu setzen.»setzen Sie sich«, zischte der Gerichtsdiener wütend,»setzen Sie sich bloß hin.«davies sank erleichtert auf den Sitz. Der Prozeß wurde fortgesetzt. Der Beschuldigte appellierte an die Gefühle des Gerichts.»Eure Lordschaft, die Parzelle hat immer der Familie gehört. Mein Vater und mein Großvater haben sie besessen. Dann ich. Es war wie ein heiliges Vermächtnis. Ich hab' sie übernommen - um der Tradition willen-, aber dann wurde ich krank und hatte monatelang nur das Krankengeld und konnte die Pacht nicht zahlen. Und da kommt die Stadt und nimmt sie mir einfach weg. Nach so langer Zeit...«Davies ertappte sich dabei, wie er teilnahmsvoll nickte.»mein Stück Land«, schluchzte der Angeklagte,»sie haben es einfach einem anderen gegeben.«der Vorsitzende beugte sich vor.»und Sie glauben also, das gibt Ihnen das Recht, in der Nacht die Beete abzuernten?ich hab' sie doch selbst gedüngt«, grollte der Mann. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Gerichtssaals, und ein verspäteter Zeuge wurde eingelassen. Davies, vom Wachtmeister durch einen Rippenstoß ermuntert, ergriff die Gelegenheit, hinauszuschlüpfen, während der Gartengauner wieder seinen Platz auf der Anklagebank einnahm. Ohne recht zu wissen, 74

77 weshalb, bedachte Davies ihn mit einem langen, nachdenklichen Abschiedsblick. Als Davies zur Revierwache zurückkehrte, war der Eingang von einem Haufen aufgeregter Jungen verstopft. Sie stritten sich lauthals um den Besitz einer Schildkröte, die unbeteiligt auf dem Tresen herumkroch. Der Sergeant vom Dienst stoppte den Lärm mit einem einzigen scharfen Kommando. Davies zog unwillkürlich die Schultern ein.»also - wer hat das Mistvieh zuerst gefunden?«wollte der Sergeant wissen, worauf der Tumult wieder losging. Durch den Lärm hindurch rief er Davies zu:»der Yard hat noch einige Akten über Ramscar geschickt, Dangerous. Du sollst sie dir ansehen und dann zu Yardbird raufgehen. Sie sind in deinem Fach.«Davies kämpfte sich durch die rangelnde Horde hindurch. Ein paar von den Kleineren hatten angefangen zu weinen. Er machte die Tür des Büroraums hinter sich zu. Ein Polizist, der seit Menschengedenken nur den Verkehr geregelt hatte, saß am Tisch und beugte sich kauend über den Packen Pornofotos, den Detective Sergeant Myers so gründlich untersucht hatte.»hallo, hallo, hallo«, sagte Davies herzlich.»immer eifrig den Verkehrssündern auf der Spur, was?«der Kollege grinste verlegen, stand aber auf und legte die Bilder in ihre Schachtel zurück.»ihr hier habt's gut, Dangerous«, seufzte er.»ich krieg' den lieben langen Tag nichts zu sehen als die beschissenen Autofahrer und Kindergartentanten.«Betrübt schlurfte er hinaus. Davies nahm die neue Ramscar- Akte aus seinem Fach und öffnete sie. Sie enthielt Berichte und Fotos aus Australien und Amerika. Er blätterte das Material gewissenhaft durch, überflog den Text und vertiefte sich in die Fotografien, auf denen Ramscar im Laufe der Jahre immer dicker und augenscheinlich wohlhabender wurde. Ein einzelnes Foto befand sich in einem Umschlag mit der Aufschrift: Zurück ans Kriminalarchiv New Scotland Yard, London. Es war ein Hochzeitsbild von Ramscar. Davies versuchte einen Pfiff durch die Zähne - ein Kunststück, das ihm meistens mißlang; er brachte auch jetzt nur ein schwaches Zischen zustande. Das Bild trug auf der Rückseite ein Datum: 14. Mai Davies drehte es langsam wieder um. Die Aufnahme zeigte eine unbewegliche, von den Füßen bis zum Lächeln in Posen erstarrte 75

78 Hochzeitsgruppe. In der Mitte stand Ramscar, ein Mann in den Dreißigern, mit einer stattlichen Blondine am Arm, deren Brautstrauß, Hut und Frisur von einem stürmischen Luftzug gezaust wurden. Die Hosenbeine der Männer standen steif wie Fahnen im Wind. Ramscar hatte nicht nur eine Blume im Knopfloch, sondern hielt auch schelmisch eine zwischen den Zähnen. Rundherum gruppierte sich eine Clique aus der Londoner Unterwelt mit ihren Damen, darunter auch Mrs. Norris. Sie stand mit gleichgültigem Gesichtsausdruck neben einem unscheinbaren Mann, der - wie er zu Recht annahm - Albert Norris war. Im Vordergrund stand eine zierliche Kleine mit einem Häubchen, die einen Blumenstrauß in der Hand hielt und verlegen grinste, wie kleine Mädchen es bei Hochzeiten zu tun pflegen. Zuerst achtete Davies kaum auf sie, dann sah er genau hin und betrachtete das Foto noch einmal unter dem Vergrößerungsglas, das er sich wieder ausgeliehen hatte. Kein Zweifel - es war Josie. Nach einer Weile klappte er den Aktenordner zu und brachte ihn vier Treppen hoch zu Inspector Yardbird. Er klopfte an und mußte volle zwei Minuten warten, bis Yardbird antwortete. Der Inspector hatte am Fenster gestanden, wie man an der frischen Zigarettenasche auf dem Fußboden erkennen konnte; auf dem Flachdach des Studentinnenheims stand eine junge Frau und blickte auf die Straße hinunter. Inzwischen saß Yardbird wieder an seinem Schreibtisch und tat so, als sei er in seine Schreibarbeit vertieft.»ramscars neue Akte, Sir«, sagte Davies und legte die Mappe auf den Rand des Schreibtischs.»Ich habe sie durchgesehen.na und, irgendwas Neues?«Yardbird blickte von dem Bericht, den er so geflissentlich schrieb, kaum auf.»das eine oder andere.«davies zuckte die Achseln.»Ich habe schon eine ziemlich genaue Vorstellung von ihm. Jetzt brauche ich ihn nur noch zu finden.das war's, was Sie von Anfang an sollten, Davies. Sie müssen ja nicht seine Lebensgeschichte schreiben, wir wollen nur wissen, wo er steckt«, sagte Yardbird mit gleichgültiger Bissigkeit.»Ich habe Erkundigungen eingezogen, Sir. Nach allen Seiten. Es sollte nicht mehr allzulange dauern, bis ich ihm über den 76

79 Weg laufe.«er machte eine Pause und entschloß sich dann, weiterzureden, obwohl Yardbird immer noch schrieb und seine Augen auf den Bericht geheftet hatte.»er hat praktisch überall Ärger gemacht, wo er auftauchte.wie wir wissen«, seufzte Yardbird.»Alle möglichen schmutzigen Sachen. Das hab' ich Ihnen doch schon ganz am Anfang gesagt.«davies stand auf und nahm die Mappe wieder an sich.»dann behalte ich dies noch, zusammen mit unseren eigenen Akten. Da steht genügend drin, um ihn an den Galgen zu bringen.«endlich blickte Yardbird auf.»was reden Sie denn da, Davies?«fragte er seufzend.»mein Gott, Sie sind manchmal so geschwätzig wie ein altes Weib. Sehen Sie nicht, daß ich bis über die Ohren in Arbeit stecke?verzeihung«, sagte Davies und ging auf die Türe zu.»was war das überhaupt? Was haben Sie gerade gesagt?«für die Antwort, die ihm herausrutschte, hätte Davies sich später am liebsten geohrfeigt.»er war schon einmal fast reif für den Galgen. Erinnern Sie sich an den Mordfall Norris?Mordfall?... was für ein Mord?Norris, Celia Norris. 17 Jahre. Juli Niemals aufgeklärt.«yardbird legte den Stift hin.»jetzt hören Sie mal zu, Davies«, sagte er gereizt.»hören Sie verdammt noch mal auf, wieder alles durcheinanderzubringen. Ich habe Sie losgeschickt, um eine Person ausfindig zu machen, und nicht, damit Sie die Weltgeschichte neu schreiben. Ich hatte ja gleich meine Zweifel, ob Sie der Sache mit Ramscar gewachsen sein würden; ich sehe jetzt, wie recht ich damit hatte.nein, Sir«, protestierte Davies.»Ich werde Ramscar finden.also gut, Mann, dann finden Sie ihn. Machen Sie, daß Sie loskommen, und finden Sie ihn! Und hören Sie auf, in der alten Scheiße herumzurühren, für die sich niemand mehr interessiert.«davies schloß die Tür von außen.»selber Scheiße«, murmelte er.»zufällig interessiere ich mich dafür.«der Nachmittag war reichlich kühl für jemanden, der strippen will. Davies tat die Frau auf der Bühne leid, die das übliche Ritual abspulte. Ihr Gesicht war leer, ihre Bewegungen nie ganz im Einklang mit der schrillen Musik, die irgendwo zwischen den farbigen Lämpchen, die die Vorstellung in ein trübes Licht tauchten, her- 77

80 vorschallte. Das Publikum auf den zerschlissenen Stühlen war auch nicht gerade Spitzenklasse. Es bestand aus drei warm angezogenen Herren, die sich wie Maulwürfe in ihre Mäntel eingerollt hatten, und einem vierten, der behäbig schnarchte. Dann war da noch ein Fleischergeselle, dessen Lieferfahrrad Davies schon draußen aufgefallen war; er saß in seiner fleckigen, gestreiften Schürze da und taxierte die Frau fachmännisch. Außerdem sah Davies noch zwei langhaarige Jugendliche, die er schon mehrfach vor Gericht angetroffen hatte. Lediglich die Anwesenheit einer Rotkreuzschwester verwunderte Davies ein wenig.»wozu ist die da? Für den Fall, daß jemand vor Aufregung in Ohnmacht fällt?«fragte Davies den Rausschmeißer.»Nö, das is' keine richtige Schwester. Die da könnte einem nicht mal 'n Pflaster auf den Hintern tun. Die is' 'ne Nummer in der Show.Was für eine Nummer denn? Vielleicht Mund-zu-Mund-Beatmung?Nö. Die zieht sich die Klamotten aus. Schwarze Strümpfe und so 'n Zeug. Schwestern-Strip is' 'n Knüller.«Er warf einen verächtlichen Blick in Richtung Publikum. Ein kleiner, farbloser Mann mit Affenarmen war ausgeschickt worden, Albert Norris zu suchen. Jetzt kam er zurück, trottete quer über die Bühne, wobei er fast mit dem ausschwenkenden Po der Künstlerin kollidierte, und näherte sich ihnen wie ein dressierter Schimpanse.»Abgehauen«, sagte er,»ab durch die Hintertür.«Davies drängte sich zwischen den apathischen Zuschauern hindurch, die aus ihrer schläfrigen Verzückung nicht einmal aufblickten, betrat rasch die Bühne mit einer entschuldigenden Verbeugung gegenüber der hüllenlosen Dame, und entdeckte den Ausgang direkt neben der wackligen Seitenkulisse. In der Eile schloß er die Türe nicht ganz, was mit lautem Gezeter der Stripperin quittiert wurde.»tür zu! Mach doch die verdammte Tür zu!«eine Entschuldigung murmelnd, drehte er sich noch einmal um, aber die Dame war ihm schon, nackt wie sie war, fast bis auf die Straße gefolgt, machte eine rüde Bemerkung und schmetterte die Tür zu. Er befand sich in einer Lieferantenzufahrt hinter mehreren Läden und sah gerade noch, wie Norris an deren Ende um die Ecke 78

81 auf die Hauptstraße bog. Davies beschleunigte unauffällig seinen Schritt. Norris war zwar klein, aber in seinem karierten Mantel kaum zu übersehen. Als Davies in die Hauptstraße einbog, blickte Norris sich gerade um, um zu sehen, ob ihm jemand folgte. Er blieb stehen, betrat dann ein Kino und schloß sich einer Schlange von Senioren an, die sich wegen der verbilligten Karten für die Nachmittagsvorstellung an der Kasse angestellt hatten. Als Davies das Foyer erreichte, war Norris bereits drinnen. Davies löste eine Eintrittskarte. Im Vorführraum konnte er, nachdem seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, die vielen leeren Sitze erkennen. Die Handvoll Zuschauer saß in der Mitte wie auf einer Insel zusammen - so als würden sie sich zum Schutz aneinanderdrängen. Davies schlich leise näher. Als er die kleine Kolonie erreichte, sah er, daß sie aus lauter alten Leuten bestand, die sich leise wiederkäuend mit entrückten Gesichtern dem Schauspiel widmeten, das jetzt auf der Leinwand begann. Die einzige Ausnahme war die karierte Gestalt von Albert Norris, die sofort ins Auge fiel. In der Reihe vor ihm war noch ein Sitz frei. Davies drängte sich an der Reihe von dürren, harten Knien und Händen vorbei und setzte sich auf den freien Platz. Dann drehte er sich um und sah Albert Norris an.»können Sie gut sehen?«erkundigte er sich höflich.»wozu läufst du mir nach?«fragte Norris grob.»ruhe! Psst!«tönte der Chor der Alten.»Verzeihung«, entschuldigte Davies sich in die Runde. Er sah zwei Minuten lang dem Film zu, dann wandte er sich wieder an Norris, dem Wieselgesicht zwischen all den dünnen Kaninchengesichtern.»Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten«, flüsterte er.»schsch!pst!haltet die Klappe«, empörten sich die alten Leute. Die Greisin, die neben Davies saß, stieß ihm ihren spitzen Ellbogen in die Rippen. Er blickte Norris unverwandt an.»unterhalten?«fragte Norris.»Über was denn?über alles mögliche. Zum Beispiel Ramscar.«Selbst im Halbdunkel war zu sehen, wie sich Norris' Ausdruck veränderte. Dann aber wurde Davies an der Schulter gepackt, und als er sich umdrehte, stand ein alter Mann mit wütendem Gesicht neben ihm; die Melone hing ihm schief und drohend auf dem Kopf. 79

82 »Warum geht ihr Schwulis nicht und setzt euch woanders hin?«fragte er.»müßt ihr hierher kommen und anständigen Menschen den Film verderben?«ein Chor von entrüsteten Stimmen feuerte ihn von allen Seiten an.»wenn ihr Händchen halten und Süßholz raspeln wollt, dann geht doch in den Park«, fuhr der Sprecher fort.»wenn ihr euch jetzt nicht rausschert, werden wir nachhelfen.jagt sie raus«, rief eine Stimme.»Komm, Liebling, gehen wir lieber«, sagte Davies laut.»das soll wohl komisch sein«, erboste Norris sich. Er stand auf und zwängte sich zwischen den alten Herrschaften durch. Davies folgte ihm. Die Greise knufften sie und droschen mit Stöcken und Regenschirmen auf sie ein.»tunten!warme Brüder!«Davies legte zärtlich den Arm um Norris' Taille, während ihnen die altmodischen Schimpfwörter nachgerufen wurden. Norris schüttelte ihn wütend ab. Von Zischeln und Kichern begleitet, gingen sie zum Ausgang. Sie marschierten mit einem Abstand von einem Meter - wie Freunde, die sich gestritten haben - den Fußweg am Kanal entlang. Es dämmerte allmählich, und die Häuser und Hinterhöfe der Läden und kleinen Fabriken auf beiden Ufern bildeten eine düstere Kulisse.»Wo ist Ramscar?«fragte Davies.»Woher zum Teufel soll ich das wissen?«gab Norris zurück. Davies fand, daß Josie außer der geringen Körpergröße nichts von ihrem Vater geerbt hatte. Seine Augen hatten einen stechenden Blick. Davies starrte auf das trübe Wasser des Kanals. Norris sagte:»wenn Sie nicht aufhören, mich und meine Frau und meine Tochter zu belästigen, dann werde ich mich über Sie beschweren. Auch ein Bulle darf die Leute nicht einfach schikanieren, oder hat man Ihnen das nicht beigebracht?schikanieren?«sagte Davies langsam.»schikanieren? Dies ist das erste Mal, daß Sie mich mit Ihrer Gesellschaft beehren, Mr. Norris.Aber Sie haben sich schon an meine Frau herangemacht und an Josie. Ich höre ja, was da läuft. Und mir gefällt das verdammt 80

83 noch mal ganz und gar nicht. Ich bin raus aus allem, ich hab' schon zwei Jahre lang kein Ding mehr gedreht. Nein, stimmt nicht, es sind jetzt schon vier Jahre. Sie haben also keinen Grund...Dann wissen Sie also, worum es mir geht?um unsere Celia, meinen Sie«, sagte Norris. Er wandte Davies sein hartes, schmales Gesicht zu.»sie ist nun mal tot, und keiner weiß, wer's getan hat. Also kommen Sie mir nicht mit dem Quatsch, daß die ganze alte Geschichte wieder aufgerührt werden soll. Es ist verdammt grausam, ja ekelhaft, was ihr Bullen euch manchmal so leistet.hat Ramscar es getan?«fragte Davies ruhig.»herrgott, nein. Nein, nein, nein. Er war's nicht.«norris war stehengeblieben und packte Davies heftig am Ärmel.»Nun hören Sie mal zu, Freundchen. Es war nicht Ramscar. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Er war in Newmarket. Denken Sie, ich hätte das verschwiegen? Sie war schließlich meine Tochter!«Davies sah aufmerksam in das verbitterte Gesicht.»Wo ist Ramscar jetzt?«fragte er. Norris setzte sich ärgerlich wieder in Bewegung.»Ich sag' Ihnen doch, ich weiß es nicht. Er hat sich vor Jahren ins Ausland abgesetzt. Man sollte denken, das hätte inzwischen sogar die Polizei mitgekriegt.ich habe gehört, er ist wieder da«, gab Davies zurück. Auf dem Kanal schwamm eine Ente gelassen umher und kreuzte mit ihrem Partner im Kielwasser unter der Brücke durch. Davies fragte sich, ob Enten jemals kalte Füße bekommen.»gut, dann wissen Sie mehr als ich«, sagte Norris.»Ich hab' nichts von ihm gehört. Fragen Sie besser jemand anderen als gerade mich.was ist aus seiner Frau geworden?«fragte Davies. Norris war ehrlich erstaunt.»seiner Frau? Allmächtiger Gott, das dauerte doch nur einen Monat. Zum Kuckuck, die Frau - die hatte ich total vergesssen. Gott weiß, wo sie abgeblieben ist. Ich jedenfalls nicht.wie hieß sie?«norris blieb stehen und hielt die schmalen Hände mit den Handflächen nach oben.»weiß ich nicht, Mr. Davies, weiß ich nicht. Elsie oder Mary oder so, ich weiß es nicht mehr. Ich kannte sie kaum. Es ist schließlich eine beschissene Ewigkeit her.«81

84 »14. Mai 1965«, sagte Davies nachdrücklich, aber zu seiner Enttäuschung machte die präzise Zeitangabe auf Norris keinen Eindruck. Alles, was er sagte, war:»kann gut sein.was machte sie, diese Elsie oder Mary? Wovon lebte sie?gütiger Himmel, das weiß ich doch nicht. Wenn ich es gewußt habe, hab' ich es vergessen.ging sie auf den Strich?«Norris überlegte.»nein, bestimmt nicht. In dieser Hinsicht war Cecil anspruchsvoll.«er blieb abrupt stehen, als sei ihm plötzlich klargeworden, daß er zuviel redete. Sie waren an der Stelle angelangt, wo die gewölbte Brücke mit der Lampe sich über den Kanal spannte und in der anderen Richtung die enge Gasse zum Pfandhaus und zum Massagesalon in der High Street führte. Es war der ideale Platz, um eine Pause zu machen. Sie gingen auf die Brücke und schauten auf die wenig einladende Wasserfläche hinab.»warum hat Ramscar einen Kranz geschickt?«fragte Davies. Norris nickte schwach.»meine Alte vermutlich. Oder Josie. Eine von beiden hat geplappert.warum der Kranz?Sie sind so superschlau, Sie mit Ihren bescheuerten Fragen und Antworten. Cecil wollte keinen Kranz schicken. Er ist ja nicht blöd. Er hatte einen anderen Typ, einen verkifften Trottel namens Rickett, beauftragt, ein paar Blumen zu schicken. Aus Mitgefühl, so wie man jemandem Blumen schickt, wenn man ihn aufmuntern will. Cecil wollte bloß nett sein, und Rickett sollte sie halt schicken. Aber dieser Blödmann hat sich besoffen und aus Versehen einen Kranz geschickt. Cecil war sauwütend und ließ Rickett aufmischen.aufmischen?aussortieren. Der kann heute nicht mehr richtig gehen.mr. Norris«, sagte Davies,»bitte berichten Sie mir jetzt der Reihe nach, was an dem Tag passierte, als Celia verschwand.«norris sank in sich zusammen.»ach du mein Gott, ist das wirklich nötig?«stöhnte er.»sie haben das doch alles schon von meiner Frau gehört. Ich hätte ja nicht mal was dagegen, wenn es Ihnen wirklich um unsre Celia ginge. Aber Sie schnüffeln ja nach was ganz anderem herum. Ich weiß das, Freundchen, ich weiß das.«davies machte eine abwehrende Bewegung.»Ich ermittle im Fall der vermißten und wahrscheinlich ermordeten Celia Norris«, sagte er förmlich.»sagen Sie mir jetzt bitte, was sich an dem Tag abspielte.«82

85 Norris stützte sich auf das Brückengeländer und stierte ins Wasser, als gäbe es da etwas zu sehen.»was geschah an dem Tag?Also, ich arbeitete damals für eine Autofirma. Im Westend«, sagte Norris widerwillig.»ich sah sie noch am Morgen, kurz bevor ich zur Arbeit mußte, und danach nie wieder. Das ist alles. Ich hab' das damals alles den Bullen erzählt. Aber die haben ja nie richtig gesucht, oder?«seine Stimme war leiser geworden, und die letzten Worte flüsterte er beinahe. Davies sagte:»wir haben noch nicht aufgegeben. Deshalb muß ich Ramscar sprechen.also doch«, sagte Norris, dessen Mißtrauen sofort wieder geweckt worden war.»sie wollen um jeden Preis Cecil finden. Ist das Ganze nicht vielleicht nur ein schlauer Plan von einem Bullen, wie man an Cecil herankommt, was? Sie sind wohl nicht zufällig hinter ihm her und benutzen dazu unsere Celia?«Überrascht bemerkte Davies, wie Norris' magere Gestalt aus der Fassung geriet. Sein Gesicht zitterte. Er wendete sich jäh ab, beugte sich über die Brüstung, legte den Kopf in die Armbeuge und weinte. Davies trat verlegen einen Schritt zurück. Er streckte zaghaft eine Hand aus und zog sie wieder zurück. Norris schluchzte immer noch. Ein kleines Mädchen und ein etwas älterer Junge tauchten auf dem Fußweg auf und kamen auf die Brücke zu. Als sie Norris erblickten, blieben sie neugierig stehen, um ihn zu beobachten. Davies machte abwehrende Gesten mit der Hand, aber sie ließen sich davon nicht beeindrucken.»was ist mit dem da los, Mister?«fragte der Junge. Das Mädchen hatte sich unter Norris' schmerzgebeugte Gestalt gekauert, um von unten in sein Gesicht zu spähen. Es war beinahe so, als ob sie in einen Kamin hinaufschaute.»er ist traurig«, murmelte Davies.»Geht endlich weiter.warum ist er traurig?«wollte das Mädchen wissen. Sie war kleiner als der Junge, ihr Gesicht war mit Marmelade verschmiert, und sie sah sehr bestimmt aus. Davies zuckte die Achseln.»Er hat etwas Wertvolles im Kanal verloren«, sagte er, ohne nachzudenken. Norris richtete sich langsam auf. Seine Augen waren rot, das Gesicht tränenfeucht und verquollen.»sie finden das wohl zum Lachen?«sagte er.»typisch Bulle.«83

86 Kapitel 8 Gladstone Heights war eine hübsche Wohngegend auf einem steilabfallenden Hügel oberhalb des Stadtteils. Die am Hang errichteten Wohnblocks verfügten über eine schöne Aussicht, und als müßte dieser Vorzug gefeiert werden, ließen die Hausfrauen ihre Wäsche hoch oben in der - beinahe - sauberen Luft wie Fahnen und Wimpel flattern. Drunten sah man die Straßen, die fächerförmig zusammenliefen; man sah den Kanal, eine mattschimmernde Klinge, die die Stadtlandschaft durchschnitt, die zusammengeduckten Häuser auf beiden Seiten und die Fabriken, wo Plastik, Schmiedeeisen und Stahl, Farbe und Düngemittel, Kosmetika und Bohnen in Dosen gemacht wurden. Da unten wurde unbarmherzig geschuftet, und jeder Schornstein schickte skrupellos seine eigenen Qualmwölkchen in den Himmel. Über dem Ganzen vollführten die Staubkörnchen ihren Tanz in der Luft. Man konnte die Mietwohnungen nur über einen steilen Fußweg erreichen, da die Straße - mit Rücksicht auf die Natur - ziemlich weit unten aufhörte. Davies ließ den Lagonda mit Kitty auf dem Parkplatz zurück und begann den Aufstieg. Vornübergebeugt wie ein hochgewachsener Sherpa nahm er den Asphaltberg in Angriff. Die Aussicht wurde mit jedem Schritt beeindruckender. Angeblich kam Mr. Gladstone in seiner Amtszeit als Premierminister gern hierher, um seelische Erquickung und ländliche Erfrischungen zu genießen. Heute fingen die Wiesen und Bäume erst etwa 16 Kilometer weiter entfernt an. Ena und William Lind wohnten im am höchsten gelegenen Block. Es war schon Davies' zweiter Aufstieg. Das erste Mal hatte er in der Wohnung niemanden angetroffen und enttäuscht den steilen Rückweg angetreten, wobei er sich ausmalte, daß ein Wärterhäuschen unten mit Telefonverbindung zum Gipfel eine lohnende Investition für den Steuerzahler wäre. 84

87 Dieses Mal war er wenigstens sicher, jemanden anzutreffen, weil er sich die Lage der fraglichen Fenster an der hochragenden Wand gemerkt hatte und jetzt sehen konnte, daß sie einem freundlichen Leuchtturm gleich ein Licht aussandten. Von dort oben könnte man gut Lichtsignale hinunter in die Stadt schicken, dachte Davies. Zum Ausgleich für den anstrengenden Fußmarsch gab es in jedem Wohnblock einen Fahrstuhl. Dankbar wartete Davies im Erdgeschoß. Mit ihm wartete ein Mann, der sich darüber beschwerte, daß der Wind durch die Türen und Gänge blies.»da oben kann man manchmal den Wind in den Hosenbeinen pfeifen hören, aber echt«, jammerte er.»da zieht es in jeder Ecke. Was für eine Zumutung für zivilisierte Menschen, ich bitte Sie.Es ist halt sehr hoch oben«, stimmte Davies zu.»stellen Sie sich mal auf den Berg mit dem Gesicht nach Osten, dann kommt der Wind direkt aus Rußland und kriecht Ihnen die Beine hoch. Da liegt kein höherer Berg mehr zwischen uns und dem Ural. Und an solch einen Ort verfrachten sie uns.«der Fahrstuhl, eine Art blecherner Keksschachtel, kam herunter und öffnete sich. Eine Frau mit Einkaufstasche kam heraus und schlug den Mantelkragen hoch, bevor sie sich ins Freie wagte. Sie erwiderte den Gruß des alten Mannes, war aber wegen des Kragens kaum zu verstehen.»das war wohl nicht zufällig Mrs. Lind, oder?«fragte Davies auf halber Höhe im Lift.»Mrs. Lind? Nein, das war Mrs. Cotter. Mrs. Lind - die ist was Besseres.«Der alte Herr sah ihn mit einer Spur von Interesse an.»so, so, Sie wollen Mrs. Lind besuchen.ja.viertes Stockwerk, Nummer 36.«Davies bedankte sich und stieg im vierten Stock aus. Als letztes hörte er den Mann murmeln:»möcht' ich auch mal.«trotzdem war Davies überrascht, als auf sein Klingeln hin die Tür von einer Frau in einem leopardengemusterten Hosenanzug geöffnet wurde. Ihr Gesicht war sorgfältig zurechtgemacht und ihr blondes Haar wie eine Sahnetorte aufgeschichtet. In einer Hand hielt sie ein großes Glas Pfefferminzlikör, unter dem anderen Arm klemmte eine Nummer der VOGUE. Aus dem Inneren der Wohnung wehten ihm ein intensiver, aber unaufdringlicher 85

88 Parfümduft und Töne von Elgars Musik entgegen. Es war elf Uhr morgens, ein Montag.»Oh, hallo«, sagte sie.»kann ich etwas für Sie tun?«ihr Akzent war ein gemäßigtes Cockney.»Unter Umständen ja.«davies bemühte sich um eine gepflegtere Sprache als sonst.»ich bin Detective Constable Davies. Dürfte ich ein wenig von Ihrer Zeit in Anspruch nehmen?ein Detektiv? Aber das ist ja unheimlich aufregend!«sie schaffte es, ihren überraschten Ausruf mit einem Schnurren zu unterlegen, das an eine Katze erinnerte. Es folgte eine schnelle, wohlgeübte Serie von Bewegungen. Sie ließ ihn ein, streckte den Kopf aus der Tür, warf kurze Blicke nach rechts und nach links und zog dann schnell die Tür hinter sich zu. Sie sah, daß er sie beobachtet hatte.»werde ich verfolgt?«fragte er, um ihr aus der Verlegenheit zu helfen. Sie lachte tief und kehlig.»sozialer Wohnungsbau«, sagte sie.»hier weiß man nie, wer seine Nase in anderer Leute Angelegenheiten steckt.«sie führte ihn herein. Er war überrascht. Alles war lindgrün. Die Wände, die tonnenschweren Vorhänge, die schwellenden Sitzpolster, der Teppichboden. Auf dem Sofa lag eine grüne Katze.»Wir nennen es das Grüne Zimmer«, erklärte sie.»möchten Sie einen Crème de menthe?hm.«davies zögerte.»doch, ja gern. Es ist zwar ein bißchen früh in der Woche, aber...es ist niemals zu früh«, lächelte sie und öffnete ein Cocktailschränkchen, dessen Beleuchtung nebst Musik sich dabei von selbst einschaltete.»ich liebe die Grüne Göttin.Sehr hübsch«, stimmte Davies wenig überzeugend zu. Ein Farbfernseher in einem grünen Gehäuse stand in einer Ecke, neben dem Cocktailmöbel sah er einen Stereoturm. Er blickte sich nach den Lautsprechern um, aber sie waren geschickt verborgen.»elgar ist so geheimnisvoll, finde ich«, sagte sie, als sie mit den Gläsern hereinkam und dabei mit dem Kopf in Richtung Musik nickte.»ja, das ist er wohl. Beziehungsweise, er war es.er ist es. Ich sitze hier und höre ihm zu, höre nur zu und frage mich, was er uns sagen will.mein ganzes Leben ist so.«86

89 »Ach ja, Ihr Leben als Polizist.«Sie rückte näher heran und reichte ihm sein grünes Glas. Er spürte die Wärme ihres Körpers.»Legen Sie doch Ihren Mantel ab«, sagte sie.»ich hab' es gern warm und gemütlich hier drinnen. Die Zentralheizung muß man ganz weit aufdrehen, wenn man überhaupt etwas davon spüren will.«er schälte sich aus seinem unförmigen Mantel, unter dessen Gewicht sie beinahe ins Stolpern kam, als sie ihn ins Schlafzimmer brachte, das durch die geöffnete Tür hindurch ganz in Rosa schimmerte.»hat jemand Sie beim Heraufkommen gesehen?«rief sie.»ein älterer Herr und eine Frau mit Einkaufskorb.«Sie schnalzte mit der Zunge und kam wieder herein.»die sind schrecklich neugierig, wissen Sie. Haben Sie ihnen gesagt, daß Sie zu mir wollten?hm, ja: dem Mann. Als er mir den Weg zeigte. Komischer alter Knabe. Behauptete, der Wind käme geradewegs vom Ural.Also Mr. Bentley«, sagte sie mit Bestimmtheit.»Der alte Affe. Entschuldigung, aber wirklich! Redet daher wie ein Professor, dabei hat er eigentlich gar keine Ahnung. Geradewegs vom Ural! Was ist übrigens ein Ural?Ein Gebirge in Rußland, soviel ich weiß.dann hat er vielleicht sogar recht«, räumte sie ein.»ich habe seine Frau davon sprechen hören, aber sie ist strohdumm, richtig bescheuert, wenn Sie bitte nochmals entschuldigen. Sie sagte, der Wind käme vom Urinal. Also der hat Sie gesehen.leider ja.dann weiß es heute abend das ganze Haus. Hier gibt's keine Privatsphäre. Aber warum setzen wir uns nicht? Mach Platz, Lindy!«Sie schob die Katze unsanft zur Seite.»Lindy - ein passender Name«, meinte Davies. Er zögerte.»eine lindgrüne Katze habe ich noch nie gesehen.er ist ein Kater. Kostet eine Stange Geld, ihn färben zu lassen«, seufzte sie.»aber man hat einen Gesprächsstoff, wenn Gäste zum Essen kommen.kann ich mir vorstellen«, sagte Davies. Er trank sein Glas aus. Sie war ihm auf dem Sofa ziemlich nahegerückt. Er saß mit den Händen auf den Knien da wie im Eisenbahnabteil.»Vielleicht sollte ich erklären, weswegen ich hier bin«, sagte er.»ach ja?«sagte sie, als wäre das nicht wichtig. Sie lächelte gewinnend, als er sich halb zu ihr umwandte. Ihre Zähne waren glatt 87

90 und raubtierähnlich, eine weiße Ausgabe ihrer Fingernägel.»Ich habe keine Angst«, fügte sie hinzu.»ich weiß ja, ich hab' keine Sünden begangen. Jedenfalls nicht in dem Sinn, daß es die Polizei interessieren würde.«sie beugte sich so plötzlich vor, daß ihre schweren Brüste, die in dem Oberteil des Hosenanzugs kaum Platz hatten, sich nach vorn drängten, als wollten auch sie ihn anschauen.»mein Mann hat doch wohl nichts angestellt?keine Bange, er hat keine Scherereien.Das dachte ich mir«, sagte sie enttäuscht.»er ist gar nicht imstande, Scherereien zu machen. Worum geht es denn dann?erinnern Sie sich an Celia Norris?«Sie zeigte nicht sofort eine Reaktion. Er beobachtete sie, doch es war ihr nichts anzumerken, außer daß ihr Busen ein wenig bebte. Sie hatte das Gesicht abgewendet und starrte den Kater an, der sich, auf dem grünen Teppich sitzend, hysterisch leckte. Vielleicht unternahm er den verzweifelten Versuch, sich von der Fellfarbe zu befreien.»mit der Sache wird sich die Polizei doch wohl kaum noch beschäftigen!«bemerkte sie schließlich in dem ihr eigenen affektierten Tonfall.»Das ist ja wohl inzwischen ein ziemlich alter Hut: Celia Norris.«Davies faltete die Hände in der Luft wie ein Versicherungsvertreter, der ein weiteres Verkaufsargument vorbringt.»ach nein, nicht wirklich«, sagte er.»sehen Sie es doch mal so: Da läuft immer noch jemand frei herum, der das Mädchen umgebracht hat. Ich versuche, herauszufinden, wer dieser Jemand ist.aber das ist Jahre her!«empörung spiegelte sich auch auf ihrem Gesicht wider, wo unter dem sorgfältig aufgetragenen Makeup plötzlich tiefe Falten sichtbar wurden. Sie verschränkte die Arme vor der Brust wie eine Waschfrau und drückte damit ihren Busen bis fast zum Kinn hoch.»jahrzehnte.«sie stand auf und ging im Zimmer auf und ab.»was soll das jetzt noch nützen?«davies hob die Augen und sah, wie gereizt sie war. Seine ernste Miene rief sie zur Besinnung. Sie setzte sich wieder, nicht anmutig, nicht mit der einstudierten Bewegung von vorher, sondern mit einem überaus unjugendlichen schwerfälligen Plumps.»Die Sache taucht immer wieder auf«, seufzte sie.»und ich fürchte, daran wird sich verdammt auch in Zukunft nichts ändern.bis sie aufgeklärt ist«, bemerkte Davies. 88

91 »Meinetwegen, wie Sie wollen. Bis sie aufgeklärt ist.die Angelegenheit ist vor ein paar Jahren aufgerollt worden, nicht wahr? In der Zeitung.Ach das. Ja, das stimmt.«sie zögerte.»na gut, sie haben mir 200 Pfund angeboten, und ich habe sie genommen. Mein Mann schäumte natürlich vor Wut, aber das war zu erwarten. Er ist ja so ein vertrockneter Idiot, das wissen Sie ja.nein, weiß ich nicht.mein Gott, ist das ein Schlappschwanz! So was gibt's nicht noch mal. Wenn der in der Nase bohrt, hat er den Rest seines Lebens Gewissensbisse.«Davies beobachtete den Kater. Er hatte aufgehört, sich verzweifelt abzulecken, und spielte nur noch mit der grünen Zunge an seinen Pfoten herum.»ihr Mann, das heißt Bill...William«, berichtigte sie nachdrücklich.»er möchte William genannt werden. Wissen Sie jetzt, was ich meine?ja, ich verstehe. Also gut, Ihr Mann, William Lind, als Sie alle noch Teenager waren - ist ja bei Ihnen noch nicht lange her -, also da war er Celia Norris' fester Freund, oder?«sie nickte.»was immer das hieß.«sie lachte spitz.»die hat keine Ahnung, was ihr erspart geblieben ist.«gleich darauf sah sie ihn schuldbewußt an.»ich hab' es nicht so gemeint«, sagte sie.»war er denn immer so - vertrocknet?ja, immer. Der war schon als Kind so zimperlich.aber Sie haben ihn geheiratet. Es kam doch ein Baby?«Sie lächelte schwach.»sie haben sich wohl schlau gemacht. Das Baby hab' ich verloren. Ich war schon immer der Verlierer.Es tut mir leid. Das war taktlos von mir.«er schämte sich ein wenig.»schon gut«, seufzte sie.»jedenfalls, ich hab' ihn geheiratet, da haben Sie recht. Ich kannte ja seine Art, dachte doch, er hätte wenigstens was im Oberstübchen. Ein bißchen Verstand. Ich dachte, er würde es zu etwas bringen. Ein bißchen besseres Leben.Und das hat er nicht geschafft?ha!«ihr Schnaufen klang fast wie das eines Mannes.»Wenn Kranführer für Sie eine gute Stellung ist.«davies schaute auf sein Glas und war ein wenig erstaunt, daß es leer war. Sie bemerkte den Blick, bot ihm aber nichts mehr an. 89

92 »Ich erwarte jemanden in ein paar Minuten«, sagte sie wie zur Erklärung.»Eine Freundin natürlich, Clare. Wir gehen drei- oder viermal die Woche zusammen in die Stadt. Einkaufsbummel, Kino und so. Ganz harmlos.davon bin ich überzeugt.«davies fragte sich unwillkürlich, warum sie das so betont hatte.»ich will Sie nicht mehr lange aufhalten. Ich wollte Sie eigentlich nur bitten, mir in ein paar kurzen Worten zu berichten, was sich an jenem Abend zugetragen hat. Damals, als Celia verschwand. Einfach das, woran Sie sich noch erinnern können.«sie seufzte. «Na gut, ich habe es schon so oft erzählt, daß es auf einmal mehr nicht ankommt. Sie war im Jugendklub und spielte Tischtennis mit Bill...William?Hinter seinem Rücken nenne ich ihn immer Bill.«Sie zuckte mit den Achseln.»Und dann fuhr sie mit dem Rad nach Hause. Das war ungefähr um zehn Uhr. Danach hat sie niemand mehr gesehen.bill - oder William - blieb noch wegen eines Treffens der Fußballmannschaft da, nicht wahr?«ein Ausdruck von Verachtung erschien auf ihrem geschminkten Gesicht.»Fußball! Der hat nie Fußball gespielt und war bei keinem Mannschaftstreffen dabei. Hatte wohl Angst, einen Tritt abzubekommen. Nein, es ging um etwas anderes. Vielleicht ein Korbballmatch, das könnte schon eher sein. Er sah gern zu, wenn die Mädchen Korbball spielten.und warum?wollte wohl einen Blick unter die Röcke riskieren.ah, so war das.«sie sah ihn mißtrauisch an.»he, denken Sie bloß nicht, er war's. Ich habe für ihn verdammt nicht viel übrig, aber so was würde er nie tun. Sexgeschichten - auf keinen Fall.Wieso Sexgeschichten?Also, man muß ja wohl kein Detektiv sein, um zu sehen, daß sie nicht wegen ihres Geldes umgelegt wurde, die Celia. Aber Bill Lind war's nicht. Er war ja noch länger im Klub, noch eine gute halbe Stunde. Er war's auf keinen Fall.«Sie wandte sich ihm zu und sagte mit Bestimmtheit:»Wir sprechen von einem Mann, der nicht mal in die Badewanne steigen würde, ohne vorher seine Badehose anzuziehen.«90

93 »Seine Badehose?Seine bescheuerte Badehose. Das hab' ich noch nie jemandem erzählt, nicht mal meiner Freundin Clare. Es wäre mir zu peinlich. Am Anfang wollte er sogar die Tür abschließen, aber das hab' ich mir nicht gefallen lassen. Nicht in meiner eigenen Wohnung, wenn niemand da ist außer uns beiden. Da ist er eben auf die Badehose verfallen. Er sitzt in der Wanne, als wäre es der Badestrand von Brighton. «Davies hätte es zum Lachen gefunden, wenn sie nicht so ein unglückliches Gesicht gemacht hätte.»er stammt eben aus so einer Familie«, seufzte sie.»seine Mutter konnte nicht mal das Wort >Hühnerbrust< in den Mund nehmen.«sie stützte das Gesicht in die Hände; Davies sah sie stumm an. Am liebsten hätte er sie mitleidig gestreichelt. Statt dessen sagte er:»was für ein Mensch war dieser Boot? Dave Boot?«Sie hob langsam den Kopf. Gerade wollte sie antworten, als von der Eingangstür her ein melodischer Gong ertönte.»das ist Clare«, sagte sie. Während sie aufstand, setzte sie dasselbe Lächeln auf, mit dem sie ihn hereingelassen hatte.»ich kann Sie ja anrufen. Im Polizeirevier?Ich gebe Ihnen die Nummer«, sagte er und schrieb sie auf einen Zettel.»Wir sollten eine Zeit vereinbaren. Ich bin nicht gern länger im Büro, als es unbedingt sein muß. Es ist so trostlos.«sie lächelte und war wieder ganz die holde Gastgeberin.»Ja gut. Heute abend um acht. Ich rufe dann auf dem Heimweg aus einer Telefonzelle an.acht Uhr? Kommen Sie nicht nach Hause, um mit Ihrem Mann zu Abend zu essen?oh nein«, sagte sie. Während sie sich zur Tür wandte, ertönte die einschmeichelnde Melodie ein zweites Mal. Irgendwie paßte die Klingel zu ihr, dachte Davies. Sie blieb an der Tür stehen, bevor sie aufmachte.»ich tue nicht viel für ihn«, sagte sie über die Schulter gewandt,»aber er tut ja auch nicht viel für mich.«weil sie versprochen hatte, ihn um acht Uhr anzurufen, mußte er auf das Dinner bei Mrs. Fulljames verzichten und sich mit einem miesen Sandwich im Büro begnügen. Er überlegte gerade, ob er auch die Kruste aufessen sollte, als das Telefon klingelte. 91

94 Ena kicherte leicht beschwipst. Man konnte die Portweinfahne förmlich riechen.»hören Sie«, sagte sie vertraulich,»ich dachte erst, es ginge leichter am Telefon, aber ich hab' es mir überlegt. Es macht mir verdammt noch mal nichts aus, es Ihnen von Angesicht zu Angesicht zu erzählen. Können wir uns irgendwo treffen?jetzt gleich?ja doch, ehe ich es mir wieder anders überlege.na gut. Wo sind Sie?In der Telefonzelle am Bahnhof Willesden Green. Clare ist nach Hause gegangen.ich kann in zehn Minuten dasein.dann kommen Sie in die Kneipe gegenüber, zum LAHMEN ELEFANTEN. ES macht mir nichts aus, auf Sie zu warten, ich bin ja nicht hochnäsig. Ich such' schon mal einen Tisch, aber ich bestelle noch nichts. Ich warte auf Sie, Sie können dann bestellen.gut. Ich bin gleich da.«er mußte seinen Mantel, der über einem Stuhl hing, mit zwei Händen hochnehmen. Der Stoff war vom Regen durchnäßt und doppelt so schwer wie sonst. Es war ein Gefühl, als würde man sich ein nasses Walroß auf den Rücken packen. Am Ausgang winkte er dem Sergeant, wobei es ihm schwerfiel, den Arm zu heben. Der Lagonda stand - wie gewöhnlich mit offenem Verdeck - im Regen. Kitty hatte sich unter der grünen Plane auf dem Rücksitz verkrochen und lag da wie ein schlecht zugedeckter Kadaver. Als der Motor brummend ansprang, fing Kitty an zu knurren. Der Wagen mit den großen Lampen glitt sanft durch die im Nieselregen öde daliegenden Straßen zum LAHMEN ELEFANTEN hin. Unterwegs dachte Davies darüber nach, wieso Ena, wenn sie ihren Mann so sehr verachtete, dennoch von ihren angeblichen Dinnerpartys redete. Sie saß in der Lounge vor einem niedrigen Tischchen, in einen Pelzmantel aus gefärbtem Kaninchen eingehüllt.»einen doppelten Portwein mit einmal Zitrone«, sagte sie.»sie sind ja naß wie ein Schwamm.Mein Wagen ist nicht wasserdicht«, erklärte er und ging zur Bar. Als er ihren doppelten Portwein mit einer Zitrone und einen Scotch für sich selbst auf das Tischchen stellte, fragte er:»keinen Crème de menthe?«92

95 »Die wüßten hier wohl kaum, was das ist. Wenn's nicht das ist, was die Masse verlangt, kennen sie sich nicht aus. Sind sowieso alles dämliche Iren.«Davies kämpfte sich wieder aus dem Mantel, prüfte die Tragfähigkeit des Kleiderhakens an der Wand und entschied sich, nichts zu riskieren. Also legte er das Ungetüm auf den Stuhl neben sich. Ena Lind sah ihn skeptisch an.»irgendwie sind Sie ein bißchen ungepflegt. Haben Sie niemanden, der sich um Sie kümmert?na ja«, sagte er nach dem ersten Schluck.»Ich bin gewissermaßen verheiratet. Wir wohnen im selben Haus - eine Art Pension-, aber wir leben nicht zusammen, wenn Sie verstehen, was ich meine.klar verstehe ich das. Sehr gut sogar.«sie sah sich um. Zu dieser Abendstunde füllte die Bar sich schnell mit Gästen und dichtem Tabakrauch.»Wenn die Menschen noch ein echtes Zuhause hätten«, murmelte sie,»wären die Lokale nicht so voll.wie wahr. Wenn es bei einer Abstimmung die Alternative Wohnzimmer oder Tresen gäbe, ich wette, die Kneipen würden gewinnen. Noch ein Glas?Das haben Sie aber schnell ausgetrunken!ja, das erste kippe ich immer in einem Zug runter.das seh' ich.«sie leerte ihr Glas.»Na gut dann. Aber diesmal bin ich dran. Keine Widerrede.«Sie legte ihm eine Pfundnote in die Hand und drückte seine Finger zu. Ihre Hand lag angenehm trocken auf seiner feuchten Haut. Er nickte.»einverstanden. Vielen Dank.Nehmen Sie für sich einen doppelten«, schlug sie vor.»den hätten Sie doch sonst auch genommen? Erspart Ihnen vielleicht eine Lungenentzündung.«Er grinste dankbar und ging die Getränke holen. Als er zurückkam, hob er sein Glas.»Cheers, Ena!Zum Wohl. Auf Celia Norris«, erwiderte sie ungezwungen. Er sah sie verstört an, was ihr nicht verborgen blieb.»warum nicht? Was ist schon dabei? Es ist schließlich ewig her, und sie ist nun einmal tot. Vielleicht freut sie sich, wo immer sie jetzt auch sein mag, wenn wir auf ihre Gesundheit trinken.«\ 93

96 »Von mir aus«, stimmte er zu.»ich habe mir nur gedacht, es käme ein bißchen zu spät. Also«, er hielt sein Glas in die Höhe,»auf Celia Norris!Ja«, bekräftigte sie und hob ihr Glas noch ein wenig höher.»auf unsere hübsche Celia.Was soll das nun wieder heißen? Wieso betonen Sie das so?«fragte er.»weil sie das war«, erwiderte Ena Lind mit geheuchelter Überzeugung.»Wirklich hübsch. Nette kleine Figur, niedliches kleines Gesicht, ein paar Pickel, aber trotzdem süß. Ein niedlicher Popo. Die Jungens sahen begeistert zu, wenn sie Tischtennis spielte. Und beim Korbball waren sie ganz außer sich, weil sie dann einen Blick auf ihren Hintern werfen konnten.nur die Jungen?Ein paar von den Männern natürlich auch. Das meinten Sie doch, oder?ja. Männer - wer zum Beispiel?Trinken wir noch einen. Bevor ich das erzähle, muß ich erst ein paar Hemmungen über Bord werfen.das ist doch mal eine feine Entschuldigung. Na gut. Dasselbe noch mal?dasselbe noch mal«, lächelte sie. Sie war eigentlich noch recht attraktiv, eine reife Vierzigerin. Ihre Zähne waren groß und blendendweiß, das Gesicht voll und glatt, die Falten mit Puder zugedeckt. In dem ordinären Kaninchenpelz sah sie beinahe elegant aus. Sie spürte seine Blicke und öffnete ein wenig den Pelz, so daß sich ihre vollen Brüste dahinter abzeichneten. Sie lächelte, er wandte sich ab und ging die Getränke holen. Für sich selbst brachte er einen doppelten Scotch mit.»ist das Ihr übliches Getränk?«fragte er, als er den doppelten Portwein mit einmal Zitrone vor ihr absetzte.»das und Crème de menthe«, sagte sie.»wenn ich ausgehe, trinke ich fast immer Portwein, weil er mich wärmt. Grün wirkt so kalt, finden Sie nicht?«er setzte sich.»und jetzt erzählen Sie. Was war mit den Männern?Eigentlich gab es nur einen - einen, der nicht nur hinschaute«, sagte sie.»raten Sie mal, wer das war! Los, zeigen Sie mal, ob Sie ein guter Detektiv sind.«er tippte auf Ramscar. 94

97 Vor Überraschung sprangen ihre schmalen Augenbrauen regelrecht in die Höhe.»Also, daß Sie das sagen«, flüsterte sie.»ramscar. Heiliges Kanonenrohr, den hatte ich ganz vergessen.«sie dachte einen Augenblick nach.»ja... also, Sie könnten schon recht haben. Ich muß sagen, ich habe das nie so gesehen. Es stimmt schon, er strich immer so ein bißchen um Celia herum. War ein toller Hengst. Konnte seine Pfoten nicht bei sich behalten, wenn Sie wissen, was ich meine. War ein Freund von Celias Vater - und ein Betrüger. Ist er wahrscheinlich noch. Nein, Ramscar hab' ich nicht gemeint.«ihre Stimme klang träumerisch, als hätten die alten Erinnerungen neue Illusionen herbeigezaubert.»dann war es Boot«, holte Davies sie in die Realität zurück.»diesmal stimmt's. Dave Boot. Er hat Celia gehabt. G e h a b t? Sex mit ihr gehabt?was sonst? Er hat sie gehabt, und er hat mich gehabt und noch ein paar von den Mädchen aus dem Klub. Wir waren alle 15, als wir in den Klub eintraten, und nach zwei Jahren hatte er so ziemlich bei allen die Runde gemacht. Wir fanden ihn damals hinreißend. Einfach umwerfend. Es macht mir jetzt nichts mehr aus, darüber zu sprechen, so lange, wie es her ist.«melancholisch fügte sie hinzu:»ich könnte heute noch schwach bei ihm werden. Wenn ich ihn mit diesem Waschlappen, mit dem ich verheiratet bin, vergleiche. Oh, Dave war ein echter Mann. Sie wissen schon: Turnhemd, Muskeln, blondes Haar. Und im Sommer schön braun, weil er immer zur Welsh Harp hinauffuhr und sich in die Sonne legte; seine Arbeit fing ja erst abends an. Ich hab' ihn einmal durch Zufall da oben getroffen, als ich allein am Wasser entlanglatschte. Er hatte rings um sich lauter kleine Blechstücke, wie die Deckel von alten Keksdosen, aufgebaut. Damit sollte, sagte er, der Sonnenschein bis zum letzten Strahl eingefangen und reflektiert werden. Wir schwärmten alle für ihn. Es gab nicht viele, die er in seiner Zeit im Klub nicht gehabt hat. Nur um die Pickligen und die Dicken machte er einen Bogen. Wir waren immer im Bilde, wer von uns gerade dran war, und wir stritten uns um ihn.ein Supermann«, murmelte Davies.»In dem Ruf steht er heute noch«, nickte sie.»ich habe sein Bild in unsrem Käseblatt gesehen. Er hat jetzt eine Disko in Finchley. Ich habe schon mal dran gedacht, einfach bei ihm aufzukreuzen und ihn zu überraschen. Aber er würde mich nicht wie- 95

98 dererkennen. Der vernascht auch heute noch nur Teenager, darauf würde ich wetten. Kann ich noch was zu trinken haben? Hier, diesmal zahle ich wieder. Ich will ja nicht schnorren. Bitte!«Er nickte unwillig über die Unterbrechung, nahm das Geld und ging zum Tresen. Der Barkeeper blinzelte ihm zu, zielte mit dem Blick auf Ena und ihren prachtvollen Bug, der wie ein Eisbrecher arbeitete, und machte grinsend das Zeichen mit dem hochgereckten Daumen. Davies ignorierte ihn. Er nahm für sich wieder einen Doppelten und brauchte für den kurzen Weg zurück an ihren Tisch etwas länger als sonst. Er mußte wohl ein wenig aufpassen. Er wollte sie jetzt nicht verlieren. Einen Augenblick lang dachte er, als er wieder neben ihr saß, er habe sie schon verloren. Sie nippte an ihrem Glas und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Ihr Gesicht war friedlich und entspannt. Er stieß sie an.»was ist los?«fragte sie und öffnete ein Auge.»Oh, Entschuldigung, Ena. Ich dachte, Sie wären eingenickt.nein, nein. Ich habe mich nur noch mal in die damalige Zeit zurückversetzt. Ich war bei Dave.Er... er hatte also wirklich Sex mit Celia? Sie sind sich offenbar ziemlich sicher.nicht ziemlich sicher. Völlig sicher. Ich war ja dabei, Mann, ich war dabei. Er hatte uns beide gleichzeitig, jedenfalls beim ersten Mal.Oh.Na ja, wir waren beide noch Kinder und dachten, er wäre der Märchenprinz.«Sie hatte die Augen wieder geschlossen, als versuche sie, sich Boots märchenhafte Muskeln in Erinnerung zurückzurufen.»wir beide, Celia und ich, waren eben Freundinnen, die miteinander kicherten und sich zusammen ausmalten, was er wohl Aufregendes mit uns anstellen würde. Und eines Tages tat er es eben. Einfach so. Es war schon ein Schock, aber ein schöner Schock, wenn Sie wissen, was ich meine.«sie blickte ihn an und wartete offensichtlich darauf, daß er in irgendeiner Form bestätigte, daß er sie verstanden habe. Seine vom Whisky getrübten Augen blickten sie aufmerksam an, dann nickte er.»komischerweise war es an einem Nachmittag. Es muß in den Ferien gewesen sein, weil wir damals noch zur Schule gingen. Wir waren zur Kirche runtergegangen, wo auch der Jugendklub war, um irgend etwas zu tun - helfen, einen Basar vorzubereiten oder 96

99 so etwas. Wir haben in der Sakristei so eine Art Bude zusammengebaut, und Pater Harvey, der damals erst neu gekommen war, hat uns geholfen und stellte sich dabei so ungeschickt an, wie er es immer noch tut. Aber schließlich ist er weggegangen, um zu beten oder so, und Dave hat auf einmal seine Arme um uns gelegt. Celia bückte sich, um etwas aufzuheben, und da gab er ihr wie aus Spaß einen Klaps auf den Po, und ich habe gelacht und mich gebückt, damit er mir auch einen Klaps geben konnte. Und ich habe wohl so etwas Ähnliches gesagt wie: >Die eine nicht ohne die andere, Dave.< Also hat er mir auch einen Klaps gegeben. Damit hat es wohl angefangen. Wir sind aus der Sakristei nach draußen gegangen und dann alle drei über das Gras in den Jugendklub gerannt. Er hatte den Schlüssel für einen Abstellraum. Ich weiß noch, mir war so heiß, und ich war so aufgeregt, ich fühlte mich, als würde ich fliegen! Natürlich auch Angst, entsetzliche Angst. Aber ich konnte auch sehen, daß es Celia genauso erging - dieses Gemisch aus Angst und Spannung-, und ich sagte mir: >Sie soll nichts kriegen, was ich nicht kriege<, und so war es dann auch.«es war so eine Art Selbstgespräch gewesen. Jetzt schwieg sie und sah Davies an. Er beugte sich vor wie ein bettelndes Hündchen. Ihre Miene zeigte an, sie wartete darauf, daß er endlich etwas sagte. Also sagte er:»ich bin nur froh, daß er es nicht in der Sakristei getan hat.«sie zuckte mit den Schultern.»Er dachte wohl, Pater Harvey könnte zurückkommen. Es war bestimmt nichts Religiöses. Er war nicht besonders fromm, unser Dave.«Der Alkohol machte Davies langsam schläfrig, aber er schaffte es noch, die Augenbrauen hochzuziehen.»soll ich weitererzählen?«fragte sie schelmisch.»ich wette, Sie möchten es hören.würde ich schon gern«, gab er zu.»dann brauche ich noch was zu trinken, glaube ich. Es ist nicht so leicht für mich«, setzte sie entschuldigend hinzu. Davies erhob sich vorsichtig, als wollte er den Fluß der Erinnerungen nicht stören. Er hatte kein Geld mehr, aber der Wirt kannte ihn persönlich und bedeutete dem Barkeeper, weiter auszuschenken, was diesen zu anzüglichen Witzen über die Bestechlichkeit von Polizisten veranlaßte.»mann, verpiß dich«, murmelte Davies und wankte zu Ena zurück. 97

100 »Also echt«, sagte sie,»es tut mir gut, darüber zu reden. Es ist Jahre her, daß ich mit jemandem darüber sprechen konnte - über alle Einzelheiten.«Sie lächelte einladend. Der Portweindunst, den sie ausatmete, vermischte sich auf halbem Weg mit seiner Whiskyfahne zu einer unsichtbaren, aber kräftigen alchimistischen Verbindung. Er beabsichtigte lediglich, ihr zuzunicken, um sie zu ermuntern fortzufahren, doch sein Kopf schien plötzlich schwer wie Blei zu sein, kippte nach vorne und kollidierte mit ihrer Schulter. Sie tätschelte ihn zärtlich.»schlaf nur nicht ein, bevor ich zu Ende bin. Das ist keine Gute-Nacht-Geschichte.«Er zwang sich, auf die kaninchenfellgepolsterte Schulter zu verzichten, und verwünschte die Wirkung des Alkohols.»Ich höre«, murmelte er,»ich bin ganz Ohr.Das solltest du auch. Jetzt kommt erst der wirklich lasterhafte Teil. Wie er uns gebumst hat.«sie kicherte.»nicht, daß wir damals schon solche Wörter gebraucht hätten. Nicht in unsren Jugendtagen.«Sie schlürfte gierig ihren doppelten Port mit einmal Zitrone. Dieses Gesöff hatte offenbar eine weniger ermüdende Wirkung als der Scotch - das zu bemerken, war Davies gerade noch möglich.»soll ich weitererzählen?«fragte sie.»ich kann's kaum abwarten.also, wie gesagt, wir gingen hinüber zum Abstellraum, und dort zog er uns beide aus. Wir standen einfach da wie die Idioten, ließen die Arme hängen und wagten nicht, einander anzusehen. Und er zog uns aus. Erst ein Kleidungsstück von Celia, dann eins von mir. Celia trug ihren ersten BH, aber ich war ihr um zwei Größen voraus, und ich weiß noch, daß ich ganz stolz darauf war. Er ließ sich reichlich Zeit dafür, der Dave, dieser Teufelskerl. Ich weiß noch, daß die Sonne durchs Fenster schien und ich hinsah, weil ich zu nervös war, ihm auch nur ins Gesicht zu sehen. Dann standen wir da, splitternackt, Celia und ich, und zitterten wie vor Kälte. Natürlich war es die Aufregung, sie machte mir eine richtige Gänsehaut. Wir fühlten uns wohl beide ein bißchen hilflos, wie wir so dastanden und er uns ansah. Celia mußte lachen, sie konnte nicht anders, und ich kicherte mit. Aber er sagte, wir sollten aufhören zu lachen, und er war so ernst und streng, daß wir still waren. Wir hätten alles getan, was er von uns verlangte. Ich erinnere mich, daß ich gespannt war, was jetzt passieren würde, und ob ich vielleicht schwanger werden würde. Aber das war nur so eine Idee. Er hatte uns bis dahin nicht gestreichelt, unsere 98

101 Haut nicht berührt, schon gar nicht intim, nur unsere Kleider ausgezogen, und dann zog er plötzlich seine Trainingshose aus - er trug immer einen Trainingsanzug, manchmal einen blauen, manchmal einen roten - und dann seinen Slip, und dann kam sein großes Dingsda zum Vorschein. Es schien uns damals riesengroß zu sein, und sogar heute noch, wo ich mich eigentlich an alles Gute gern erinnern sollte, sogar heute denke ich noch, es konnte einen einschüchtern. Wir wußten immer noch nicht, was wir tun sollten. Celias Gesicht war knallrot, und meins fühlte sich brennendheiß an. Dann nahm sie ihren Mut zusammen und streckte die Hand aus, um es anzufassen. Ich war wie von den Socken, kann ich dir sagen, aber sie tat's wirklich. Sie streichelte es am oberen Ende mit der Hand, und dann nahm sie es in die Finger und drückte es. Ich dachte mir: >Los, Ena, da kannst du nicht zurückstehen, und faßte seine Dinger an.dinger?«fragte Davies verwirrt.»mein Gott, du weißt doch. Was untendrunter ist. Die Hoden. Ist das eindeutig genug?ach so, ja. Sehr eindeutig.also, ich faßte zu. Ziemlich fest, weil ich mir nichts wegnehmen lassen wollte, und Herr im Himmel, er ging beinahe an die Decke! Ich wußte ja damals, unschuldig wie ich war, noch nicht, wie empfindlich Männer da unten sind. Der arme Dave. Er hätte am liebsten gebrüllt, aber er mußte ja leise sein, damit uns keiner hörte. Du hättest sein Gesicht sehen sollen. Wie ein Horrorfilm ohne Ton, stell dir das bloß vor. Ich war echt erschrocken und schämte mich, besonders, weil Celia sich so geschickt anstellte. Aber nach einer Weile fühlte er sich besser, bis auf die Tränen, und er fing an, an uns herumzuspielen und wir an ihm, und schließlich verfrachtete er uns auf das Trampolin und nahm uns alle beide.trampolin?«fragte Davies durch den Nebel hindurch.»genau. Erst verbrachte er ein paar Minuten mit Celia und dann ein paar Minuten mit mir. Was das für Staub aufwirbelte auf dem alten Ding! Ich erinnere mich deutlich an den Staub in dem Sonnenstrahl, der durchs Fenster schien.«sie hielt inne, als wäre der Sonnenschein das Wichtigste an ihrer Geschichte.»Das war's dann«, sagte sie.»das erste Mal. Danach passierte es hin und wieder, nicht regelmäßig, nur ab und an. Und nie mehr mit Celia zusammen.«99

102 »Wann war es zu Ende?«Die Frage fiel Davies gerade noch rechtzeitig ein.»nach Celia. Nachdem sie verschwunden war. Danach hat er es mit mir nie wieder gemacht. Vielleicht dachte er, es wäre irgendwie unfair, die eine ohne die andere...«die Gläser waren leer. Im Vertrauen auf seinen Kredit schlingerte Davies für eine letzte Runde zur Bar. Es war eine Minute vor Schankschluß. Als er zurückkam, waren ihr die geschminkten Augenlider schon wieder zugefallen, und es sah so aus, als schliefe sie. Auch er hatte Mühe, seinen Blick unter Kontrolle zu behalten. Aber bei dem Geräusch, mit dem er die Gläser auf die Tischplatte setzte, öffnete sie die Augen wieder.»fandest du das interessant?«fragte sie wie jemand, der einen öffentlichen Vortrag gehalten hat.»sehr informativ«erwiderte er zurückhaltend.»und es gab noch andere?in Massen. Celia und ich sahen ihn eines Abends im Klub, wie er es mit einem Mädchen namens Roxanne Potts trieb. Er hatte sie quer über das Sprungpferd gelegt.er scheint so ziemlich alle Turngeräte benutzt zu haben?dave war ein guter Turner«, sagte sie ganz ernsthaft. Sie tranken schnell aus, standen auf und steuerten dann auf die Tür zu. Sie war etwas wackelig auf den Beinen, half ihm aber trotzdem, den vor Nässe schweren Mantel über Arme und Schultern zu ziehen. Plötzlich sagte sie unerwartet:»aber du hast doch nicht Dave in Verdacht, den doch nicht? Jemanden ermorden - so was würde er nie tun.«es hatte aufgehört zu regnen, aber die Nachtluft war feucht und schwer. Er brachte sie im Auto nach Hause. Sie lehnte sich während der Fahrt eng an ihn.»kann man das Verdeck nicht zumachen?«fragte sie lallend.»seit dem Krieg nicht mehr. Es klemmt, und ich habe keine Zeit, es in Ordnung zu bringen.was ist das für ein Ding unter der Decke auf dem Rücksitz? Hoffentlich keine Leiche?So etwas Ähnliches. Es ist mein Hund Kitty. Er ist so gut wie tot, er bewegt sich so gut wie nie. Nur beim Husten und beim Essen.Wie alt bist du?«wollte sie plötzlich wissen. 100

103 »33 oder 35, ungefähr. Ich bin nicht sicher.dann bin ich älter als du. Mindestens drei Jahre.So geht es vielen«, sagte er tröstend. Er parkte den Lagonda da, wo der Kletterpfad zu den Wohnblocks anfing. Er hatte keine Lust, mit hinaufzugehen, aber er konnte sie nicht gut allein nach oben stolpern lassen. Sie torkelten aus dem Auto und begannen, die Arme freundschaftlich umeinander gelegt, den mühseligen Aufstieg.»Ist da nicht noch Licht im Fenster?«fragte Davies und schaute an der Hauswand hoch, die schwarz vor dem Sternenhimmel aufragte.»er läßt es immer an. Damit ich den Heimweg finde. Er hätte Leuchtturmwärter werden sollen.«zu sprechen bereitete ihnen unerhörte Mühe. Sie atmeten den Sprit in die Nachtluft aus wie zwei fauchende Drachen und waren dankbar, als sie endlich beim Hauseingang anlangten. Davies gab ihr ein Küßchen auf die volle Wange.»Nacht, Ena. Ich trudele jetzt heim.warte«, verlangte sie ruhig.»bring mich noch mit dem Lift rauf. Nur bis zur Wohnungstür. Er schläft bestimmt schon. Er läßt zwar das Licht an, aber dann geht er schlafen.«er beäugte sie mit soviel Mißtrauen, wie er aufbringen konnte, aber ihr Gesicht war offen und unschuldig wie zuvor. Er führte sie am Arm zum Aufzug. Die Blechschachtel kam angerattert, und sie stiegen ein. Sie drückte auf einen Knopf, und die Tür schloß sich, aber man spürte keine Aufwärtsbewegung. Als Davies sich fragend nach ihr umsah, hatte sie ihren Mantel aufgeknöpft und war gerade mit der Bluse beschäftigt. Ein Protest blieb ihm im Halse stecken, während sie in ihrem Vorhaben mit einer unglaublichen Geschwindigkeit fortfuhr. Ihr rosa Büstenhalter war vorne geschlossen, sie hakte ihn im Nu auf, ihre Riesenbrüste kullerten heraus, dann packte sie seinen Hinterkopf und begrub sein Gesicht in dem warmen duftenden Fleisch. Seine Protestschreie erstickten darin, aber er konnte kurze gekeuchte Forderungen verstehen.»ich will dich! Ich muß unbedingt mal wieder einen richtigen Mann haben. Einen richtigen!ich bin nicht frei! Ich bin versprochen!«kreischte Davies verzweifelt unter ihrem Würgegriff, doch sie zog nur seinen Kopf gewaltsam an den Haaren zur Seite. Ihm schwanden fast 101

104 die Sinne. Er bemerkte, daß sein Wille schwach, aber sein Fleisch stark war.»gefallen sie dir nicht? Sind sie dir nicht schön genug?doch, doch«, jammerte er.»sie sind wirklich schön, Ena, super. Und so groß. Aber pack sie weg, Ena, bitte!«als Antwort knallte sie seinen Kopf wieder an ihren Busen, hielt ihn am Haar fest und wischte sein Gesicht auf und ab, als wäre es eine Art Handfeger. Dann ließ sie ihn mit einer Hand los und wühlte in seiner Hose. Mit einem Triumphschrei bekam sie das Gesuchte mit einem fürchterlichen Griff zu fassen, und plötzlich wurde ihm klar, warum Dave Boot vor so vielen Jahren laut aufgeschrien hatte. Ihre Faust war eisern... Er schlug um sich wie ein Pinguin, der das Gleichgewicht verloren hat. Mit einer Hand ertastete er die Bedienungsknöpfe des Fahrstuhls und drückte auf alle zugleich. Dreimal fuhr der Lift hinauf und hinunter, während er gegen ihr zorniges Verlangen ankämpfte. Sie verloren die Balance, fielen gegen die metallenen Seitenwände und schließlich zu Boden. Da saßen sie und stierten sich an wie zwei Boxer, die sich gegenseitig k.o. geschlagen hatten. Die zwei weißen Ballons baumelten immer noch direkt vor seiner Nase, und die rötlichen Brustwarzen glotzten ihn boshaft an. Aber das war noch gar nichts im Vergleich zu der Wut in ihren Augen, als sie mit Fingernägeln und Handtasche auf ihn losging. Er versuchte aufzustehen, doch sie warf ihn gegen die Wand. In Panik drückten seine Finger wieder irgendwelche Knöpfe, und diesmal sauste der Lift im Schnellgang nach unten, wodurch sie wieder hinfielen, als er im Erdgeschoß aufschlug. Diesmal kam Davies als erster auf die Füße. Er fand den Knopf, der die Tür öffnete, und drückte ihn in panischer Angst. Die Tür ging auf. Draußen stand ein vor Nässe triefendes Ungeheuer und bellte wie wild. Mit untrüglichem Instinkt hatte Kitty den Kampf geahnt, seine Lethargie abgeschüttelt und sich den Berg hochgeschleppt. Jetzt veranlaßte derselbe untrügliche Instinkt ihn, sich auf Davies zu stürzen, er warf ihn um, fletschte vor seinem Gesicht die Zähne und biß ihn schließlich in den Arm. Erst als Davies flach am Boden lag, sah der Hund, was er getan hatte, warf sich auf den hingestreckten Körper und bereute seinen Irrtum mit entsetzlichem Gejaule. Ena Lind, in Tränen aufgelöst, schaufelte ihre Brüste zurück in die dafür vorgesehenen Kleidungsstücke und stampfte wütend die 102

105 Betontreppe hoch. Türen öffneten sich, Fenster wurden aufgerissen, was sie nicht davon abhielt, vom ersten Treppenabsatz aus ihren letzten Schuß abzufeuern.»geschieht dir recht, du Versager«, kreischte sie,»ich hoffe, der verdammte Hund bumst dich!bitte, meine Dame«, murmelte Davies, den Kopf an die kalte Wand gelehnt,»bringen Sie ihn nicht auf Ideen.«

106 Kapitel 9 Zu den zahllosen Eigenschaften, die Davies zum Detektiv so ungeeignet machten, gehörte auch, daß er in kritischen Momenten weder Mißtrauen noch Vorsicht in genügendem Maße besaß. Über diese Defizite nachzudenken, hatte er hinreichend Gelegenheit im Krankenhaus, nachdem zwei Männer ihn mit Hilfe einer Mülltonne beinahe ins Jenseits befördert hätten. Die Einladung, sich überfallen zu lassen, lag auf der Fußmatte, als er, den Angriffen von Ena Lind und Kitty nur knapp entronnen, spätabends die Tür vom BALI HI aufschloß. Das Gebiß des Hundes war zum Glück so abgenutzt und altersschwach wie der Rest von ihm und hatte nur eine schmerzende Stelle an einem Arm hinterlassen; was ihn auf dem Heimweg zu Mrs. Fulljames heftiger plagte, war die aufwühlende Erinnerung an Enas verführerische Brüste. Er hatte sich, bevor er den Lagonda und Kitty für die Nacht in der Garage parkte, einen langen therapeutischen Schluck aus der Scotchflasche verordnet, die er im Auto versteckt hielt. Dann tauchten sie vor seinen benebelten Augen auf - diese Brüste, weiß und weich wie Schlagsahne, dicke, spitz zulaufende Luftballons. Zum Anfassen nahe schaukelten sie vor seinen Augen hin und her, erhitzten und verstörten zugleich - trotz der Kälte der Nacht - sein Gemüt. Seine Hände waren feucht, als er vor der Haustür nach dem Schlüssel suchte, und er mußte wieder daran denken, wie knapp er einem Notzuchtverbrechen entgangen war. Mit peinlichen Situationen war er wohlvertraut, aber vergewaltigt zu werden, das war doch eine neue Erfahrung und nicht gerade das, was ein Detective Constable der Metropolitan Police gerne eingestand, nicht einmal vor sich selbst. Den Zettel auf der Fußmatte mußte er mit nach draußen nehmen, denn das abendliche»licht aus«wurde bei Mrs. Fulljames wirklich wörtlich genommen. Im Schein der Straßenlaterne ent- 104

107 zifferte Davies die mit Bleistift geschriebene Mitteilung: Für eine wichtige Information kommen Sie um Uhr zur Kanalbrücke. Er fragte sich, ob die Nachricht etwa auf Umwegen von Pater Harvey gekommen sei. Aber dazu paßte die Zeitangabe nicht. In der römisch-katholischen Kirche war es sicher üblich, die Uhrzeit in der althergebrachten 12-Stunden-Form zu schreiben; vielleicht sagte man dort sogar»nach der Abendmesse«. Aber wenn sie auch anonym war - die Aufforderung wirkte vertrauenswürdig. Jemand versuchte, ihm zu helfen. Jemand wollte ihm Informationen geben oder verkaufen. Der Gedanke an einen Hinterhalt oder eine Falle kam ihm - wie üblich - nicht, was einer der Hauptgründe dafür war, daß seine Laufbahn bei der Polizei von ständigen Verletzungen gekennzeichnet war. Davies dachte eben von seinen Mitmenschen immer nur das Beste. An seiner Uhr, die er diesmal ausnahmsweise bei sich trug, war das Glas bei der Rangelei im Fahrstuhl ziemlich zerkratzt und beschädigt worden. Er hielt sie in den Lichtschein, um die Zeiger von den Kratzern unterscheiden zu können, und stellte fest, daß er nur fünf Minuten Zeit hatte, wenn er pünktlich am Treffpunkt beim Kanal sein wollte. Er mußte zu Fuß gehen, denn er wußte, daß weder der Lagonda noch Kitty sich gerne stören ließen, hatte man sie erst einmal für die Nacht zur Ruhe gebracht. Er schlug den feuchten Mantelkragen hoch und marschierte in Richtung High Street, von wo die kleine Gasse zum Kanal hinunterführte. Sie sahen ihn schon kommen, als er die erleuchteten Schaufenster der Hauptstraße passierte. Vorher hatte man sich mit starken Worten über die Formulierung gestritten, ehe man den Zettel durch den Briefschlitz warf. Der eine meinte, es sei unklug,»23.45 Uhr«zu schreiben, doch der andere war der Ansicht, die offizielle Formulierung werde weniger Mißtrauen erregen. Niemand werde einen schweren Jungen verdächtigen, argumentierte er, sich mit der 24-Stunden-Einteilung herumzuschlagen. Das klang gut. Davies war überzeugt, daß die Botschaft etwas Offizielles betreffen müsse, wobei seine Überlegung tatsächlich von der Form der Zeitangabe ausging. Vielleicht kam sie doch von Pater Harvey, vielleicht benutzte er außerhalb seiner Arbeitszeit die übliche Zeitangabe. Dieser Gedanke beschäftigte ihn noch, als er zwischen dem Leihhaus und dem Massagesalon, die jetzt beide 105

108 dunkel und verlassen dalagen, in die Gasse einbog. Hier begannen die Verfolger, sich näher an ihn heranzupirschen. Sie liefen auf Zehenspitzen und trugen die Mülltonne zwischen sich wie zwei abfallsammelnde Nachtgespenster. Davies vernahm von alldem nichts bis zu dem Augenblick, da die Tonne mit metallischem Dröhnen über seinen Kopf gestülpt wurde und er bis zu den Schultern und Armen in einem dunklen, stickigen, nach Curry stinkenden Gefängnis steckte. Seine Hände wedelten hilflos herum: Die Tonne paßte ihm wie angegossen. Er drehte sich verwirrt und erschrocken um sich selbst, aber die Dunkelheit und der Gestank drehten sich mit. Der zweite Akt begann, als sie unter dem Gartenzaun zwei Axtstiele hervorzogen und die Mülltonne damit bearbeiteten. Davies hatte panische Angst wie noch nie in seinem Leben. Die Schläge prasselten und donnerten auf das Metall und schmetterten seinen Kopf hin und her, so daß er gegen die Seiten der Tonne prallte wie der Klöppel einer Riesenglocke. Nach dem ersten schnellen Paukenwirbel traten die Angreifer angesichts seiner Hilflosigkeit einen Schritt zurück und führten nun satte lange Schläge, die bei jedem Treffer eine tiefe Delle in der Tonne hinterließen. Auch seine Hände bearbeiteten sie und prügelten sie immer wieder gegen seinen Körper. Nur seine Beine sparten sich die Angreifer für später auf. Davies vollführte Pirouetten wie ein Ballettänzer. Er nahm trotz allem noch wahr, daß seine Fußgelenke arbeiteten wie Zahnräder. Jeder der Männer schlug noch ein letztes Mal zu, dann faßten sie ihn von zwei Seiten und schleppten das hilflose Bündel zum Kanal hinunter. Der eine nahm seinen Axtstiel mit. Sie stellten Davies am Uferrand auf, und während einer ihn halbwegs aufrecht hielt, holte der andere mächtig aus und versetzte ihm von hinten einen gewaltigen Schlag gegen die Beine. Er taumelte nach vorn und fiel ins Wasser, das ihn gnädig empfing. Die zwei Männer verschwanden und sammelten unterwegs noch den anderen Axtstiel ein. Vielleicht würden sie ihn ja noch einmal brauchen. Es war Pater Harvey, der das mißtönende Geläut von den Schlägen auf die Abfalltonne hörte. Das taten zwar auch noch andere Leute, aber es war dies keine Straßengegend, wo man sich gleich um jeden nächtlichen Lärm kümmerte. Der Priester hatte noch spät an seinem Schreibtisch gesessen und war in Gedanken - und, wenn diese ihn nicht weiterbrachten, ins Gebet - vertieft, da 106

109 er sich gerade mit der Skizze eines Beichtstuhls beschäftigte, den er selbst zusammenbauen mußte. Die Brandstiftung, der das bisherige Möbelstück zum Opfer gefallen war, hatte die Feuerversicherung und die kirchliche Obrigkeit in eine geizige Stimmung versetzt; infolgedessen fehlte es der Gemeinde seit Wochen an einem geeigneten Platz, wo man seine Schuld abladen konnte, so daß sich die unvergebenen Sünden seiner Gemeinde unerträglich angehäuft hatten. Deshalb war der Pater auf die Heimwerkeridee verfallen und zerbiß sich gerade die geistliche Unterlippe über seinem Entwurf, als er die Mülltonne läuten hörte. Er ging zur Tür, eruierte die Richtung, aus der der Lärm kam, und griff nach seiner Angelrute. Sie war einerseits ein guter Vorwand, um sich so spät noch am Wasser zu befinden, andererseits war sie im Notfall auch eine treffliche Waffe. In dem Augenblick, als er das Kanalufer erreichte, hörte er einen schweren Gegenstand ins Wasser klatschen und sah in der Nähe der Brücke die zwei davonrennenden Gestalten. Er eilte unerschrocken in diese Richtung und erreichte die Brücke gerade noch rechtzeitig, um im Licht der Brückenlaterne die auf der Seite liegende Tonne langsam wie ein U-Boot untergehen zu sehen. Sein erster Gedanke war, daß ein paar jugendliche Rowdies sich einen Jux gemacht und sie in das schwarze Wasser geworfen hatten. Aber bevor er sich abwandte, blickte er noch einmal hin und sah ein paar Hosenbeine und Stiefel gurgelnd und blubbernd an die Oberfläche kommen. Pater Harvey war in seiner Jugend in Irland einer der besten Schwimmer von Dingle in der Grafschaft Kerry gewesen - was nicht so großartig war, wie es sich anhörte, da seine Altersgenossen, die zumeist Fischerjungen waren, es vorzogen, immer einen Schiffsrumpf zwischen sich und dem Meer zu haben und niemals freiwillig ins Wasser gingen. Jetzt zögerte er keinen Augenblick, die hinderliche Soutane und die schwarzen Lackschuhe, die er als Hauspantoffeln trug, auszuziehen. Erst als er im Hemd und langer Unterhose dastand, kamen ihm Bedenken. Er schaute noch einmal über die Brüstung, um festzustellen, ob es inzwischen nicht zu spät war und er ganz umsonst springen würde. Da waren sie wieder, dieselben Beine und zappelnden Stiefel. Er murmelte ein Stoßgebet, bekreuzigte sich und plumpste dann mit geschlossenen Augen in die dunkle Brühe. Er prustete, spritzte und bekam die Mülltonne mit den Beinen zu fassen wie ein Ritter, der 107

110 auf sein Pferd springt. Sie sank - mit Davies, der in der Falle saß, dem Pfarrer im Reitsitz oben drauf - sofort unter. So gluckerten sie zusammen in die kalte schwärzliche Tiefe. Die Eiseskälte und der Gestank nahmen Pater Harvey augenblicklich den Atem, aber seine wild fuchtelnden Arme erwischten die Hosenbeine und hielten sie eisern fest. Er wußte, daß, falls er sie losließ, er sie kein zweites Mal mehr finden würde. Endlich erreichte er die Oberfläche. Das Dankgebet, das er zum Himmel sprach, mußte er unterbrechen, weil sein Mund voll Kanalwasser war. Dann kämpfte er sich mit der Mülltonne und ihrem Inhalt im Schlepptau zum Ufer hin, das zum Glück kaum mehr als eine Armeslänge entfernt war. Für einen Geistlichen war er erstaunlich kräftig, und vor allem war er fest entschlossen, sich trotz aller Stoßgebete zum Himmel nicht darauf zu verlassen, daß die Vorsehung für ihn ein Wunder arrangieren würde. Er erreichte das Ufer, klammerte sich fest und rief, so laut es seine nassen Stimmbänder erlaubten, um Hilfe. Ein Mann hörte ihn, der über Nacht seinen Schrebergarten bewachte - es war so allerlei aus den Gemüsegärten verschwunden, seit die Preise hochgegangen waren und die Presse haarklein über den verurteilten Gemüsedieb berichtet hatte. Der Mann eilte ans Wasser. Er hatte zum Glück starke Arme, war er es doch gewohnt, den schweren Londoner Lehmboden umzugraben. Er zog erst Pater Harvey und dann - mit dessen Hilfe - auch die Tonne an Land. Zusammen zerrten sie den Insassen heraus, den der gute Pater mit einem unterdrückten Schreckensruf erkannte.»dangerous«, sagte er, dem bewußtlosen, blutüberströmten Gesicht, das er aus Mangel an sauberem Wasser nicht einmal abwaschen konnte, zugewandt,»dangerous, im Namen aller Heiligen, was haben Sie denn vor?«drei Tage später ging Pater Harvey Davies im Park-Royal-Krankenhaus besuchen. Man hatte ihm den Magen ausgepumpt, seine Wunden genäht und verbunden und die Augen so weit wie möglich geöffnet.»kein Wunder, daß das verdammte Wasser überall in Sie reingeflossen ist«, bemerkte der Pfarrer,»Sie sind ja durchlöchert wie ein Sieb.«Er sah sich schuldbewußt im Krankensaal um, weil er geflucht hatte.»ja, aus mir tröpfelt's jetzt noch überall«, gab Davies verträumt zu. 108

111 »Oh, Sie sind kräftig und zäh, das muß man Ihnen lassen. Ich dachte schon, wir müßten Ihre Leichenfeier vorbereiten. Schon dort am Ufer habe ich überlegt, welcher Konfession Sie wohl angehören. Ich wußte es zwar nicht, trotzdem habe ich Ihnen vorsichtshalber das Sterbesakrament verpaßt. Wenn wir Gottesmänner was kennen, dann sind das die Sakramente.«Davies lächelte schwach.»vielleicht wäre es besser gewesen, Sie hätten es mit Mund-zu-Mund-Beatmung versucht.jeder tut, was er kann«, erwiderte der Pfarrer ruhig.»es ist jedenfalls ein Vergnügen, Sie noch eine Weile hier unten bei uns zu behalten. Dafür, daß Sie droben gute Aussichten haben, möchte ich meine Hand nicht ins Feuer legen, zumal Sie Polizist sind.wenn Sie nicht zufällig mitten in der Nacht schwimmen gegangen wären, befände ich mich jetzt schon dort«, sagte Davies und streckte seine Hand aus, die der Priester - nicht ohne sich vorher insgeheim umzuschauen - in die seine nahm.»das war eine schlimme Sache«, meinte er.»sicher ist die Polizei schon dabei, die Gegend durchzukämmen, was immer man sich darunter vorzustellen hat.die werden höchstens mal kurz nachschauen«, sagte Davies mit Bestimmtheit.»Ein Angriff auf einen Kollegen, besonders wenn ich es bin, ist nichts Wichtiges. Der Inspector, Yardbird heißt er, hat sich wahrscheinlich halb totgelacht und die Jungs aufgefordert, beim Heimweg von der Arbeit ein wenig die Augen offenzuhalten.nächstenliebe beginnt selten im eigenen Hause. Haben Sie eine Ahnung, wer es gewesen sein könnte?eine Ahnung schon.«davies' zugeschwollene Augen funkelten.»ich muß die Kerle - oder den Kerl - nur noch finden.es ist ein Wunder, daß sie Ihnen nicht schon den Schädel eingeschlagen haben, ehe es ans Ertränken ging. Ihr Dickkopf ist härter, als ich dachte.«davies versuchte zu lächeln, was ihm allerdings große Schmerzen bereitete.»einer von meinen Kollegen hat mir erzählt, die Abfalltonne gehört dem indischen Restaurant. Sie war voll mit angetrocknetem Curry. Zäh wie Gummi, der Currybrei, zumal der von dieser Drecksbude, aber mir hat er das Leben gerettet.«seine Augen in dem aufgeplatzten, zugenähten Gesicht sahen Pater Harvey an.»sie sind ein anständiger Kerl, Pater. Danke. 109

112 Wenn ich mit dieser Bande fertig bin, finde ich auch heraus, wer den Beichtstuhl in Brand gesetzt hat.einstweilen denke ich über ein Provisorium nach. Die ungebeichteten Sünden stauen sich turmhoch, aber meine Oberhirten sind nicht sehr verständnisvoll und die Versicherung ebensowenig. Falls Sie zufällig erfahren sollten, daß irgendwo ungenutzt brauchbares Holz herumliegt, könnten Sie es mir ja sagen. Ein paar ausgezeichnete Bretter lagern beim Sargtischler Swindell auf dem Hof, aber das wäre vielleicht ein bißchen unmoralisch. Wenn ich da immer zwischen feinstem Zedernholz sitzen müßte, würde ich mich unbehaglich fühlen. Ich kann noch lange genug im Sarg liegen, wenn es erst einmal so weit ist.immer noch besser, als in einem Abfalleimer herumgeschüttelt zu werden«, sagte Davies.»Übrigens, haben Sie irgendwelche Unkosten gehabt? Ich meine, die durchnäßten Kleider und was sonst noch...?«der Pfarrer schüttelte den Kopf.»Mein Unterzeug war am Morgen schon wieder trocken, ich hatte es neben die Kirchenheizung gehängt. Nur meine Soutane muß gereinigt werden; ich hatte sie zwar vor dem Sprung ins Wasser ausgezogen, aber einfach in die Gegend geworfen, und sie ist in eine Pfütze gefallen. Leider berechnen sie sie bei der chemischen Reinigung immer als Maximantel. Ich schicke Ihnen die Rechnung.«Mrs. Fulljames und Doris betraten gemeinsam den Krankensaal in knautschigen, knisternden Plastikregenmänteln, die eine in rosa, die andere in himmelblau. Außerdem trugen sie durchsichtige Überschuhe aus demselben Material - so, als wären ihre Füße kostbare Ausstellungsstücke. Sie blieben unsicher an der Türe stehen, während die Regentropfen von ihnen herabrannen wie Schmelzwasser im Frühling. Von dort hielten sie nach Davies Ausschau, indem sie die Augen zusammenkniffen und die Köpfe schief legten, als ob sie sich einen guten Überblick über seine Verletzungen verschaffen müßten. Er saß halb aufgerichtet im Bett und war gespannt zu erfahren, wozu sie gekommen waren.»schöner Schlamassel, wie Sie aussehen«, fauchte Mrs. Fulljames von der Tür aus.»ja, echt ein Schlamassel«, bekräftigte Doris loyal. Davies glaubte zu hören, daß seine Wirtin mit den Fingern schnipste, jedenfalls näherten die zwei Plastikdrachen sich ihm 110

113 gleichzeitig mit rasselndem Panzer. Doch blieb er fürs erste verschont, da sich eine heisere Stimme vom anderen Ende des Saales meldete und Mrs. Fulljames' Aufmerksamkeit auf sich zog.»oh, sieh mal, Doris«, rief sie erfreut,»das ist doch der nette Mr. Wellington, unser früherer Milchmann.Ja, Mr. Wellington«, bestätigte Doris. Wenn sie lächelte, hatte Davies manchmal das Gefühl, einen kurzen Blick auf die jugendliche Doris zu werfen. Aber das ging schnell vorbei.»warum er wohl hier ist?laß uns hingehen und den Ärmsten besuchen«, sagte Mrs. Fulljames. Sie vollführte eine schwerfällige Wendung wie ein tiefliegender Frachtsegler und steuerte das hinterste Ende des Saales an. Doris folgte gehorsam, ohne ihrem Exgatten auch nur den kleinsten Blick zu gönnen, worauf er sich zu seinem Erstaunen dabei ertappte, so etwas wie Eifersucht zu verspüren. Er richtete sich in seinem Bett ein wenig auf und sah, daß sich der Milchmann in erwartungsfroher Wiedersehensfreude aufgesetzt hatte. Es dauerte fast zehn Minuten, bis sie zurückkamen.»was für ein interessanter Mann«, seufzte Mrs. Fulljames, als ob das eine ausreichende Entschuldigung für den Abstecher wäre.»und immer höflich, nicht wahr, Doris? Und so weit herumgekommen.das pflegt bei Milchmännern so zu sein«, bemerkte Davies schmerzgeplagt. Doris starrte sein zerschundenes, zusammengeflicktes Gesicht an.»er hat deine Smarties gegessen«, sagte sie lakonisch, als wolle sie es schnell hinter sich bringen.»ich hab' dir Smarties mitgebracht, aber Mr. Wellington hat sie bekommen.«wider alle Vernunft fühlte Davies sich schon wieder gekränkt; er machte ein böses Gesicht. Der Schmerz, der folgte, war ihm eine Lehre, es nicht wieder zu tun.»trotzdem vielen Dank«, murmelte er.»die gute Absicht ist auch etwas wert.so ist es!«rief Mrs. Fulljames überlaut. Sie beugte sich über sein Bett, als bereite sie sich genießerisch auf eine Operation an seinem Körper vor.»und er ist so interessant!«echote Doris - immer noch ein wenig schuldbewußt -»Und er hat so viele Dinge gemacht.zum Beispiel meine Smarties gegessen«, grollte Davies. Mrs. Fulljames hielt wie eine Verkehrspolizistin eine Hand hoch. Ein Rest von Regenwasser, der sich in den Falten ihres rosa Plastikärmels gehalten hatte, tropfte auf die Bettdecke.»Wir 111

114 schicken Ihnen neue«, sagte sie in der für sie typischen Art, die keine Widerrede duldete,»also Schluß mit dem Gejammer. Sie sehen mir sowieso nicht so aus, als ob Sie mit Smarties viel anfangen könnten.du wirst sicher durch einen Schlauch ernährt«, befand Doris,»ein Smartie geht nicht durch einen Schlauch.Außerdem wissen Sie hoffentlich, was Sie getan haben?«fragte Mrs. Fulljames.»Soviel ich weiß«, sagte Davies matt,»habe ich mir eine Mülltonne über den Kopf stülpen, mich entsetzlich zurichten und in den Kanal werfen lassen.ja, und die Haustür offengelassen«, sagte Doris streng.»dein Schlüssel steckte noch.oh?und jemand ist hereingekommen und hat den Garderobenständer gestohlen«, fuhr Mrs. Fulljames fort, vielleicht aus Besorgnis, Doris könne es an Nachdruck fehlen.»mein antiker Garderobenständer.Antik? Das Ding antik!«erlaubte sich Davies, Zweifel anzumelden.»es hat Mr. Fulljames gehört. Als er noch lebte.«damit war für Doris die Authentizitätsfrage geklärt.»vielleicht ist ja dieser Perser - der das Bett geklaut hat - wieder durch das Haus geschlichen«, sagte Davies müde.»jetzt werden Sie auch noch zynisch! Ich wette, Sie machen sich hinter meinem Rücken über das Ganze auch noch lustig. Aber ich will mich nicht mit Ihnen streiten. Wann kommen Sie hier raus?weiß der Teufel. Die Nähkünstler versammeln sich morgen wieder um mich. Vielleicht möchten sie mich als Demonstrationsobjekt hierbehalten.aber wie lange? Sag es Mrs. Fulljames«, verlangte Doris.»Weiß ich doch nicht.«er vollbrachte das Kunststück, flüsternd zu explodieren.»wollen Sie Ihr Zimmer behalten? Das ist das Problem.«Davies war entsetzt.»mein Zimmer? Sie würden doch wohl nicht mein Zimmer weitervermieten?eine Geldfrage, Mr. Davies. Wir müssen schließlich alle leben. Das sollten selbst Sie wissen.sie rühren mich zu Tränen. Aber geben Sie es nicht weg, ich zahle die Miete.«112

115 »Dann ist es ja gut«, sagte Mrs. Fulljames wie jemand, dem ein Stein vom Herzen gefallen ist.»über den Kleiderständer reden wir später weiter. Ich fühle mich dazu jetzt nicht in der Lage.Ich auch nicht«, stöhnte Davies und rutschte unter die Bettdecke. Wie zum Zeichen eines Waffenstillstandes zog sie aus den Falten ihres Plastikumhangs eine Zeitung hervor.»die Abendzeitung. Zwar von gestern, aber hier drin spielt das wohl keine Rolle.Nicht die geringste«, sagte er erschöpft.»hier ist absolut nichts von Bedeutung.«Sie waren schon dabei, sich zur Tür zurückzuziehen, als Doris plötzlich mit einer Bewegung, die an ein pickendes Huhn erinnerte, auf ihn zukam und ihn auf die aufgeschürfte Wange küßte. Eine letzte kleine Wasserlache ergoß sich von ihrem Hut in sein Gesicht.»Wiedersehen«, sagte sie, und dann, ehrlich besorgt:»du hast doch alle Versicherungen pünktlich bezahlt, oder?«mod Lewis kam unauffällig durch die Tür wie ein Dieb.»Ich lasse mich nicht gern hier sehen«, flüsterte er, als er auf Zehenspitzen bei Davies' Bett angelangt war.»ich war hier mal Aushilfspförtner, weißt du, gerade als hier eine Diebstahlserie lief. Jemand hat den Patienten die falschen Zähne geklaut. Immer bei Nacht, verstehst du.«er rollte dramatisch mit den Augen.»Alle wurden verdächtigt, sogar die Ärzte. Und alle hatten am Schluß einen schlechten Nachgeschmack im Mund. Besonders die Patienten.«Er ging um Davies' Bett herum, als habe die Pförtnertätigkeit ihn mit medizinischen Kenntnissen ausgestattet.»na ja, nicht übel«, sagte er nach einem anerkennenden Blick auf die geschwollene Wange.»Gute Arbeit, diese chirurgischen Nähte. Es wird gut ausheilen. Sieht schon nicht mehr ganz so schlimm aus.bist du denn schon einmal hier gewesen?ja, Mann, natürlich. Gleich am nächsten Morgen, sowie ich davon erfuhr. War eine gute Entschuldigung, nicht zur Bücherei zu gehen. Du warst ein jämmerlicher Anblick, Davies, hab' noch nie solch ein Gesicht gesehen. So verschwollen, daß dein Kopf mich an den alten Globus erinnerte, den wir in der Schule hatten. Der sah auch so zerdeppert aus. Ich hab' eine Stunde oder noch länger bei dir gesessen. Du warst bewußtlos, und so hatte ich nie- 113

116 manden, mit dem ich reden konnte. Da hab' ich mich damit unterhalten, auf deinem Gesicht die Flüsse und die Verkehrslinien zu Wasser, zu Lande und in der Luft aufzuspüren - die Eisenbahnstrecken waren natürlich am interessantesten.na siehst du, ich bin niemals langweilig«, sagte Davies.»Könntest du wohl eine Nachricht von mir an eine junge Frau weitergeben?aha, Josie«, sagte Mod, seiner Sache sicher.»sie kommt heute abend her. Sie hat es im Lokalblatt gelesen und ist dann ins WICKELKIND gekommen. Nettes kleines Mädchen, ein bißchen knochig und ein bißchen zu jung für dich. Sie wäre gern heute morgen schon hergekommen, aber ich hab' ihr gesagt, ich würde nachschauen, ob du passabel aussiehst.und?na ja«, meinte Mod skeptisch,»du bist nicht gerade schöner geworden, seit wir das letzte Mal darüber gesprochen haben. Wer war es diesmal?ramscar - oder seine Leute. Wer sonst? Er will mich umbringen, nehme ich an.davus sum, non Oedipus«, zitierte Mod melancholisch.»sagt Terenz, ein römischer Dichter.Was bedeutet das?ich bin nur ein einfacher Mensch, nicht dazu auserkoren, Rätsel zu lösen. Ich las die Worte gestern und mußte daran denken, wie gut sie hier passen.«er hatte bisher gestanden, zog sich aber jetzt das Besucherstühlchen heran.»irgendwem hast du ganz schön auf die Hühneraugen getreten, so viel ist sicher.tolpatschig, wie ich nun mal bin.ist dir schon mal der Gedanke gekommen, ob sie dich nicht genau deswegen auf Ramscars Spur gehetzt haben? Vielleicht wollte man niemanden, der allzu... sagen wir... geschickt vorgeht.alle meine Besucher sind heute so charmant«, seufzte Davies.»Sag mal, gibt jemand meinem Hund zu fressen?mr. Smeeton, unser erstklassiger Alleinunterhalter«, berichtete Mod.»Erst habe ich es versucht, aber das Scheusal hat mich gebissen. Mr. Smeeton, den ich dann losgeschickt habe, war gerade auf dem Weg zu einer Party. Als Hund kostümiert. Er hat übrigens versprochen, dich zu besuchen.«114

117 »Aber doch hoffentlich nicht im Kostüm?Vielleicht doch, er wollte nämlich auf dem Weg zur Arbeit hereinschauen, du weißt ja, was das bedeutet. Auf jeden Fall irgendeine Verkleidung.Ich kann es kaum erwarten.«einen Augenblick schwiegen beide, wie das an Krankenbetten so oft passiert. Mod druckste herum.»du hast sicher von dem verschwundenen Garderobenständer gehört«, sagte er schließlich. Davies hatte das Gefühl, er habe eigentlich etwas anderes sagen wollen.»weißt du, sie waren beide schon hier, Mrs. Fulljames und Doris«, erwiderte er.»es war entsetzlich. Und sie hat einfach meine Smarties verschenkt. Was wolltest du mir sonst noch sagen?ach, eigentlich nichts. Ich hätte bloß gern gewußt... ich will mich ja nicht in Polizeiangelegenheiten einmischen. Ich wüßte nur gern, wie es steht. Die Sache mit Celia.«Davies hatte sich in den Stunden, in denen er hilflos auf dem Rücken lag, systematisch damit beschäftigt.»ich drehe dauernd irgendwelche Steine um und stoße auf seltsame Dinge, sehr schmutzige Sachen zum Teil, aber nichts paßt zum anderen. Zwei Stunden, bevor ich zusammengeschlagen wurde, dachte ich, eine Spur zu haben, von einer Sache, die schon seit Jahren stinkt; inzwischen hat sich ja wohl gezeigt, daß ich recht habe.«mod fuhr nachdenklich fort:»wie du, Davies, normalerweiseentschuldige - durch den Porzellanladen stolperst... vielleicht hast du ja mehr als einen Sumpf aufgerührt.hör zu, Mod«, sagte Davies,»wenn es mir ein bißchen bessergeht, erzähle ich dir, was ich bisher herausgebracht habe. Es ist vieles, aber nicht viel, wenn du weißt, was ich damit meine. Vielleicht siehst du einen Zusammenhang, der mir bisher entgangen ist.«der Waliser nickte.»höchstwahrscheinlich. Inzwischen bin ich schon für dich tätig gewesen. Ich dachte, solange du hier festsitzt, könnte ich eine Zeitlang den Fall Norris übernehmen.und was hast du gemacht?ach, eigentlich habe ich noch nichts unternommen, überhaupt nichts. Und ich will mich ja auch nicht einmischen, verstehst du, oder jemanden bloßstellen. Aber ich bin da über etwas gestolpert. Ich sage dir jetzt nicht, was es ist, es würde bei dir nur einen Argwohn wecken, der sich vielleicht als ganz falsch erweist. Je- 115

118 denfalls ist es kein erfreulicher Verdacht, soviel kannst du mir glauben. Ich werde dir die richtige Richtung zeigen, und du kannst dann deine eigenen Schlüsse ziehen.«davies starrte ihn an.»also gut, was hast du in Gottes Namen gefunden?ich habe den Bericht über Celias Ermordung im Archiv des Lokalblatts, des CITIZEN, nachgeschlagen. Das hast du sicher auch getan?ja, war einer meiner ersten Schritte. Die Zeitungsausschnitte sind alle in einer Mappe. Ich habe sie von vorn bis hinten durchgelesen.«mod stand auf.»also, wenn sie dich hier entlassen, dann geh, und nimm dir das Archiv noch mal vor. Mal sehen, ob du dann das siehst, was ich denke, daß ich es sehe. Alles klar?kannst du es mir nicht jetzt erzählen?«bettelte Davies.»Los, Mod. Du bist doch mein Freund.Danke, trotzdem nein. Du mußt es dir selbst ansehen. Es ist nämlich ein Wespennest. Wiedersehen, Dangerous. Wenn ich wiederkomme, geht's dir hoffentlich schon besser.elender Schuft«, murmelte Davies. Doch Mod lachte nur und ging. Mr. Smeeton, der erstklassige Alleinunterhalter, erschien am Abend auf der Bildfläche, wie Mod vorausgesagt hatte, ganz in braun gekleidet, mit Hufen an den Füßen und einem lebensgroßen Pferdekopf unter dem Arm.»Ich habe einen Partner engagiert«, vertraute er Davies schon von der Mitte des Saales aus an. Ringsum verstummten die Besuchsgespräche.»Ich habe ihn draußen gelassen. Er ist das Hinterteil.Was sonst?«sagte Davies.»Schön, daß Sie expandieren und Angestellte beschäftigen können. Sie sollten allerdings bei der Wahl des Hinterns äußerst vorsichtig sein. Könnte riskant werden.es ist eine anständige Show«, erwiderte Mr. Smeeton sittsam,»und ich beschäftige nur anständige Leute.«Er legte den Pferdekopf, der mit seinen Glasaugen in die Gegend stierte, auf die Bettdecke, um Davies zu mustern.»ekelhaft«, flüsterte er,»wirklich ekelhaft. Ich hatte mal einen Bekannten bei einer Messerwerfernummer, der hat die Frau des Messerwerfers verführt. 116

119 Als ich ihn dann im Krankenhaus besucht habe, sah er ungefähr so aus wie Sie.Zu meiner Nummer gehört eine Mülltonne«, sagte Davies,»und anschließend ein atemberaubender Sprung in eiskaltes Wasser.Davon habe ich gehört«, sagte der Unterhaltungskünstler unbeeindruckt.»und Sie haben die Haustür aufgelassen, und der Garderobenständer wurde gestohlen. Wir haben bei Tisch nichts als Klagen darüber zu hören bekommen, seit Sie hier liegen. Eine hartherzige Frau, diese Mrs. Fulljames. Sie könnte niemals auf der Bühne als Pensionswirtin auftreten, es fehlt ihr für die Rolle an Gutherzigkeit. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, daß sie einen Liliputaner hochheben würde, damit er an die Klokette langen kann.«lachen tat weh. Davies wurde schnell wieder ernst.»nein, das Bild paßt nicht gerade zu Mrs. Fulljames. Übrigens, vielen Dank, daß Sie für Kitty sorgen.es ist mir ein Vergnügen«, sagte Mr. Smeeton liebenswürdig. Er stampfte mit den Hufen auf den Boden. Es klang so echt, daß die Leute wieder aufmerksam wurden.»ich muß jetzt gehen, um acht beginnt meine Vorstellung. Hoffentlich kommen Sie hier bald wieder raus.«er hob den Pferdekopf hoch und drehte an einem der Augen.»Bis bald dann. Hals- und Beinbruch!«Als er mit dem Pferdekopf unter dem Arm durch die Tür ging, kam Josie gerade herein. Ihr Gesichtchen sah abgehärmt aus, ihre Bewegungen wirkten verkrampft.»war der bei dir, der Typ mit dem Pferdekopf?«fragte sie.»so ist es. Alle versuchen, mich zum Lachen zu bringen.«sie sah ihn an, setzte sich auf das Stühlchen, nahm seine beiden Hände in die ihren und brach in Tränen aus.

120 Kapitel 10 Am Sonntagabend regnete es wie üblich. Die Musiker der Heilsarmee bildeten vor dem Eingang zu ihrem Missionssaal einen Halbkreis, ihr eigenes kleines Stonehenge, kehrten dem Rest der Stadt und der Welt die blaugekleideten Rücken zu und versenkten sich in ihr Spiel. In dieser Jahreszeit spielten sie fast nur für sich selbst. Im Sommer hielten sich die Leute gern auf der Straße auf, standen um sie herum und begleiteten die Lieder von der göttlichen Liebe mit guten Ratschlägen und obszönen Witzen, ja, ein Mann war sogar so weit gegangen, zu ihren Rhythmen einen Turnschuh-Shuffle vorzuführen. Aber jetzt, in der feuchten Herbstdämmerung, gab es nur zwei Menschen, die den wackeren Musikanten und ihrer frohen Botschaft Gehör schenkten. Der eine von beiden war ein stadtbekannter Trottel, dem es Spaß machte, das Orchester hinter dem Rücken des echten Kapellmeisters zu dirigieren. Seit Jahren kannte er jede Hand- und Armbewegung auswendig und gab meisterhaft den Takt an. Er hatte sich eine alte, ausgediente Offiziersmütze der Heilsarmee besorgt, die seinem hageren Gesicht einen asketischen, frommen- Zug verlieh. Für ihn war der Sonntagabend der Höhepunkt der Woche, nicht, weil es ihn nach der Botschaft von der Erlösung verlangte, sondern weil dies der einzige Abend in der Woche war, an dem er nicht allein war. Der andere Zuhörer war Dangerous Davies. Man hatte ihn aus dem Krankenhaus entlassen mit dem wohlgemeinten Rat, in Zukunft besser auf sich aufzupassen. Er war noch am selben Abend zur Polizeiwache gegangen, um seinen offiziellen Bericht über den Überfall zu schreiben. Seine Kameraden hatten sich um ihn versammelt, seine Verletzungen begutachtet, an ihnen herumgefingert, als sei er ein Anschauungsobjekt, und sich in historische Erinnerungen an eigene oder fremde 118

121 rühmlich empfangene Wunden vertieft. Da war es fast besser, wieder hinaus in den Regen zu kommen. Er hatte seine Schritte in die sonntäglich leere High Street gelenkt und plötzlich die Klänge der Musikkapelle vernommen. Davies freute sich immer, wenn er der Heilsarmee über den Weg lief. Selbst an diesem so trüben und grauen Abend strahlten die Musikanten so etwas wie Wärme aus, als würde der heiße Atem, den sie durch ihre Blechinstrumente pusteten, von einem himmlischen Feuer gespeist. In diesem Augenblick, als er nach dem mehrtägigen Krankenlager neben der Telefonzelle stand und die Straßenlampen durch das Sprossenfenster hindurch ein schwarzes Gitter auf sein zerschundenes Gesicht zeichneten, fiel ihm ein, daß sich seine Mutter vor vielen Jahren sehnlichst gewünscht hatte, bei der Heilsarmee mitzumachen. Aber sein Vater, dem der Kapotthut nicht gefiel, hatte es nicht erlaubt. Jetzt waren beide schon lange tot und begraben. Ob sein Vater - fragte er sich - zur Strafe seiner Sünden auf ewig das Gesicht seiner Frau unter General Booths blau-rotem Bänderhut ertragen mußte? Davies beobachtete Andrew Parsons, der aus seiner Tuba tiefe, weiche Töne hervorpumpte. Er war ein untersetzter Mensch mit ernsten, festen Gesichtszügen - die jeder hat, der Tuba spielt, da man dabei nicht lachen kann - und eckigen Schultern. Wie er da so breitbeinig stand, hatte er nicht mehr viel von dem Jüngling mit den schwarzen Ringen unter den Augen an sich, der weibliche Kleidungsstücke von den Wäscheleinen der gesamten Umgegend gestohlen hatte. Das freute Davies. Auf ein Zeichen hin verstummte die Musik, und der Kommandant kündigte der kleinen Gruppe die Andacht an. Gleichsam als Anerkennung seines Offiziersrangs reichte man ihm einen Regenschirm in den blau-roten Farben der Heilsarmee, den er in die Höhe hielt wie die Priester von der Konkurrenz das Kruzifix, während er mehrere Gebete sprach und dann mit der Predigt begann. Naheliegenderweise wählte er als Einstieg - und das sicher nicht zum ersten Mal, dachte Davies - das Bibelwort, daß, wo zwei oder drei in Christi Namen versammelt sind, dieser mitten unter ihnen sein werde. Ohne ihre Musik schien die kleine Gruppe in sich zusammenzusinken und im Nieselregen dahinzuschmelzen. Als dem Pseudodirigenten im Hintergrund die Predigt zu lang dauerte, begann er dazwischenzurufen:»spielt doch weiter!«und»hör auf zu labern!«, bis ein Fagottspieler sich nach ihm 119

122 umdrehte und in höchst unchristlichem Ton drohte, ihm das Maul zu stopfen. Auch Davies fand allmählich, daß im Wasser nicht viel Wahrheit liegt, weshalb er sich in die Telefonzelle verdrückte und so tat, als telefoniere er, während er Parsons im Auge behielt. Der Prediger steigerte seine Lautstärke - wohl in der Hoffnung, bis zu ihm oder irgend jemandem hinter den erleuchteten Fenstern durchzudringen. Aber obwohl er den Mund so weit aufriß, daß es hineinregnete, hörte ihm keiner zu. Er war ein Rufer in der Wasserwüste. Schließlich fing die Kapelle wieder an zu spielen, und als ob auch Gott aufatme, daß die Predigt zu Ende war, ließ der Regen nach und trockneten die Gesichter der Musiker wieder. Nach dem Schlußgebet verließ Davies seine Telefonzelle gerade in dem Moment, als Parsons mit dem Hut herumging.»hoffentlich hat's Ihnen gefallen, Sir. Möchten Sie nicht auch etwas spenden?«er tat so, als könne er ein Eintrittsgeld verlangen. Davies warf einen Blick in den Hut. Der Einfaltspinsel hatte zwei Milchflaschendeckel hineingeworfen. Davies ließ das Zweipencestück hineinfallen, das er in der Hand gehalten hatte, um seinem vorgetäuschten Telefongespräch einen realistischeren Anstrich zu geben. Parsons, der aus Erfahrung nichts gegen die Blechdeckel eingewendet hatte, blickte erst die zwei Pence und dann Davies so vorwurfsvoll an, daß dieser noch ein Zehnpencestück opferte. Die Münze lag da wie ein Silbermond in einem schwarzen Himmelszelt.»Vielen Dank, Sir«, sagte Parsons nach einem Blick in den schwarzen Hut.»Wir sammeln nämlich für einen neuen Versammlungssaal.«Das Geld wurde fromm gezählt, und nach einem weiteren Humptata-Choral und einem kurzen Gebet löste sich die Gruppe auf. Die Musiker verschwanden einzeln, ihre Instrumente wie Kindlein im Arm tragend, in der feuchten Dunkelheit; nur die stattliche Frau, die das Banner getragen hatte, befühlte das Fahnentuch und seufzte:»wieder mal klatschnaß. Braucht die ganze Woche zum Trocknen.«Davies drehte sich um und ging Parsons nach.»schade, daß nicht ein paar mehr Leute da waren«, sagte er im Plauderton, als er die vierschrötige Gestalt eingeholt hatte. Parsons schaute sich nach ihm um und grinste ein wenig bitter.»kann 120

123 man bei diesem Wetter nicht erwarten«, meinte er philosophisch.»es braucht unsere ganze Glaubensstärke, um es draußen auszuhalten. Ein geheizter Saal wäre besser.aber ich fand es schön, trotz des Regens. Die Katholiken würden ihre Messe wohl kaum unter solchen Bedingungen abhalten. Kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen.wohl wahr«, räumte Parsons ein.»bei solchem Wetter würden ja ihre Kerzen und der Weihrauch nicht brennen.«nach einer Weile fragte er:»sind Sie gläubig?nein, Polizist.«Parsons schien kaum überrascht. Er nickte und ging weiter.»hab' ich mir gedacht. Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. Aber Ihr Gesicht hat sich verändert.das kommt vom Alter«, antwortete Davies. Sie standen vor ein paar bröckligen Stufen, die zu einem der schmalen viktorianischen Häuser hinaufführten. Die Gardinen waren in jedem Fenster anders.»wohnen Sie hier?«fragte er.»ja, ganz oben.kann ich einen Augenblick mit reinkommen? Ich möchte Sie etwas fragen.«auch diesmal war Parsons nicht besonders überrascht. Vielleicht ließ er sich nie überraschen.»ja, wenn Sie wollen«, sagte er und stieg die Stufen hinauf, während er mit der Tuba rummanövrierte, um an seinen Schlüssel zu gelangen.»es geht wohl um eine Glaubensfrage, oder?«er schien nicht übermäßig erbaut.»nein, leider geht es um ein Verbrechen.«Parsons schloß behutsam auf.»meinetwegen«, sagte er und drückte mit der Stirn die Tür auf, so daß es für einen Augenblick so aussah, als müßte er sich auf der rotweiß gemusterten Glasscheibe ausruhen.»aber machen Sie bitte keinen Lärm, ich möchte nicht, daß meine Hauswirtin merkt, daß ich jemanden mitbringe. Und schon gar nicht jemanden von der Polizei. Sie liebt euch nicht besonders.meine ist genauso«, sagte Davies wahrheitsgemäß und schlich hinter Parsons her durch die Haustür. Sie stiegen schnell, aber lautlos die halbdunklen Treppen hinauf, dann kam ein Korridor, in dem schwer der Dunst von Essen lag, und schließlich, nachdem Parsons noch eine Türe aufgeschlossen hatte, ein typisches möbliertes Zimmer, das reinlich, aber verwohnt aussah. 121

124 »Sie sind nicht verheiratet?«davies setzte sich in einen kalten Lehnsessel, während Parsons sich bückte, um den Gasofen anzuzünden.»dann säße ich nicht hier«, erwiderte Parsons, den nichts aus der Fassung zu bringen schien.»ich wohne hier seit 30 Jahren.Praktisch von Jugend an.«davies lehnte sich zurück. Es war, als säße er auf dem feuchtkalten Schoß einer Riesenfrau.»Dann haben Sie schon hier gewohnt, als Sie damals dieses Problem hatten.was für ein Problem?Das wissen Sie ganz genau, Andrew. Wegen Celia Norris.«Parsons richtete sich langsam auf, wobei er Davies noch immer den Rücken zukehrte, während die Gasflamme aufzischte. Ihre Augen trafen sich im Spiegel, der über dem Kamin hing.»oh mein Gott«, sagte er mutlos,»laßt ihr mich denn nie in Ruhe?Ich weiß, Mann, ich weiß.«davies' Mitgefühl war echt.»so was wird man nie los.es weiß doch fast keiner mehr was von den Dummheiten, die ich damals gemacht habe. Ich denke immer, irgendwann muß es doch vergeben und vergessen sein. Wie heißen Sie überhaupt?«er wandte sich von der Wand und dem Spiegel ab. «Detective Constable Davies.Ach, Sie sind der berühmte Dangerous Davies.Mich kennen wohl alle«, seufzte Davies.»Es kann ja wohl nichts von Bedeutung sein, wenn die Sie herschicken und nicht einmal einen Schutzmann.Eine Formalität.«Davies versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.»wirklich nur eine Formalität. Es hat sich etwas ergeben, was den Fall Celia Norris betrifft, das ist alles. Vielleicht ist es ein neuer Anhaltspunkt.Nach... wieviel Jahre liegt das jetzt zurück? Nach 25 Jahren? Man sollte doch annehmen, die Anhaltspunkte sind genauso tot und begraben wie die Norris«, murmelte Parsons. Er setzte sich Davies gegenüber in den anderen, ebenso schäbigen Sessel, so daß beide sich die spärliche Wärme teilten. Er hatte nur eine einzige Gasflamme angezündet.»man ändert vielleicht seine Meinung in dem einen oder anderen Punkt oder spricht Dinge aus, die man früher nicht geäußert hätte.«davies mußte nicht nur Parsons, sondern auch sich selbst Mut machen. 122

125 »Mag sein«, sagte Parsons müde.»aber sehen Sie's mal von meinem Standpunkt aus. Ich habe damit leben müssen und versucht, es zu verdrängen. Und die anderen Leute hier haben es jetzt endlich vergessen, und ich möchte nicht, daß sie daran erinnert werden.«er blickte auf, und in seinen Augen lag ein Ausdruck von hilfloser, trotziger Verzweiflung.»Ich habe zwei Jahre gebraucht, diese Tuba spielen zu lernen.es tut mir wirklich leid. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Wenn wir das jetzt erledigen, ist die Sache ausgestanden, aus und vorbei, und kein Mensch wird etwas davon erfahren.bis zum nächsten Mal.Es wird kein nächstes Mal geben. Jedenfalls nicht, wenn wir den Fall jetzt mit Ihrer und der Hilfe von anderen Zeugen aufklären können. Dann wird er ein für allemal ausgestanden sein. Es ist unangenehm für Sie, ich verstehe das gut, aber es dauert nicht lange.«parsons seufzte und knetete seine Hände. Dann stand er auf und räumte seine Tuba in den Kleiderschrank, als solle sie nichts von dem erfahren, was jetzt von ihrem Herrn und über ihn gesagt werden würde. Parsons setzte sich wieder hin.»ich trinke nicht, deshalb kann ich Ihnen nichts anbieten.vergessen Sie's. Ich spiele auch mit dem Gedanken, es demnächst aufzugeben.es ist ein Übel«, sagte der Heilsarmist streng.»ein großes Übel. Der Alkohol zerfrißt Ihre Eingeweide.Zugegeben. Also, würden Sie mir jetzt bitte erzählen, was sich Ihrer Erinnerung nach zugetragen hat. Ich habe mir Ihre damalige Aussage durchgelesen, so wie die von allen anderen, aber ich bitte jetzt alle Zeugen, sie noch einmal zu wiederholen; vielleicht kommt etwas dabei heraus, das einen neuen Hinweis ergibt.meinetwegen, aber vorher noch eins, Mr. Davies. Ich bin damit fertig, verstehen Sie? Sie wissen schon - das mit der Unterwäsche. Das ist vorbei, und ich bin darüber hinweg. Ich war ja damals noch ein halbes Kind und so schrecklich allein. Man kann sich ja bei einem Jugendlichen kaum vorstellen, daß er isoliert ist, aber es war wirklich die einsamste Zeit meines Lebens. Jetzt, mit der Heilsarmee, meiner Tuba und dem allem habe ich genug, was mich beschäftigt. Nichts da mehr mit Unterwäsche.«123

126 »Reden Sie nur weiter«, drängte Davies.»Ich verstehe das alles sehr gut. Wir alle tun ja Dinge, die wir später im Leben bedauern. Ich will mich da nicht ausnehmen...oh«, sagte Parsons,»was haben Sie denn angestellt?«davies wußte aus leidvoller Erfahrung, wohin es führen konnte, wenn er sich von dem Beschuldigten ausfragen ließ. Er sagte fest:»lassen wir das. Fangen Sie einfach an, und schildern Sie, woran Sie sich erinnern.«es dauerte 20 Minuten. Wie er die Kleider des Mädchens in der öffentlichen Toilette gefunden hatte, nicht jedoch den Schlüpfer. Wie er sie an sich genommen und erst später aus der Zeitung erfahren hatte, daß sie Celia Norris gehörten. Wie er sie zu der Toilette zurückgebracht hatte und dabei von dem Wärter ertappt worden war. Zwar sprach hier ein Erwachsener von einer viele Jahre zurückliegenden Jugendverirrung, aber die Geschichte war heute noch genauso tragisch und mitleiderregend wie damals. Parsons sprach tonlos, er hielt den Kopf auf die Knie gesenkt und hob nicht ein einziges Mal den Blick. Als er es zum Schluß doch tat, waren seine Augen tränenfeucht.»gut, Mr. Parsons. Es tut mir leid.«davies stand auf und klopfte ihm auf die jetzt kraftlos herabhängende Schulter.»Danke, daß Sie mir die Geschichte noch einmal erzählt haben. Ich wollte einfach noch einmal hören, was da auf der Toilette passiert ist.genügt das jetzt? Ist das jetzt endlich alles?nun, ich hoffe es. Versprechen kann ich es nicht. Vielleicht gibt es noch einen oder zwei unklare Punkte. Man weiß ja nie.«es schien ihm unangebracht, dem Mann die Hand zu reichen, statt dessen sagte er:»einstweilen vielen Dank«, und ging auf den Korridor hinaus. Er war schon drei Treppen tiefer, als Parsons ihm von oben etwas nachrief. Die Stimme war tränenerstickt und zitterte bei dem Versuch, zu schreien und gleichzeitig leise zu sein.»verschwinden Sie nur, wo Sie hingehören - auf den Müll!«Davies hob beschwichtigend die Hand und ging weiter. Parsons schloß seine Tür von innen und lehnte sich schluchzend dagegen.»nächstes Mal tun Sie wenigstens eine anständige Summe in die Kollekte«, flennte er,»sie mieser Bulle.«Er schleppte sich zu seinem Bett und zog die steife Heilsarmeekluft aus. Den Uniformrock und die Hosen hängte er sorgfältig über einen Stuhl. Dann bemerkte er, daß die Gasflamme aus- 124

127 gegangen war, und er schlotterte vor Kälte, hatte er doch nichts am Leibe als seinen Büstenhalter und das Seidenhöschen. Als Davies am nächsten Morgen zum Polizeirevier kam, war die Putzfrau gerade dabei, die Glasscheibe von dem Schaukasten abzuwischen. Die Eingangsstufen waren frisch geschrubbt, und der Messingtürgriff erstrahlte in ungewohntem Glanz. Es war fast so, als hätten sie alles geputzt, um ihn willkommen zu heißen.»die pure Zeitverschwendung«, sagte die Putzfrau und mühte sich mit dem Schmutz auf der Glasscheibe der Tafel ab.»kaum hat man's sauber, ist es wieder schwarz. Dies war schon immer ein besonders schmutziges Revier, Mr. Davies.Wenigstens kann man jetzt durch das Glas wieder sehen«, lobte Davies. Sie warf einen schnellen prüfenden Blick auf sein entstelltes Gesicht, verzichtete jedoch auf einen Kommentar. Wahrscheinlich dachte sie - und das nicht ganz zu unrecht-, so etwas gehöre zum Beruf. Er ging näher heran, um die wieder zum Vorschein gekommenen Steckbriefe zu studieren.»höchste Zeit, daß hier mal geputzt wurde«, scherzte er,»wenn das hier stimmt, fahnden wir heute noch nach Jack the Ripper.Viel Glück, kann ich da nur sagen. Kaum zu glauben, daß ihr überhaupt manchmal jemanden schnappt. Bei dem, was ihr hier Arbeit nennt.«drinnen war der diensthabende Sergeant gerade dabei, das Aussehen eines entlaufenen Hundes zu rekonstruieren. Er hatte eine Schautafel mit Hunderassen von der Wand abgenommen und hielt sie einer drahtigen alten Dame hin, damit sie ihm den Typ zeigen konnte, der ihrem vermißten Liebling am ähnlichsten sah.»er hat einen Kopf wie dieser hier... und warten Sie... der Körper ist wie bei dem da... und dann hat er einen süßen buschigen Schwanz wie dieser hier... und lange Beine - wie die von dem da.insgesamt ergibt das ein Kamel«, brummte der Sergeant und schrieb geduldig mit. Ein Augenpaar spähte über die Trennwand des Vernehmungsraums. Zwei verlorengegangene Kinder, die auf der Bank im Flur saßen, spielten ICH SEHE WAS, WAS DU NICHT SIEHST. Police Constable Westerman hatte wieder mal einen Anfall von Nasenbluten und lag lang ausgestreckt und blutüberströmt wie ein Krawallopfer im CID-Büro, während jemand losgegangen war, 125

128 die Zellenschlüssel zu holen, die man ihm ins Hemd schieben mußte.»der Chef will dich sprechen, Dangerous«, sagte er tapfer, während das Blut weiter floß.»fühlst du dich besser?«es rührte Davies, daß der erste, der sich nach seinem Befinden erkundigte, jemand war, der selbst so übel dran war.»danke, schon viel besser«, das Lächeln bereitete ihm Schmerzen,»aber dir geht's wohl nicht so besonders.«westerman wagte es nicht noch einmal, das blutbefleckte Taschentuch von Mund und Nase zu nehmen; also rollte er nur tragisch mit den Augen. Davies stieg die Treppe hinauf, klopfte an Superintendent Yardbirds Tür und durfte nach zwei Minuten eintreten. Yardbird sah ihm in das verunstaltete Gesicht, verzog aber keine Miene. Vermutlich hätte er mehr Reaktion gezeigt, wenn Davies in einem neuen Anzug angekommen wäre.»es freut uns alle sehr«, sagte Yardbird.»Ja, Sir. Freut mich auch«, sagte Davies. Jede einzelne Narbe tat ihm weh.»übrigens, so was passiert jedem Polizisten mal.«yardbird erhob sich vom Schreibtisch und trat wie zufällig ans Fenster. Die Dächer lagen da wie Eisschollen auf dem Meer, nichts rührte sich in dem Mädchenwohnheim.»Nützliche Erfahrung für Sie, Davies.Ja, Sir. Hervorragend.Und es zeigt, daß Sie ihn aufgestört haben, den Ramscar. Scheint nervös zu werden. Beim Yard ist man froh darüber. Wetten, er hat Sie beschatten lassen, seit Sie auf seiner Spur sind.«davies nickte. Er mußte an den Mann mit der Brille ohne Gläser denken.»denke ich auch, Sir«, murmelte er.»wenn Sie die Augen aufgemacht hätten, wären Sie ihm nicht auf den Leim gegangen. Was, zum Teufel, haben Sie sich bloß dabei gedacht, sich denen praktisch selbst auszuliefern, indem Sie einen Zettel im Briefkasten ernst nehmen. Und dann auch noch allein hingehen - das war ja wohl das Allerdümmste. Manchmal gebe ich bei Ihnen die Hoffnung auf, Davies.Ich auch, Sir«, mußte Davies zugeben.»na ja, Ende gut, alles gut. Wir wissen jetzt wenigstens, daß sie den Köder geschluckt haben.ja«, nickte Davies,»obwohl ich der Köder bin.«126

129 »Hören Sie, Davies«, Yardbird wandte sich vom Fenster ab,»sie können es hinschmeißen, wenn Sie wollen. Ich hole mir jemand anderen. Daran habe ich ohnehin schon gedacht.nein, nein, Sir. Ich komme schon zurecht«, protestierte Davies.»Ich habe jetzt mit Mr. Ramscar eine kleine Rechnung zu begleichen. Niemand stülpt mir eine Mülltonne über den Kopf, ohne dafür zu bezahlen.also gut«, sagte Yardbird,»dann nehme ich an, Sie konzentrieren sich jetzt auf diesen Fall und graben nicht alte Mordgeschichten aus.bestimmt.gut. Lieber Himmel, wenn alle in der Londoner Polizei nur herumrennen und in ungelösten Verbrechen herumstochern wollten, könnten die Ramscars sich in dieser Welt sauwohl fühlen. Es wäre das totale Chaos. Werden Sie sich um Gottes willen über Ihre Prioritäten klar. Ich hoffe, Sie verlangen nicht auch noch Krankenurlaub?Ich bin ja schon wieder auf den Beinen«, sagte Davies ruhig.»wenn alles vorbei ist, kann ich vielleicht Urlaub nehmen und mich anständig auskurieren. Ich würde gern meinen Onkel in Stoke-on-Trent besuchen.genehmigt«, sagte Yardbird und setzte sich wieder an den Schreibtisch.»Tut Ihnen bestimmt gut. Jetzt aber marsch, suchen Sie Ramscar.«

130 Kapitel 11 An diesem Abend trug Dave Boot seine schönste Haarpracht, ein rötliches Kunstprodukt, das sein farbloses Gesicht mit einer orangefarbenen Aureole umgab. Seine Gestalt schwankte in den aufleuchtenden violetten Blitzstrahlen, während die Musikanlage ihre Schlager mit den volkstümlichen Weisheiten und der üblichen Light-Show heraushämmerte. Er registrierte zufrieden, daß der Saal gut gefüllt war, was nicht ganz unerwartet kam, da montags der Eintritt kostenlos war und er darauf kalkulierte, an der Bar wieder wettzumachen, was er am Eingang einbüßte. Er sah sich vom Podium aus um. Wie groß die Teenies heutzutage waren! Ihre Schatten schwankten vor der blutroten Rückwand des Saales wie Bäume im Wind. Auf einmal arbeitete sich der höchste und breiteste Baum von allen durch die schwofende Menge nach vorne, und Boot erkannte, daß es Dangerous Davies war. Jetzt zuckte Boot sowohl innerlich wie äußerlich zusammen. Er beobachtete, wie Davies sich näherte; augenscheinlich versuchte er zu tanzen, geriet jedoch dauernd aus dem Takt und malträtierte die Schienbeine seiner Umgebung derart, daß die Betroffenen sich mit Treten und Schubsen revanchierten. Er zog ein zierliches, blasses dunkelhaariges Mädchen hinter sich her. Jetzt näherten sie sich den farbigen Flashlights rings um das Podium, die auch Boot anstrahlten. Dieser beugte sich wütend hinab.»was haben Sie hier zu suchen?«fragte er. Davies schaute zu ihm auf und grinste von einem Ohr zum anderen.»ich bin ein Oldie, mein Bester. Der Hit von Anno dazumal.«er schlug eine Art Volte und joggte mit Josie von dannen.»also das ist Mr. Boot«, flüsterte sie,»der Freund von Celia.«Er wußte nicht genau, wie sie das meinte; von ihm hatte sie nichts erfahren.»der sieht ja absolut bescheuert aus mit seiner Pe- 128

131 rücke«, fügte sie hinzu,»wie eine wildgewordene Schießbudenfigur. Ich finde das hier alles grauenhaft, Dangerous.Und ich dachte, alle jungen Leute mögen das, diesen Pop. Ich wünschte, ich könnte was damit anfangen. Dann wüßte ich wenigstens am Montag, wohin ich gehen kann.«josie rümpfte im Halbdunkel verächtlich die kleine Nase.»Ich kann Pop nicht ausstehen«, sagte sie,»ich steh' auf Folk.Aha. Was ist das genau?folk. Folkmusik. Ich hab' 83 LPs. Es gibt da einen astreinen Klub, die TRUCK DRIVERS. Dahin gehe ich immer.«davies nickte.»ja, in Kilburn, ich hab' das Schild gesehen. Ich dachte, es wäre ein Fernfahrercafé.«Sie mußte lachen.»ein Fernfahrertreff, das ist eher das hier. Der Chauvi mit seinem Karottenhaar. Schau ihn dir da oben nur an!ich denke, wir sollten uns jetzt leise verdrücken. Der Hund hat den Hasen gewittert und der Hase den Hund. Er ist nun aufgestört. Mehr will ich gar nicht. Laß uns noch irgendwo was trinken gehen und uns später um Mr. Boot kümmern. Danke für den Tanz, Josie.«Er rief für Josie ein Taxi, ehe er sich wieder um Boot kümmerte. Während er dem Fahrer Geld gab, machte Josie ihm hinter der Glasscheibe ein Zeichen, doch ehe er die Tür noch einmal öffnen konnte, hatte sie schon die Fensterscheibe heruntergekurbelt. Ihr schmales Gesicht erschien in der Fensteröffnung wie in einem Rahmen.»Dangerous«, sagte sie besorgt,»bitte, bitte setz dich nicht wieder in die Tinte. Und betrink dich nicht. Und geh nicht so spät nach Hause.Wird gemacht.«sie streckte den Kopf durch das Fenster und gab ihm einen verrutschten Kuß auf die Oberlippe. Er tätschelte ihr ungeschickt die Wange und winkte ihr nach, als das Taxi anfuhr. Dann ging er zur Disko zurück, mischte sich - nicht gerade unauffällig - unter die Teenager, die sich in den schummrigen Ecken herumlümmelten, und sah sich um. Aber Boot war nicht mehr da.»heute ist er früh nach Hause«, meinte die Garderobenfrau.»Er nimmt sich öfters am Montag den halben Abend frei, weil es ja keinen Eintritt kostet. Aber er ist gerade erst weg. Vielleicht erwischen Sie ihn noch auf dem Parkplatz.«129

132 Davies eilte hinaus. Hinter dem Haus dämmerten die Autos reihenweise vor sich hin. Nur ein Motorradfahrer im Plastikhelm beugte den glatten Eierkopf vornüber und malträtierte den Kickstarter seiner Maschine. Davies lief um die Autos herum, um sicherzugehen, daß Boot sich nicht irgendwo versteckte. Er hatte nicht weniger als drei Liebespaare aufgestört - in einem Auto lag ein Mädchen auf dem Rücken und hatte die Füße ekstatisch gegen die Decke gestemmt -, als plötzlich der Motorradfahrer an ihm vorbeidonnerte und Davies im Schein der Parkplatzleuchten die orangeroten Locken erkannte, die aus der Tasche auf dem Gepäckträger herauswehten. Boot war vom Platz verschwunden, bevor Davies auch nur»halt!«schreien konnte. Er hastete zu seinem Lagonda, riß die Tür auf, ließ den Motor an - und weckte den Hund auf. Kitty fing vorwurfsvoll zu husten an. Auf dem Weg zur Ausfahrt rief ihm jemand»dreckiger Spanner«nach. Er bog in die Straße ein und sah Boot unten an der Kreuzung vor der roten Ampel halten. Boot hatte ihn auch bemerkt und bretterte, dicht gefolgt von dem keuchenden Lagonda, die Hauptstraße hinunter. Aus der Gegenrichtung kam viel Verkehr, erstaunlich viel für einen Abend am Wochenanfang, dachte Davies. Er konnte Boots Rücklicht gerade noch erkennen und wunderte sich, als es plötzlich absackte und zu schwanken begann. Boot war in rasendem Tempo von der Straße ab und in den Parkplatz der Untergrundstation Neasden eingebogen. Er selbst wurde an einer Straßengabelung durch den Verkehr behindert, der, wie ihm jetzt klar wurde, vom Wembley-Stadion her kam. Inzwischen hatte Boot genügend Vorsprung, um sein Motorrad abzustellen und in der Station zu verschwinden. Davies zog in größter Eile die Plane über den zähnefletschenden Kitty und machte sich an die Verfolgung. Er hielt sich nicht erst mit einer Fahrkarte auf, sondern rannte die Treppe hinab zum Bahnsteig. An dessen entferntem Ende stand Boot, den Sturzhelm wie eine Trophäe unterm Arm, und wartete in aller Ruhe auf den roten Zug, der eben einfuhr. Davies sah ihn einsteigen und lief die Zugwagen entlang, die alle total überfüllt waren. Er erreichte die Tür, bei der Boot eingestiegen war, und quetschte sich rücksichtslos mitten in die Menge der bemäntelten, bemützten und mit Schals versehenen Leiber. Es gab Protest, weil er so drängelte und angeblich kein Platz mehr war, aber da schlos- 130

133 sen sich auch schon automatisch die Türen, und jede weitere diesbezügliche Diskussion war beendet.»na, Kumpel, was hältst du von den Sturmspitzen?«fragte der Mann neben ihm.»mies«, sagte Davies auf gut Glück.»Waschlappen.«Boot war nicht in der Nähe. Er sah sich auf Zehenspitzen um, bis seine Nachbarn, die er dabei anrempelte, riefen, er solle gefälligst nicht so rumhampeln. Der Mann, der von den Stürmern angefangen hatte, sah ihn abweisend an, da seine Frage eigentlich seinem hinter Davies stehenden Begleiter gegolten hatte; dieser schob Davies jetzt beiseite, und beide vertieften sich, nach einem geringschätzigen Blick in sein Gesicht, weiter in ihre Unterhaltung über das Spiel. England hatte im Wembley-Stadion gespielt und das, so viel bekam Davies mit, nicht gerade ruhmreich.»so ein Wichser, der Schiedsrichter«, sagte der Fan dicht neben Davies' linkem Ohr,»und die Linienrichter auch. Alles Wichser.Hey, Mann, das bringt doch nichts, die Idioten Wichser zu nennen«, kritisierte der neben dem rechten Ohr.»Die beschissenen Stürmer sind die Wichser. Und die Abwehr auch.«der erste erwiderte, er solle das Maul halten, woraus ein Wortwechsel entstand, der sofort in einen Faustkampf überging, während Davies zwischen den beiden Kontrahenten eingezwängt war. Der eine hatte die Initiative ergriffen und dem anderen die Englandrosette abgerissen, die er ihm nun in den Mund zu stopfen versuchte. Davies' Fußknöchel bekam einen Tritt mit, ein zweiter traf einen anderen der Umstehenden an einem empfindlichen Körperteil, jedenfalls gab es Zetergeschrei und einen neuen Ausbruch der Feindseligkeiten. Davies fühlte sich wie ein von hungrigen Krokodilen umzingelter Elefant. Er turnte hin und her, um sich herauszuhalten, während um ihn herum der Nahkampf tobte. Jemand hatte seinem Gegner einen Schal um den Hals gelegt und zog daran, worauf dieser beängstigend rot anlief. Davies wollte eigentlich vermeiden, als Polizist einzugreifen, aber als er es mit einem lauten Zuruf dennoch versuchte, bekam er als einzige Reaktion einen Kniestoß in den Unterleib. Die Schlacht tobte jetzt in dem ganzen überfüllten Wagen, Arme und Fäuste, Köpfe und Flüche flogen hin und her. Davies konnte nicht einmal seinen Dienstausweis zücken, weil seine Hand in einer anonymen Achselhöhle festsaß wie in einem Schraubstock. 131

134 Das Chaos löste sich dann schnell und schmerzlos auf, da der Zug an der nächsten Station hielt und das Getümmel sich zumindest teilweise auf den Bahnsteig ergoß, wo die Schlacht mit noch mehr Enthusiasmus entbrannte. Als die Türen sich wieder schlossen, war ungefähr ein Drittel der Fahrgäste ausgestiegen. Im Zug flaute das Handgemenge langsam ab, bis nur noch gehässige Blicke ausgetauscht wurden. Ein älteres kleines Männlein, das unter dem Schal und der Rosette fast verschwand, war bei der Rangelei in eine Ecke gedrängt worden; jetzt hockte er auf dem Boden und versuchte, die Einzelteile seiner Brille wiederzufinden.»ich will mich ja nicht beklagen«, jammerte er,»aber verdammt noch mal, eigentlich sollten die doch alle für England sein.«hinter ihm stand jemand und beobachtete Davies. Es war Boot. Davies ging zu ihm hinüber. Die Männer rundum unterhielten sich jetzt einsilbig oder diskutierten halbwegs vernünftig den Spielverlauf. Er sprach Boot an:»nehmen Sie öfter die Bahn?Nur, wenn es in Wembley Fußball gibt. Dann sind die Straßen überall verstopft. Wohin fahren Sie denn?ich begleite Sie«, antwortete Davies offen.»hören Sie mal, Sie können nicht mit mir nach Hause gehen. Ich wohne bei meiner Mutter«, sagte Boot unerwartet.»und ich möchte nicht, daß meine alte Dame von der Polizei belästigt wird.wo wohnen Sie?Da müssen Sie schon warten und sehen, wo ich aussteige.«der Zug hielt an der nächsten Station und spuckte noch mehr Leute aus. Einige schwenkten lustlos lärmend ihre Rasseln, wie um sich der trüben, regnerischen, fahl erleuchteten Bahnhofsatmosphäre zu erwehren.»mir ist es egal, ich kann Ihnen meine paar Fragen auch hier stellen«, sagte Davies, dem es in Wirklichkeit nicht egal war. Boot durchschaute den Bluff. Seine Augen nahmen einen listigen Ausdruck an. Beide waren sich bewußt, daß ihre Mitfahrer ihre Zeitungen entfaltet hatten, um dahinter versteckt gespannt zuzuhören.»also los«, forderte Boot ihn heraus,»schießen Sie los.«dazu konnte sich Davies angesichts der Zeitungslauscher nicht entschließen.»ich kann warten«, sagte er,»ich warte, bis wir aussteigen.«132

135 »Und was ist mit Ihrem Mordfall?«fragte Boot laut. Hinter den Zeitungsseiten kamen sogleich Augen und Ohren hervor.»daß Sie aber auch in eine so scheußliche Affäre verwickelt sind!«davies sah ihn wütend an.»halten Sie den Mund«, flüsterte er heiser,»so fallen wir nur auf.grausig, so ein Mord«, fuhr Boot ungerührt fort.»vor allem, wenn man so tief drinsteckt wie Sie.Ich schleife Sie an der nächsten Station raus und verhafte Sie«, zischte Davies.»Ich meine es ernst.aus welchem Grund?«fragte Boot etwas leiser.»sie haben nichts gegen mich in der Hand. Was wollen Sie mir denn anhängen - vielleicht Frechheit gegenüber einem Bullen in der Londoner U-Bahn?«Die Auseinandersetzung wurde an der nächsten Haltestelle durch den gewichtigen Eintritt eines Fahrkartenkontrolleurs unterbrochen. Er steuerte sofort, als habe ihm jemand einen Tip gegeben, auf Davies zu.»fahrausweise bitte«, rief er jovial, worauf ein allgemeines Kramen in den Taschen begann.»ich habe keine«, murmelte Davies.»Ich hatte... ich hätte aber bezahlt.die übliche Ausrede. Alle wollen auf einmal bezahlen, wenn sie geschnappt werden«, dröhnte der Kontrolleur.»Deshalb verlieren die Londoner Verkehrsbetriebe so viel Geld. Daran sind Leute wie Sie schuld.ich wußte noch nicht, wie weit ich fahren würde«, erklärte Davies schnell, und indem er dem Mann seinen Mund dicht - fast liebevoll - ans Ohr hielt:»ich bin Polizist.Ach, so ist das? Auch das hab' ich schon öfters gehört«, rief der Aufseher belustigt.»na, kann ich dann mal den Dienstausweis sehen?«der ganze Wagen war jetzt in gespannter Erwartung, ob Davies solch ein Papier vorzeigen könnte. Diejenigen, die schlechte Plätze hatten, stellten sich auf die Sitze oder machten Klimmzüge an den Halteschlaufen. Boot verfolgte Davies' Nöte mit einem schadenfrohen Lächeln.»Dienstausweis?«sagte Davies.»Wenn es unbedingt sein muß...«sowie er die Hand in die Jackentasche steckte, wurde ihm klar, daß da nichts war. Er erinnerte sich, den Ausweis zuletzt auf seinem Nachttisch im BALI HI gesehen zu 133

136 haben. Die Hand kam leer zurück. Die andere Hand wanderte erst in die andere Tasche, dann in die beiden Manteltaschen.»Ich hatte ihn«, behauptete er verzweifelt.»jemand hat ihn mir gestohlen.«der Kontrolleur lachte höhnisch.»sie haben keinen Ausweis, Sie haben keine Fahrkarte, und Sie wissen nicht einmal, wohin Sie fahren wollen. Hab' ich das zutreffend wiedergegeben, Sir?«Davies nickte kläglich.»leider ja. Aber ich bin wirklich Polizist, ehrlich.er ist ein Freund von mir«, schaltete Boot sich ein.»ich kann bestätigen, was er sagt. Und ich habe eine Fahrkarte.Sie sind Polizist, Sir?«fragte der Bahnbeamte und sah Boot mit dem Respekt an, den er Davies verweigert hatte.»nein, aber ich kann mich ausweisen.«boot griff in seine Tasche.»Hier ist die Visitenkarte meiner Firma. Und hier ein Brief des Bezirksbürgermeisters von Neasden bezüglich einiger karitativer Aktivitäten, mit denen ich mich befasse. Darin steht auch meine Adresse.«Instinktiv versuchte Davies, einen Blick auf die Anschrift zu ergattern, aber der Kontrolleur sah ihn mißgünstig an und drehte sich mit dem Brief um.»ach ja, Mr. Boot! Jetzt erkenne ich Sie wieder. Von der Zeit her, als ich in Willesden zum Boxen ging. Kann mich gut an Sie erinnern, Mr. Boot.«Er sah Davies geringschätzig an.»also gut, wenn Sie mir die Richtigkeit seiner Worte bezeugen, werde ich mich damit zufriedengeben. Er muß aber das Fahrgeld bezahlen, das kann ich ihm nicht ersparen.ich sorge dafür, daß er an der Sperre zahlt, wenn wir aussteigen. Wir wissen noch nicht, wie weit wir fahren.von mir aus, dann verlasse ich mich darauf«, sagte der Kontrolleur. Dann wendete er sich dem bleichen Davies zu.»also, ich vertraue Sie der Obhut von Mr. Boot an.«er hob seinen dikken roten Zeigefinger.»Und denken Sie daran - Sie haben jetzt eine moralische Verpflichtung!«An jeder Station stiegen Fahrgäste aus, kaum jemand stieg zu. Als ein paar Sitzplätze in der Nähe frei wurden, wies Boot, der die Situation sichtlich genoß, mit den Augen in die Richtung, und Davies folgte ihm verdrossen. Nach einer Weile blieben in ihrer Nähe nur noch eine schlampig aussehende Frau sowie zwei Männer mit Englandrosetten übrig, die sich am anderen Ende des Wagens feindselig schweigend anstarrten. 134

137 Als sie die nächste Station passierten, stutzte Davies und orientierte sich auf der Übersichtskarte. Der Zug fuhr gerade unter der Themse durch und steuerte seine Endhaltestelle beim ELEPHANT AND CASTLE an. Boot hatte eine Zeitung hervorgezogen und sich schweigend darin vertieft. Davies saß unruhig daneben. Endlich stand die schlampig aussehende Frau auf, sammelte ihre Habseligkeiten zusammen und stieg aus. So blieben nur noch die zwei Männer, und die saßen weit weg.»also gut«, seufzte Boot und faltete die Zeitung zusammen.»worum geht's denn eigentlich?auf alle Fälle haben Sie Ihren Spaß gehabt«, erwiderte Davies grimmig.»ich habe Sie davor bewahrt, als Schwarzfahrer aus dem Zug zu fliegen. Sie wären vielleicht sogar verhaftet worden.ja, ja, schon gut, Mann. Wo steigen wir jetzt eigentlich aus?ich steige überhaupt nicht aus. Sie können von mir aus tun, was Sie wollen. Ich hab' es Ihnen ja gesagt, ich will keinen Bullen, der mir nach Hause nachläuft und meine alte Dame aufregt. Sie haben ja wohl keinen Haftbefehl, oder?sie ist Ihnen wohl sehr wichtig, Ihre Mutter?Komischerweise ja«, sagte Boot scharf.»sind Sie damals auch immer nach Hause zu Mutti gelaufen, damals in der guten alten Zeit - wissen Sie noch? Sind Sie zu ihr nach Hause gegangen, nachdem Sie es mit Roxanne Potts auf dem Sprungbrett getrieben hatten?wen, zum Teufel...?Roxanne Potts. Mit dem Namen können Sie doch etwas anfangen.«boot sah plötzlich erbärmlich aus.»mein Gott, Sie haben sich ja ins Zeug gelegt, um das alles auszugraben. Roxanne Potts. Sie muß inzwischen über 40 sein.damals war sie 15«, sagte Davies ruhig.»so alt wie Ena und die arme Celia Norris. Erinnern Sie sich an das Trampolin? Niemand könnte Ihnen vorwerfen, Sie hätten die Turngeräte nicht ausgenutzt.«er machte eine federnde Bewegung mit den Händen.»Davy rauf, Davy runter, Davy...Hören Sie doch auf, Sie Bastard«, fauchte Boot. Er sah sich um, ob die beiden Männer am anderen Ende des Wagens zuhörten. Sie waren aufgestanden, um an der Endhaltestelle auszusteigen. Als der Zug hielt, drehten sie sich neugierig nach Davies und Boot um, stiegen dann aus und schlugen die Mantelkragen hoch. 135

138 Als sie außen am Fenster vorbeikamen, schielten sie über die Kragenecken hinweg noch einmal nach den zwei Sonderlingen, die noch im Zug saßen.»elephant AND CASTLE«, sagte Boot und war im Begriff aufzustehen.»endstation.«davies zog ihn zurück auf den Sitz.»Nicht für mich«, sagte er.»jetzt sind wir so weit miteinander gefahren, jetzt müssen Sie mir eine Weile zuhören, und dann möchte ich hören, was Sie zu sagen haben. Ich schlage vor, Sie bringen es jetzt hinter sich, Booty, später wird es nur noch schlimmer für Sie.«Boot setzte sich wieder.»hier können wir nicht bleiben«, wandte er ein,»der Zug bleibt hier für die Nacht stehen.dann warten wir, bis sie uns rauswerfen. Es ist warm und gemütlich, und wir sind ungestört. Hier kann man gut reden.wer hat Sie auf mich gehetzt? Roxanne Potts?Ich hatte noch nicht das Vergnügen, Roxanne kennenzulernen. Raten Sie weiter.diese Ena?Diese Ena, jawohl. Damals Ena Brown, jetzt Ena Lind. Sie hat den feschen Bill Lind geheiratet und wohnt in einer Dachgeschoßwohnung, wo ihr die ganze Welt zu Füßen liegt. Stellen Sie sich vor, sie hat einen Kater, der grün ist.manchmal könnte man glauben, Sie sind besoffen, dabei sind Sie's gar nicht«, stellte Boot fest.»sie glauben das nicht, das mit dem grünen Kater? Ich nehme Sie mal mit hin, wenn Sie ihn sehen wollen. Lohnt sich, echt.nein danke. Das erspare ich mir lieber.aber Ena würde den flotten Dave gern wiedersehen. Sie könnten ein Turnhemd und einen Minislip anziehen, damit sie gleich weiß, was Sache ist. Und wenn Sie ein Trampolin mitbringen - falls das in den Aufzug paßt-, könnten Sie die alten Zeiten wieder aufleben lassen.dafür können Sie mich nicht belangen, Davies. Es ist eine Ewigkeit her.der Mord auch. Dafür könnte ich Sie belangen.«boots Gesicht erstarrte, als würde ihm mit einem Mal der Ernst der Situation klar.»und Mord ist eine Wunde, die die Zeit nicht heilt.«davies war nahe an ihn herangerückt und hatte die letzten Worte fast beschwörend gesprochen.»also verraten Sie mir jetzt lieber, was Sie wissen, Booty.«136

139 »Ich hab' schon gesagt, ich hatte nichts damit zu tun. Ich hab' sie nicht getötet.«boot betonte jedes einzelne Wort.»Ehrlich.Um so wichtiger ist es dann, daß Sie mir sagen, wie Sie in die Sache verwickelt sind«, drängte Davies.»Sonst könnte ich denken, Sie hätten die Tat doch begangen.«ein Schaffner kam den Bahnsteig entlang geschlendert - es war ein apathischer Westinder, den sein Schicksal in diese kalte Stadt verschlagen hatte. Er sollte eigentlich den Zug kontrollieren, aber gerade vor dem Wagen, in dem sie saßen, blieb sein Blick an einem neuen Kinoplakat hängen. Er blieb stehen, malte der Diva mit dem Kuli einen üppigen Schnurrbart und setzte seinen Weg fort, ohne Boot und Davies zu entdecken oder von ihnen bemerkt zu werden. Boot berichtete flüsternd von den Teenagern, die ihn in seinen Jugendtagen verführt hatten. Davies hörte zu und wartete ab. Die Türen des Zuges glitten zusammen, wie um sich schlaftrunken zu umarmen, dann setzte der Zug sich in Bewegung. Boot blickte kurz auf, aber nun, da er einmal angefangen hatte zu beichten, war er durch nichts mehr aufzuhalten. Und was Davies anging, so hätte er Boot nicht unterbrochen, selbst wenn der Zug nach Addis Abeba abgefahren wäre. Schließlich hatte Boot alles erzählt, was er wußte, woran er sich erinnerte oder woran er sich erinnern wollte. Er hatte dabei Davies keinen Augenblick lang angesehen. Die meisten Menschen wenden die Augen ab, wenn sie etwas Heikles aus ihrer Vergangenheit preisgeben. Am Ende seines Berichts angekommen, blickte er auf, als fürchte er, Davies könne eingeschlafen sein. Aber das breite, zernarbte Gesicht war ihm immer noch aufmerksam zugewandt. Der dicke braune Mantel, in dem der Polizist steckte, hatte sich über seinen Schultern zusammengeschoben wie ein Haufen feuchter Erde.»Wir fahren«, sagte Boot und deutete auf die Dunkelheit, die hinter dem Fenster vorbeirumpelte.»gott weiß, wo wir jetzt landen.kein Problem«, gähnte Davies.»Dies Dings hier kann wohl kaum London verlassen. Aber Sie waren noch nicht fertig?doch.«boot zögerte.»ich glaube, ich habe alles gesagt, Herr Wachtmeister.«Vor Zorn schwoll in Davies' Gesicht eine Ader wie eine frische Narbe.»Laß den Wachtmeister-Scheiß sein, Booty«, donnerte er, wobei er aufsprang, den anderen am Kragen packte und ihn hoch- 137

140 riß.»reden wir mal von deiner Boxerzeit.«Boots Gesicht verzerrte sich, und er versuchte, etwas zu sagen, doch Davies hob ihn hoch und warf ihn durch den ganzen Wagen. Er landete krachend auf dem Boden vor den Türen.»Schon gut, Herr Kontrolleur, ich verbürge mich für ihn. Ich passe auf, daß er sein Fahrgeld bezahlt«, brüllte Davies ihn an. Boot, der immer noch auf dem Boden saß, sah ihn mit verzerrtem Gesicht an.»jetzt wollen Sie es mir wohl heimzahlen«, flüsterte er.»genau wie alle Bullen. Es geht Ihnen nur um sich selbst. Sie wollen mich aufmischen, weil ich Sie bloßgestellt habe.«davies grinste plötzlich amüsiert.»nein, Booty, das nicht. Dich doch nicht, wo wir doch gerade so ein gutes Gespräch haben.«er ging hin und half Boot mit übertriebener Hilfsbereitschaft vom Boden auf, klopfte ihn ab und führte ihn zu seinem Platz zurück.»aber«, sagte er, als sie beide wieder saßen,»aber ich möchte dir etwas sagen - und es ist nur zu deinem eigenen Besten. Wenn dir nicht noch ein bißchen mehr von der Geschichte einfällt - und zwar das, was du bisher weggelassen hast-, schmeiße ich dich das nächste Mal bis zum anderen Wagenende. Bis ganz dahinten. Und dann komme ich und mach' dich fertig, dafür, daß du mich vor all den Fußballfans zum Idioten gemacht hast. Alles klar?«boots Kopf bewegte sich hoch und runter wie bei einer Marionette.»Was denn weggelassen?«fragte er.»den fraglichen Abend, Booty«, sagte Davies, der Boot jetzt so nahegerückt war, daß seine Nase fast dessen Ohr berührte.»den Abend vom 23. Juli 1951.«Er grinste und fing an zu singen:»in der Sommernacht, da ich dich fand, ein Zauber erfüllte die Luft...Celia?«fragte Boot.»Ins Schwarze getroffen. Celia«, bestätigte Davies. Er spürte, daß er vor Spannung eine leichte Gänsehaut bekommen hatte. Boot sah, wie er die Fäuste ballte.»genau die meine ich.wir haben es gemacht. Sex, meine ich. Sie hat sich mir immer an den Hals geworfen, alle taten das. Mein lieber Mann, manchmal war ich am Rande der Erschöpfung.Schreckliches Schicksal«, brummte Davies.»Und sie war am schlimmsten. Quengelte ständig, sie sei an der Reihe. Also... also an diesem Abend sagte ich, sie sollte 138

141 den anderen sagen, sie ginge heim, und dann in den Lagerraum kommen. Und sie kam auch.warum hast du sie umgebracht, Booty?Ich habe sie nicht umgebracht!«schrie er verzweifelt. Der Aufschrei hallte seltsam in dem leeren Wagen wider. Der Zug schlingerte und ratterte auf seiner Reise ins Nichts. Davies packte Boot wieder an der Jacke, zog ihn hoch und warf ihn bis zum anderen Wagenende. Er lag auf dem geriffelten Holzfußboden, sah sich um und rang nach Atem.»Na also, habe ich etwa zuviel versprochen?«sagte Davies zufrieden. Er ging - sich mit dem Fahrtrhythmus in den Hüften wiegend - auf Boot zu. Dieser richtete sich auf und versteckte den Kopf zwischen den Händen wie ein verängstigter Junge auf dem Schulhof. Davies hängte sich über ihn in die Halteriemen.»Was ist«, sagte er,»soll ich dich zurückwerfen?«boot, der immer noch am Boden saß und das Gesicht zwischen den Händen verbarg, jammerte:»ich hatte ihren Slip. Den mußte ich dann loswerden. Aber ich habe sie nicht getötet, Davies. Ehrlich nicht. Sie war gesund und munter, als sie von mir wegging. Das heißt, als sie mit dem Rad wegfuhr.und ließ dich mit dem berühmten Höschen in der Hand zurück«, sagte Davies. Die Gänsehaut verstärkte sich. Er hatte etwas herausgefunden!»sie rannte einfach weg, ohne Hose«, murmelte Boot.»Wir hatten Streit, eine Meinungsverschiedenheit...Worüber, Booty?Herrgott, es ist 25 Jahre her...worüber?ich wollte, daß sie etwas tun sollte, Sie wissen schon was, doch sie wollte nicht. Sie spielte auf einmal die fromme Katholikin und sagte, es wäre eine Sünde. Ich lachte sie deshalb aus, es war wirklich nur Spaß, aber sie wurde plötzlich total verrückt... und...ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte Davies.»Sie sagten, ich wisse es. Aber ich habe nicht die blasseste Ahnung. Worum ging der Streit?Sie sind ein gemeiner Bastard. Sie wollen ja nur, daß ich es sage.«er sah erschrocken hoch, als er Davies' feuchte Schuhsohle an seinem Hals direkt unter seinem Adamsapfel spürte.»stimmt, ich möchte, daß Sie es sagen. Ich bin, was solche Sachen angeht, etwas beschränkt.«139

142 »Ich wollte, daß sie... sie sollte mir einen blasen«, sagte Boot und barg den Kopf wieder in den Händen. Dann sah er auf und erkannte den Ausdruck ungläubiger Wut in Davies' Blick.»Sie wissen doch...«, murmelte er,»blasen. Sie wissen doch, was das ist.was der Wind tut.oh Gott, hören Sie auf. Sie sollte ihn in den Mund nehmen. Aber sie weigerte sich.kann ich ihr nicht verdenken«, sagte Davies. Äußerlich war er noch ruhiger geworden.»ich würde Sie auch nicht ablutschen wollen.«boots Gesicht zitterte.»das war schon alles. Sie wurde wütend und schlug mir direkt ins Gesicht, da faßte ich sie an den Armen, damit sie aufhört. Es war alles nur ein Spaß, aber sie nahm das alles todernst. Sie gab mir einen Tritt, einen unter die Gürtellinie! Dann rannte sie weg. Ich sah sie noch auf ihr Rad steigen und losfahren. Das war das Letzte, was ich von ihr gesehen habe.und Ihnen blieb bloß das Höschen. Als Andenken.Das ist alles. Mehr war nicht«, flehte Boot.»Da können Sie denken, was Sie wollen.«davies trat einen Schritt zurück und setzte sich.»so viele Jahre ist das her.«er schüttelte ungläubig den Kopf.»Und Sie erinnern sich immer noch, wie schmerzhaft das Mädchen Sie getreten hat. Und alles wegen solch einem harmlosen Lutscher...«Boot jaulte auf, als der Riese sich plötzlich auf ihn stürzte. Davies hob ihn hoch und schleuderte ihn gegen die schwankenden, röhrenförmigen Wände. Dreimal schmetterte er ihn gegen die Wand. Dann drehte er sich um und warf das Bündel durch den halben Wagen. Boot lag stöhnend am Boden. Nach einer Weile richtete er sich auf dem Ellbogen auf und heulte:»du... du beschissener Heuchler. Das tust du nur, weil dir in deinem ganzen Leben noch keine einen geblasen hat!«vermutlich rettete nur die Tatsache, daß der Zug plötzlich rukkelte, ihm das Leben. Davies stolperte und wurde dann ruhig. Er ließ sich auf den nächsten Sitz fallen und saß unbeweglich da. Ihm war auf einmal kalt. Er bemerkte die Sturzseen, in denen der Regen die Fensterscheiben herabrann.»sehen Sie«, rief er Boot am anderen Wagenende zu,»es gießt in Strömen. Wir sitzen hier wenigstens gemütlich im Trockenen.«140

143 In diesem Augenblick öffnete sich geräuschvoll die Tür zum nächsten Wagen, und ein schmächtiger Kerl im Arbeitsoverall streckte den Kopf herein. Er betrachtete die Szene, als passiere so etwas nicht zum ersten Mal.»Heh«, fragte er,»was machen Sie denn hier? Der Zug ist in der Waschhalle.«Er verbeugte sich wie jemand, der eine kurze, aber bedeutende Rede gehalten hat, und zog sich zurück. Fünf Minuten später erschien er wieder mit zwei kräftigeren Genossen.»Hier«, sagte er,»die sind's. Der eine is' ganz blutig, die ha'm sich geprügelt.«davies hatte inzwischen Boot in den Sitz neben sich gedrückt und ihm liebevoll den Arm um die Schulter gelegt.»kl... kleine Meinungsverschiedenheit«, teilte er dem Trio mit,»ha'm nur paar Bierchen gezischt, ha'm uns gezankt. Jetz' is' alles wieder gut. Sin' wieder Freunde, nich', Booty?«Der Kopf in seiner Armbeuge, dem von hinten kräftig nachgeholfen wurde, nickte.»un' jetz' geh'n wir brav nach Hause. Danke, meine Herren.Hier lang«, befahl einer der Männer barsch.»sie müssen durch den ganzen Zug gehen, bis zum Ende, da können Sie raus. Und daß Sie sich nicht übergeben, sonst muß es noch jemand wegmachen. Unbefugte haben keinen Zutritt, das wissen Sie hoffentlich.unbegut..., Unbetuch... weiß schon, aber ich kann's nicht sagen.«davies grinste dümmlich.»komm, Alter, wir ziehen Leine. Sag diesen Herrschaften schön gute Nacht.«Er zog Boot in die Höhe, stellte ihn auf die Füße und stolperte mit ihm durch den Mittelgang und in den nächsten Wagen. Die Bahnarbeiter folgten ihnen mit einer Wagenlänge Abstand. Davies begann, trunken zu singen, und Boot fiel nach einem weiteren Kniff in den Arm ein:»lustige Burschen, gute Gesellen, trinkt auf treue Brüderschaft...«

144 Kapitel 12 Am nächsten Abend zelebrierten Davies und Mod im WIK- KELKIND ein echtes Besäufnis. Mod dozierte lebhaft und lehrreich über die Denkfehler in Darwins Evolutionstheorie, präsentierte eine logische Erklärung für das Wunder des Moses, wo dieser Wasser aus dem Felsen fließen läßt, und berichtete davon, daß es im London der Jahrhundertwende in reichen Häusern Mode war, Goldfische in den gläsernen Toilettenspülkästen schwimmen zu lassen. Das Thema Mord wurde nicht berührt, beziehungsweise erst um Mitternacht, nachdem der irische Wirt und seine zwei wackeren Schankgehilfen sie wie nasse Säcke auf die Straße geworfen hatten.»ist es in diesem Moment erlaubt, nachzufragen, ob du meine Recherchen bezüglich der Berichterstattung der Lokalpresse über das damalige bedauerliche Ereignis nachvollzogen hast?«fragte Mod in der gestelzten Sprache, deren er sich befleißigte, wenn er betrunken war. Er rappelte sich hoch, darauf vertrauend, daß seine Füße ihn tragen würden. Er irrte sich. Davies lehnte sich so breitbeinig an die Backsteinwand des Wirtshauses, als fürchte er, sie werde plötzlich nachgeben. Er entdeckte Mod sehr, sehr tief unter sich in horizontaler Lage ausgestreckt.»dein Anblick ist wirklich peinlich, Mod Lewis«, tadelte er.»warum wälzest du dich im Morast?Weil ich nicht aufstehen kann, Dangerous«, antwortete Mod sachlich.»ich glaube, meine Beine haben sich selbständig gemacht. Und das nach so vielen Jahren. Schade, sie werden mir fehlen. Waren gute Kameraden, meine Benekens.«Er sah zu Davies auf und versuchte, die Entfernung zwischen ihnen zu schätzen.»mein Freund, glaubst du, du könntest zu mir herkommen und mich aufheben?«davies kalkulierte seinerseits, wie viele Schritte es sein mochten.»nein«, fand er,»ich glaube nicht, daß ich das schaffe. Zu 142

145 weit weg. Aber... paß auf, Mod, nicht verzagen... Wenn du hierhin robbst, und ich halte mich an dem Abflußrohr fest, dann kannst du dich hochziehen und mich und das Rohr als Stütze benutzen. Die Hauptsache ist ja, daß du erst mal auf die Beine kommst.tolle Idee. Alle Achtung«, murmelte Mod. Wie ein Feigling, der sich zu einer unvermeidlichen Heldentat genötigt sieht, maß er den Abgrund zwischen sich und Davies' Füßen. Dazu zählte er die Steinplatten ab, indem er jeder einzelnen wie zum Gruß zunickte. Er stützte sich auf beiden Händen ab, und es war ihm zu riskant, auch nur einen Finger zu heben.»glaubst du wirklich, daß ich es schaffen kann, Dangerous?«flüsterte er ängstlich.»mod«, sagte Davies, der sich an das Abflußrohr klammerte,»ich weiß, daß du's schaffst, Junge, bestimmt.der Glaube«, murmelte Mod,»kann Berge versetzen. Und ein Berg bin ich ja wohl, ein Bierberg. Also gut, ich flitze los.«er flitzte zwar nicht gerade, sondern kroch auf allen vieren über die kalten Steine, wobei er zweimal ausrutschte, bekam aber schließlich doch Davies' Fußknöchel zu fassen. Von dort arbeitete er sich langsam empor wie jemand, der die Eiger-Nordwand erklettert, indem er sich an den Taschen, dem Gürtel und den Knopflöchern von Davies' geräumigem braunen Mantel hochangelte.»vorsicht mit dem Mantel«, rief Davies.»Du kriegst ihn noch kaputt.«mods Gesicht tauchte etwas unterhalb seines eigenen auf, und so wußte Davies, daß Mod seine größtmögliche Höhe erreicht hatte.»jetzt halte dich am Rohr fest!«sie klammerten sich aneinander wie Männer auf einem Felsensims über einem lebensgefährlichen Abgrund. Mods Hände ertasteten das rauhe Metall und suchten verzweifelt Halt. Die Röhre wankte unter der vermehrten Last - zusätzlich zu den sechs Metern Metallrohr mußte sie auch Davies' Gewicht tragen -, aber Mod dachte, was da so wackelte, sei er selbst.»jetzt noch die andere Hand, und ich hab' es geschafft, Alter. Nur noch ein Schritt.«Davies spornte ihn an, den Versuch zu wagen. Er tat es, wäre fast über Davies gestolpert und klammerte sich mit der freien Hand an das Rohr. Es war ein solides Abflußrohr, aber alt und mürbe. Unter dem Gewicht und Zug der vier Hände gab es knirschend nach und löste sich von der Wand. Davies und Mod spürten es im gleichen Moment und schrien unisono auf vor Schreck. Sie blickten 143

146 hoch und sahen, wie das ganze senkrechte Rohr samt der Dachrinne, an der es befestigt war, wie ein ehernes Kreuz über ihnen schwankte. Es pendelte hin und her, wie um sein Gleichgewicht bemüht, dann krachte es herunter und ringelte sich wie ein Drahtseil quer über die Fahrbahn. Das alte Gußeisen ließ beim Zerspringen einen schönen Ton erklingen. Davies und Mod drückten sich an die rohrlose Wand. Ringsum ging oben über den Geschäften das Licht an, Fenster wurden geöffnet, und, was noch bedrohlicher war, hinter ihnen in der Kneipe konnte man jemanden an den Türschlössern und Sicherungsketten hantieren hören. Auf der anderen Straßenseite rief irgendein Schwachkopf:»Schrapnell! Schrapnell auf die Straße geflogen! Die Kanonen sprechen!«ein unvermuteter Schrecken führt zu einer Adrenalinausschüttung, die selbst den schläfrigsten Betrunkenen hellwach macht; dieser geheimnisvolle chemische Antrieb kam Davies und Mod zu Hilfe und ließ sie Reißaus nehmen. Sie waren sogar wieder soweit bei Verstand, daß sie um die Wirtshausecke herum durch ein Seitengäßchen zur nächsten größeren Straße liefen. Über die Dächer schallte ihnen das Stimmengewirr nach - und bald darauf auch das Sirenengeheul des Polizeiwagens.»Die haben die Jungs aus dem Bett geholt«, meinte Davies.»Sie müssen wohl gedacht haben, es wäre ein Einbruch.«Sie machten sich auf weichen Knien auf den Weg zu Mrs. Fulljames' Pension. Dann begannen sie zu lachen; erst war es ein unterdrücktes Kichern, dann brach es aus ihnen heraus, und sie zogen vor Lachen ächzend und prustend durch die nächtlichen Straßen. Erst in der Nähe vom BALI Hl kehrte ihre natürliche Wachsamkeit wieder zurück, und sie unterdrückten ihre Heiterkeit und schlichen behutsam weiter. Vor ihnen bewegte sich etwas in der Dunkelheit, und dann sahen sie, daß das nachtwandelnde Pferd des Eisen- und Lumpenmannes direkt auf sie zukam, so als sei es erfreut, im Dunkel der Nacht auf ein mitfühlendes Wesen zu treffen.»muß man anbinden«, lallte Davies und schielte an dem großen schwarzen Pferdegesicht in die Höhe.»Gefährdet den Verkehr.Also, welche Hausnummer ist heute dran?«flüsterte Mod verschwörerisch.»dieselbe wie letztesmal?nein, jemand anders.dangerous - warum nicht Mrs. Fulljames?«Mod war begeistert von seinem Einfall. 144

147 Davies ließ sich mitreißen.»tolle Idee, Mod. Aber dann müssen wir machen, daß wir wegkommen. Diese Frau kennt kein Erbarmen. Sie reißt dir das allerletzte Smartie aus dem Munde weg.«mod machte Davies und dem Pferd ein Zeichen, und sie schlichen zu dritt an den Ligusterhecken entlang bis zum Eingang vom BALI HI. Erst jetzt bemerkte Davies, daß der Gaul kein Halfter hatte.»verflixt, wir brauchen etwas, womit wir ihn festbinden können.«er sah sich suchend um.»moment mal, Dangerous, denk doch mal nach. Es muß doch nicht die Türklinke sein. Warum schieben wir ihn nicht einfach ins Haus?«Davies' verklärte Miene leuchtete in der Dunkelheit.»Eine Superidee«, flüsterte er.»wir schubsen ihn rein und zischen ab.«sie stöberten in ihren Taschen, bis Mod seinen Schlüssel fand. Dann gingen sie auf Zehenspitzen zur Tür; das Pferd - als Dritter im Bunde - schien sich der konspirativen Situation bewußt zu sein und schlich leise wie auf Zehenspitzen hinterher. Der Schlüssel drehte sich, und die große altmodische Haustür sprang auf. Davies gab dem Pferd einen freundschaftlichen Klaps; es wußte offenbar genau, was es zu tun hatte, und trat lautlos ein. Sie zogen die Tür leise zu und suchten das Weite - erst gemessenen, wenn auch unsicheren Schrittes, dann im Trab und schließlich in wildem lärmendem Galopp. Hingerissen von der Tollkühnheit ihres Handstreichs, torkelten sie bis zur MONDSCHEINSERENADE, einer über Nacht geöffneten Kaffeebude dicht beim Bahnhof. Sie gehörte einem Mann namens Burney, der immer irgendwo saß: entweder in seinem Kiosk oder im Knast. Er war ein alter Freund von Davies.»Notfalls könnte Mr. Burney uns ein Alibi geben«, flüsterte Mod ihm ins Ohr. Davies schüttelte den Kopf.»Dem würde keiner glauben, der hat sein Glaubwürdigkeitsstadium schon längst hinter sich. Seine Aktie wird an der Börse nicht gehandelt.«mod war schon beim zweiten Becher Kaffee.»Hör mal, ich weiß, wo wir ein gutes Alibi kriegen könnten. Bei Mr. Chrust vom CITIZEN, dem würde jeder glauben. Außerdem mußt du ohnehin zu ihm. Weißt du noch, was ich dir gesagt habe? Über den Mordbericht?«145

148 »Er wohnt über der Redaktion.«Davies bebte immer noch vor Lachen und vom Alkohol.»Er wird nicht begeistert sein, wenn wir ihn wecken. Wir sagen einfach, es handele sich um eine dringende Untersuchung. Und wenn er später angibt, daß wir bei ihm waren, wird es niemand bezweifeln. Und wer merkt sich schon die genaue Uhrzeit? Los, gehen wir!«ihre Schritte hallten durch die stille Nacht.»Mod«, sagte Davies,»alter Freund, ich habe mir die Zeitungsausschnitte zu dem Mord noch mal angesehen - und zwar genau. Nichts, rein gar nichts. Vielleicht hattest du einen in der Krone und hast etwas über einen ganz anderen Mord gelesen?hör zu«, sagte Mod und blieb abrupt stehen. Vorsichtig setzte er den Fuß auf den Boden. Er war genau wie Davies immer noch benebelt, obwohl die Unsicherheit sich langsam legte. Der Kaffee tat spürbar seine Wirkung.»Zuhören mußt du schon. Ich hab' von den alten Ausgaben vom CITIZEN gesprochen, nicht von irgendwelchen Ausschnitten. Du wirst nie ein anständiger Detektiv, so wahr du ein Loch im Arsch hast.das gehört zur Anatomie«, wehrte Davies sich.»also kränke mich nicht in meiner Berufsehre. Oder sollen wir uns duellieren? Mit Fäusten?«Er deutete auf seine großen Fäuste.»Nein. Jetzt nicht. Wir sind ja schon beinahe da.«er deutete mit dem Kopf auf das Haus des NORTH-WEST LON DON CITIZEN in der High Street. Das vorspringende Schaufenster war voll Fotos von lokalen Würdenträgern, Amateuropernsängern und Preisträgern von Schulwettbewerben. Der Fotoreporter des CITIZEN hatte grundsätzlich die Anweisung, auf jedem Foto so viele Personen wie möglich zu versammeln, denn je mehr Leute sich dort selbst abgebildet sahen, desto höher stieg die Auflage - oder sie hielt sich doch zumindest. Der Fotograf, ein Mann, der vom Gehorchen mehr verstand als von seinem Beruf, hatte einmal sogar die Chance verschenkt, einen Schaufensterdieb, den er beim Einbruch überraschte, auf dem Film festzuhalten. Er hatte den Auslöser nicht gedrückt, weil er fand, für einen allein lohne es sich nicht.»er wohnt im ersten Stock«, sagte Mod und meinte den Besitzer und Redakteur Mr. Chrust.»Hoffentlich ist er nicht taub.«das war Mr. Chrust allerdings nicht. Sie hatten erst viermal an der Tür geklingelt, als oben schon zwei Rechtecke hell wurden. Die Gardinen wurden aufgezogen und die beiden Fenster hochge- 146

149 schoben. Zwei Frauen mittleren Alters in Nachthauben beugten sich heraus. Selbst von unten konnte Davies erkennen, daß die runden Mondgesichter einander ähnelten wie ein Ei dem anderen.»verzeihung, meine Damen«, rief er hinauf,»ist Mr. Chrust zu Hause?Wer will das wissen?«fragten sie einstimmig.»polizei«, erwiderte Mod. Da er sich keiner Amtsanmaßung schuldig machen wollte, zeigte er auf Davies.»Der da.«beide Köpfe verschwanden, als hätte jemand an einer Strippe gezogen, und man hörte ihre Stimmen, wie sie Mr. Chrust aus dem Bett holten, weil die Polizei nach ihm fragte. Es dauerte anscheinend ziemlich lange, bis Mr. Chrust überzeugt und angezogen war, denn die zwei Teiggesichter erschienen wieder an den Fenstern und schauten volle zwei Minuten auf Mod und Davies herunter, bis Mr. Chrust endlich auftauchte. Dann verschwanden sie wie dienstbare Geister und ließen ihn die Verhandlungen von der Fensterbank aus allein führen.»mr. Davies, sind Sie es?«er spähte nach unten.»es handelt sich also wirklich um eine Polizeiangelegenheit?Ja, Mr. Chrust«, erwiderte Davies bescheiden. Es war ihm unbehaglich zumute.»es tut mir leid, daß wir Sie und... hm, Mrs. Chrust gestört haben.wir sind nicht gestört worden«, erwiderte Mr. Chrust vieldeutig. Er war schrumplig wie eine Erdnuß und hatte ein paar kurze Borsten im Gesicht und auf dem sonst kahlen Schädel, der dadurch wie eine Pusteblume aussah.»ich bin gleich unten.«durch das Oberlicht über der Haustür sahen sie ein schwankendes Licht, dem eine Schattenprozession folgte, die Treppe herabkommen. Dann ging im Erdgeschoß die Lampe an, und die Tür wurde geöffnet. Mr. Chrust stand da in einem seidenen Kimono mit einem feuerspeienden Drachen auf der Brust. Mit ihm waren die zwei Damen in wollenen Morgenröcken und Nachthäubchen herabgekommen.»mrs. Chrust ist letzten Februar leider verstorben«, beeilte Mr. Chrust sich zu erläutern, als sie hereinkamen. Er wollte wohl kein Mißverständnis riskieren.»diese beiden Damen sind ihre Schwestern; sie kümmern sich um meine Bedürfnisse. Die Wohnung oben ist sehr geräumig, wissen Sie.«Davies nickte dem Zwillingsmond an Mr. Chrusts Firmament zu. Ihm fiel ein, daß der Witwer denken mochte, der Besuch habe 147

150 etwas mit dem Unzuchtsparagraphen zu tun; deshalb beeilte er sich, nach dem Zeitungsjahrgang 1951 zu fragen. Mr. Chrust lächelte so erleichtert, daß die Borsten in seinem Gesicht einen kleinen Tanz aufführten.»wenn Sie uns einfach zeigen, wo sie sind«, sagte Davies,»dann werfen wir schnell einen Blick darauf und gehen wieder. Es ist äußerst dringend, verstehen Sie. Bitte, gehen Sie doch wieder ins Bett... in die Betten.Aber selbstverständlich«, sagte Mr. Chrust beflissen. Er scheuchte die beiden Häubchendamen die Treppen hinauf, wie ein magerer Schäferhund die fetten Mutterschafe auf eine Bergwiese treibt. Als sie außer Sicht waren, drehte er sich um.»ich will ja nicht neugierig sein, Mr. Davies«, flüsterte er,»schon gar nicht bei einem Dienstgeheimnis. Aber wir von der Presse wüßten doch immer gerne, was los ist, vor allem, wenn es direkt unter unserer Nase geschieht. Vielleicht, wenn es Ihnen möglich ist, könnten Sie mir einen kleinen Hinweis...Nur zu gern, Mr. Chrust«, antwortete Davies. Der Alkohol verlieh ihm immer noch Mut.»Aber jetzt, Mr. Chrust, gehen Sie schön wieder ins Bett, ehe man Sie dort... ehe Sie sich erkälten. Gute Nacht. Wir machen die Tür zu, wenn wir gehen.ich bitte darum«, nickte Mr. Chrust und ging rückwärts die Stufen hoch.»die Schwägerinnen machen sich sonst Sorgen.«Er stieg die Treppe hinauf. Die aufgeregten Schreie der Damen, die das obere Stockwerk erfüllten wie das Gurren von Tauben unter dem Dach, legten sich. Davies und Mod konnten deutlich ein dreimaliges Quietschen von eisernen Bettfedern hören. Mod zog die Augen hoch und meinte:»wetten, der hat eine Story, die er nicht in seinem Blättchen druckt.«davies bedeutete ihm zu schweigen und ging nach hinten durch in das Büro, wo in einem Regal die gebundenen alten Zeitungsjahrgänge standen. Sein suchender Zeigefinger hielt bei 1951 an. Mit Mods Hilfe zog er den schweren Folianten heraus und wuchtete ihn auf den Tisch. Die Spannung verstärkte die vom Alkohol erzeugte Unruhe in seinem Innern. Seine übereifrigen Finger zitterten, und Mod half ihm, die Zeitungsseiten umzublättern, bis sie bei dem Datum anlangten, das sie suchten. Vorsichtig nahm Davies die Titelseite in die Hand. Celias junges Gesicht, vom Alter des Papiers vergilbt, blickte ihm entgegen. Der Artikel war nicht länger als etwa 15 Zentimeter; die Über- 148

151 schrift lautete: Junges Mädchen vermißt. Davies studierte den Text sorgfältig, aber, soweit er sehen konnte, enthielt er keine neuen Informationen.»Das ist doch der Zeitungsartikel in unsrer Akte«, beschwerte er sich bei Mod, der abseits stand.»was ist daran Besonderes?Es geht nicht um den Artikel«, erwiderte Mod zurückhaltend.»es geht um die Seite. Lies mal die kleine Notiz in der letzten Spalte. Ganz unten.«davies las. Die banale Überschrift lautete: Polizist nimmt Abschied. In drei kurzen Absätzen wurde gemeldet, daß ein anscheinend sehr beliebter Polizist, Sergeant David Morris, in den Ruhestand versetzt und von den Kollegen mit einer großen Feier im Lokal STURGEON ROOMS verabschiedet worden sei.»schön, es gab also eine Abschiedsparty für einen pensionierten Bullen. Na und? So was kommt alle Tage vor.ein Mord aber nicht - jedenfalls nicht am selben Abend«, sagte Mod heiser.»es war derselbe Abend, Dangerous.Ja. Gut. Aber...Auf Seite drei ist ein Bild«, half Mod, die Situation auskostend, ihm weiter. Davies schlug die Seite um und betrachtete das Foto. Die Bildlegende lautete: Eine Gruppe von Polizisten beim Abschied von Sergeant D. Morris. Die Überschrift lautete: Polizei sagt Prosit! Unter dem Bild stand ein Text mit den Namen der Beamten, die für den Fotografen und für die Nachwelt ihre Gläser erhoben hatten.»schön und gut. Aber ich weiß noch immer nicht...lies die Namen«, sagte Mod.»Na los, lies schon.«davies las sie vor. Bei zwei Namen mußte er so heftig schlukken, daß er einen Hustenanfall bekam.»p. C. James Dudley und P.C. Frederick Fennell«, stammelte er. Nach einer Weile fügte er hinzu:»genau diese beiden befanden sich angeblich mit dem Streifenwagen auf der High Street, als das Mädchen verschwand.angeblich«, sagte Mod.»Ich habe die Dienstprotokolle und Berichte mit den Unterschriften der beiden gesehen. Da sie in Wahrheit bei der Party waren, haben sie gelogen.und niemand hat die Unwahrheit bemerkt. Oder es wollte sie keiner bemerken.«149

152 Auf der Treppe wurde ein Schatten sichtbar. Es war Mr. Chrust.»Wie steht es denn, meine Herren?«fragte er bescheiden.»kommen Sie voran? Leider sind die Damen so in Aufregung, daß sie nicht wieder einschlafen können.schon fertig, vielen Dank, Mr. Chrust.«Davies' Gedanken waren meilenweit, ein Vierteljahrhundert, von seiner Stimme entfernt.»wir gehen gerade.«er und Mod klappten den Band wieder zu und schoben ihn wie einen Ziegelstein in die Lücke auf dem Regal. Mr. Chrust ging hin und leuchtete mit seiner Handlampe über die Rückenschilder, um zu kontrollieren, ob sie ordentlich eingereiht waren.»wir schlummern über unserer historischen Vergangenheit.«Er drückte sich gern blumig aus...»so ist es.«davies war in Gedanken noch immer bei dem, was er gerade erfahren hatte. Ehe er die Haustüre schloß, rief er nach drinnen:»vielen Dank. Tut mir leid, daß wir Sie stören mußten. Gute Nacht.«Zu seiner Überraschung tönte es über ihm»gute Nacht«, und er sah, als er aufblickte, die zwei molligen Damen, die sich, jede von einem hellen Fenster eingerahmt, neugierig hinauslehnten. Auf dem Heimweg zur Pension BALI HI in Furtman Gardens stellten sich die ersten Schuldgefühle ein, so daß ihre Schritte langsamer wurden und sie an den Straßenecken länger zögerten, als die noch immer spürbare Benebelung durch den Alkohol es rechtfertigte. Sie erwähnten das Pferd mit keinem Wort, bis sie an der letzten Kreuzung standen, wo sie in Furtman Gardens einbiegen und dem, was dort auf sie wartete, ins Auge sehen mußten. An dieser Stelle lehnte Mod sich gegen die Ligusterhecke, so daß der Staub wie Pollen herunterrieselte, und schüttelte ängstlich seinen Kopf.»Dangerous«, krächzte er,»ich kann nicht weiter. Ich hab' Schiß.«Davies suchte Halt an der Hecke, so wie man sich an einer Mauer festhält, und zerkratzte sich die Hand an den harten Zweigen. Daraufhin stellte er fest, daß er auch ohne Hilfe stehen konnte. Stolz auf diesen Fortschritt, drehte er sich zu Mod um.»wir gehen nach Hause«, befahl er streng.»und zwar zusammen. Wir löffeln die Suppe miteinander aus, Mod. Wir haben ja auch ein Alibi. Aber wenn ich ohne dich ankomme, denkt jeder, du bist es gewesen - und zwar du allein.«150

153 Mod, von der Logik überzeugt, nickte kläglich.»ich wünschte, du würdest mir nicht immer was zu trinken spendieren, Dangerous«, murmelte er.»wenn du nicht so viel spendieren würdest, würde ich nicht so viel trinken. Los denn, was soll's. Ran an den Feind.«Vor Mrs. Fulljames Haus standen ein Feuerwehrzug, ein Polizeiauto, ein Pferderettungswagen und der Karren des Knochenund Lumpenmannes. Auf jedem drehte sich ein rotes oder blaues Blinklicht, sogar auf dem Knochen- und Lumpenfahrzeug, das zwar selbst über keinerlei Navigations- oder Positionslampen verfügte, von einem mitleidigen Tiersanitäter aber ein überzähliges blaues Signallicht geliehen bekommen hatte. Schon von weitem konnten sie die versammelte Menschenmenge sehen und die schattenhaften Gestalten, die sich zwischen den zuckenden, heulenden Blinklichtern hin- und herbewegten. Es sah aus der Entfernung aus wie ein kleiner, fröhlich belebter Rummelplatz. Davies und Mod näherten sich mit geziemender Vorsicht bis auf wenige Meter. Das sichtlich euphorisch gestimmte Pferd wurde eben von seinem Besitzer an die Deichsel des Wagens gespannt. Es blinzelte das Blinklicht an, blieb aber ruhig. Der Pferdesanitäter musterte ungerührt die zerbeulte Tür seines Fahrzeugs. Auch die Haustüre vom BALI HI beklagte den Verlust ihres unteren Teils. Die Feuerwehr setzte gerade den Fußweg unter Wasser, vermutlich aus einer Art Pflichtgefühl heraus, da man sie nun einmal gerufen hatte und sie sonst nichts tun konnte. Rundum standen Polizisten und Zuschauer, die versuchten, sich das Lachen zu verbeißen. Das Erkerfenster im ersten Stock stand offen; dort, vor einem orangeroten Licht im Hintergrund, standen Doris und Mrs. Fulljames, deren eindrucksvolle Schattenfigur den Eindruck erweckte, als wolle sie demnächst in die Tiefe springen oder eine Ansprache halten. Mit untrüglicher Witterung bemerkte sie Mod und Davies im gleichen Augenblick, als diese im Lichtkreis der Unfallstelle auftauchten.»haben Sie den Gaul in mein Haus gelassen?«kreischte sie hysterisch auf.»waren Sie beide das?«ihre Gesichter, auf denen sich Erstaunen und gekränkte Unschuld spiegelten, blickten hoch zu ihr. Sie ließ ihnen keine Zeit, zu gestehen oder zu leugnen.»so ein Mist«, schrie sie,»überall Pferdemist!«151

154 Einige der Umstehenden, meistens Nachbarn, die es mit Mrs. Fulljames nicht verderben wollten, wandten sich ab und versteckten sich in der Menge, weil sie ihr Lachen nicht unterdrücken konnten.»im ganzen Flur, auf der Treppe, im Wohnzimmer, überall Pferdeäpfel!«rief sie und beugte sich vor Wut so weit vor, daß Warnrufe laut wurden - vermutlich fürchteten die unten Stehenden wenigstens ebensoviel um ihre eigene wie um die Sicherheit von Mrs. Fulljames.»Holt lieber ein Sprungtuch«, sagte Davies zu einem gebannt nach oben starrenden Feuerwehrmann,»sie kann jeden Moment rausfliegen.«doris hatte von ihrem Fensterplatz aus das kurze Gespräch bemerkt.»hörst du Mrs. Fulljames nicht einmal zu?«rief sie herunter.»hast du gar kein Mitleid? Das Biest hat die Anrichte im Eßzimmer zerstört. Eine Antiquität war das. Echt antik!ich wette, die hat Mr. Fulljames gehört«, flüsterte Davies dem sprachlosen Feuerwehrmann zu.»die hat Mr. Fulljames gehört«, kreischte Doris wie ein Papagei.»Dem verstorbenen Mr. Fulljames.«Mrs. Fulljames schob Doris rücksichtslos zur Seite und lehnte sich drohend aus dem Fenster, was ihr eine gewisse Ähnlichkeit mit Mussolini bei entscheidenden Phasen seiner Reden verlieh.»mr. Davies, Mr. Lewis«, fragte sie streng,»haben Sie das Pferd hier hereingebracht? Ja oder nein? Ich will es wissen.mrs. Fulljames«, beschwichtigte sie Davies,»warum machen Sie solch eine Szene? Ich war in äußerst dringenden Polizeiangelegenheiten unterwegs, und Mr. Lewis hat mich begleitet.«die Vermieterin kniff ärgerlich den Mund zusammen und knallte das Schiebefenster zu. Davies' Kollege von der Polizei, der sich um das Pferd gekümmert, seinen Namen und den des Besitzers aufgeschrieben hatte, kam zurück:»wohnst du hier, Dangerous?«Davies nickte und blickte vielsagend zu dem Fenster, das so nachdrücklich geschlossen worden war, hinauf.»scheint ein gemütliches kleines Plätzchen zu sein«, sagte der Polizist.»Bißchen still vielleicht, aber gemütlich.«davies zuckte mit den Schultern.»Hier ist nie was los.«dann wandte er sich an Mod.»Wir sollten nachsehen, ob unsere Betten noch da sind. Gute Nacht, Sergeant«, fügte er höflich hinzu.»gute Nacht, Dangerous. Ich bin froh, wenn heute nacht endlich Feierabend ist. Wir hatten vorhin schon zwei Rowdies, die beim Pub die Dachrinne heruntergerissen haben.«152

155 Kapitel 13 Mrs. Edwina Fennell lebte in einem heruntergekommenen Wohnwagen auf einer schlammigen Wiese, etwa 15 Kilometer entfernt von den Straßen und Fabrikhöfen, wo ihr Mann als Polizist seine Runden gedreht hatte. Das heißt, wenn er sich nicht gerade im Bett der Wahrsagerin aufhielt, die in der High Street wohnte und den Leuten aus der Hand die Zukunft las.»da drüben«, sagte der Landarbeiter, den Davies nach dem Weg gefragt hatte, und wies mit einem Finger, dem man ansah, daß er noch vor kurzer Zeit intensiven Kontakt mit Mist gehabt haben mußte, die Richtung.»Der Boden ist ein bißchen feucht, aber seien Sie bloß froh, daß noch kein richtiger Winter ist. Dann ist sie manchmal völlig von der Außenwelt abgeschnitten.«davies begann, den Sumpf zu durchqueren. An manchen Stellen wirkten die Kuhfladen fester als die Erde drumherum. Plötzlich fühlte er sich an die Eingangsdiele vom BALI HI erinnert, wie sie in der Nacht nach dem Abtransport des Pferdes ausgesehen hatte. Die Erinnerung daran und der kalte Wind, der über das offene Land fegte, ließen ihn schaudern. Die Gegend war flach und häßlich, es gab keine Hügel und kaum einen Baum, nur lehmige Wiesen unter einem lehmfarbenen Himmel. Er war froh über seinen dicken alten Überzieher, der dem eisigen Wind trotzte. Er blickte vom Boden auf und stellte fest, daß er erst die Hälfte des Weges zu Mrs. Fennells Wohnwagen, der da radlos wie ein verlassenes Schiffswrack im Wind vor sich hindümpelte, zurückgelegt hatte. Unter diesen Umständen überraschte es ihn, an der schäbigen Eingangstür des Wohnwagens eine beleuchtete elektrische Klingel vorzufinden. Er drückte drauf und erzeugte eine wohlklingende Melodie, nicht weniger anmutig als diejenige, die seinen Besuch in der eleganten Wohnung von Ena Lind angekündigt hatte. Es gab keine Türstufe, so daß ihm nichts anderes übrig- 153

156 blieb, als im Morast stehenzubleiben. Der Wagen war allerdings schon so tief eingesunken, daß sich Edwina Fennell, als sie endlich öffnete, ungefähr auf derselben Höhe befand wie er.»tut mir leid, daß es so lang gedauert hat«, schniefte sie,»ich hab' es so satt, daß ständig jemand läutet.«davies schaute sich verwirrt um; hatte er etwa auf seinem Weg eine belebte Großstadtstraße übersehen? Ringsum war jedoch nichts als der trostlose Morast.»Ja«, antwortete er zurückhaltend,»es ist schon ein bißchen lästig, wenn man dauernd zur Tür gehen muß. Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Ich bin Detective Constable Davies und komme von dem Revier, bei dem Ihr Mann war.ach so«, sagte sie, schien aber nicht besonders interessiert zu sein.»er ist aber nicht hier. Nicht mehr.ich verstehe«, sagte Davies. Sie blieb steif in der Türöffnung stehen, die dünnen Arme über der verwaschenen Schürze verschränkt.»ich hätte gerne auch mit Ihnen ein paar Worte gesprochen, Mrs. Fennell. Würden Sie... könnte ich vielleicht reinkommen? Ich versinke hier langsam. Das Wasser steht mir schon in den Schuhen.Dann treten Sie aber die Füße ab«, sagte sie und gab den Eingang frei. Er zog seine Schuhe mit einem schmatzenden Laut aus dem Matsch. Drinnen lag ein Stück Kokosmatte an der Tür. Weil er dachte, die Fußmatte würde es übelnehmen, wenn er seine Schuhe an ihr abputzte, zog er diese unter leisen Selbstgesprächen aus und ließ sie draußen stehen, als vollzöge er ein frommes Ritual. Also betrat er den Wohnwagen auf Strümpfen. Die Temperatur war drinnen kaum höher als draußen. Der Raum war kalt und klamm, die Leitungen waren schadhaft und die Plastikmöbel ungepflegt. Es gab eine unbenutzte Petroleumlampe und ein Uraltgrammophon mit einem Haufen brüchiger Schallplatten. Alles glänzte vor Feuchtigkeit. Mrs. Fennell war damit beschäftigt, aus drei großen Paketen mit geschnittenem Weißbrot und einem ansehnlichen kalten Braten einen Stapel Sandwiches herzurichten. Sie war ein Aschenbrödel von über 60. Es war ihr offenbar unmöglich, ihm unbefangen ins Gesicht zu sehen. Sie zog sich hinter ihre Sandwichbarrikade zurück und begann, Brotscheiben mit Butter zu bestreichen.»es ist manchmal ziemlich matschig hier draußen«, sagte sie gedankenverloren und brach dann zu seiner 154

157 Überraschung in Gekicher aus.»manchmal höre ich die Türklingel und denke, es ist einer von meinen Tausenden von Anbetern gekommen. Aber wenn ich aufmache, sind sie verschwunden; wahrscheinlich im Schlamm versunken.ja, es ist wohl ein wenig feucht«, sagte Davies gequält. Erfragte sich, ob seine Schuhe noch da sein würden, wenn er wieder gehen wollte. Er deutete mit dem Kopf auf die Sandwiches.»Sieht aus wie ein Picknick.Für die Füchse«, antwortete sie.»ich mache es jeden Tag für die Füchse zurecht. Sie kommen, wenn es dunkel wird, und sitzen da und warten. Sie sind so hübsch. Und irgendwie ist es so... würdelos, falls Sie wissen, was ich meine, ihnen das Fleisch einfach vorzuwerfen. Deshalb richte ich alles schön mit Brot an, und jeder bekommt seinen eigenen Teller. Sie sollten sie mal beim Essen sehen - ein einzigartiger Anblick, besonders bei Vollmond.«Davies beteuerte, das glaube er gern. Er hoffte ein wenig, daß sie ihm ein Sandwich anbieten würde, aber offenbar kam sie nicht auf die Idee.»Was führt Sie eigentlich her?«erkundigte sie sich.»was wollten Sie von Fred Fennell?«Aus Erfahrung wußte er, wenn eine Frau ihren Mann mit Vorund Nachnamen nennt, hängt der Haussegen schief.»ach, eigentlich nur ein paar Informationen aus seiner Zeit bei der Polizei. Ich überprüfe einen Fall, der lange zurückliegt, und dachte, ich könnte von seinen Erinnerungen profitieren.da gibt's nicht viel zu profitieren«, sagte sie verächtlich.»er hat den Verstand verloren. Er ist in der Klapsmühle, Mr. Davies. In der Heilanstalt, in St. Austin's in Bedford.«Davies sah seine Felle davonschwimmen.»oh, das tut mir leid.ihm aber nicht. Ihm gefällt's, sehr gut sogar. Er hält sich für Peter den Großen. Jedenfalls bei meinem letzten Besuch.Wann war das?voriges Jahr.«Sie säbelte wild an dem Brot herum.»genau vor einem Jahr.Warum gehen Sie nicht mehr hin?warum, warum, warum.«sie biß die Zähne zusammen, um nicht zu weinen.»ich habe es nicht aushalten können. All den Horror da drinnen. Ich konnte es nicht ertragen, wie er dem russischen Hof seine Befehle verkündete und all das. Es war mir einfach zuviel. Ich gehe nicht mehr hin.«155

158 Inzwischen waren die Sandwiches fertig. Die Füchse bekamen heute wohl ein Festmahl, dachte Davies.»Es ist schrecklich dort«, sagte sie.»so schrecklich, man kann es nicht beschreiben. Sie werden's ja sehen, falls Sie hingehen.«er stand auf. Der Bratengeruch und der Duft nach frischem Brot waren umwerfend.»ich gehe dann«, sagte er.»was soll ich ihm sagen, falls er fragt, wann Sie ihn besuchen?«sie zögerte, während ihre Finger die Krümel von der Messerklinge strichen.»sagen Sie ihm... Sagen Sie, ich komme nach der Revolution. Dann ist er zufrieden.«kaum hatte Davies das Grundstück der Anstalt St. Austin's erreicht, als er auch schon das Schuldgefühl bekam, das die Gesunden normalerweise in der Nähe von Geisteskranken befällt. Er fuhr mit dem Lagonda langsam und vorsichtig durch den Torbogen der Einfahrt und grüßte jeden, der ihm begegnete, mit einem freundlichen Kopfnicken. Zunächst befand er sich in einem weitläufigen Gelände mit Sportplätzen und kleinen Wäldchen, aber schon hier hatte er das Gefühl, er habe ein fremdes Land betreten. Weit entfernt sah man die Anstaltsgebäude, die zwischen Bäumen und Büschen hockten wie Riesen beim Würfelspiel. Er spürte, daß er im Niemandsland war. Vor ihm lag eine weitere, höhere Mauer. Der Herbst hatte die Baumkronen schon ausgedünnt. Durch einen Streifen weißer, schwankender Birken hindurch sah er Menschen, die hin und her liefen. In der Krone einer Eiche, die in der Straßenbiegung stand, bemerkte er Männer mit einem dicken Seil, die versuchten, einen Ast abzusägen. Sie winkten ihm aus ihrer luftigen Höhe zu, und er winkte freundlich zurück. Hinter der Kurve sah er vor sich einen Fußballplatz, auf dem gerade ein Spiel im Gange war; ein richtiges Spiel mit richtigen Toren an beiden Seiten, Markierungsfähnchen an den Ecken, Mannschaften in regulären Trikot-Hemden, kurzen Sporthosen, Socken, Schuhen. Ein Unparteiischer, korrekt in Schwarz gekleidet, tänzelte hin und her und überwachte das Spiel. Der Anblick wärmte Davies das Herz. Es war ein Mittwochmorgen, und er freute sich für die Leute, daß sie zu dieser Stunde an diesem Wochentag Fußball spielen durften. Er fuhr langsamer und hielt in Höhe des einen Tores an - nur ein paar Meter von der Seitenlinie entfernt, die von einem 156

159 schwarzgekleideten, fähnchentragenden Linienrichter überwacht wurde. Er lächelte Davies zu und balancierte aus Jux auf der weißen Linie entlang wie ein Seiltänzer. Davies lachte herzhaft über die Pantomime und fragte:»na, gutes Spiel?Prima«, antwortete der Linienmann und bemühte sich, nicht zu fallen. Er breitete die Arme weit aus, um das Gleichgewicht zu halten, und schickte sich an, sich vorsichtig umzudrehen und zurückzugehen.»zwei gute Teams«, sagte er dabei,»weltklasse.oh«, sagte Davies betreten.»brasilien und England«, verriet ihm der Schwarze,»spielen um die Weltmeisterschaft.«Plötzlich konzentrierte sich das Spiel vor dem diesseitigen Tor. Ein dicker Stürmer im gelben Dress trieb den Ball nach vorn, stieß den Torwart, der sich ihm in den Weg stellte, ohne Skrupel mit beiden Händen zur Seite, vollstreckte mühelos und tanzte dann freudestrahlend zu seiner Mannschaft zurück, um ihre Küsse und Umarmungen entgegenzunehmen.»foul! Foul!«schrie Davies empört und fuhr von seinem Sitz auf. Der Linienrichter drehte sich erschrocken um.»glauben Sie?Er hat den Torwart gefoult«, erklärte Davies. Einer von den Roten stand in der Nähe und hörte zu.»kein Tor!«brüllte er über den Platz.»Ein Foul! Der hier sagt, es war ein Foul!«Der Linienrichter starrte ihn mit offenem Mund an. Davies bekam eine Gänsehaut: Quer über das Fußballfeld stürmten 22 schreiende, streitende, rangelnde Spieler auf ihn zu, während die beiden anderen schwarzen Trauerklöße hilflos hinterherzockelten. Kitty spürte, daß irgend etwas passierte, kroch unter seiner Plane hervor und jaulte beim Anblick der roten und gelben Gefahr laut auf. Das weckte Davies aus seiner Erstarrung.»Muß leider weg«, rief er bedauernd und trat aufs Gaspedal.»Spielt schön weiter!«der Lagonda flitzte los. Aus sicherer Entfernung sah er im Rückspiegel, wie sie da in bunten Haufen standen und sich gegenseitig angifteten. Der Unparteiische saß melancholisch unter einem Baum, der eine Linienrichter kickte den Ball ziellos hin und her, und der andere übte immer noch sein akrobatisches Kunststück auf dem Hochseil. 157

160 Davies merkte, daß er zitterte. Kitty vergrub sich wieder unter der Persenning. Die Straße führte zu einer hohen Mauer mit einem Tor, das mit seinem Spitzbogen wie der Eingang zu einer Burg oder einem Gefängnis aussah. Es war verschlossen. In dem hölzernen Torflügel war ein Türchen. Davies parkte sein Auto und ging darauf zu. Die düstere Atmosphäre legte sich ihm auf die Seele. Eine bleierne Stille hielt die Mauern, die halb versteckten Dächer und den grauen Himmel darüber in ihrem Bann. Die kleine Tür hatte einen eisernen Ring, der sich in der Hand unangenehm anfühlte. Er drehte ihn und war fast überrascht, wie leicht die Türe aufging. Der Anblick, der sich ihm bot, war wie aus einem Bilderbuch, wie eine Szene aus Alice' Spiegelland: Soweit das Auge reichte, erstreckte sich ein Schachbrett aus gnadenlos ordentlich angelegten Rasenflächen und Blumenbeeten. Sie wurden zwar offensichtlich mit sehr viel Mühe und Aufwand gepflegt, doch wirkten sie so, als ob sie nie die Sonne gesehen hätten. Vor dieser Kulisse hielt sich eine einzelne menschliche Gestalt auf, eine Frau, die gebückt am Rande eines Beetes kauerte und den Blick fest auf den Boden gerichtet hielt. Davies trat schüchtern ein. Weder ein Schild noch ein Wegweiser wiesen ihm den Weg. Wenige Meter entfernt von ihm war die Frau in den Anblick einer Handvoll Gänseblümchen versunken, die sie mit einer Eßgabel ausgegraben hatte.»verzeihung, Madam«, sprach Davies sie an. Sie richtete sogleich ihr altes, aber irgendwie zeitloses Gesicht mit den funkelnden Augen auf ihn; was er dann sah, war die Mündung einer Schußwaffe, einer keineswegs harmlos aussehenden Pistole, die sie an ihre blaue Schürze gedrückt hielt.»hände hoch«, sagte sie ruhig. Davies hob die Hände über den Kopf. Er fühlte, wie das Blut aus seinen Armen wich und sich im Magen sammelte. Er starrte auf die Pistole. Sie sah echt aus.»ich habe Sie gesehen«, sagte sie, während sie sich langsam erhob.»ich habe Sie gleich entdeckt, als Sie reingekommen sind.oh... oh, ja«, nickte Davies krampfhaft. Wie er so mit erhobenen Armen dastand, hatte er das Gefühl, seine Hose finge an zu rutschen.»ich möchte gerne zum Direktor, Doktor Longton. Wissen Sie...Hoch die Hände!«drohte sie.»los, marsch.«158

161 Er sah sich verzweifelt um, aber in dem ummauerten Garten gab es weit und breit keinen Menschen. Es schien fast so, als sei er in eine eigens für ihn präparierte Falle getappt. Sie drückte ihm die Pistole ins Kreuz, und er marschierte mit erhobenen Händen los. Sie schob ihn durch einen weiteren Torbogen in einen breiten gepflasterten Korridor mit Fenstern und Türen zu beiden Seiten. Ein Mann mit einem Notizblock in der Hand kam aus einem Büro heraus. Davies wollte ihn ansprechen, aber der Mann war in seine Notizen vertieft und achtete nicht auf die Revolverfrau und den Mann, den sie vor sich herstieß. Es tauchten noch andere Personen auf, einige davon in weißen Kitteln, aber seine ungewöhnliche Art der Fortbewegung erregte nicht das geringste Aufsehen. Einige wünschten der Kidnapperin sogar einen guten Morgen. Nach einer Weile kamen sie zu einer Halle, wo gerade eine Gymnastikstunde gegeben wurde. Ein Turnlehrer machte den etwa 30 Teilnehmern eine Übung vor, die diese begeistert nachmachten. Die Frau trieb Davies mit der Pistole quer durch den Saal, ohne daß irgend jemand davon Notiz nahm. Schließlich blieben sie vor einer kleinen pummeligen Frau mit resolutem Gesicht stehen.»chefin«, sagte die Revolverlady,»ein Eindringling. Er will zu Dr. Longton.«Die Aufseherin hatte für Davies, der immer noch die Hände hoch hielt, nur einen flüchtigen Blick übrig.»er ist in seinem Büro«, sagte sie,»wenn Sie sich beeilen, erwischen Sie ihn noch.«davies bekam mit der Pistole noch einen Schubs in den Rücken und wurde im Laufschritt den nächsten Korridor entlanggetrieben bis zu einer weiteren Türe. Die Schießwütige klopfte mit dem Knauf ihrer Waffe an, und eine freundliche Stimme, wie die Stimme eines Menschen, der mit Gott und der Welt zufrieden ist, antwortete:»nur herein, nur herein.«davies hielt, obwohl enorm erleichtert, immer noch krampfhaft die Arme hoch, während die Frau ihn in den Raum schob. Doktor Longton lächelte verständnisvoll.»ah, wie ich sehe, sind Sie zum Hintereingang hereingekommen.«dann wandte er sich an die Frau und sagte:»ist gut, Marie. Ich übernehme jetzt. Vielen Dank.«Die Frau ging wortlos hinaus. Davies fragte:»kann ich die Hände jetzt herunternehmen?«er ließ die Arme sinken.»ich dachte, die Pistole wäre echt.«159

162 »Oh, das ist sie auch«, sagte der Direktor.»Marie braucht das. Wir haben versucht, ihr eine Spielzeugwaffe zu geben, aber sie hat sie nicht akzeptiert. Also haben wir diese beschafft, damit sie zufrieden ist. Wir haben den Mechanismus entschärft, und die Patientin hat natürlich keine Munition. Die Schußwaffe ist ihr Statussymbol, falls Sie verstehen, was ich meine.ja, ich verstehe.«davies stellte sich vor und schüttelte dem Arzt die Hand.»Es war ein kleiner Schock, sonst nichts. Es war so unerwartet.wir hier erwarten stets das Unerwartete«, beendete der Arzt das Thema.»Sie wollten Mr. Fennell besuchen?ja. Ich habe mit seiner Frau gesprochen...schade, daß sie ihn niemals besuchen kommt. Er ist darüber sehr traurig.«davies nickte schwach. Er wollte in kein Fettnäpfchen treten.»sie sagt, sie möchte nicht kommen.«dr. Longton kratzte sich an der Nase. Er war schlank und ein wenig gebeugt.»jammerschade«, sagte er.»ich glaube, es war zu viel für sie. Dies alles hier...so geht es den meisten Menschen. Besonders den Patienten.Das kann ich nachfühlen.mr. Fennell geht es im Augenblick gar nicht schlecht. Er hat sehr gute Tage. Es wird jedenfalls nicht schlimmer mit ihm. Seine Wahnvorstellung, ein gekröntes Haupt zu sein, macht sich seltener bemerkbar. Er freut sich bestimmt über Ihren Besuch, Mr. Davies. Und wenn Sie seine Frau dazu bringen könnten, herzukommen - es würde ihn glücklich machen.«davies nickte skeptisch.»ich kann sie ja noch mal aufsuchen«, versprach er,»mal sehen, wie sie reagiert.fein. Ich habe dafür gesorgt, daß Sie mit Mr. Fennell allein sprechen können. Wenn das Gespräch im Aufenthaltsraum stattfände, würden die anderen Patienten Sie alle mit ihren Sorgen überfallen. Es sammelt sich hier so manches an Kummer an. Wir haben ein kleines Sprechzimmer, wo Sie sich unterhalten können.«er zögerte, dann gab er sich einen Ruck.»Ich will mich ja nicht in Polizeidinge einmischen - aber können Sie mir wenigstens andeuten, worum es geht? Ich muß natürlich an meine Patienten denken.«davies nickte wieder.»natürlich. Verstehe. Also, es geht um einen Mord. Aber es ist nicht so dramatisch, wie es klingt - der 160

163 Fall liegt 25 Jahre zurück. Mr. Fennell war damals in dem betreffenden Revier beschäftigt und war an den Ermittlungen beteiligt.es ist fraglich, ob er sich so weit zurückerinnert.«der Arzt dachte nach.»es wäre gut, wenn Sie ein bißchen Fingerspitzengefühl mitbrächten. Sie müssen behutsam vorgehen. Wenn er sich nicht erinnern kann, wäre ich dankbar, wenn Sie es dabei beließen und nicht weiter in ihn dringen wollten.bestimmt«, versicherte Davies.»Ich will-ja keinen Schaden anrichten.vielen Dank. Und ziehen Sie bitte das Gespräch nicht zu sehr in die Länge. Es ist ein großes Erlebnis für den Patienten, Besuch zu bekommen - und emotional sehr anstrengend.«er dachte nach.»das wäre alles. Ich bringe Sie hin.«der kurze Weg, den sie zurücklegten, war der schlimmste Alptraum, den Davies je wachend erlebt hatte. Jede Türe, durch die sie gingen, wurde zweifach auf- und wieder zugeschlossen, jeder Korridor führte tiefer und tiefer hinein in das Inferno. Er hörte Menschen kreischen und schreien. Das Schlimmste aber waren die bleichen, verwirrten Gesichter, die sie durch die Glasscheiben anstarrten. Endlich kamen sie zu einem ruhiger gelegenen Nebenraum.»Er wartet drinnen auf Sie«, sagte Longton leise.»was ich vergessen habe, zu fragen, Mr. Davies: Kennt er Sie eigentlich?nein, wir sind uns nie begegnet. Er war schon nicht mehr da, als ich in meinem Distrikt anfing.aha«, sagte der Arzt. Er klopfte höflich an, und von drinnen rief eine zittrige Stimme:»Herein.«Davies folgte dem Doktor, der sein Lächeln wieder aufgesetzt hatte, wie man an den Falten in seinem Nacken erkennen konnte. Ein uralter, aschfahler Mann saß zitternd auf einem Holzstuhl an einem einfachen Tisch.»Besuch für Sie, Mr. Fennell. Das ist Mr. Davies«, sagte Dr. Longton. Fennell stand unschlüssig auf. In seinem Gesicht zuckte es, dann konnte er die Tränen nicht länger zurückhalten.»oh, danke, daß Sie gekommen sind«, sagte er, die Hände ausstrekkend,»lieber alter Freund, danke, daß Sie gekommen sind.«161

164 Kapitel 14 Madame Tarantella Phelps-Smith, erstklassige Hellseherin und Handleserin, wirkte in der Stadt wie ein exotischer Schmetterling. Im Laufe der letzten Jahre hatte man weniger von ihr zu Gesicht bekommen, nicht nur, weil sie seltener ausging, sondern auch, weil sie mit zunehmendem Alter zu schrumpfen schien. Beryl Adams - so hatte sie geheißen, bevor sie von einer alten Wahrsagerin auf einem Jahrmarkt in Hackney Marshes die magischen Kräfte empfing - war immer ein schillernder Farbtupfer in der sonst so eintönigen Nachbarschaft gewesen. Sie schwebte in bunten, fließenden Gewändern wie in einem farbigen Meer. An den Fingern trug sie Ringe und Glöckchen an den langen, gedrehten Spitzen ihrer gestickten Pantoffeln. Davies hatte sie als groß und schlank in Erinnerung; sogar ihr Gesicht war langgezogen - mit hoher Stirn und schmalem Kinn. Ihre Augen waren groß, die Augenbrauen hoch und fein geschwungen, und ihr Mund bildete ein aufrecht stehendes Oval, als ob das Leben ihr in jedem Moment eine Überraschung zu bieten habe. Früher hatte man sie an den unterschiedlichsten Plätzen der Stadt antreffen können, wo sie den Leuten allerlei Zaubermittel verkaufte und auf Wunsch die Zukunft voraussagte - in diesen grauen, staubigen Vierteln gab es viele Menschen, die immerfort auf Besserung ihrer Verhältnisse hofften. Aber mit den Jahren war ihre Ausstrahlung ebenso wie ihr Augenlicht schwächer geworden, und zu der Zeit, als Davies von Berufs wegen auf sie aufmerksam wurde, beschränkte sie ihre Beutezüge auf kurze Ausfälle zum Spirituosenladen und zum Schnellimbiß. Sie war so bucklig und ihr Rücken so krumm, daß ihre langen Arme fast den Erdboden berührten.»das kommt davon, daß ich mich so viele Jahre lang über die verfluchte Kristallkugel gebeugt habe«, klagte sie.»ein Berufsleiden. Bergleute bekommen eben diese eine Krankheit, wie heißt 162

165 sie doch gleich, und Wahrsagerinnen einen Wirbelsäulenschaden.Sie haben viel zu tun?nein. Aber ich muß in Übung bleiben. Wer rastet, der rostet.ja, ja, Polizisten bekommen Plattfüße und einen steifen Hals«, sagte Davies mitfühlend.»gestern habe ich Fred Fennell besucht.«madame Tarantella schien nicht überrascht.»fred Fennell«, sagte sie verträumt, als sei es erst wenige Tage her, daß sie ihm aus der Hand gelesen hatte, als sie nackt unter ihrer bunten Steppdecke beieinanderlagen,»der liebe Fred. Wie geht es ihm? Vermutlich wird er auch älter.genau wie wir alle«, sagte Davies. Ihr Zimmer befand sich über dem Kleidergeschäft von Mr. Blake, der jeden zweiten Arbeiter in der Gegend, meist gegen wöchentliche Ratenzahlung, eingekleidet hatte. Während sie da saßen, konnte man hören, wie die Artikel in den Ständern herumgeschoben wurden, die an der Decke direkt unter Madame Tarantellas Fußboden befestigt waren. Madame Tarantella selbst saß in ihrem Pilotensitz, wie sie ihn selbst nannte, einem kleinen Korbstuhl, der sich wie ein Kind an ihre Röcke zu schmiegen schien. Das Zimmer war ihrem Metier entsprechend düster, mit schweren, troddelverzierten Vorhängen und beleuchteten Schautafeln mit den Tierkreiszeichen an der Wand. Auf dem Tisch mit der Kristallkugel stand eine schmutzige Kaffeetasse, ein Aschenbecher voll ausgedrückter Zigarettenkippen und die aufgeschlagene Tageszeitung mit den Wettergebnissen.»Sie müßten doch eigentlich immer auf den Gewinner setzen«, bemerkte Davies mit einem Blick auf die Zeitung. Er saß in dem Klientensessel und hatte wegen der schwülen Atmosphäre in dem kleinen Zimmer den Mantel aufgeknöpft.»beim Pferderennen? Ach, verdammt, Dangerous!«seufzte sie.»wenn ich den Sieger voraussehen könnte, säße ich nicht hier. Wann immer ich dem Kristall die Frage nach Epsom oder Sandown Park stelle, führt er mich an der Nase herum und zeigt mir die Verlierer. Hellsehen können ist zwar eine Begabung, aber bei 50 Pence pro Beratung wird man nicht reich. Der Reichtum, den ich prophezeie, ist immer der von anderen Leuten.«Sie schaute Davies nachdenklich an.»hätten Sie vielleicht gerne eine Beratung, wo Sie schon mal hier sind?«163

166 Davies lächelte geheimnisvoll.»mir sind schon zwei dunkle Unbekannte über den Weg gelaufen. Davon hab' ich noch die Narben.Sie werden sie nochmals treffen. Sehen Sie sich vor!«warnte sie.»aber ein Tier wird Sie retten. Haben Sie einen Polizeihund?Nein, nicht gerade einen Polizeihund, aber ich habe Kitty, den Köter, der sich in meinem Auto häuslich niedergelassen hat.«sie nickte.»ah ja, das Zotteltier hab' ich schon mal gesehen. Es könnte mal ein Bad vertragen. Sorgen Sie gut für ihn, Dangerous, denn eines Tages werden Sie ihn brauchen.«sie schien in Versuchung, einen schnellen Blick in den Kristall zu werfen, ließ es aber doch sein.»und was hat Fred Fennell Ihnen erzählt?sie... Sie kannten ihn wohl recht gut? Er hat so was erwähnt.ach Mann, Dangerous«, sagte sie kollegial,»sie und ich betreiben doch dasselbe Geschäft. Wir leben von der Menschenkenntnis. Sie wissen, daß er mein Liebhaber war, sonst säßen Sie nicht hier. Aber es ist schon so lange her.es geht ihm nicht schlecht - körperlich, meine ich. Gemessen an den Umständen.Also ist er in einer Heilanstalt«, sagte sie schnell.»ich hatte es im Gefühl, daß er krank ist, aber ein Irrenhaus, das habe ich nicht gesehen.nun, dort ist er jedenfalls. In Bedford.Ach je. Der arme Fred. Er war immer so stark und männlich, wissen Sie. Wie oft hat er in diesem Zimmer gestanden mit nichts am Leibe als seinen Uniformstiefeln. Ein schöner Anblick.Das glaube ich gern«, sagte Davies. Er wollte, daß sie nicht den Faden verlor.»und dann seine Frau. Ein richtiger Drache. Sie hatte eine fixe Idee in bezug auf Tiere. Nachts zog sie los, um Hunde und Katzen zu vergiften. Ihre Familie mußte sie mit Gewalt vom Zoo fernhalten. Es hieß von ihr, sie sei mal bei Leuten eingeladen gewesen, die einen Goldfisch hatten, und sie hätte versucht, ihn zu erwürgen.das war sicherlich nicht einfach mit ihr«, räumte Davies ein.»sie hat sich anscheinend geändert, denn jetzt füttert sie Füchse mit belegten Broten. Es sei denn, sie benutzt vergiftete Butter. So etwas hätte ich von ihr nie gedacht.«164

167 »Eine schreckliche Frau. Sie hat Fred manche Träne gekostet. Ich hatte ihn sehr gern, Dangerous. Nur - ich konnte keine gemeinsame Zukunft für uns sehen.und wenn nicht Sie, wer sonst? Erinnern Sie sich an den Fall Celia Norris; er liegt viele Jahre zurück. Sie wurde vermißt.ach, die. Ja, weiß ich noch. Ich hab' ja noch ihr Fahrrad.«Davies fiel fast vom Stuhl. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er starrte sie an. Sie strich versonnen mit den Fingerspitzen über die kristallene Kugel.»Ihr Fahrrad?«stammelte er.»genau. Es ist unten im Schuppen. Da ist eine Menge Gerümpel, aber das Rad ist dabei, das weiß ich.«davies versuchte, Ruhe zu bewahren.»wie... wie kommt es denn hierher?«er zwang sich, langsam zu sprechen.»wie?fred hat es mitgebracht. Jetzt kann man ja ruhig darüber sprechen. Wenn er im Irrenhaus sitzt, kann man ihm nichts anhaben, und mich könnten Sie wohl auch nicht so leicht einlochen.ich will Sie doch überhaupt nicht einlochen«, sagte Davies verzweifelt.»niemand will das. Erzählen Sie weiter.es war damals, als die Sache mit der kleinen Norris passiert ist. Am selben Abend, an dem sie verschwunden ist. Fred war hier oben, ich weiß es noch wie gestern. Wenn er Streifendienst hatte, kam er immer ein halbes Stündchen, manchmal auch länger, herauf. Er fuhr immer mit einem bestimmten Kollegen, und sie richteten es gewöhnlich so ein, daß einer von beiden sich für ein Weilchen verdrücken konnte. Natürlich wechselten sie sich dabei ab. Der andere ging auch immer irgendwohin, ich bin aber überfragt, wohin, und Fred kam zu mir. Es fing damit an, daß er sein Schicksal erfahren wollte - jedenfalls sagte er das. Es war aber nur ein Vorwand, er wollte mich eben kennenlernen. Ich war damals noch jung und sah recht gut aus. Und nachdem er mir einmal seine Hand gereicht hatte, das war ja mein Beruf, konnte ich sie nicht wieder loslassen. Das passiert eben selbst uns, die wir besondere Kräfte besitzen, Dangerous.«Davies nickte aufmerksam. Er wäre am liebsten mit ihr im Zimmer herumgetanzt, zwang sich aber, still zu sitzen.»fred hatte an dem Abend schon ein paar hinter die Binde gegossen. Bei einem Polizeibesäufnis, aber inoffiziell, denn eigentlich hatte er ja Dienst. Schlitzohren waren die damals. Ich hätte keinem Polizisten über den Weg getraut, das können Sie mir glauben - Fred natürlich ausgenommen.«165

168 »Sind komische Burschen dabei«, nickte Davies. Er wollte sie nicht unterbrechen. Sie starrte auf die Zeitung, als könnte sie aus den Tabellen und Wettinformationen Freds jugendliche Erscheinung hervorzaubern.»ja«, fuhr sie schließlich fort,»an dem Abend hatte er schon ein paar gekippt und wollte nur für einen Augenblick heraufkommen. Dann ging er runter, und bald danach kam er wieder und brachte das Fahrrad. Seitdem steht es hier, all die Jahre lang.warum hat er es hergebracht?er hatte es gefunden und wußte nicht, wem es gehörte. Es lag bei der Mauer vom Friedhof. Er hat es im Gras liegen sehen und halt hergebracht. Er war sehr schlau, der Fred, für einen einfachen Polizeimann, der nie befördert wurde. Ja, er war gerissen! Er hatte sich ausgedacht, er wollte das Rad hier aufbewahren, und wenn sie ihm auf die Schliche gekommen wären oder wenn seine Frau Verdacht geschöpft und ihm gefolgt wäre oder jemanden auf seine Spur gehetzt hätte, dann wollte er behaupten, er sei hier, weil ein gestohlen gemeldetes Rad aufgetaucht sei. Ich hätte dann bestätigt, ich hätte es gefunden, und keiner hätte das widerlegen können. Es war einfach eine Vorsichtsmaßnahme, verstehen Sie.Aber - wußte er denn nicht, wessen Rad das war?nein, natürlich nicht. Er hat gedacht, es sei halt irgendein Rad. Verloren oder vielleicht weggeworfen von jemandem, der es gestohlen hatte. Erst später, als das große Trara losging, ist ihm klar geworden, daß es der Norris gehörte. Und da war es zu spät, da hat er viel zuviel Angst gehabt, damit rauszurücken.«davies wagte kaum, den Mund zu öffnen.»tarantella«, flüsterte er und streckte eine Hand aus. Er ergriff ihre Hand. Sie fühlte sich kalt und leblos an.»kann ich es mal sehen, das Rad?Es ist im Schuppen.«Sie erhob sich.»ich zeige es Ihnen. Es gibt Berge von Gerümpel da unten, dahinter muß es sein.«sie führte ihn über eine Hintertreppe zu einem kleinen Hof mit einem Blechschuppen.»Das übrige Haus gehört Mr. Blake von der Kleiderfirma«, erklärte sie, während sie einen verrosteten Riegel zurückzog,»aber der Schuppen gehört zu meiner Wohnung. Den habe ich mitgemietet.«im Hof war es feucht und kalt. Davies zog den Mantel enger um sich und merkte dabei, daß sein Herz wie verrückt klopfte. Aufkommendes Triumphgefühl und Angst vor Enttäuschung 166

169 hämmerten wie zwei Trommelschlegel in seiner Brust. Ein muffiger Geruch schlug ihnen entgegen.»ich bewahre meine alten Kostüme und Requisiten hier auf«, sagte sie.»man muß mit der Mode gehen, sogar in diesem Gewerbe.«Sie schob zwei bunte Ofenschirme zur Seite.»Und hier sind meine spiritistischen Geräte, der Schalltrichter und die Rauchmaschine. Das habe ich aufgegeben, es war mir zu gruselig.«sie räumte den Durchgang frei und reichte die einzelnen Stücke nach hinten.»hier ist es ja, ich sehe es schon. Ganz dahinten. Wollen Sie es rausziehen, Dangerous?Und ob ich das will«, dachte er. Er schob sie sanft zur Seite und kletterte über den Krimskrams hinweg. Plötzlich hielt er mitten in dem Staub und Chaos inne - da war es. Celias Rad. Er schluckte vor Aufregung. Seine Arme, die sich nach dem Lenker ausstreckten, zitterten. Sein Gesicht war schweißbedeckt. Dann berührte er das kalte, staubige Metall. Es war kein Traum! Er hob und zog das Rad unter dem Gerümpel hervor. Es war ausgesprochen leicht. Er wußte, daß es das richtige war. Es war ihm ebenso vertraut, wie es seiner unglücklichen Eigentümerin vertraut gewesen war. Er faßte den Sattel an, auf dem sie die letzten Minuten ihres 17jährigen Lebens verbracht hatte. Trotz seiner Ungeduld hob er es vorsichtig über den übrigen Plunder hinweg und legte es auf den Boden. Madame Tarantella sah es ungerührt an.»die Reifen sind platt«, bemerkte sie knapp. Davies wußte nicht recht, was er als nächstes tun sollte. Er wischte mit den Fingern den Staub fort. Dann stellte er das Rad aufrecht und öffnete die Satteltaschen. Der Schock warf ihn fast um. In der einen Tasche sah er die vergilbten, zerbröckelnden Überreste eines Blumenstraußes.»Die waren drin, als er es herbrachte«, sagte Madame Tarantella über seine Schulter.»Chrysanthemen und Iris. Es war eine Karte dabei, die habe ich weggeworfen. Ich nehme an, sie hat sie auf dem Friedhof geklaut.ihre Mutter hat gesagt, sie brachte ihr immer Blumen mit«, murmelte Davies.»Ich hatte mich schon gefragt, wo sie die wohl gepflückt hat.blumen«, sagte Mod nachdenklich.»sich vorzustellen, daß die noch da sind...«er schaute in sein Glas. Er und Davies versuchten, dem wütenden und mißtrauischen Blick des Wirtes auszuwei- 167

170 chen. Vermutlich ahnte er, wer seine Dachrinne heruntergerissen hatte.»sie muß regelmäßig auf dem Heimweg vom Jugendklub auf dem Friedhof gewesen sein«, sagte Davies.»Wegen der Blumen für ihre Mutter. Ich habe mich schon gefragt, wo man in dieser Gegend Blumen pflücken kann.das bedeutet, sie ist über die Mauer oder das Tor geklettert. Es war ja spät am Abend«, sagte Mod.»So ist es.und das an dem fraglichen Abend ohne ihr Unterzeug.Anscheinend.Und wo stehen wir nun?«davies seufzte.»ja, wo stehen wir? Wir haben drei neue Verdächtige. Bei keinem von ihnen paßt alles so ganz zusammen, aber wir müssen sie alle irgendwie in Betracht ziehen. Fangen wir von vorne an: unser Freund Boot. Dieser Boot hat ein paar ganz schön unartige Sachen gemacht, unter anderem auch mit Celia. Aber er sagt, er habe sie nicht getötet.feine Entlastung«, murmelte Mod, halb in sein Bier versunken. Beim Wiederauftauchen erinnerte er an einen Fischotter, der beim Schwimmen nur mit dem Kopf aus dem Wasser ragt.»genügt dir denn sein Wort?Nein. Aber er hat wohl alles ausgepackt, neulich, oder doch zumindest fast alles. Als ich mit ihm fertig war, jammerte er vor der Haustür von seiner Mama - er wollte ganz schnell reingelassen werden. Kein schöner Anblick, sage ich dir. Ich glaube nicht, daß er es getan hat, trotz verschiedener Verdachtsmomente - es sei denn, er ist noch verlogener, als ich annehme. Aber über eines will er nicht reden: Er will nicht verraten, was er mit dem Schlüpfer gemacht hat. Er sagt, er kann sich nicht erinnern.und das glaubst du ihm?«grollte Mod.»Wenn du das schluckst, dann wirst du wohl alles schlucken.ich könnte noch ein Bier schlucken«, sagte Davies gedankenverloren. Mod wagte sich in das Blickfeld des Wirtes und bestellte noch zwei Bier. Der Wirt ließ mißgelaunt die Gläser vollaufen und knallte sie auf die Theke.»Trinken, das kann ich ja verstehen«, sagte er vorwurfsvoll,»aber Vandalismus - nein!«mod und Davies wechselten unschuldige Blicke.»Es gibt halt Leute, die merken nicht, wenn sie genug haben«, sagte Davies laut zu dem Wirt, der ihnen schon wieder den Rücken zukehrte. 168

171 Dann wandte er sich Mod wieder zu.»nein, ich bin sicher, es wird ihm schon noch einfallen, was er damit gemacht hat. Vielleicht hat er zusammen mit ihr den Klub verlassen - nach so langer Zeit kann sich niemand daran erinnern, ihn gesehen zu haben -, aber es kann auch niemand das Gegenteil bezeugen. Es ist ja schon 25 Jahre her. Möglich wär's, daß er sie bis zum Friedhof begleitet hat und es dann passiert ist. Gott alleine weiß das. Nur, ich glaube es nicht, Mod. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß er es gewesen ist. Aber ich behalte ihn im Auge, und ich glaube nicht, daß er sich besonders wohl in seiner Haut fühlt.«das ordinäre Weib mit dem Gipsverband stürmte, VIVA ESPAÑA singend, wie ein Büffel herein und stürzte sich auf die Jukebox. Sie hätte die betreffende Taste auch mit geschlossenen Augen gefunden. Kaum daß der erste Ton erklang, wackelte sie mit den Hüften und schob sich tanzend an der Bar entlang, wobei sie die Hände wie Holzklötze über dem Haupt zusammenschlug.»dann Ramscar«, fuhr Davies beharrlich fort,»der könnte es wirklich gewesen sein. Das Alibi kann er sich verschafft haben, kein Problem. Und er macht sich dauernd bemerkbar, obwohl keiner weiß, wo er steckt. Er weiß, daß ich ihm auf der Spur bin. Wer sonst als der liebe Cecil hätte den Mülltonnenüberfall organisieren sollen? Idee und Ausführung, alles trägt seine Handschrift.«Mod beobachtete die ordinäre Flamencotänzerin mit gelassener Verachtung.»Eines Tages«, prophezeite er,»wird sie hier mitten in der Kneipe tot umfallen, und dann werde ich auf ihrer Leiche ein Tänzchen aufführen. Aber sag mal, was ist mit Parsons? Dem geheilten Reizwäschefetischisten? Vielleicht haben dich ja die Brüder von der Heilsarmee schanghait?richtig, mit Parsons bin ich auch noch nicht fertig. Ich muß ihn dieser Tage noch mal ausquetschen. Und dann haben wir noch Bill Lind.Ah ja, der Freund. Ich habe mich schon gefragt, wo der bleibt.madam«, rief Davies dem rasenden Weib zu,»wenn Sie nicht endlich aufhören, muß ich Sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses in Gewahrsam nehmen.ach Quatsch«, erwiderte die Señorita,»ich reiße jedenfalls nicht anderer Leute Abwasserrohre herunter.«169

172 »Bill Lind«, sagte Davies und wandte sich schleunigst wieder Mod zu.»nun, ich warte ab, bis er sich bei mir meldet. Er kommt bestimmt.und«, schrie die Frau streitsüchtig und wandte sich ihnen ohne jegliche andalusische Grandezza zu,»ich bringe auch nicht so ein beschissenes Pferd in so eine beschissene Villa. Und ich springe nicht in den beschissenen Kanal mit einem beschissenen Abfalleimer auf meinem beschissenen Kopf.«Die Antwort wartete sie gar nicht erst ab. Sie stapfte zur Tür, klatschte noch einmal die Hände über dem Kopf zusammen und entschwand mit einem letzten koketten Hüftschwung unter dem schlampigen Rock.»Eine typische Gebärde im hispanischen Tanz«, bemerkte Mod und schlug die Hände über seinem spärlich bewachsenen Schädel zusammen.»und was nun Fred Fennell angeht«, fuhr Davies fort,»und Celias wiedergefundenes Fahrrad, so ist das eine seltsame Geschichte. Hat er sie umgebracht, nachdem er - schon etwas angeheitert - in den Armen der Madame Tarantella nicht befriedigt worden war? Er hat sich, wie wir wissen, nur ein paar Minuten bei ihr aufgehalten. Er und James Dudley haben sich ihre hübsche, gemütliche kleine Arbeit in dem Streifenwagen bequem eingerichtet: Erst ging der eine seinen privaten Lustbarkeiten nach, dann der andere; eine einfache, bequeme Einteilung. Und sie verkürzte die einsamen Stunden. An jenem Abend sind sie beide, wie wir wissen, auf der Party gewesen und haben gepichelt, obwohl sie eigentlich auf Streife sein sollten. Das ist nicht so ungewöhnlich. Bei der Polizei geht es manchmal ja recht gemütlich zu.vielleicht ist er aus der Wohnung gekommen«, kombinierte Mod,»die Straße runter bis zum Friedhof gegangen und ist da auf Celia gestoßen, wie sie gerade mit einem gestohlenen Blumenstrauß und ohne Unterzeug über die Mauer kletterte. Dann ist es eben passiert. Und danach könnte er das Rad unauffällig zu der Tarantella gebracht haben.klingt nicht schlecht«, stimmte Davies zu.»gar nicht übel. Aber genausogut hätte es auch der andere Bulle tun können, der Dudley. Es ist doch so: Keiner hat Celia mehr von dem Moment an gesehen, als sie den Klub verlassen hat. Die Leute wurden gefragt, ob sie ein Mädchen auf einem Rad gesehen hätten. Nun, 170

173 sie saß aber gar nicht auf ihrem Rad, das stand schließlich an der Außenmauer vom Knochengarten. Vielleicht war sie auch in dem Polizeiauto - zusammen mit Dudley.Und was ist aus dem geworden?«fragte Mod. Er hatte ausgetrunken, drehte sein Glas und schob es dann unruhig hin und her. Davies ermannte sich, dem Wirt einen schönen Blick zuzuwerfen, woraufhin ihnen dieser zwei weitere Maß abfüllte.»dudley, James Dudley, ist mit seiner Familie nach Australien ausgewandert, schon vor 20 Jahren. Wollte angeblich gern am Meer leben. Sie hatten an Torquay gedacht, aber das konnten sie sich nicht leisten. Also wurde er Polizist in Sydney und arbeitete dort bei der Sittenpolizei. Vor acht Jahren ist er bei einem Brand in einem Freudenhaus umgekommen.starb also in Ausübung seines Dienstes?«fragte Mod.»Außerhalb des Dienstes. Sie hatten ihn gefeuert, wegen Annahme von Bestechungsgeldern.Oh je«, sagte Mod bedauernd, als gehe es um einen guten Bekannten. Davies breitete die Hände aus.»das ist alles. Alles, was ich weiß, Kumpel.Celia«, grübelte Mod.»Kommt in WIE ES EUCH GEFÄLLT vor, und in Spensers FAERIE QUEENE. Kommt vom lateinischen Wort CAELIA, das heißt DIE HIMMLISCHE. Hab' ich nachgeschlagen.muß toll sein, in der Bibliothek zu wohnen«, murmelte Davies.»So so. Die Himmlische.«Mod sah auf die Wanduhr.»Gleich ist Polizeistunde. Und wir müssen heute pünktlich nach Hause.«Er sprach so laut, daß der Wirt ihn hören konnte.»sonst schiebt man wieder alle möglichen Katastrophen und Unfälle uns in die Schuhe.«Leiser setzte er hinzu:»weißt du, was ich glaube, wo sie begraben ist?da, wo sie alle begraben sind«, seufzte Davies.»Auf dem Friedhof«, antwortete Mod.»Denke ich auch.«171

174 Kapitel 15 vor der Kneipe wartete Josie auf ihn und sah aus wie Draußen ein herumlungerndes Kind. Zum Schutz vor dem abendlichen Nieselregen trug sie einen Ölmantel und auf dem Kopf einen Südwester.»Hast du erraten, daß ich es war?«fragte sie, als sie, sich unter dem Regen duckend, die Straße hinuntergingen. Mod hatte sich verabschiedet und war in der anderen Richtung davongetrottet.»ich habe dich für einen kleinen Matrosen von einem Rettungsboot gehalten«, erwiderte Davies.»Wohin gehen wir denn?ich will dir etwas zeigen«, sagte sie und strebte zielbewußt weiter. Wie zerbrechlich sie ihm vorkam!»ich habe bei der Arbeit nach dir Auschau gehalten, aber du warst wohl nicht in der Nähe.«Er wußte nicht, warum er sich ihr gegenüber eigentlich schuldig fühlte.»ich hatte viel zu tun«, sagte er.»weitere Nachforschungen. Immer noch auf Mr. Ramscars Spur - das heißt, es gibt gar keine Spur. Ich war weiß Gott viel unterwegs, in einer Heilanstalt, in einem Stripschuppen und anderen Häusern, von denen ich meiner Mutter nicht unbedingt erzählen würde. Ich war...ramscar hat meine Mutter bedroht«, unterbrach sie ihn.»sie kann jetzt nicht mehr mit dir reden.ramscar!«er blieb mitten auf der Straße stehen, als wollte er den Verkehr regeln. Ein Bus kam wie ein blitzender, gefährlicher Drache fauchend auf sie los. Josie zog ihn hinüber auf die andere Seite.»Ramscar?«wiederholte er, als sie den Bürgersteig erreichten; die drohende Faust des Busfahrers bemerkte er nicht.»wo versteckt er sich? Weißt du es?«sie zuckte die Achseln und ging weiter.»das weiß keiner. Er schickt bloß Befehle. Mein Alter ist halbtot vor Angst, er geht nicht mal mehr aus dem Haus. Die wissen, daß er mit dir gesprochen hat.«172

175 »Sag deinen Eltern, sie sollen sich nicht mucksen«, sagte Davies. Er war beunruhigt.»wir sollten euer Haus beobachten lassen.nein, nein, das wäre noch schlimmer. Keine Sorge, sie trauen sich nicht mehr aus dem Haus. Ich muß ihnen sogar das Essen bringen.ramscar«, murmelte er.»ich wüßte wirklich gerne, wo er ist.«plötzlich dachte er wieder daran, wie zart und verletzlich sie war.»was ist mit dir?ach, mit mir?«lachte sie.»ich hab' vor dem keine Angst. Ich würde ihm sagen, er soll abhauen. Er und seine Bande.«Sie drehte sich im Regen zu ihm um. Das runde Gesichtchen wurde von der viel zu großen Hutkrempe eingerahmt. Sie sah unbekümmert, naiv, selbstsicher und ungeheuer verletzlich aus. Eine zweite Celia.»Verhalt dich still«, sagte er.»und wenn es irgendwie Ärger gibt, rufst du mich sofort an oder gibst auf der Wache Bescheid. Verstanden?«Sie grinste ihn an.»zu Befehl. Keine Angst, Dangerous, auf mich hat er es nicht abgesehen. Aber du darfst natürlich den großen Bruder spielen, wenn du möchtest.«sie zog einen Schlüsselbund aus der Manteltasche.»Laß uns in den Friseursalon gehen. Da gibt's etwas, das du sehen solltest.was ist es?wart es ab. Es ist ein Hammer, du wirst schon sehen.«sie schloß die Haustür auf und führte ihn die schmale Treppe zum ersten Stock hinauf. Der noch nasse Saum ihres Regenmantels streifte fast seine Nase.»Du bist mir aus dem Weg gegangen«, beschwerte sie sich, während sie die Treppen hochstiegen,»du wolltest mich wohl nicht treffen. Und das hatte nichts mit Ramscar zu tun.«er fühlte sich innerlich ausgehöhlt, alt und schwerfällig.»ich sag' dir doch, ich hatte viel zu tun. Und dann, Josie... Du bist 17.«Sie blieb eine Stufe über ihm stehen und sah ihn widerborstig an.»17 ist nicht sieben. Mit 17 darf man alles. Denk an Celia.Schon gut, schon gut«, sagte er. Sie stieg weiter hinauf, knipste, oben angekommen, das Licht an und ging in den Damensalon. Er folgte ihr und sah sich um. Die Stühle standen aufgereiht wie eine Batterie von Flakgeschützen, und zu jedem gehörte eine 173

176 Trockenhaube wie ein ausgeschalteter Scheinwerfer.»Zieh den ollen Mantel aus«, sagte sie.»wenn ich dich jemals heirate, Dangerous, dann geht der Mantel als erstes über Bord.«Er überhörte diese Bemerkung und setzte sich müde auf einen der Stühle. Sein Blick blieb an den Buchstaben haften, die in Spiegelschrift auf der Fensterscheibe zu sehen waren. Josie war irgendwo im Hintergrund verschwunden. Er rief ihr zu:»warum nennt sie sich ANTOINETTE VON PARIS, DER SCHWEIZ UND HEMEL HEMPSTEAD? Wieso Paris und Schweiz?«Er konnte nicht sehen, womit sie dort hinten im Schatten beschäftigt war.»ach, das ist bloß ein Gag«, rief sie.»sie war einmal zum Wintersport in der Schweiz, aber der Schnee war nichts für sie, weil sie immer auf die Nase fiel. Also blieb sie in ihrem Hotel und frisierte die anderen Gäste. Was in Paris war, weiß ich nicht - vielleicht hat sie da einmal jemandem die Haare gewaschen und gelegt. Wahrscheinlich sich selbst.was machst du dahinten?«von seinem Stuhl aus betrachtete er sich im Spiegel; wie blaß und massig er aussah, dachte er. Sie antwortete:»nur noch eine Minute. Vor dir an der Wand ist ein Lichtschalter, Dangerous. Wenn ich es sage, knipst du ihn an. Aber nicht, ehe ich es sage.kindereien«, murrte er.»wie geht's Kitty?«fragte sie aus dem Schatten.»Schlimmer Husten und schlimme Laune.Wie geht's Mod? Mod mag ich gern.du hast ihn doch gerade selbst gesehen.stimmt, Dangerous. Jetzt. Den Schalter!«Er tat, was sie ihm aufgetragen hatte, lehnte sich in seinem Stuhl vor und schaltete an. Es wurde dunkel, im nächsten Moment aber flammte ein Strahler an der Decke auf und beleuchtete etwa fünf Schritte von ihm entfernt, am Eingang, den Fußboden. Er wartete. Josie hüpfte wie eine kleine Tänzerin in den Lichtkreis. Er schrie entsetzt auf, als er sie sah. Sie trug die Kleidung ihrer ermordeten Schwester: das grüne Sommerkleid, die weißen Söckchen und die braunen Spangenschuhe. Da stand sie im Lichtschein und lachte: Celia Norris!»Nein... nein! Großer Gott«, sagte er und versuchte sich noch tiefer in den Stuhl zurückzuziehen.»warum... wieso... wozu hast du das getan?«174

177 »Ich habe die Sachen gefunden«, sagte Josie triumphierend,»ich habe herausgefunden, wo meine Mutter sie versteckt hat. Dann habe ich sie anprobiert, und sie paßten. Haargenau, Dangerous. «Sie drehte sich anmutig im Kreis. Ihm hatte es immer noch die Sprache verschlagen.»es ist wie eins dieser Phantombilder«, lachte sie, dann beugte sie sich vor, um ihn im Dunkeln zu erkennen.»schaust du mich noch an?ja, ich schaue dich noch an.«er konnte kaum die Lippen bewegen. In seinem Inneren zitterte es, als sei er ein Vulkan.»Dann paß auf«, lachte sie. Er wußte nur zu gut, was sie vorhatte. Sie machte eine Pirouette und ließ den kurzen Rock hochfliegen.»nichts drunter«- ihr Kichern wirkte regelrecht unheimlich -,»auch kein Slip.«Er starrte sie verzweifelt an. Sie drehte sich langsamer ein zweites Mal um sich selbst und zeigte ihre schlanken Beine von den Fesseln und den weißen Söckchen und Schuhen bis hinauf zu den graziösen Schenkeln. Sie hob zierlich das Röckchen und vollführte noch eine Drehung. Die Konturen des kleinen Popos wechselten im Licht und Schatten. Noch eine Umdrehung. Davies' Blick fiel auf den leicht gewölbten Bauch und den Schatten von dunklem Haar am Ansatz der Beine.»Hör auf«, brüllte er und sprang auf. Mit dem Kopf stieß er klirrend an den über ihm hängenden Haartrockner. Er hörte sie lachen und rief wieder:»schluß jetzt, Josie. Hörst du nicht, Schluß damit!«sie gehorchte, stand still und kam dann aus dem Lichtkreis auf Zehenspitzen auf ihn zu. Sie stand in dem dünnen Kleidchen vor ihm. Er schloß krampfhaft die Augen.»Du solltest nicht...«, murmelte er.»um Himmels willen...hatte ich nicht gesagt, du solltest den Mantel ausziehen?«erwiderte sie. Als sie sich über ihn beugte, roch das Kleid nach Mottenkugeln. Er wollte es anfassen, den Stoff anfühlen, aber die Hände versagten ihm den Dienst. Sie nestelte an den Knöpfen seines Mantels und schlug ihn auf, dann kletterte sie ihm auf den Schoß und kniete mit ihren dünnen Knien auf seiner Hose, ihr Körper wie eine Gerte, ihre schlanken Arme um seinen dicken Hals, ihre Augen intensiv auf sein Gesicht gerichtet. Das war zuviel für ihn. Er erlaubte seinen Armen, die immer noch in den lächerlichen Ärmeln des Mantels steckten, sich um sie zu legen, und seinen Fingerspitzen, ihre Hüften anzufassen. Die Weichheit 175

178 des Baumwollstoffs berührte ihn wie ein Schock - so dünn war er, daß er ihre Hüftknochen darunter fühlen konnte wie die Revolver eines Cowboys.»Oh verdammt...«, stöhnte er,»verdammt, verdammt, verdammt.«darauf schmiegte sie ihr Gesicht an das seine, zarte Haut an rauhe Haut, und ihren schmalen Körper an seine Brust. Seine Hände glitten an dem Kleid herab und umfaßten die weichen nackten Rundungen. Sie zitterten beide, während er sie an sich drückte, und er spürte ihre jungen Tränen über sein Gesicht rinnen. Er schob sie von sich und sah sie an. Das tränenverschmierte Gesicht, das grüne Kleid. Hatte Celia an jenem Abend auch geweint? Auf dem Revier war die gesamte Truppe damit beschäftigt, Anzüge anzuprobieren, die aus einem vereitelten Raubüberfall stammten. Die Atmosphäre erinnerte an die Anprobe in einem belebten Herrenkonfektionsgeschäft; Bemerkungen über Stoffqualität, Schnitt und Stil flogen lässig hin und her. Davies setzte sich still hin und schrieb einen kurzen und weitgehend fiktiven Bericht über seine Nachforschungen in der Sache Ramscar.»Schade, daß unter den Sachen kein Mantel ist, Dangerous«, sagte einer der jungen dynamischen Kollegen, fesch im Nadelstreifenanzug.»Deiner setzt ja schon Moos an.ich fühle mich wohl drin«, erwiderte Davies gleichgültig und legte seinen Bericht in die für Inspector Yardbird bestimmte Mappe.»Ich habe mich nun mal darin niedergelassen. An einen anderen könnte ich mich nicht gewöhnen.«er ließ sie weiter nach ihrer Façon glücklich werden und ging wieder los, Richtung Friedhof. Es war das ideale Wetter, um Tote zu besuchen. Ein zerrissener Himmel hing in Fetzen über der Erde, ein Himmel, der zwar schwarz war, aber immer wieder aufgerissen wurde durch kleine Wolkenlöcher, durch die grelle Sonnenstrahlen fielen. Ein brausender Wind jagte die dunklen Wolken über das Firmament. Wagner hätte daraus Musik gemacht. Davies dagegen pfiff nur das einfache, frische Seemannsliedchen FRISCH AUF NUN, MÄNNER, ZUM RUHM GEHT DIE FAHRT, während er den Lagonda auf dem halbkreisförmigen Platz vor dem Friedhofstor parkte. Der pflichteifrige Pförtner kam sofort aus seiner mausoleumsähnlichen Behausung neben dem Tor heraus 176

179 und deutete auf den Wagen. Kitty, der Träger vieler Kleinstlebewesen, erhob sich stumm und steif auf dem Rücksitz, blickte in die Runde und sank von Lethargie überwältigt wieder in sich zusammen. Der Wärter zeigte noch einmal anklagend auf das Auto.»Können Sie die Karre nicht woanders lassen? Sie versaut ja unseren guten Ruf. Und der Hund, oder was immer das ist, stinkt bis hierher.ich bin wohl schon an ihn gewöhnt.«davies lächelte begütigend.»ich bin nur für eine Minute hier. Ich möchte Sie etwas fragen.«er war sehr in Versuchung hinzuzusetzen: >Könnten Sie mir ein paar Gräber öffnen?< Aus Taktgefühl unterließ er dies dann jedoch.»was für Fragen?«wollte der Mann wissen. Er stand zwischen einem großen Lorbeerstrauch und einer Trauerweide. Davies erschauerte bei dem Gedanken, wie besonders üppig die Bäume und Sträucher auf diesem Boden gediehen. Der Aufseher murrte:»ich hoffe, Sie wollen nicht die ganze Nacht hier herumlungern wie letztes Mal.«Er lachte, aber es klang eher wie ein Knurren.»Wer hätte je davon gehört, daß ein Friedhof in die Luft gesprengt werden soll?ach ja«, sagte Davies,»gut, daß Sie darauf zu sprechen kommen. Es handelte sich leider um einen Irrtum der Behörden.«Der Mann war schon auf dem Wege, sich schützend vor den nächstgelegenen eingesunkenen Grabstein zu stellen.»was wollen Sie dann?ich hätte gern mal einen Blick auf Ihr Verzeichnis geworfen, den Katalog der Neuzugänge oder wie man das in Ihrem Beruf nennt.«davies lächelte breit, als bitte er um eine Liste von Lotteriegewinnen.»So was haben Sie doch, oder?haben wir, klar. Wie sollten wir sonst wissen, wer wer ist?logo«, sagte Davies.»Ist das eine offizielle Polizeiaktion?Klar«, flunkerte Davies.»Denken Sie, ich mache das zum Vergnügen?«Der Wärter drehte sich um und ging ins Haus. Davies sah sich derweilen unter den Grabsteinen, diesen letzten Zeugnissen irdischer Existenzen, um. Einige waren ziemlich alt und verwittert, so daß man nahe herangehen mußte, um die Inschrift lesen zu können. Das Geräusch von Schlüsseln hinter seinem Rücken ließ 177

180 ihn zusammenfahren.»hinten rum«, sagte der Wärter,»in die Registratur.«Auf dem kurzen Wege dahin wurde er ein wenig mitteilsamer. Vielleicht war er einer von denen, die nicht schweigend neben einem anderen hergehen können, nicht einmal auf einem Friedhof.»Scheißkälte heute morgen«, sagte er. Davies erinnerte sich, daß er schon beim vorigen Mal über das Wetter geflucht hatte. Vielleicht lag es nahe, zu fluchen, wenn man zwischen denjenigen arbeitete, die einen nicht mehr hören konnten. Mehr sagte der Mann dann auch nicht mehr, sondern schloß die Tür zur Registratur auf und führte Davies in einen langgestreckten, eiskalten Raum mit Regalen voll schwerer Bücher. Außerdem war da ein Schreibtisch mit grüner Filzauflage, darauf ein Tintenfaß und davor ein gespenstisch leerer Stuhl. Davies stellte sich den Tod als Knochenmann vor, wie er des Nachts hier über sein Hauptbuch gebückt saß. Als der Pförtner ihn aufforderte, Platz zu nehmen, lehnte Davies ab.»wer war es, oder wann war es?«fragte der Mann.»Wer, weiß ich nicht. Aber irgendwann im Juli 1951.Irgendwann! Sie wissen nicht, wer, nicht wo und nicht einmal genau wann!wir tappen da noch im dunklen«, gestand Davies. Er zupfte nachdenklich an seiner Nase.»Wenn ich mal fragen darf - wie lange vor einer Beerdigung wird denn das Grab ausgehoben?«es überraschte ihn, daß der Mann so wenig Interesse für die Nachforschungen aufbrachte.»unterschiedlich. Wenn großer Andrang herrscht, graben wir auch mal ein paar Tage im voraus, aber normalerweise am Tag davor. Hängt von der Nachfrage ab.wenn das so ist«, entschied Davies,»müßte ich die Bestattungen am 24., 25. und 26. Juli 1951 nachprüfen.«der Mürrische nahm den gewohnten beleidigten Gesichtsausdruck an und seufzte, ließ sich aber herab, in den Regalen nach dem betreffenden Buch zu suchen. Davies sah ihm zu und stellte sich vor, daß geschmackvoll gestaltete Schildchen wie ABEN TEUER, LIEBE oder GESCHICHTEN, DIE DAS LEBEN SCHRIEB diese ungewöhnliche Bücherei ein wenig beleben würden. Der Mann kam mit einem dicken Wälzer zurück. DRITTES QUARTAL 51. Er knallte das Buch auf den Tisch.»Bin ich froh, daß Sie nicht ein Winterquartal verlangen - dieses hier ist schon verteufelt schwer.«178

181 Davies deutete mit einem Nicken sein Verständnis für die harten Arbeitsbedingungen an. Er setzte sich, ohne nachzudenken, auf den leeren Stuhl und begann gespannt zu blättern. Unter dem 24. Juli fand er drei Einträge, zwei am 25., dann wieder drei am 26. Er lieh sich von dem Wärter einen Bleistift und schrieb die Namen in sein Notizbuch, das er ausnahmsweise bei sich hatte.»liegen diese Gräber alle mehr oder weniger beieinander?«der Mann nickte. Jetzt endlich keimte in seinem Gesicht eine Spur von Interesse auf.»wozu wollen Sie das alles wissen?routinesache«, erwiderte Davies nicht sehr überzeugend.»wo liegen diese Gräber?«Der Wärter sah ihm über die Schulter, um die laufenden Nummern festzustellen.»an der Nordwestecke. In dem Teil, der nicht mehr benutzt wird.direkt an der Mauer?Ja, mehr oder weniger. Innen direkt an der Mauer wachsen Büsche, dann kommt ein Fußpfad, dann diese Gräber.Wo werden die Geräte aufbewahrt, Spaten und dergleichen?«langsam begann der Mann aufmerksam zu werden.»die Geräte? Das ist eine komische Sache, wissen Sie. Die Geräte gehören eigentlich in den Werkzeugschuppen, aber sie werden oft draußen vergessen. Die Trottel, die hier arbeiten, lehnen den Spaten einfach gegen die Mauer oder lassen ihn in der Erde stekken. Die haben kein Interesse an ihrer Arbeit und keinen Stolz; bei Feierabend hauen sie einfach ab und lassen die Geräte für den nächsten Tag liegen. Die Hälfte aller Gärten in der Nachbarschaft werden mit Spaten umgegraben, die vom Friedhof geklaut worden sind.es wird immer besser«, sagte Davies sich.»also, wenn damals jener Teil des Friedhofs in drei Tagen sozusagen achtmal beackert wurde, dann wurden wahrscheinlich die Spaten über Nacht draußen gelassen.schon möglich.na gut«, sagte Davies sich erhebend,»vielen Dank. Das war alles.«jetzt hätte der Mann gerne Näheres gewußt, aber Davies hüllte sich in sein Schweigen wie in seinen Mantel, das heißt, er gab nur nichtssagende Antworten. Als sie sich wieder dem Torhaus näherten, bemerkte er in ein paar 100 Metern Entfernung jenseits der grabsteinbesetzten Mauer einen knallgelben Straßenbagger. 179

182 »Was wird denn da gemacht?«fragte er.»sie bauen die Straße aus. Dazu mußten sie unsere Mauer verlegen und auch ein paar Gräber. Find' ich nicht richtig, daß man die Gräber ausbuddelt.scheußliche Arbeit«, stimmte Davies zu.»in den alten Zeiten mußte man die Arbeiter erst unter Whisky setzen«, erzählte der Wärter, offenbar froh, sich als Friedhofshistoriker produzieren zu können.»wegen dem Gestank und so. Jetzt gibt's ja allerhand Chemikalien dafür. Aber ich finde es trotzdem nicht richtig.«sie waren beim Tor angelangt.»ist hier schon mal jemand von Amts wegen exhumiert worden?«fragte Davies so beiläufig wie möglich. Der Mann war ehrlich schockiert.»aber nicht doch, das hier ist ein anständiger Friedhof. Vielleicht vor meiner Zeit, aber nicht, seit ich hier bin.wird schwierig sein, acht Exhumierungsbeschlüsse zu erwirken, stelle ich mir vor«, sagte Davies und ging auf seinen Wagen zu.»acht!«der Aufseher fiel fast in Ohnmacht.»Acht Leute ausgraben! Nur über meine Leiche!Das habe ich mir gedacht«, sagte Davies.»Trotzdem schönen Dank.«Ohne eine Antwort wandte der andere sich zu seinem Haus um und ging zurück, nicht ohne sich noch einmal argwöhnisch nach Davies umzuschauen.»verrückt«, sagte er,»total verrückt.«davies kletterte in den Lagonda und ließ nachdenklich den Motor an. Aber er legte keinen Gang ein. Irgend etwas stimmte nicht. Er drehte sich um, lehnte sich hinüber und hob vorsichtig einen Zipfel der Plane auf dem Rücksitz hoch. Kitty lag behaglich ausgestreckt und knabberte an einem großen Knochen.»Hör mal«, sagte Davies zu Mod.»Wenn wir richtig kombiniert haben, wenn also unser Mörder Celia auf dem Friedhof beim Blumenklauen überrascht hat oder als sie gerade über die Mauer geklettert ist, wenn er sie dann umgebracht und sie in einem frisch ausgehobenen Grab verscharrt hat - dann müssen wir acht Gräber öffnen.was für eine große Aufgabe.«Sie zuckelten gerade ohne Eile zum Abendessen ins BALI HI, Furtman Gardens. Ihr übliches Bier 180

183 am Feierabend war ausgefallen, weil Mod sich ziemlich lange bei der Arbeitsvermittlung aufgehalten hatte, wo er unerwartet in Bedrängnis geraten war. Es bestand die Gefahr, daß man ihm einen Job verschaffte, und er hatte es erst in letzter Minute geschafft, das zu verhindern. Mod, der niemals einen Mantel trug und auch noch nie einen besessen hatte, trabte in seiner abgeschabten braunroten Tweedjacke mit offenem Hemdkragen durch die Gegend. Davies hingegen steckte in seinem braunen Mantel wie in einem großen Kokon.»Das Problem ist«, dozierte Davies,»egal, wie sehr es an den Haaren herbeigezogen scheint, die Gelegenheit war da und die Requisiten ebenfalls. Es war genau der Abschnitt des Friedhofs, der damals benutzt wurde, es gab mehrere vorbereitete Gräber, und höchstwahrscheinlich lag ein Spaten daneben herum. Es kann gut sein, daß er sie vergewaltigt hat - oder was auch immer - und dann getötet. Danach brauchte er nur in einem von den Gräbern einen halben Meter Erde auszuheben, um sie da zu verscharren. Am nächsten Tag kam dann ein Sarg darauf, und das Ganze wurde zugeschüttet - fertig. Und das alles mitten in der Nacht und in aller Ruhe. Nirgends ist man so ungestört wie hinter einer Friedhofsmauer.Wer, um Himmels willen, würde dir die Erlaubnis geben, acht Gräber zu öffnen?niemand. Deshalb frage ich gar nicht erst.«mod sah ihn besorgt an.»glaub nur nicht, ich würde dir helfen, sie heimlich aufzugraben, denn dazu bin ich nicht bereit. Ich kann mir keine schwere körperliche Tätigkeit zumuten. Wenn ich es könnte, hätte ich längst eine Arbeit.«Sie waren beim BALI HI, Furtman Gardens, angelangt. Am Kleiderständer in der Diele hing ein Zettel mit einer Nachricht für Davies:»Mr. William Lind möchte Sie im Polizeirevier sprechen.«es wurde jetzt abends schon früh dunkel und ungemütlich. Auf seinem Weg zum Revier begegnete Davies nur fünf Menschen, von denen drei mit ihren Hunden unterwegs waren. Es fiel ihm wieder einmal auf, wie leer selbst in dieser dichtbesiedelten Gegend die Straßen abends waren. In manchen Ländern war der Abend die Zeit für die Promenade, zum Sehen und Gesehenwerden, aber hierzulande verschwanden die Leute, kaum hatten die 181

184 Sirenen den Feierabend verkündet, wie die Maulwürfe in ihren Löchern. Selbst an einem warmen Sommerabend wie dem, an dem Celia Norris zum letzten Mal gesehen wurde, hielten sich nur wenige Menschen draußen auf. Ein Grund war natürlich das Fernsehen; außerdem gab es hier nur wenige Orte, wo man sich im Freien aufhalten konnte. Ein paar kleine Parks und die einsamen Kanalufer. Die Leute taten wohl dasselbe wie im Winter, sie gingen in die Kneipe oder blieben zu Hause. Nur mit dem Unterschied, daß sie im Sommer die Fenster offen ließen. Venus, der Abendstern, winkte ihm wie gewöhnlich vom Ende der Straße, auf der sich auch die Polizeiwache befand, zu. Sie sah so einsam und heimatlos aus, wie nur eine Nutte aussehen kann. Im Vergleich zu der Trostlosigkeit draußen wirkte das Polizeigebäude mit seiner hellen Beleuchtung im Innern ungewohnt freundlich. Der diensthabende Sergeant versuchte, hinter seiner Theke verschanzt, die ältere Dame zu trösten, die wieder einmal erschienen war, weil sie von lüsternen Männern mit langen Fingern verfolgt worden war.»mein Problem ist, Herr Wachtmeister, daß ich von hinten so jugendlich wirke«, jammerte sie.»deshalb laufen sie mir nach.vielleicht sollte sie es mal mit dem Rückwärtsgang probieren«, murmelte der Sergeant, nachdem sie entrüstet und neues Unheil prophezeiend wieder gegangen war.»das würde abschreckend wirken. Dangerous, dein Kunde wartet im Vernehmungsraum.«Davies bedankte sich und ging in das schwach erleuchtete Verhörzimmer. Dort saß Bill Lind und biß sich auf die Lippe. Er erhob sich, als Davies hereinkam, stieß dabei seinen Stuhl um und erschrak entsetzlich bei dem Geräusch. Darauf wirkte er so eingeschüchtert, als habe er eine schwere Verfehlung begangen. Er fummelte an dem Stuhl herum, um ihn aufzustellen. Davies setzte sich ihm gegenüber an den Tisch, den Mantel um sich gebreitet wie einen Wigwam.»Mr. Lind«, sagte er gelassen.»was kann ich für Sie tun?nun, Mr. Davies, ich habe gehört... das heißt, meine Frau hat es erwähnt... daß Sie die Sache mit Celia Norris bearbeiten.«davies sah sich um, ob die Tür geschlossen war. Die Metropolitan Police duldete weder die Ausübung von Privatgeschäften noch von Hobbies in den Amtsräumen. Die Tür war zu. Ein Polizist ging draußen vorbei und blickte gewohnheitsmäßig über den 182

185 Milchglasrand in den Vernehmungsraum. Aber auch dieses Haupt schwebte vorbei, und Davies konnte sich wieder Bill Linds angespanntem Gesicht zuwenden.»worum geht's, Mr. Lind?Bloß dies hier«, antwortete Lind, zog aus der Tasche eine Plastiktüte und entnahm ihr Celias hellgrünen Schlüpfer. Davies wäre fast rücklings vom Stuhl gefallen.»das ist von ihr, von Celia«, sagte Lind.»Es hat zwischen Mottenkugeln gelegen.full house, beinahe«, sagte Davies laut, wenn auch mehr zu sich selbst, als er die Hand danach ausstreckte.»es hat anscheinend alles zwischen Mottenkugeln gesteckt.was... was soll das heißen?«fragte Lind.»Vergessen Sie's. Woher haben Sie das?gefunden«, sagte Lind.»Einfach so, Mr. Davies. In der Satteltasche von meinem Fahrrad. Am Tag, nachdem sie verschwunden war. Ich mache auf, und da ist das Ding.Woher wußten sie, daß es von Celia war?«fragte Davies.»Oh, Sie wollen mich wohl aufs Glatteis führen?«fragte Lind mit erhobenem Zeigefinger. In seiner triumphierenden Selbstgerechtigkeit war er nahe daran, Davies mit dem Finger zu drohen.»ich habe sie ja oft im Klub gesehen - beim Tischtennis oder Korbball und dergleichen; dann guckten natürlich alle Jungens hin, wollten einen Blick riskieren. Jungen in diesem Alter...Ja, ja, natürlich«, stimmte Davies zu.»aber Sie waren doch ihr fester Freund, Mr. Lind, Sie gingen doch miteinander, wie man so sagt?na ja, gewissermaßen«, sagte Lind ausweichend. Davies konnte sich vorstellen, wie er züchtig verhüllt in der Badewanne saß.»aber das hat nichts damit zu tun, daß ich weiß, dies hier ist von Celia. So was gab es nicht zwischen uns. Sehen Sie, ich war damals ein kleiner Kavalier, verstehen Sie, ich hatte viel für Keuschheit übrig. Hab' ich übrigens heute noch. Meine Beziehung zu ihr war... rein, gewissermaßen.außer wenn sie Tischtennis oder Korbball spielte. Dann haben Sie geguckt wie die anderen Burschen?«Auf Linds bleichen Wangen bildeten sich zwei rote Flecke.»Also wirklich, Mr. Davies. Ich bin nicht hergekommen, um mich von Ihnen beschimpfen zu lassen«, betonte er förmlich.»ich bin gekommen, weil ich helfen wollte.«183

186 »Dann hatten Sie wohl einen weiten Weg«, sagte Davies trokken.»sie haben 25 Jahre dazu gebraucht. Warum haben Sie diesen Gegenstand nicht damals zur Polizei gebracht, Mr. Lind? Es war Ihnen bekannt, daß nach der Kleidung gesucht wurde.das wußte ich nicht, nicht gleich zu Anfang. Weil man sich ja eine Zeitlang gar keine ernsthaften Sorgen um sie gemacht hat«, warf Lind eilig ein.»ich habe den... dieses hier behalten, hauptsächlich, weil es von ihr war und weil ich... es eben aufheben wollte. Können Sie das verstehen?warum sind Sie damals nicht zur Polizei gegangen?«wiederholte Davies mit Nachdruck.»Es wäre das einzig Richtige gewesen, das muß Ihnen doch klar gewesen sein.«lind legte das Gesicht in seine Finger. Er hatte merkwürdig zarte Hände für einen Kranführer.»Ich hatte Angst. Die Bullen... die Polizei kam und verhörte jeden von uns. Ich war zu Tode erschrocken und dachte, wenn ich dies hier vorzeigte, würden sie sofort daraus schließen, daß ich es getan hätte. Damals wurde man für Mord noch gehängt, Mr. Davies. Ich wollte nicht wegen eines Irrtums gehängt werden. Deswegen sagte ich damals nichts... Ich wünschte fast, ich hätte auch jetzt geschwiegen.«die letzten Worte überhörte Davies.»Wo haben Sie dies Wäschestück aufbewahrt? Beziehungsweise versteckt?auf dem Dachboden. In einem alten Koffer, unter anderen alten Sachen.Sie leben in einer Mietwohnung. Seit wann gibt es da einen Dachboden?Im Haus von meiner Mutter«, sagte Lind und hatte wieder diesen leicht triumphierenden Unterton.»Sie haben mir ja keine Zeit gelassen, das zu erklären. Bei meiner Mutter auf dem Dachboden. Ich verbringe ziemlich viel Zeit bei meiner Mutter, vielleicht ziehe ich demnächst sogar für dauernd zu ihr. Meine Frau fällt mir auf die Nerven, verstehen Sie. Vor 14 Tagen etwa hat sie sich sogar mit einem Mann geprügelt - und zwar auf der Treppe vor unsrer Wohnung. Die Nachbarn reden auch schon schlecht über sie.«davies spürte einen Kloß in der Kehle, den er mühsam herunterwürgen mußte. Er zog sich in seinen Mantel zurück, damit man ihm nichts ansah.»auf welche Weise ist dies Wäschestück denn in Ihre Satteltasche gekommen?«fragte er. 184

187 »Irgend jemand hat es hineingetan, aus Scherz oder was weiß ich. Solange man noch nicht wußte, daß ihr etwas zugestoßen war, dachte ich, sie selbst könne es gewesen sein. Sie machte sich gern über mich lustig.sie war überhaupt eine kleine... Flirtbiene, stimmt's?so hätte ich mich nie ausgedrückt. Das war nicht meine Haltung Frauen gegenüber und ist es auch heute nicht. Das war ja das Problem.«Davies nickte.»sehr ritterlich, bestimmt. Na gut, ich werde all dies in einem Protokoll zusammenfassen. Sonst noch was, Mr. Lind?«Er hatte die Frage ohne viel Hoffnung geäußert, war aber im nächsten Augenblick froh, sie gestellt zu haben. Lind rang sich halb dazu durch, noch etwas zu sagen, überlegte es sich anders, nahm dann Davies' erwartungsvollen Blick wahr und faßte sich schließlich ein Herz:»Ja, schon, gewissermaßen.und das wäre gewissermaßen?vielleicht ist es nichts, Mr. Davies. Aber meine Mutter meint, daß sie vor zehn oder zwölf Jahren, als sie einmal unter einem der Regendächer im Glazebrook Park saß - Sie kennen doch diese kleinen hölzernen Unterstände, die sozusagen in einzelne Abteile unterteilt sind-, also, sie hat da gesessen und sich von ihrem Einkaufsbummel ausgeruht, und da hat sie gehört, wie sich in dem nächsten Abteil direkt hinter der Trennwand zwei Frauen unterhielten.«er blickte auf, um festzustellen, ob Davies ihm zuhörte. Dessen Augen waren fest auf ihn gerichtet.»und meine Mutter sagt, sie hat gehört, wie die eine Frau der anderen erzählt, daß ihr Mann Celia gesehen hat, wie sie mit einem Mann auf dem Fußweg am Kanal entlang gegangen ist. Der Kerl hatte den Arm um sie gelegt. Und diese Frau meint, ihr Mann hat es der Polizei gemeldet, als die damals überall rumgefragt hat. Aber sie hat nie mehr von der Sache gehört. Ist das nicht komisch, Mr. Davies?«Davies schloß die Augen, um sein laut pochendes Herz zu beruhigen.»diese Frau«, fragte er.»kannte Ihre Mutter sie?sie sah die zwei Frauen aufstehen und weggehen«, sagte Lind.»Und sie kannte eine von ihnen flüchtig. Aber sie wußte nicht, welche es war, die das gesagt hatte. Die Frau, die sie kannte, hieß Mrs. Whethers und wohnte in der Nähe vom Kensal Green Empire, das heißt damals. Es ist viele Jahre her. Vielleicht wohnt sie dort nicht mehr.«185

188 Kapitel 16 Davies auf der Wache das Formular mit seinem Dienstbericht ausfüllte, schämte er sich doch ein wenig. Er mußte auf Als die Gelben Seiten im Telefonbuch zurückgreifen und passende Adressen von Buchmachern, Nachtklubs und dergleichen heraussuchen, um halbwegs glaubhaft zu behaupten, er habe sich dort nach Ramscar umgesehen. Von seinem Gewissen getrieben, hatte er sogar tatsächlich einige Nachforschungen in dieser Hinsicht angestellt, die sich aber erwartungsgemäß als vergeblich erwiesen hatten. Nach wie vor war er der Meinung, Ramscar werde eines Tages von sich aus zu ihm kommen. Inzwischen konnte er selbst an nichts anderes denken als an Celia Norris. Er heftete den Bericht für Yardbird zusammen, wobei er sich bedrückt fragte, wie lange er dem Inspector Sand in die Augen streuen könnte; dann zog er los, um Mrs. Whethers aufzusuchen. Mrs. Whethers, eine Frau mit freundlichem rotem Gesicht, kam gerade aus ihrem Haus, um sich zum Seniorennachmittag im Kensal Rise Pavillon zu begeben. Ein Fuchs mit Glasaugen ruhte auf ihren Schultern, als wäre er dort hinaufgesprungen, um dann zu sterben. Sie trug ihn stolz wie der Jäger seine Beute. Ihr Wintermantel hatte anscheinend schon viele Winter gesehen, aber der Zahn der Zeit schien ihn dicker statt dünner gemacht zu haben, so daß er jetzt einem Gewand aus verfilzten Hobelspänen glich. Er schlenkerte bei jedem Schritt um ihre alten Waden, als sie den gewohnten Weg zur Hauptstraße einschlug. Davies beobachtete, wie sie aus ihrem Gartenpförtchen kam, und folgte ihr bis zur Bushaltestelle an der Hauptstraße, wo er sie ansprach.»mrs. Whethers«, sagte er auf gut Glück,»könnte ich Sie wohl einen Moment sprechen?«im Alter verflüchtigt sich bei manchen Leuten die Neugierde; nichts ist mehr wichtig. Offensichtlich war sie weder überrascht noch besonders interessiert.»wenn Sie von der Versicherung 186

189 sind oder von den Konservativen oder den Zeugen Jehovas - kein Bedarf«, sagte sie abwehrend.»ich brauche auch keine Waschmittel.«Davies lächelte sie an.»nichts von dem. Fahren Sie von hier mit dem Bus?«Sie rümpfte die Nase:»Nein, junger Mann, ich warte hier, um zu sehen, ob Lloyd George vorbeikommt. Also, ich hab' keine Zeit, mit Ihnen zu reden. Ich bin auf dem Weg zu meinem Klub.Kann ich nicht mitkommen?«sie sah ihn skeptisch an.»der ist für Leute über 60. Sie sehen allerdings ziemlich verbraucht aus, könnte mir vorstellen, man läßt Sie rein. Woher zum Kuckuck haben Sie diesen scheußlichen Mantel?Von einer Versteigerung«, erwiderte er lahm.»junge, da hat man Sie aber übers Ohr gehauen«, sagte sie fachmännisch.»echt eingeseift. Was wollen Sie übrigens von mir?ich bin Polizist - in Zivil.Zivil nennen Sie das?«sie musterte das anstößige Kleidungsstück noch einmal.»dann schon eher Räuberzivil.Der Bus kommt«, sagte er froh über den Themenwechsel.»Den Bus spare ich mir«, sagte sie energisch.»ich wollte nur mal verschnaufen. Jetzt muß ich aber gehen. Um halb drei fängt es an.«sie humpelte in ziemlich raschem Tempo davon. Davies eilte ihr nach.»ich hätte Sie gern was gefragt, mehr will ich nicht.ich wüßte nicht, was die Polizei von mir will«, sagte sie. Ihr Atem kam stoßweise.»außerdem will ich zur Tanzstunde nicht zu spät kommen.«sie blieb stehen und sah ihn an; sie wußte wohl, daß es für sie zu anstrengend war, gleichzeitig zu reden und zu gehen.»also, wenn die Polizei Fragen an mich hat, dann kommen Sie am besten mit mir und warten, bis ich einen Moment Zeit habe und sehe, ob ich sie beantworten kann.«da war nichts zu machen. Sie schob ihr schlimmes Bein vor sich her; ihm blieb nichts übrig, als neben ihr herzutraben, bis sie am Ziel waren. Es machte ihm nicht allzuviel aus. Er war schon zufrieden, daß er sie überhaupt gefunden hatte, und erleichtert, daß sie überhaupt noch am Leben war. Der Seniorentreffpunkt war ein Gemeindesaal, der sein spitzes Wellblechdach schüchtern gen Himmel reckte. Auf einer schlich- 187

190 ten Steintafel neben der abgewetzten Pforte stand: Mary Ann Smith. Erbaut mit Gottes Hilfe. 15. Dezember Davies trat im Schlepptau von Mrs. Whethers ein. Der Saal war voll von vergnügten alten Leuten, die in Erwartung der Tanzstunde schon Arme und Beine schlenkerten. Eine korpulente, vollbusige Dame um die 50 mit einer Federboa, die zärtlich ihren Hals umspielte, und einer Rose im Haar stand als Lehrmeisterin bereit.»kommen Sie her, bilden Sie einen Kreis«, rief die Dame und wedelte mit den Händen.»Heute ist der argentinische Tango dran.«die Alten hauchten:»aaah!«der Rock der Tanzlehrerin war - überlegte sich Davies - dem Tanz entsprechend dem Rock eines weiblichen Gauchos nachempfunden. Er bedeckte ihre kurzen Waden nur zur Hälfte. Sie hatte Beine wie Baumstämme. Die alten Leute, etwa 20 Frauen und sieben gebügelte und geschniegelte Männer, stellten sich im Kreise auf, um der Demonstration zuzuschauen. Sie waren runzlig und voller Falten, ihre Hände zitterten, und sie hatten Mühe, zu verstehen, was gesagt wurde, aber ihre Augen funkelten. Tanzen war ein sehr beliebtes Nachmittagsprogramm.»Fröhlichkeit, das ist die Hauptsache!«verkündete die Betreuerin.»Und Leidenschaft! Darum dreht es sich beim argentinischen Tango. Ich möchte, daß Sie sich der Musik und dem Gefühl der Leidenschaft ganz hingeben. Mr. Bragg, das Grammophon bitte.«ein uralter Mann löste sich diensteifrig aus dem Kreis und schleppte sich zu dem Steinzeitplattenspieler hin. Der Greis sah so zerbrechlich aus, daß Davies ihm am liebsten geholfen hätte, die Platte aufzulegen. Er schaffte es zwar, mußte aber nach Luft ringen, als er die Kurbel des Apparates zu drehen begann. In dem kahlen, winterlichen, schmucklosen Saal breitete sich quäkend die Stimme Südamerikas aus, die so viele Jahre zuvor unter fernen Gestirnen gesungen hatte. Die Tanzlehrerin führte den Grundschritt des Tango vor, das Vorwärtsgleiten und anschließende Einknicken mit den Beinen und dem Rumpf. Davies, der die kleinen alten Leute sämtlich überragte, war nicht zu übersehen, aber sie schien von seiner Anwesenheit nicht sonderlich überrascht. Plötzlich hielt sie in ihrer Bewegung inne und bat ihn vorzutreten. Er spürte, wie ihm 188

191 unter seinem Mantel heiß und kalt wurde, aber die Umstehenden krächzten ermutigende Worte und schoben ihn nach vorn.»vielleicht wäre es besser«, schlug die Dame vor, indem sie ihn musterte,»wenn Sie zum Tanzen dieses... diese Hülle ablegten.ja, natürlich... einverstanden«, sagte Davies. Er wand sich aus dem Mantel. Der zerbrechliche Mr. Bragg wollte ihm diesen abnehmen und ging unter dem Gewicht sofort zu Boden. Zwei andere Männer traten vor und trugen den Mantel und Mr. Bragg, der laut beteuerte, daß ihm nichts fehle, aus dem Ring. Davies wurde angewiesen, die zu kurz geratene Dame in die Arme zu schließen, wobei sie kokett mit den Augen rollte. Dazu mußte er sich in Form eines Fragezeichens zusammenkrümmen, was den ersten Versuch seines Lebens, Tango zu tanzen, noch schwieriger gestaltete. Die Mollige war erstaunlich kräftig und schob und zog ihn mit sich wie eine schnaufende Rangierlok einen Güterwagen. Irgendwie fand er sich nach einer Anzahl von Schritten zu ihren Füßen mit einem Knie auf dem Boden wieder, was sich zur Not als eine kavaliersmäßige Geste deuten ließ.»sie sind äußerst ungeschickt«, sagte sie laut und machte sich aus seinen Händen los,»ungewöhnlich ungeschickt für einen Mann in Ihrem Alter. Was suchen Sie überhaupt hier?kriminalpolizei«, murmelte er verlegen. Alle hörten es und tuschelten miteinander, wie ungeschickt die Polizei sei, das wisse man ja. Nur Mrs. Whethers klatschte Beifall, als er die Tanzfläche freimachte, vermutlich, weil sie sich für seine Anwesenheit verantwortlich fühlte.»die meisten Leute hier könnten das auch nicht besser«, flüsterte sie ihm zu.»dämliche alte Knacker.«Nach einer Reihe weiterer Instruktionen wurden die Zuschauer aufgefordert, ihre Partner für den ersten Tangoversuch zu wählen. Die sieben alten Herren gingen weg wie warme Gigolos; Mrs. Whethers schnappte sich Davies und schleppte ihn auf die Tanzfläche. Die heisere Musik begann von neuem, und er rollte und schlingerte mit ihr los wie ein Schiff durch stürmische Wogen. Ihr Parfüm war ihm vertraut - Mottenkugeln! Nach dem Tanz wurde applaudiert und gelacht. Teetassen wurden herumgereicht; die Tanzdame zog ihren Mantel an und verschwand, da ihre Arbeit getan war. Davies saß auf einem harten Holzstuhl - Knie an Knie mit Mrs. Whethers.»Also, jetzt kann's losgehen«, sagte sie. 189

192 Sie hatte für ihr Alter ein energisches Gesicht, nicht so rötlich und aufgedunsen wie die einiger anderer, sondern durchzogen von geraden Linien, was den Eindruck erweckte, als würde ihr Kopf von Drähten gehalten. Den Tee tranken sie aus enorm dikken Tassen. Er fragte sich, ob die alten Herrschaften, die ja an allem ihre Kraft erprobten, echtes Porzellan mit den Zähnen zermalmt hätten?»erinnern Sie sich an Celia Norris?«fragte er.»ja«, sagte sie wie aus der Pistole geschossen.»sie wurde nie gefunden. Nicht das kleinste Fitzchen.Richtig, Mrs. Whethers. Jetzt soll ich die ganze Angelegenheit wieder ausgraben.wieso das?«fragte sie.»es liegt eine lange Zeit zurück.solche Dinge ziehen sich oft lange hin.«allgemeine Redensarten machten sich immer gut.»jedenfalls, es ist mir zu Ohren gekommen, daß Ihr Mann damals bei der Polizei ausgesagt hat...mein verstorbener Mann, ja. Er hieß Bernard. Er hätte einen Eid darauf abgelegt, aber die ließen ja nie wieder von sich hören, kein einziges Wort.Für die Tombola«, sagte eine unsichtbare Stimme in seinem Rücken. Mrs. Whethers wühlte in einer Handtasche von der Größe einer Katze und brachte zwei Zehn-Pence-Stücke zum Vorschein.»Sie sollten auch ein paar Lose kaufen«, riet sie.»sie erwarten nun mal, daß jeder mitmacht.«es hörte sich an, als spräche sie von einem Stamm von Insulanern mit seltsamen Gebräuchen. Davies grub in seinen Manteltaschen. Eine durchsichtige Greisin hielt ihm drohend ein Bündel Lose entgegen wie ein Hexenmeister sein Zauberbuch. Davies reichte zwei Zehn-Pence- Stücke.»Sie müssen auch einen Gewinn spenden«, erklärte Mrs. Whethers.»Ein Päckchen Tee oder eine Dose Bohnen oder ein Paket Kuchenmischung.Das hab' ich nicht mitgebracht«, sagte Davies.»Ich wußte, daß ich etwas vergessen hatte...«die Tombolafrau sagte:»also, irgend etwas müssen Sie spenden. So ist die Regel. Stimmt doch, Mrs. Whethers?«Mrs. Whethers nickte grimmig.»wenn Sie nichts rein tun, können Sie nichts rauskriegen, selbst wenn Sie das große Los gewinnen. Haben Sie keine Pfundnote?«190

193 Davies stieß bis in die entferntesten Taschen seiner Kleidung vor.»doch, ich hab' noch ein Pfund. Hier.Gut, tun Sie's rein. Das ist ein sehr schöner Gewinn. Darum werden sich alle reißen.«davies gab der wartenden Sammlerin den Geldschein und wandte sich wieder Mrs. Whethers zu. Diese war aufgestanden und humpelte auf und ab wie ein lahmer Kapitän auf seiner Brücke.»Das muß sein«, erläuterte sie im Vorbeigehen.»Es schläft immer ein. Mein schlimmes Bein, meine ich. Ich muß das Blut wieder in Schwung bringen.«davies seufzte und erhob sich, um an ihrer Seite zu bleiben, aber sie schob ihn von sich.»setzen Sie sich hin«, sagte sie brüsk,»es kommt gleich wieder in Gang. Solange können Sie mit Ihren Fragen warten. Beziehungsweise bis nach der Verlosung.«Frustriert setzte Davies sich. Er konnte verstehen, warum manche Polizisten beschuldigt wurden, ihre Zeugen eingeschüchtert zu haben. Mrs. Whethers nahm wieder auf ihrem Stuhl Platz und streckte ihm ihr stämmiges, krankes Bein entgegen.»fühlen Sie mal«, sagte sie einladend,»das Blut fließt wieder, das können Sie fühlen.«er tat ihr den Gefallen.»Oooooooo, Mrs. Whethers! Das ist ja mal ein netter junger Mann!«kicherte eine zahnlose alte Hexe in der benachbarten Gesprächsrunde.»Sagen Sie ihm, er soll mich auch mal streicheln.«die Alten wollten sich ausschütten vor Lachen, aber zum Glück fing jetzt die Verlosung an.»auf los geht's los«, ließ ein Rentner in einer soßenfleckigen Jacke sich vernehmen. Er rief die Nummern aus, und die alten Leute drängten sich eifrig vor. um die Preise in Empfang zu nehmen, die sie selbst gestiftet hatten.»97, rot!«rief er, und Davies stellte fest, daß es die Nummer war, die er in der Hand hielt.»gehen Sie«, eiferte Mrs. Whethers,»sehen Sie nach, was wir gewonnen haben.«der Ausrufer hielt die Pfundnote in den Fingern. Als er Davies nach vorn kommen sah, vertauschte er schnell den Geldschein mit einer großen Büchse Schneckenkorn.»Sie können das Pfund nicht bekommen«, sagte der Mann mit den Flecken bestimmt.»was man rein tut, kann man nicht gewinnen.«er drehte sich zu dem Rat der Alten um.»das ist doch die Spielregel, stimmt's?so ist die Regel«, schrie der Chor. Davies kehrte - versehen mit dem Schneckenkorn und sportlichem Applaus - zu Mrs. Whe- 191

194 thers zurück.»sie hätten das Los mir geben sollen«, flüsterte sie ungehalten.»für einen Bullen sind Sie ziemlich schwer von Begriff.Das sagen alle«, bekannte Davies. Er beugte sich vor.»jetzt erzählen Sie, was Ihr Mann gesehen hat.«ringsum hatte sich die Menge in Grüppchen aufgelöst, die die Tombola diskutierten. Die Pfundnote hatte wundersamerweise der Ausrufer selbst gewonnen. Endlich kam Mrs. Whethers zur Sache.»Mein Mann, Mr. Whethers, war an dem Abend auf dem Heimweg. Gegen zehn Uhr. Es war noch nicht ganz dunkel, es war ja Sommer. Und da hat er das Mädchen gesehen. Sie ist mit einem Mann durch die Gasse zum Kanal runtergegangen.«davies nickte beglückt.»der Mann trug einen dunklen Anzug und keinen Hut. Und er hatte seinen Arm um sie gelegt, um ihre Taille. Das ist es, was er gesehen hat.und Sie meinen, er hat alles dies bei der Polizei ausgesagt, Mrs. Whethers?Als die ganze Aufregung losging und so viel in der Zeitung stand, hat mein Bernard es mir erzählt, aber er ist damit nicht zur Polizei gegangen. Er fand, daß man seine Nase nicht in fremde Angelegenheiten stecken soll. Leben und leben lassen. Aber dann wurde in der Nachbarschaft so allerlei erzählt, auch über das, was Mr. Harkness gesehen hatte, und plötzlich kam ein Polizist und stellte Fragen. Und der sagte so etwas wie >Das Gesetz nimmt seinen Lauf<, die machen ja immer solche Redensarten. Und dann haben wir nie wieder was davon gehört.«davies' Herz fing wieder an zu schlagen.»mr. Harkness«, sagte er.»wer war Mr. Harkness?Ein ganz alter Mann. Wir haben der Polizei auch von ihm erzählt, aber er war damals schon so krank, und trinken tat er auch, und deshalb haben sie sich wohl für ihn nicht interessiert. Ich meine - wie lange ist das her?25 Jahre.Na also, dann war er damals schon 76, der alte Harkness. Sie dachten wohl, bei ihm hätte es keinen Zweck. Angeblich hatte er ja was gesehen, aber er war eben alt und krank...hatte er Familie? Wohnt die vielleicht noch hier?umgezogen. Nach Bristol oder so. Ich kannte sie nicht näher. Ich weiß es nur vom Hörensagen.«192

195 Rund um sie her rüstete man sich zum Aufbruch. Die alten Leutchen sammelten ihre Siebensachen zusammen und bewegten sich zum Ausgang. Ein Mann fragte Davies, ob er eine Verwendung für das Schneckenkorn habe, und war - eine negative Auskunft erwartend - bereit, ihn davon zu befreien. Davies ging langsam mit Mrs. Whethers zur Tür.»Was wir nie verstehen konnten, Mr. Whethers und ich«, sagte sie,»war, warum wir nie mehr etwas gehört haben. Nicht das kleinste bißchen.«davies wußte, wo man Mod an einem normalen Nachmittag fand: um 3 Uhr in der Stadtbücherei, wo es an diesem kalten Novembernachmittag angenehm geheizt war. Davies war bei anderer Gelegenheit schon in der Bibliothek gewesen, aber er hatte sich nie so richtig klargemacht, daß sie nicht nur ein Ort der Weisheit, sondern auch der Behaglichkeit war. Mod hatte sich dort seit Jahren fortgebildet. Die Eingangshalle diente zugleich als kleines Museum der Heimatgeschichte. Es gab die unterschiedlichsten Ausstellungsstücke, darunter das Fragment eines römischen Wandmosaiks und die Klinge einer Axt, die angeblich aus dem frühen Mittelalter stammte - wenn sie auch mehr nach spätem Woolworth aussah-, einen Spaten, den ein zweitrangiges Mitglied des Königshauses zum Pflanzen eines Erinnerungsbaumes benutzt hatte, welcher aber schon viele Jahre vor dem Ableben der Königlichen Hoheit abgestorben war, ein paar Kaufmannsbücher aus dem 17. Jahrhundert und einen Polizeihelm, der, wie Davies bemerkte, beträchtlich eingebeult war. An den Wänden gab es eine Auswahl schief hängender, vergilbter Fotografien. Sie zeigten Gruppen von Stadträten und Bürgermeistern, die in Hut und Haltung an Admiral Nelson erinnerten, die Eröffnungsfeiern verschiedener öffentlicher Gebäude, darunter die Bücherei selbst, Bilder von Jubiläums- und Krönungsfesten. Dann gab es noch welche aus der Kriegszeit mit den Bombenschäden in der High Street und der örtlichen Kompanie der Heimwehr, die in Deckung am Ufer des Kanals lag, als erwarte sie, Hitler werde die Invasion Großbritanniens ausgerechnet über diesen Wasserweg beginnen. An der Türe zur eigentlichen Bücherei stand eine Zimmerpalme, das einzig Exotische weit und breit. An solch einem Win- 193

196 tertag wärmte es einen direkt, daran vorbeizugehen. Davies fühlte das Auge der Bibliothekarin auf seinem Mantel und war sich klar darüber, daß er als potentieller Bücherdieb eingestuft wurde. In der hintersten Ecke des Lesesaals saß Mod an einem Tisch im milden Schein einer Schreiblampe.»Wunderbar«, sagte Davies.»Gemütlichkeit ist das halbe Leben.Pst«, flüsterte Mod bibliotheksgerecht gedämpft.»willst du nicht Platz nehmen?«davies setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Er fühlte sich wie zu Besuch bei einem bedeutenden Geschäftsmann in dessen großem Arbeitszimmer. Mod beugte sich gönnerhaft vor, stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte nachdenklich die Fingerspitzen aneinander.»und was kann ich für dich tun?«erkundigte er sich leise.»zum Teufel, du hörst dich an wie der Aufsichtsratsvorsitzende von Shell International persönlich«, protestierte Davies.»Ein feines Leben hast du, muß ich schon sagen. Wärmst dich hier und lebst von der Stütze, während Leute wie ich im Regen durch die Straßen latschen.ich bilde mich«, sagte Mod schlicht.»durch Bildung wird unsere Welt bereichert, nicht durch Herumlungern auf der Straße.Vielleicht hast du recht. Was liest du da?«er zeigte auf die aufgeschlagenen Bücher, deren Seiten wie geöffnete Handflächen auf dem Tisch lagen. Mod beugte sich verschwörerisch vor.»es gibt in diesem Land noch Gerichte«, flüsterte er,»die als Strafe den Pranger oder eine Fahrt auf einem Wagen voll Stallmist verhängen können. Hast du jemals etwas so Erstaunliches entdeckt?schon oft«, murmelte Davies und zog Celia Norris' Schlüpfer aus der Tasche. Er nahm ihn aus der Plastiktüte.»Wie findest du das?«mod war erschlagen.»mein Gott, du hast ihn gefunden!«davies hob die Nase hoch.»wir bekommen langsam eine ganze Sammlung. Wir haben das Fahrrad und dieses Objekt - was uns jetzt nur noch fehlt, sind die Leiche und der Mörder.Woher hast du das?«mod flüsterte - teils aus Ehrfurcht, teils aus Bibliotheksgewohnheit.»Es riecht nach Mottenkugeln.«194

197 »Danach riecht der ganze Fall. Unser Freund Bill Lind hat sich nach all diesen Jahren entschlossen, das Kleidungsstück herauszurücken. Er behauptet, jemand habe es heimlich in seine Fahrradtasche gestopft, und meiner Meinung nach ist das die Wahrheit. Ich gehe jede Wette ein, daß Dave Boot es gewesen ist. Und unser Bill hat das Ding all die Jahre hindurch auf Mamas Dachboden versteckt.warum hat er es denn aufgehoben? Als Reliquie?Das bestreitet er.warum riecht es dann nach Mottenkugeln, Dangerous? Er muß doch die Absicht gehabt haben, es irgendwie zu konservieren.er sagt, es war in einem Koffer voll alter Kleider und Mottenkugeln auf dem Dachboden. Du weißt, wie die Leute hier sind, die werfen niemals etwas weg.was hast du jetzt vor? Willst du die acht Exhumierungen beantragen?«davies grinste gequält.»ich könnte mich ebensogut um die Beförderung zum Chief Inspector bewerben«, sagte er.»außerdem, ich habe meine Meinung geändert. Mod. Ich glaube nicht mehr, daß sie auf dem Friedhof liegt.warum nicht?jemand hat sie gesehen, wie sie den Weg beim Pfandhaus in Richtung Kanal hinunterging. An dem fraglichen Abend, zusammen mit einem Mann. Dafür gibt es einen Zeugen.Donnerwetter, einen Zeugen?«Davies hob beschwichtigend die Hand.»Also, es gab einen Zeugen, einen Mr. Bernard Whethers. Leider hat er sich dahin verabschiedet, wo wir ihn nicht mehr verhören können. Er ist tot. Es gab auch noch jemand anders, einen alten Mann namens Harkness, aber der lebt auch nicht mehr. Er war schon 76 und das vor 25 Jahren.Die können beide nicht mehr viel bezeugen«, sagte Mod melancholisch.»mr. Whethers hat eine Aussage gemacht, behauptet seine Witwe. Er ist nicht freiwillig damit rausgekommen, aber es sprach sich herum, und vermutlich auf das Gerücht hin ist die Polizei bei ihm aufgetaucht. Es dauert meist nicht lange, bis wir so etwas spitzkriegen, wenn wir uns umhören. Aber diese Aussage ist nicht in den Polizeiakten vermerkt, was unerklärlich ist. Ich habe es 195

198 nochmal nachgeprüft, aber da ist nichts in der Akte, nicht einmal ein Hinweis.«Mod sah ihm über die Bücher hinweg in die Augen.»Schon wieder. Irgend etwas stinkt da bei der Polizei.Der Mann, den Mr. Whethers mit Celia gesehen haben will, trug - so hat er gesagt - einen dunklen Anzug und keinen Hut. Das könnte auch auf einen Polizisten zutreffen, unseren Freund P.C. Dudley zum Beispiel; immerhin war es schon recht dunkel, und Mr. Whethers befand sich in einiger Entfernung. Die Uniform wirkt im Dämmerlicht wie ein dunkler Anzug, und den Helm hatte er vielleicht unter dem Arm, oder er lag im Wagen. Auf der Polizeischule bringen sie dir bei, du sollst den Helm abnehmen, wenn du mit dem Bürger ins Gespräch kommen willst.ach, ist das so?«fragte Mod voll Interesse.»Ich hatte bisher erst einmal mit einem Bullen ohne Helm zu tun, und den hatte ich selbst ihm vom Kopf geschlagen... Aber was nützt dir die Aussage eines toten Zeugen, zumal, wenn es darüber keine Aufzeichnung gibt?«plötzlich flüsterte er:»tu sie weg.«davies verstand zu spät, was er meinte. Eine gestrenge Bibliothekarin kam vorbei und erblickte das grüne Etwas. Geistesgegenwärtig nahm Mod es in die Hand und tat so, als putze er sich gewaltig die Nase damit. Dann klappte er sachte die Bücher auf dem Tisch zu, reckte sich ausgiebig und verkündete, daß er für heute genug gearbeitet habe. Lässig knipste er die Leselampe aus und stellte die Bücher wieder an ihren Platz. Davies, der ihm zusah, hatte fast den Eindruck, als nächstes werde er eine Schranktür öffnen und aus einem wohlassortierten Spirituosenvorrat die Drinks servieren. Die Bibliotheksangestellten nickten ihnen freundlich zu, als sie dem Ausgang zustrebten.»vielleicht solltest du ihnen sagen, daß sie jetzt zuschließen können«, sagte Davies. Mod runzelte die Stirn.»Du kannst dich ja gern lustig machen, aber die Tatsache, daß ich mich hier aufhalte, ist der Grund dafür, daß der Lesesaal dieser Stadtbücherei täglich geöffnet wird. Ich bin sozusagen die treibende Kraft. Ab und zu kommt eine Kommission von Stadtvätern und schnüffelt hier rum, dann muß ich vorher losrennen und ein paar Bekannte auf der Straße aufsammeln, damit sie sich ein Weilchen hier hinsetzen und sich in die Bücher vertiefen. Dafür ist man mir hier dankbar, Dangerous. 196

199 Das Geld des Steuerzahlers wird nicht verschwendet, solange Mod Lewis hier liest.«mit dieser Art von Logik setzte Davies sich gar nicht erst auseinander. Er zeigte auf den ausgestellten Polizeihelm.»Hast du den vielleicht so eingedellt?der ist vom Generalstreik«, sagte Mod, ohne hinzusehen.»vom Sturm gegen die Polizei beim Uhrturm. Nein, ich war nicht dabei, das aber nur, weil ich damals noch nicht auf der Welt war. Sonst hätte ich bestimmt mitgemacht; ich weiß einen wohldurchdachten Angriff auf die Polizei durchaus zu schätzen.«davies sagte:»mod, hör zu, ich möchte die ganze Sache mit dir durchsprechen, von Anfang an. Laß uns von der katholischen Kirche bis zum Friedhof gehen, über die High Street, dann zum Kanal runter und am Ufer entlang. Vielleicht fällt uns dabei etwas ein.«mod ergab sich in sein Schicksal.»Na gut«, nickte er, nachdem er schnell nachgerechnet hatte,»selbst wenn wir langsam gehen und nachdenken, können wir noch rechtzeitig beim WICKELKIND sein, wenn es geöffnet wird.abgemacht«, versprach Davies. Sie marschierten los. Eine bleiche Winterdämmerung hatte sich über die Stadt gelegt. Schaufenster und Wohnungen waren erleuchtet, aber schon wenige Meter über dem Boden deckte der Novembernebel alles zu. Auf der Straße fuhren die ersten Rückkehrer von der Arbeit, und an den Bushaltestellen warteten die Menschen in langen Schlangen. Davies überlegte sich nicht zum ersten Mal, welche ökonomischen Zwänge die Inder und die Leute aus der Karibik dazu gebracht hatten, hier zu leben und sich in diesem Klima für den Bus anzustellen. Während sie da standen, verschwammen ihre Gesichter wie die der Einheimischen im Nebel, und kein Schlangenbeschwörer oder Calypsosänger ließ sich blicken. Davies schlug den großen Mantelkragen hoch, der sich wie ein Riesenarm um seinen Hals legte. Mod zog ohne zu murren den Jackenkragen hoch, so gut es ging, und schob die Hände in die Taschen. Sie verließen die Hauptstraße und gingen bis zur katholischen Kirche. Sie war so dunkel und verschlossen, als hätte der Glaube Bankrott gemacht. Ein kleines Streifchen Licht kam aus Pater Harveys Haus. Davies ging auf dem Kiesweg darauf zu, während Mod, der mit der Kirche nichts zu tun haben wollte, ihm nur wi- 197

200 derwillig folgte. Davies hatte sich vage vorgenommen, kurz mit dem Pfarrer zu sprechen, bevor sie sich auf die Tour des Nachdenkens begaben; durchs Fenster konnten sie sehen, daß er damit beschäftigt war, ein paar große Holzbretter zusammenzunageln. Er hämmerte mit wütenden Schlägen und noch wütenderer Miene drauf los. Sein geistliches Gewand hatte er nach Art einer Waschfrau, die den Rock rafft, mit dem Gürtel hochgesteckt. Wenn jetzt jemand am Fenster klopfen würde, wäre vermutlich ein Hammerschlag auf des Paters Daumen die Folge. Also kehrte Davies um. Mod hatte von weitem die ungewöhnliche Werkelei ebenfalls erblickt.»was macht er da?«flüsterte er, als sie weitergingen.»eine Arche? Meinst du, er weiß etwas, was wir nicht wissen?es wird ein selbstgemachter Beichtstuhl«, sagte Davies.»Ich würde ja denken, die Beichte mit ihrem Drum und Dran gehört zu den Dingen, die man nicht selbst machen kann - so wie Federballspielen oder die Liebe. Nicht, als ob ich mit beidem so viel Erfahrung hätte«, fügte er nach einer Weile hinzu. Davies zeigte auf ein dunkles, rechteckiges Gebäude hinter der Kirche.»Das ist der Jugendklub«, sagte er.»das Haus ist neu, aber es steht auf derselben Stelle wie das alte. Wir können davon ausgehen, daß Celia ihren Weg von hier aus antrat. Das Rad muß hier im Hof gestanden haben. Sie fuhr durch dieses Tor und dann weiter zum Friedhof, um die bewußten Blumen für ihre Mutter zu holen.«sie folgten der Spur wie zwei schnüffelnde Bluthunde. Am Friedhofseingang stand der Pförtner, um durch das vergitterte Tor und die neblige Atmosphäre nach draußen zu spähen.»gott bewahre, Sie schon wieder«, sagte er und sah sie mit demselben Blick an, mit dem er vermutlich auch die berüchtigten Grabschänder Burke und Hare bedacht hätte.»hoffentlich haben Sie nicht wieder den stinkenden Hund dabei.«davies befürchtete, er könne Kittys Mundraub entdeckt haben; der total zerbissene Knochen lag noch immer auf dem Rücksitz des Lagonda. Wann immer er versucht hatte, ihn dort wegzunehmen, hatte Kitty wütend geknurrt.»aber nein«, versicherte er,»heute bin ich ohne Hund. Nur mal frische Luft schnappen. Dies ist Mr. Modest Lewis.Komischer Ort zum Luftschnappen«, sagte der Mann, ohne Mod zu beachten.»also die Luft hier...«198

201 »Mr. Lewis ist ein berühmter Pathologe«, fügte Davies wichtig hinzu. Das beeindruckte den Friedhofsmann augenblicklich.»sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir«, sagte er wie jemand, der einen Kollegen aus derselben Zunft begrüßt. Er streckte seine fledermausgraue, in der Dunkelheit weißlich schimmernde Hand durch das Türgitter. Mod, wie immer bereit, eine Rolle zu akzeptieren, ergriff sie, begutachtete sie sorgfältig und gab sie ihm zurück.»eine kalte Hand«, diagnostizierte er und runzelte die Stirn.»Oh«, sagte der Mann mit einem Anflug von Besorgnis.»Ist das... Gibt es irgend etwas, das ich für Sie tun kann, Mr. Lewis? Wir bekommen nicht allzuoft Besuch von Pathologen. Möchten Sie vielleicht etwas besichtigen?nichts, gar nichts«, erwiderte Mod.»Aber passen Sie auf Ihre Hände auf. Sie sind sehr kalt.mach' ich, bestimmt«, versprach der Mann ängstlich.»ich wärme sie sofort am Feuer auf.«er schob die Hände in die Achselhöhlen und eilte davon. Mod grinste sich eins.»das hat Spaß gemacht«, sagte er, als sie weiter ihrer Spur folgten.»weißt du, ich glaube, ich wäre gern Pathologe geworden. Stell dir vor, du machst eines Tages eine Obduktion, und da findest du die eingesperrte Seele eines Menschen. Und sie flattert davon wie ein befreiter Schmetterling. Das wäre doch ein Ding, was, Dangerous?Falls du erst mal beim Körper anfangen willst«, sagte Davies ironisch,»kann ich dir einen menschlichen Oberschenkelknochen überlassen, falls es mir gelingt, ihn Kitty zu entreißen. Den hat er nämlich geklaut, als wir letztes Mal hier waren.du liebe Zeit«, sagte Mod kopfschüttelnd,»was der Hund alles anrichtet. Es ist dir wohl klar, daß irgendeine arme Seele jetzt ohne Schenkelknochen durch die Ewigkeit humpelt.«sie waren an der Friedhofsmauer stehengeblieben. Irgendwo hier mußte die Stelle sein, wo P. C. Frederick Fennell das herrenlose Fahrrad gefunden hatte. Es war ein ungepflegtes Stückchen Erde, wo Grasbüschel und Unkraut, aber auch Gänseblümchen und Löwenzahn Wurzeln geschlagen hatten, die im Sommer sogar hin und wieder eine verirrte Biene anlockten. Das Licht der Straßenlampen schimmerte auf die Efeuranken, die von der Backsteinmauer herabhingen.»der Efeu muß damals auch schon dagewesen sein«, sagte Mod.»Wenn er doch sprechen könnte!«199

202 »Lieber wäre es mir, bestimmte Menschen würden den Mund aufmachen«, murrte Davies.»Die wüßten mehr als der Efeu.«Er ging weiter in Richtung Hauptgeschäftsstraße. In den Kaufhäusern WORLD STORES, DAVID GREIG'S und HOME AND COLONIAL wurden gerade die Lichter gelöscht. Die Vorübergehenden huschten noch schnell in die Zigarettenlädchen, und an der Ecke pries Job, der Zeitungsverkäufer, mit Grabesstimme seine düsteren Ereignisse in der Dunkelheit an.»tragödie heute abend! Riesentragödie!«Im Gehen sprach Davies über die - wie er es polizeiüblich formulierte - Erkenntnisse betreffs des Verschwindens und der mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmenden Ermordung der Celia Norris. Mod ging neben ihm, brummte nur hin und wieder etwas und hörte im übrigen zu. Zwischen dem Pfandhaus und dem Massagesalon bogen sie um die Ecke und tauchten bald darauf in die feuchte Dunkelheit beim Kanal ein. Davies kletterte auf die Böschung der Kleingärten und ließ den Blick über die Reihen von Rosenkohl und Wirsing schweifen. Einige Bohnenstangen standen aufrecht da und hielten Nachtwache. Er kam zurück, und sie tasteten sich weiter auf dem Fußweg voran. Davies redete in einem fort, während Mod in das ölige Wasser starrte, als ob dort ein Hinweis oder eine Lösung zu finden sei. So wanderten sie die 800 Meter bis zur Brücke, die über den Kanal führte, dann machten sie kehrt. Niemand bemerkte sie außer den griesgrämigen Lagerhallen, Geschäftshäusern und den paar kleinen Reihenhäusern, die dem Wasser ihre Rückseite zuwandten. Jemand hatte sogar ein kleines Boot am Ufer festgemacht. Es gab halt überall Romantiker. Wieder auf der Straße angelangt, juckte es Mod in der Nase, wenn er an das WICKELKIND mit seinen freundlichen Lichtern dachte, und so eilten sie dieser Quelle des Labsals entgegen. Nach den üblichen drei Glas Bier begaben sie sich zum BALI HI, Furtman Gardens, wo Mrs. Fulljames Kutteln mit Zwiebeln auftrug und Mr. Smeeton in einer bretonischen Volkstracht erschien.»heute im Französischen Klub«, murmelte er verschlossen. Mr. Patel erklärte Minnie Banks und Doris, die ihm beide hingerissen zuhörten, wie Metall zu einer Gabel geformt wird. Nach dem Essen ging Davies in sein Zimmer. Er verhängte die Nachttischlampe mit einem Unterhemd - da Mrs. Fulljames Lichtverschwendung in den Schlafzimmern mißbilligte - und 200

203 schrieb sorgfältig alles auf, was er über den Fall Celia Norris wußte. Dann schrieb er auf ein zweites Blatt - das er sich von Minnie borgen mußte, weshalb es die Aufschrift KENSAL GREEN PRIMARY SCHOOL trug - alles, was er zu wissen glaubte, und auf ein drittes Blatt alles, was er gern gewußt hätte. Die Blätter faltete er zusammen und steckte sie in seinem Kleiderschrank in einen Schuh - einen einzelnen Schuh, der ihm nach einer Schlägerei bei einem irischen Wohltätigkeitsfest geblieben war. Gegen zehn Uhr bekam er Lust auf einen Spaziergang zum WICKELKIND, bevor es geschlossen wurde. Der Abenddunst hatte sich zum Nebel verdichtet. Er blieb nur ein paar Minuten in der Kneipe, hauptsächlich, weil diese Frau schon wieder VIVA ESPAÑA sang, und machte sich dann gleich auf den Rückweg. Nach wenigen Schritten auf der nebligen Straße, neben dem einzigen Baum weit und breit, wurde er von drei, vielleicht auch vier Männern angefallen. Er bekam Schläge auf den Kopf und fühlte, daß sie von allen Seiten kamen. Trotz des Schreckens und der Schmerzen registrierte er, daß etwas ihm bekannt vorkam: Die Schläge kamen von einem Axtstiel. Gerade als er zu Boden ging, merkte er, daß seine Angreifer über irgend etwas erschraken. Die Schläge hörten auf. Aufatmend registrierte er, daß sie wegrannten und daß sich andere, schwerere Schritte näherten. Ein heißer, feuchter Atem wehte über sein zerschundenes Gesicht. Er riß sich zusammen, öffnete ein Auge und blickte in das besorgte Gesicht des Lumpenhändlergauls, das sich über ihn beugte.

204 Kapitel 17 der Notfallaufnahme des Krankenhauses auf der Trage liegend, öffnete Davies die Augen und schenkte dem jungen In Arzt, der seine Verletzungen abtastete, ein mühseliges Lächeln.»Könnte ich bitte in mein gewohntes Zimmer kommen?«fragte er. Nur wenige Fuß entfernt von ihm lag auf einem Rollbett, wie er erst jetzt bemerkte, noch ein hilfloser Patient. Als er sich halb nach ihm umdrehte, kam ihm das Gesicht, das er verschwommen wahrnahm, irgendwie bekannt vor. Der Mann hatte gespürt, daß er herüberschaute, und schob seinen Kopf an den Rand, um ihn seinerseits anzusehen. Es war Josies Vater.»Hallo, Mr. Norris«, murmelte Davies,»weshalb sind Sie denn hier?aus demselben Grund wie Sie, Sie Vollidiot«, sagte Mr. Norris nicht allzu höflich.»ich hab' Ihnen gesagt, Sie sollten die Finger davon lassen.war es bei Ihnen auch Ramscar?Der Weihnachtsmann war's nicht. Ich hatte Sie gewarnt. Hoffentlich haben sie Ihnen ordentlich was verpaßt.«der junge Arzt blickte reichlich pikiert.»die Notfälle hören bitte auf, sich zu streiten«, sagte er unwirsch.»wir sind hier nicht beim Kaffeekränzchen.«Er wandte sich an zwei Krankenträger, die gerade hereinkamen.»den da«, sagte er und wies auf Davies,»verbinden und beobachten. Den anderen zum OP, in einer halben Stunde.«Davies gab es einen Stich ins Herz. Er mußte an Josie denken.»es tut mir leid, Mr. Norris«, flüsterte er.»mir auch. Der Ramscar macht einen fertig, ehe man sich's versieht. Ich bleibe hier drin, so lange es geht. Wenn ich rauskomme, haben Sie ihn vielleicht mit Hilfe der anderen Greifer zu fassen gekriegt. Obwohl ich da meine Zweifel habe, beträchtliche Zweifel.«202

205 Davies begann selbst zu zweifeln. Oberhalb des Gürtels fühlte er sich total zerschlagen, trotzdem wußte er, daß sie ihn nicht so schlimm verletzt hatten wie das vorige Mal. Er beschloß, für das Lumpenhändlerpferd einen großen Kohlkopf zu kaufen, sobald er das Krankenhaus verlassen durfte. Dieser Gedanke war die letzte Regung seines Bewußtseins bis zum folgenden Tag, als er am späten Nachmittag davon aufwachte, daß eine blasse, rundliche Schwester ihn fragte, ob er eine Bettpfanne und ein wenig Milchbrei haben wolle. Den Brei lehnte er ab. Es war ein großes Glück, daß weder Doris noch Mrs. Fulljames ihn besuchen kamen. Das wäre mehr gewesen, als er ertragen hätte. Aber Mod kam gegen Abend, setzte sich neben das Bett und schaute bestürzt auf sein bandagiertes Gesicht.»Ich möchte annehmen«, sagte er mit der Geschraubtheit der Waliser,»daß sich um die Urheber dieser neuerlichen Ausschreitungen gegen deine Person das Netz der Polizeifahndung zu dieser Stunde schon zusammenzieht.«davies grinste, was ihn sogleich zusammenzucken ließ.»für mich steht außer Zweifel, daß die Metropolitan Police sich zu umfassender Inaktivität veranlaßt gesehen hat«, sagte er.»sie haben einen Sergeant hergeschickt, um alle die spannenden Einzelheiten von mir zu hören, und der Polizeiarzt ist dagewesen und hat mich angesehen. Der Aufwand ist phantastisch, das kannst du mir glauben. Meine Güte, sicher haben sie inzwischen so viele Männer auf die Jagd geschickt, daß sie eine ganze Telefonzelle abriegeln könnten.eine Schande ist das«, lamentierte Mod.»Sie wissen wohl gar nicht, was sie an dir haben. Natürlich hast du sie so sehr daran gewöhnt, daß du dich k.o. schlagen läßt, daß der Reiz des Neuen verblaßt ist.«auch Josie kam. Sie saß auf dem Rand des Bettes und sah ihn mitfühlend an, sagte aber nichts. Er kam sich vor wie ein Bogenschütze, der durch eine Schießscharte blickt.»du bist ja jetzt voll beschäftigt mit Krankenbesuchen«, versuchte er zu spaßen.»wie geht es deinem alten Herrn?Schlecht.«Sie zuckte die Achseln.»Schlechter als dir, und das will wahrhaftig etwas heißen. Mein Gott, dir haben sie mindestens vier Kilometer Mullbinden um den Kopf gewickelt.«203

206 »Es tut mir leid, Josie«, murmelte er. Sie sah ihn nachdenklich an und legte ihre Hand auf die Bettdecke.»Mach dir keine Vorwürfe, Dangerous«, sagte sie leise.»er hat all die Jahre im trüben gefischt, erst mit Ramscar, dann mit anderen, die genauso schlimm waren. Früher oder später mußte er damit auf die Nase fallen. Du hast nur deine Pflicht als Bulle getan.was ist mit deiner Mutter?Hat Angst. Sie hat ja den Alten von der Türschwelle aufgesammelt. Er war aufmachen gegangen. Ich habe sie zu ihrer Schwester nach Luton verfrachtet.ist Luton weit genug weg?«fragte Davies.»Weit genug von Ramscar?Muß einfach. Die nächsten nahen Verwandten wohnen in Australien.«Sie lachte über den Witz, aber ihr Gesicht war voller Angst.»Es muß doch mal aufhören«, sagte sie,»sonst bringen sie noch jemanden um. Und auf dich sind sie wohl besonders scharf, Dangerous.«Sie legte plötzlich ihren Kopf auf die weiße Bettdecke. Ihr spitzes Gesichtchen war bleich. Er berührte ihre dünne Schulter, und sie streckte die Hand aus und umfaßte seine Finger.»Glaubst du, es ist nur wegen Ramscar?«fragte sie. Ihr Kopf lag noch immer auf seinen Beinen.»Oder hat es etwas mit Celia zu tun? Will jemand, daß du aufgibst?vielleicht sogar beides«, seufzte er.»vielleicht ist das ein und dasselbe. Vielleicht hat es doch Ramscar getan. Je mehr ich herausfinde, desto unklarer erscheint mir alles, Josie. Glaubst du, daß dein Vater weiß, wo sich Ramscar versteckt hält?«sie lachte gezwungen.»wenn er's weiß, wird ihn in seinem jetzigen Zustand nichts und niemand dazu bringen, es zu verraten. Es ist ein Wunder, daß sie es überhaupt geschafft haben, ihn wieder zusammenzunähen. Er sieht wie eine Flickendecke aus. Sein Gesicht ist für alle Zeiten versaut, und er war schon vorher keine Schönheit.«Sie sah ihm ins Gesicht und brachte erst stockend, dann schneller werdend, so als ob sie aus einem Schlaf erwacht sei, ihre Frage hervor:»dangerous, hast du irgend etwas über Celia herausgefunden? Was mit ihr passiert ist?«er hatte ihr bisher nichts erzählt. Jetzt überlegte er einen Augenblick und sagte dann:»ich habe ihr Fahrrad gefunden, Josie, und den Slip.«Sie fiel beinahe vom Stuhl.»Was hast du gefunden?das Rad und den Slip«, wiederholte Davies leise. 204

207 »Herr im Himmel! Wie hast du...?hör zu, Josie«, sagte er. Er versuchte, sich ihr zuzuneigen, aber das schmerzte zu sehr.»hör zu, ich habe alles mögliche gefunden. Ich erzähle es dir so bald wie möglich, das verspreche ich. Nicht jetzt, wir sind hier nicht allein, und ich fühle mich im Moment nicht gerade super. Aber ich werde dir demnächst genau sagen können, was mit deiner Schwester geschehen ist. Vielleicht sogar, wer es gewesen ist.«sie starrte ihn immer noch ungläubig an.»ich... ich kann's nicht glauben«, sagte sie.»ehrlich nicht.du hast gedacht, ich schaffe es nicht?nein... nein, so ist es nicht. Ich dachte einfach, niemand schafft das. Du hast auch das Fahrrad?Ja, und sogar noch immer in fahrbereitem Zustand. Ein'bißchen quietschend, aber sonst ganz in Ordnung, und außerdem die Reste der Blumen, die sie deiner Mutter mitbringen wollte. Sie hat sie auf dem Friedhof geklaut.«sie war anscheinend zu sehr erschüttert, um diese Mitteilungen verarbeiten zu können; ganz langsam stand sie auf.»ich muß jetzt gehen«, sagte sie.»ich muß über das alles nachdenken.«sie sah ihn unsicher an.»und du bist sicher...«, sagte sie,»ich meine, du sagst das nicht einfach so...ich bin sicher«, nickte Davies,»vollkommen sicher. Bis bald, Josie.Bis bald«, stotterte sie. Sie beugte sich leicht vor und küßte ihn auf das Stückchen Wange, das der Verband frei ließ. Mit einem schwachen Lächeln sagte sie:»du bist schlauer, als ich gedacht habe.danke. Manchmal bin ich selbst überrascht.«sie verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzusehen. Er spürte an dem Hämmern in seinem Schädel, daß das Gespräch ihn angestrengt hatte. Er schlief ein wenig und lag dann mit offenen Augen in der Dunkelheit der Nacht und dachte an Celia Norris und ihre Reise in die Ewigkeit vor 25 Jahren. Er versuchte noch einmal, jede Bewegung der braunen Schuhe, jeden Tritt in die Pedale auf dem Weg vom Jugendklub zum Friedhof zu rekonstruieren. Er sah sie unbekümmert - ohne Slip - über die Mauer steigen, um die Blumen von einem Grab zu holen. Er wußte, daß sie dazu fähig gewesen war, und er konnte sich gut vorstellen, daß auch Josie dazu fähig wäre. Und was kam danach? Außerhalb 205

208 der Mauer stand das Polizeiauto, oder es näherte sich gerade, als sie zurück über die Mauer kletterte. Am Steuer saß ein Polizist, der kurz zuvor bei der geselligen Veranstaltung Alkohol getrunken hatte; allein, weil sein Kollege sich gerade bei seiner hellsehenden Geliebten aufhielt. Was tat dieser Polizist nun? Stieg er aus und stellte sich an die Mauer, während sie herabkletterte? Konnte er sehen, daß diese 17jährige unter ihrem dünnen Kleid nichts anhatte? Sprach er sie streng an und nahm sie mit in das Auto, ohne das Fahrrad zu bemerken, das dort zwischen Unkraut und Löwenzahn versteckt lag? Fuhren sie langsam durch die High Street in dieser schwülen Sommernacht? Und schlug der angetrunkene Polizist während der Fahrt dem jungen Mädchen vor, mit ihm zum Kanalufer hinunterzugehen? Versuchte er, sie zu überreden, oder drohte er ihr? Davies sah sie durch die Dämmerung gehen, ein Polizist ohne Helm oder Mütze, wie Mr. Whethers ihn gesehen hatte. Sie gingen hinunter bis zum Ende der Gasse und zum Kanalufer. Und dann geschah es. Der Polizist vergewaltigte Celia und ermordete sie. Die Leiche versteckte er. Aber nicht ihre Kleider. Versteckte die Leiche... aber nicht die Kleider. Plötzlich richtete sich Davies in seinem Bett so abrupt auf, daß sein Schädel vor Schmerzen dröhnte und er sich mit einem Schrei - halb vor Schmerz, halb im Triumph - an die Stirn faßte. Vom anderen Ende des Saales rief eine Stimme:»Fehlt Ihnen was? Soll ich die Schwester rufen?nein, nein, nicht nötig, danke.«die Schwester war das letzte, was er brauchen konnte. Er sah auf die Uhr. Es war erst zehn, im Krankenhaus machten sie frühzeitig Feierabend. Er rutschte mühsam aus dem Bett und stopfte sein Kopfkissen unter die Decke. In seinem Kopf pochte es, als wäre ein Kobold eingeschlossen und versuchte, sich durch den Verband zu sprengen. Der Krankensaal hatte einen Vorraum, dort hatten sie letztes Mal seine Kleider aufbewahrt. Mit einem Kopf, der sich wie eine Kohlrübe anfühlte, tappte er mit großen Schmerzen, aber auch voller Hoffnung über den gebohnerten Fußboden. Die Hoffnung erfüllte sich: An einem eisernen Wandhaken hingen einsam, aber vereint, sein Anzug und Mantel; die Schuhe befanden sich darunter in einem offenen Schließfach, nur Socken, Unterzeug und Oberhemd fehlten. Er nahm die Sachen 206

209 an sich und ging in die Toilette, wo er sie über den Pyjama zog. Den treuen, alten Mantelkragen zog er, so gut es ging, über die verbundenen Ohren, dann schlich er in den Flur hinaus. Es war niemand zu sehen. Die Nachtschwester befand sich in einem Nebenraum, und der Hauseingang war nur wenige Schritte entfernt. Im Nu war er an der Tür und trat in die Kälte hinaus. Sein Ziel, das möblierte Zimmer von Heilsarmist Andrew Parsons, war zwei Kilometer entfernt. Kein Taxifahrer war so optimistisch, in dieser schäbigen Gegend auf Kundschaft zu warten; er überlegte schon, ob er zu Fuß gehen oder sich ein Fahrrad aneignen sollte, als in der Ferne die Lichter von einem Bus auftauchten. Die Haltestelle war direkt vor dem Krankenhaus. Im Pförtnerhäuschen kümmerte man sich nicht um ihn, und er richtete seine Schritte so ein, daß er gerade rechtzeitig für den Bus an der Straßenkante ankam. Erleichtert stieg er ein, fand wie durch ein Wunder ein paar Münzen in der Manteltasche und setzte sich dankbar und glücklich hin. Er glaubte zu wissen, wo Celia Norris sich befand. An der nächsten Haltestelle stieg ein Liebespaar ein und setzte sich ihm gegenüber. Schenkten sie sich erst gegenseitig ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, so wandte sich ihr Interesse nach und nach Davies zu. Zuerst studierten sie den schweren Bandagenhelm auf seinem Kopf, indem sie jede Windung und Spirale mit den Augen nachzeichneten. Dann fiel der Blick des Mädchens auf seine Fußgelenke. Er folgte diesem Blick und sah, daß ihm der Pyjama aus den Hosenbeinen heraushing und unmittelbar darunter seine nackten Füße sichtbar wurden. Er lächelte dünn.»nachtschicht«, sagte er laut, als sei damit alles geklärt. Sie nickten stumm, starrten ihn aber weiterhin an, bis er in der High Street ausstieg. Das letzte, was er von ihnen sah, waren ihre Gesichter, die sie ebenso wie der Schaffner, den sie auf den seltsamen Aufzug aufmerksam gemacht hatten, an die Fensterscheibe preßten. Davies winkte ihnen zu, während er die Straße überquerte. Er hielt sich so weit wie möglich im Schatten der hohen Mietshäuser, bis er den Eingang von Andrew Parsons' Haus erreichte. Er hatte so seine Bedenken, als er klopfte, die sich gleich darauf auch bestätigen sollten. Die Frau - sie trug einen Kittel mit Blumenmotiven-, die ihm die Türe öffnete, konnte einen Schrei nur 207

210 mühsam unterdrücken. Daß er unter seinen Verbänden ein Lächeln versuchte, machte alles nur noch schlimmer, aber zum Glück gelang es ihm, sein Anliegen vorzubringen, bevor sie den beabsichtigten gellenden Schrei herausgebracht hatte.»ich möchte bitte zu Mr. Parsons von der Heilsarmee. Es ist ein Notfall.«Zum Glück war sie bereit, darauf einzugehen.»sieht in der Tat wie ein Notfall aus«, meinte sie.»ich kann ihn rufen. Er und seine Spezis sind oben und machen Krach.«Sie ging zur Treppe und brüllte»mr. Parsons!«in die Finsternis hinauf. Sie mußte noch zweimal rufen, ehe ein Lichtstrahl zeigte, daß oben eine Tür geöffnet worden war.»mr. Parsons, da will jemand zu Ihnen. Er sagt, es ist ein Notfall.Notfall?«fragte Parsons.»Wer ist es denn?fragen Sie mich doch nicht«, schrie sie zurück.»aussehen tut er wie der UNSICHTBARE MANN.«Sie drehte sich zu Davies um.»gehen Sie rauf. Ich kann mir doch hier nicht die Seele aus dem Leibe schreien.«davies bedankte sich und stieg die Stufen hinauf. Als er am ersten Treppenabsatz angekommen war, rief Parsons aus dem dritten Stock herunter:»wer kommt da?«davies trällerte:»der General Booth, damit das klar ist, jetzt sagst du endlich mal, was wahr ist.«sein spontaner Reim gefiel ihm ausnehmend gut. Er hörte ein kurzes Stöhnen und schloß daraus, daß Parsons ihn erkannt hatte. Dieser kam die finstere Treppe heruntergestolpert.»mr. Davies...«Dann bemerkte er im Halbdunkel Davies' Aussehen.»Ach du meine Güte, was ist passiert?ein Arbeitsunfall«, sagte Davies.»Ich möchte mich ein bißchen mit Ihnen unterhalten. Deshalb bin ich extra hergekommen. Kann ich raufkommen, Andy?Nein, um Gottes willen«, flehte Parsons.»Nicht jetzt. Nicht in mein Zimmer. Die Kapelle ist bei der Probe.«Wie um dies zu bestätigen, ertönte eine gedämpfte Trompete durch die offene Zimmertür, danach ein quietschender Flötenton.»Na gut, Mann«, flüsterte Davies.»Entweder Sie antworten auf meine Frage ohne Ihre verdammten Ausflüchte und Lügen, dann 208

211 können Sie hingehen und weitermachen, oder wir gehen zusammen rauf und bereden es da vor den anderen.«parsons hatte den Kopf sinken lassen. Er murmelte vor sich hin, vielleicht betete er auch.»ja? Was für eine Frage?Gut.«Davies stellte sich auf die Treppenstufe neben ihn.»wo haben Sie die Klamotten wirklich gefunden? Doch nicht im öffentlichen Klo. Los, sagen Sie schon! Es war nicht dort, oder?nein. Lieber Gott, ich wußte ja, daß es eines Tages herauskommen würde. Ich versuche, es abzubüßen. Die Armee...Wo?«fragte Davies streng.»nicht in dem WC. Dahin habe ich sie gebracht, als mir klar wurde, daß sie von dem toten Mädchen stammten. Aber daß ich sie da gefunden hätte, war gelogen. Ich war so verwirrt und durcheinander, Mr. Davies.Wo?«wiederholte Davies unerbittlich. Das Herz blieb ihm fast stehen, als Parsons sagte:»am Kanal. Sie lagen einfach herum, da hab' ich sie geklaut. Aber als ich dann von dem Mädchen hörte, bekam ich es mit der Angst und brachte sie zum Männer-WC. Dabei wurde ich dann erwischt. Ich konnte ja nicht sagen, woher ich das Zeug hatte, ich war doch gerade auf Bewährung, weil ich Wäsche von der Leine gestohlen hatte und solche Sachen. Die wollten mir den Mord an dem Mädchen in die Schuhe schieben, Mr. Davies, aber das war ich doch nicht... Ich bin dann bei meiner Geschichte geblieben. Und sie haben mich nicht kleingekriegt.«die letzten Worte klangen beinahe triumphierend. Davies packte ihn beim Kragen und schüttelte ihn. Parsons unterdrückte einen Aufschrei.»Damals... Sie wissen doch... hätten sie einen dafür aufgehängt.das ist das, was sie alle sagen«, murmelte Davies und mußte an Lind denken.»also, wo genau, Mr. Parsons? Millimetergenau.«Auf Parsons' Gesicht stand der Schweiß.»Ja, ja - ganz genau. Am Ende des Durchgangs, wo früher die alte Holzhütte aus dem Krieg stand. Genau da. Ich ging da längs, Richtung Kanal, und da lagen die Sachen. Der Satan führte mich in Versuchung, und ich habe sie aufgehoben. Gott, wie oft ich diesen Augenblick der Schwäche bereut habe.«davies merkte an dem stechenden Schmerz im Gesicht, daß er gelächelt hatte.»wundervoll«, flüsterte er,»wundervoll. Am Ende des Durchgangs. Das heißt am Rande der Kleingärten.«209

212 »Ja, genau«, bestätigte Parsons.»Bei den Schrebergärten.Gut«, sagte Davies.»Sie können jetzt zu Ihrem Humtata zurückgehen. Weiter viel Vergnügen. Aber verdrücken Sie sich nicht nach auswärts zu irgendwelchen Musikfestivals oder dergleichen. Ich muß wissen, wo ich Sie finden kann.ist das jetzt alles?ja. Wieso, haben Sie noch etwas auf dem Herzen?Oh nein, nein. Ich gehe dann also.dürfen Sie«, sagte Davies.»Spielen Sie einen Choral für mich.«parsons rannte erleichtert die Treppe hinauf. Oben beugte er sich über das Geländer und rief laut genug für die Zuhörer in seinem Zimmer:»Auf Wiedersehen, Mr. Davies. Gott segne Sie. Ich werde für Sie in Ihrer Not beten.«es war schon halb zwölf, als Davies Mr. Chrust und seine zwei Schwägerinnen aus ihrem Schlummer über dem Zeitungsbüro weckte. Dieselben Lichter wurden angeknipst, und dieselben Gesichter erschienen wie beim ersten Mal. Sie kamen angeschlurft und öffneten ihm die Türe. Ihre gute Kinderstube hinderte sie offenbar daran, zu fragen, warum er bandagiert wie eine Mumie bei ihnen erschien. Er brauchte sie nicht lange zu stören. Er mußte nur in der neuesten Nummer des CITIZEN den Bericht über die Verurteilung des Gartendiebes nachlesen. George Tilth, 47 Jahre, wohnhaft Harrow Gardens. Davies schrieb sich die Angaben auf, bedankte sich bei Mr. Chrust und wünschte den Damen eine gute Nacht. Dann machte er sich auf den Weg zu Mr. Tilth. Er war erleichtert, festzustellen, daß die Familie Tilth noch nicht im Bett war. In dem bescheidenen Reihenhaus brannte noch Licht, und auf sein Klopfen öffnete ein voll angekleideter Mr. Tilth, der passenderweise eine üppige Topfpflanze im Arm hielt.»vermutlich erinnern Sie sich nicht an mich?«begann Davies.»Nun, ich sehe Sie ja überhaupt nicht. Man kann Sie ja unter all dem Erste-Hilfe-Zeugs gar nicht erkennen. Wer wollen Sie denn sein?polizei«, sagte Davies. «Detective Constable Davies.«Der Mann wurde kalkweiß.»ich habe nichts getan, Herr Wachtmeister!«protestierte er. Er sah auf die Topfpflanze in seinen Armen wie eine Frau auf den Säugling an ihrer Brust.»Die gehört mir. Ich habe sie selbst gezogen.«210

213 »Schon gut, schon gut«, versuchte Davies ihn zu beruhigen.»ich bin nicht deswegen gekommen. Sie sind jemand, der sich auf Gärten versteht; da brauchte ich ein paar Informationen.Informationen? Gärtnerischer Art?Ja, so könnte man sagen. Kann ich einen Augenblick reinkommen?gut«, nickte Mr. Tilth.»Ich habe nichts zu verbergen, Mr. Davies. Aber vielleicht können Sie einen Moment warten.«davies sah sich um, während aus dem Wohnzimmer des Hauses hastige, wenn auch gedämpfte Bewegungen zu vernehmen waren. Er war in Versuchung hineinzuplatzen, aber er durfte jetzt nicht alles kaputt machen. Schließlich tauchte Mr. Tilth wieder auf. Statt der früheren Blässe überzog jetzt eine verlegene Röte sein Gesicht.»Jetzt können Sie reinkommen. Ich wollte für Sie nur ein bißchen Ordnung machen. Nachts um diese Zeit erwartet man ja keinen Besuch, normalerweise.normalerweise«, stimmte Davies zu. Er trat ein. Trotz seiner Maske bemerkte er den Treibhausgeruch. Er ging in den Wohnraum, wo der Tisch mit Zeitungen, Blumentöpfen, Pflanzen und Häufchen von Kompost bedeckt war.»ich topfe gerade Ableger ein«, sagte Mr. Tilth.»Macht viel Schmutz.«Davies sah sich schnell um, während er auf einen Stuhl zusteuerte. Ein Wäschegestell, auf dem Handtücher zum Trocknen hingen, stand in der Zimmerecke. Der Platz war strategisch nicht schlecht gewählt, aber doch nicht gut genug, um die dahinter versteckte Palme völlig zu verdecken. Davies setzte sich.»mr. Tilth«, sagte er fest,»mein Besuch hat nichts mit dem zu tun, wofür sich die Polizei bei Ihnen bisher interessiert hat. Das möchte ich von vorneherein klarstellen.«er zögerte, dann korrigierte er sich:»nein, das stimmt nicht ganz. Es hat doch damit zu tun.«in das Gesicht des Mannes trat ein Ausdruck von Bestürzung.»Aber nicht so, wie Sie denken. Ich brauche Ihre Hilfe.Und wofür, Mr. Davies?«Mr. Tilth war noch keineswegs überzeugt.»ihre Parzelle. Unten am Kanal.War mal meine«, sagte Mr. Tilth,»ist nicht mehr. Wie ich vor Gericht gesagt habe, die Stadt hat sie mir weggenommen. Nach so vielen Jahren Arbeit.«211

214 »Ja. Genau danach wollte ich fragen. Sie hatten den Garten schon 1951, stimmt das? Oder noch früher.schon in den 40er Jahren«, bestätigte der Mann, und ein Ausdruck von Stolz trat in seine Augen.»In den schweren Tagen, als England allein stand. Und vorher hatte ihn mein alter Vater. Ich habe es den Richtern gesagt, der Garten, das ist unser Vermächtnis.Erinnern Sie sich, wie im Krieg das Holzhaus da unten am Kanal gebaut wurde?und ob, Mensch! Wir hatten da unser Setzlingsbeet, und die wollten ausgerechnet an der Stelle ihre Bude aufbauen. Was habe ich mich gestritten mit dem Offizier von der Heimwehr, Hauptmann oder was er war! Ich habe ihm gesagt, daß ich mehr leistete für den Sieg als er und seine blöden Zinnsoldaten. Und er wollte mir einreden, meine Kartoffeln und Kohlköppe müßten vor den Deutschen geschützt werden. Schöner Blödsinn!«Davies ließ ihn ausreden.»wann ist es abgebrochen worden?«fragte er dann.»ein paar Jahre nach Kriegsende. Vielleicht '47 oder '48.«Davies hörte seine Hoffnungen mit einem Seufzer ihr Leben aushauchen.»nicht später? Sagen wir ?Nein. Mit Sicherheit nicht. Mein Vater ist '49 gestorben, und da stand es schon nicht mehr. Ich weiß noch, wie ärgerlich ich war, als das Holzhaus abgerissen wurde, weil ich es für die Geräte und solche Sachen benutzt hatte. Im Jahr '49 war es jedenfalls nicht mehr da, denn damals haben wir unseren Schuppen gebaut und die Rahmen für die Frühbeete. Und wir haben sie auf dem Betonfundament von dem Ding zusammengekloppt.schade«, murmelte Davies. Der Mann sah ihn zum ersten Mal ein wenig neugierig an. Er schnaufte nachdenklich.»und das war '49«, wiederholte er,»eindeutig.«davies stand müde auf. Sein Gesicht tat ihm weh. Der Schmerz ließ ihn zusammenzucken.»na gut«, sagte er,»es war nur so ein Einfall.Das muß ja ein toller Einfall gewesen sein, Mr. Davies, wenn Sie deshalb in diesem Zustand hierherkommen.«er warf einen besorgten Blick auf die Palme in der Ecke, die wie ein vorwitziges Kind aus ihrem Versteck hinter dem Wäschegestell hervorlugte.»sie sind nicht doch wegen etwas anderem gekommen?«212

215 »Nein, nein«, versicherte Davies ihm.»sonst war nichts.«während er auf die Haustür zuging, fragte er sich, warum ihn der Mann, wenn es im Wohnzimmer gewisse Peinlichkeiten gab, nicht in die Küche geführt hatte. Vielleicht sah es da noch schlimmer aus. An der Haustür standen sie noch einen Augenblick zusammen. Er spürte die Nachtkälte auf dem Dreieck zwischen Augen, Nase und Mund, das der Verband freiließ.»an der Stelle wollte im Garten nichts so recht wachsen«, sagte der Mann, seinen Erinnerungen nachhängend.»es war nicht nur der Betonfußboden. Den hätten wir ja vielleicht weggeschafft. Aber darunter war ja noch ein Raum, wissen Sie...«Der Arme sprang vor Schreck in die Luft, weil er sich angegriffen wähnte, als Davies ihn mit beiden Händen packte und»ein Raum? Unten drunter?«brüllte.»lassen Sie mich los!«flehte Mr. Tilth. Davies stellte ihn wieder hin. Seine Augen glühten in dem zur Hälfte bandagierten Gesicht. Der Gartenfreund zitterte wie Espenlaub.»Ja, eine Art Keller. Es war wohl die Kommandozentrale der Heimwehr. Oder ihr Luftschutzraum. Es war eine Falltür darüber, ein Eisendeckel, wie von einem Gulli.Und als das Holzhaus abgebrochen wurde, blieb das Fundament bestehen? Und der Raum ist noch da? Und die Falltür auch?alles noch da«, bestätigte der Mann. Seine Neugier war inzwischen größer als die Angst.»Warum?Los«, sagte Davies und faßte ihn wie ein Kind bei der Hand.»Gehen wir.was, jetzt? Mitten in der Nacht?Genau der richtige Moment. Los, kommen Sie schon.ich... ich muß meinen Mantel anziehen und der Frau Bescheid sagen«, sagte Mr. Tilth. Er ging rückwärts hinaus, den Blick auf den vor Eifer sprühenden Davies geheftet. Eine Frauenstimme rief etwas von oben.»ich hole meinen Mantel«, antwortete der Mann,»ich gehe aus.holen sie dich ab?«fragte die Frau, als sei es das, was sie erwartet hatte.»halt den Mund, zum Teufel!«rief Mr. Tilth zurück.»ich soll der Polizei helfen.«213

216 »Das sagen sie einem immer«, gab die Frau stoisch zurück. Sie kam zwei Treppen von oben herunter, so daß Davies ihre dünnen Waden in dicken Filzpantoffeln sehen konnte.»der Polizei bei der Aufklärung helfen«, höhnte sie,»so nennen sie das.mr. Tilth wird nicht festgenommen«, rief Davies ihr zu,»er verfügt über wertvolle Informationen, weiter nichts. Wir sind bald zurück.«als sie auf die Straße hinaustraten, wurde über ihnen ein Fenster hochgeschoben.»das ist nur ein verdammter Trick, Mann«, schrie sie,»gib bloß nichts zu!geh endlich ins Bett, zum Donnerwetter!«befahl der Gartenfreund.»Na gut«, rief sie zornig,»bilde dir bloß nicht ein, daß ich wieder auf dich warte, bis du aus dem Gefängnis kommst. Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!dumme Gans«, kommentierte Mr. Tilth. Danach wurde es still. Den Weg von ungefähr zehn Minuten durch die leeren Straßen legten sie schweigend zurück. Davies spürte, wie sein Magen sich verkrampfte. Er beschleunigte seinen Schritt. Sie überquerten die Hauptstraße und gingen dann zum Kanal hinunter. Es war so dunkel, daß sie das Wasser nicht sehen konnten, sie rochen es nur und hörten es leise gluckern. Weiter unten sah man die Lampe auf der Brücke wie ein Leuchtfeuer auf See; sie warf einen gelben Schein auf die schwarze Wasserfläche, und ihr Licht reichte fast bis zu der Hecke, die die Kleingärten einfriedigte.»ich bin froh, daß Sie bei mir sind«, sagte Mr. Tilth.»Der Richter hat gesagt, wenn ich noch einmal hier erwischt werde, krieg' ich mindestens drei Monate.«Er sah Davies an, und trotz der Dunkelheit konnte man seinen fragenden Ausdruck erkennen.»es ist doch echt in Ordnung, oder?machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Davies ausweichend.»es dauert nicht lang.ich wünschte, ich wüßte, was wir hier zu suchen haben.na, jedenfalls nicht Rüben oder Rosenkohl«, sagte Davies.»Diesmal nicht.«der Mann zeigte ihm bereitwillig die Stelle, wo man am leichtesten durch die Hecke kriechen konnte, und zwängte sich dann hinterher. Der Garten lag im Stockdunkeln, ein unwirtlicher Ort, wo man seine nassen, kalten Füße bis an die Knie spürte. Seltsam, 214

217 wie die Stadt und ihre Menschen sich in Nichts aufgelöst hatten. Als befände man sich inmitten einer Moorlandschaft. Davies sah sich nach dem hinteren Ende des Grundstücks um.»er hat sein Treibhaus drauf gebaut«, sagte Mr. Tilth verächtlich.»ein wackliges altes Ding.«Davies folgte langsam dem Gartenpfad. Das Gewächshaus stand da wie ein gestrandetes Schiff; ein schwaches Licht fiel durch die Glaswand. Rundum war der Boden lehmig, aber Mr. Tilth scharrte mit der Schuhspitze ein wenig Erde weg, so daß Davies den Beton darunter fühlen konnte.»wo war der Eingang, die Falltür?«flüsterte er.»ungefähr hier. Das Glashaus steht darüber.«mr. Tilth öffnete die quietschende Tür, die so altersschwach war wie das Balkengerüst, das schon bei der bloßen Berührung zu wackeln begann.»verdammte Bruchbude«, entrüstete sich der frühere Besitzer.»Total morsch. Das Holz fault am Ende einfach durch.ist die Falltür da drinnen?«fragte Davies ungeduldig. Er hielt die Taschenlampe hinein. Sie beleuchtete einen kleinen Urwald von Topfpflanzen.»Ein Chaos, das habe ich mir gedacht«, beanstandete Mr. Tilth.»Sehen Sie nur mal diese Fatsia, Mr. Davies. Eine Schande. Hat man so etwas schon gesehen?«er zog an einem großen Blatt, das sich ihm wie eine Hand entgegenstreckte und sich gehorsam von seinem Stengel löste. Er sah auf den Boden.»Holzfußboden. Ich dachte, vielleicht hat er ihn auszementiert, aber das war ihm wohl zu mühsam.ein Glück«, sagte Davies.»Wo ist denn nun die Falltür?Lassen Sie mich mal sehen. Soviel ich mich erinnere, an der Rückwand.«Er bückte sich mit der Taschenlampe.»So was, lauter Pelargonien zum Überwintern. Na, die werden den Frühling nicht erleben.«er fing an, einen Weg freizuräumen, indem er die Töpfe lieblos zur Seite schob. Ein paar Saatkisten folgten, dann gab es einen kurzen Kampf mit den morschen Bodenbrettern. Die Abraumhalde wuchs zu stattlicher Höhe. Schließlich richtete Mr. Tilth sich auf und sagte kurz und bündig:»da.«davies fiel fast vornüber, als er in seinem langen Mantel über die Bretter, Kisten und Blumentöpfe kletterte. Mr. Tilth richtete die Taschenlampe nach unten. Sie beleuchtete eine 215

218 quadratische rostige Metallplatte von etwa einem Meter Länge, die tief in den Boden eingelassen war. Davies befiel eine bange Ahnung.»Wir brauchen Hacke und Schaufel«, flüsterte er.»können Sie das beschaffen?ich müßte das Schloß vom Geräteschuppen aufbrechen«, sagte Mr. Tilth erwartungsfroh.»dann los.gut. Dauert keine Minute. Der Schuppen ist genauso morsch. Dieser Dummkopf kümmert sich um nichts!«er verschwand, während Davies sich in gebetsähnlicher Haltung vor dem Eisendeckel auf die Knie niederließ. Er beugte sich vor, klopfte mit der Faust darauf und wich dann unwillkürlich zurück, als erwarte er, daß jemand öffne. Von draußen hörte man das Geräusch von splitterndem Holz und dann ein zufriedenes Brummen. Mr. Tilth erschien in der Türöffnung mit einem Spaten und einer Spitzhacke.»Lassen Sie mich machen«, schlug er vor,»ich weiß, wie das geht. Und Sie mit Ihrem Gesicht...«Davies dachte über die Logik dieses Vorschlags nicht weiter nach. Er machte Platz und ließ den Mann mit der praktischen nächtlichen Erfahrung ans Werk. Auf dem engen Raum mußte man arbeiten wie ein Bergmann. Ganze Ladungen steiniger Erde kamen herausgeflogen, während Mr. Tilth die Ränder der Metallplatte freilegte. Schließlich hielt er inne und rief über die Schulter zurück:»da ist eine Art Metallring an einem Ende. Wenn wir die Spitze von dem Pickel darin einhaken, können wir versuchen, ob sie sich anheben läßt.«eifrig reichte Davies ihm die Spitzhacke. Er war in Schweiß gebadet, wozu die Treibhausluft, seine dicke Kleidung, die Mullverbände und die Aufregung gleichermaßen beitrugen. Mr. Tilth nahm das Werkzeug und versuchte, es anzusetzen, während Davies zwischen seinen Beinen hindurch - die einzige passende Öffnung - die Szene beleuchtete. Die Eisenspitze ließ sich schließlich in den Ring schieben, und Davies hörte es knirschen, als der Ring sich in seiner Halterung bewegte.»also, jetzt versuchen wir's«, schlug Mr. Tilth vor.»ich zuerst.«er legte seinen kleinen, aber muskulösen Körper kräftig ins Zeug, aber die Platte rührte sich nicht. Er versuchte es noch einmal mit größter Anstrengung, ehe er es aufgab.»klemmt fest«, keuchte er.»ist zu lange nicht geöffnet worden.«216

219 »Wir versuchen es zusammen«, schlug Davies vor. Er schaffte sich neben Mr. Tilth mühsam Platz, indem er die Töpfe und Kisten noch mehr zur Seite schob. Jetzt waren ihnen nur noch zwei vollbeladene Bänke zu beiden Seiten im Wege. Mr. Tilth richtete sich auf und kippte eine davon schwungvoll um, so daß eine weitere Lawine von Blumentöpfen sich auf den Boden ergoß. Davies tat es ihm mit der anderen Bank nach.»geschieht dem Macker recht«, murmelte der enteignete Gärtner hocherfreut. Jetzt hatten sie Platz genug, um beide an der Hacke anzufassen. Die Falltür lag an allen Seiten frei, aber sie war bis tief in die Erde festgerostet. Die Hacke steckte mit der Spitze in dem verrosteten Ding.»Los«, sagte Davies,»versuchen wir es.«sie stemmten sich beide gegen den Hackenstiel, um die Platte aufzuheben. Nichts rührte sich. Sie ließen los und rangen keuchend nach Atem; dann probierten sie es von neuem, und diesmal bewegte sich etwas.»einen Augenblick«, sagte Davies. Sie ruhten sich aus.»beim nächsten Mal kommt sie.«so war es dann auch. Sie fühlten, wie die Platte erzitterte und sich nach oben bewegte. Davies zitterte vor Aufregung kaum weniger.»weiter«, rief er,»hau ruck!«plötzlich löste sich der Stiel von der Hacke. Sie hatten sich gerade mit äußerster Kraft dagegengestemmt, als das geschah, und wurden jetzt heftig zurückgeschleudert. Davies flog mit seinem ganzen, nicht gerade geringen Gewicht gegen die dünne Wand, Mr. Tilth folgte ihm. Das morsche Holz bog sich, krachte, barst und splitterte um sie herum, während die Glasscheiben sich wie Gletscher über die Gerümpelhaufen schoben. Mit einem Seufzer fügte sich das Gewächshaus, oder was davon noch übrig war, in den allgemeinen Zusammenbruch, neigte sich zur Seite und sank erschöpft auf die Erde. Es machte dabei so wenig Lärm, als hätte es diesen Moment seit Jahren herbeigesehnt. Es legte sich einfach hin, wobei ein Teil der Glasscheiben zerbrach, die meisten aber nur wegrutschten. Davies und Mr. Tilth fanden sich unter einem Haufen von Wrackteilen wieder.»mein lieber Mann«, sagte Mr. Tilth, was dem Chaos um sie herum völlig unangemessen war.»das hat ihm verdammt noch mal den Rest gegeben.«davies schaufelte sich frei. Er und der Gärtner rappelten sich hoch und besahen sich den Trümmerhaufen, der an eine Zeppelinkatastrophe erinnerte. 217

220 »Los, kommen Sie«, sagte Davies und hinkte um das Ruinenfeld herum auf die Rückseite. Tilth, dem der polizeilich genehmigte Rachefeldzug offenkundig einen Riesenspaß machte, wischte sich den Staub aus den Augen und kam hinterher.»oh, gut!«sagte Davies. Mr. Tilth folgte seinem Blick. Da die Hütte in die entgegengesetzte Richtung gestürzt war, lag die Metallplatte fast frei. Sie mußten nur mit den Schuhen ein paar Holz- und Glassplitter zur Seite schieben, damit sie so offen da lag wie zuvor.»holen Sie bitte die Hacke«, sagte Davies wie in einem Traum.»Die Hacke nützt uns nichts mehr. Der Mann sorgt nicht mal für anständiges Werkzeug. Macht nichts, wir haben sie ja gelokkert. Was wir jetzt brauchen, ist ein bißchen Draht. Da hängt einer außen am Schuppen. Warten Sie einen Moment, Mr. Davies, nur einen Moment.«Das Drahtseil, mit dem er gleich darauf zurückkam, war dick und stark. Sie befestigten es an dem Ring und begannen dann, daran zu zerren, wie eine Riege beim Tauziehen. Sie merkten, wie das Eisen verrutschte, knirschte, sich wieder bewegte. Noch einmal ein kräftiger Ruck, dann hörten sie, wie die ganze Platte zur Seite glitt. Vor ihnen im Dunkeln war ein Loch.»Was jetzt?«fragte Mr. Tilth. Er sah mit Erstaunen, daß Davies auf einmal stocksteif dastand, als könne er sich nicht zum nächsten Schritt entschließen.»ja, was jetzt?«sagte er, und die Stimme zitterte ihm bei den wenigen Worten. Sie hatten die Taschenlampe auf den Boden gelegt; nun griff er danach und ging auf das schwarze Loch in der Erde zu, das sie geöffnet hatten. Mr. Tilth trat verwirrt zurück wie jemand, der Zeuge eines ihm unbekannten geheimnisvollen Rituals wird. Davies stand am Rande der Grube und sah hinunter, ohne mit der Lampe hineinzuleuchten. Dann tat er es. Das Licht glänzte weißlich auf den Knochen. Ein armes, verlassenes Häufchen kalter feuchter Knochen. Davies kniete nieder und sah genauer hin. Die Lampe zitterte in seiner Hand. Er fühlte, wie eine große Traurigkeit ihm die Kehle zuschnürte. Tränen Schossen ihm in die Augen.»Oh Celia«, flüsterte er,»was für eine Gemeinheit.«218

221 Kapitel 18 nächsten Morgen blieb die Stationsschwester an seinem Am Bett stehen und sagte:»na also, Sie sehen viel besser aus als gestern. Was eine Nacht voll Schlaf doch ausmacht!«er zog die Augenbrauen so hoch es ging; immerhin war er nicht vor drei Uhr morgens ins Bett gekommen. Sie konnte von seinem Gesicht nur das kleine Dreieck zwischen Augen und Kinn sehen, was eigentlich zu wenig ist, um festzustellen, daß jemand besser aussieht. Er hielt es für eine der üblichen Krankenhausfreundlichkeiten. Nichtsdestoweniger sagte der Arzt, der ihn zwei Stunden später untersuchte, er dürfe nach Hause und müsse nur jeden Tag zum Verbandswechsel zur Ambulanz kommen. Davies verabschiedete sich nur zu gern. Mod saß in der Stadtbücherei - wie üblich in der hintersten Ecke des Lesesaals - wie ein Erzbischof inmitten seiner Bücher. Von weitem schon, während er noch die Eingangshalle durchquerte und dem Heimwehrfoto an der Wand dankbar zulächelte, sah Davies, wie eine junge Bibliothekarin Mod eine Tasse Kaffee an seinen Platz brachte. Im Vorbeigehen zog er die mißbilligenden Blicke der Büchereiangestellten und der wenigen Leser auf sich; Menschen mit einem Kopfverband waren hier anscheinend unerwünscht. Mod sah ihn kommen und lächelte ihm gratulierend zu.»geht's dir besser, mein Sohn?«flüsterte er und trank seinen Kaffee, ohne das offene Buch beiseite zu schieben.»schön, daß du wieder draußen bist.«davies setzte sich und starrte durch den Sehschlitz in seinem Mullverband.»Ich habe sie gefunden«, sagte er.»ich meine die Leiche.«Der Kaffee schwappte über den Tassenrand auf die Buchseite. Schuldbewußt wischte Mod hastig mit dem Ärmel darüber.»wo?«fragte er. 219

222 Davies berichtete ihm, wie und wo sich alles ereignet hatte.»ich erinnerte mich an das Foto von der Heimwehr draußen im Eingang. Darauf ist das Holzhaus zu sehen, das unten am Kanal stand. Es ist längst abgebrochen, aber es hatte eine Art Kellerraum, einen betonierten Unterstand. Da hat er sie versteckt. Tief unten.«mods Büchereigeflüster zischte über den Tisch:»Was hast du mit ihr gemacht?dagelassen«, sagte Davies einfach.»ich habe die Deckplatte wieder drübergelegt und sie dort gelassen. Dem Gartenfan, dem Mr. Tilth, habe ich gesagt, wenn er ein Sterbenswörtchen verlauten läßt, kläre ich die Herkunft der Zimmerpalme in seinem Wohnraum auf. Das hat ihm Angst gemacht. Der wird schweigen wie ein Grab.Und du willst nichts unternehmen? Keine Anzeige machen?«davies schüttelte den Kopf, was für ihn immer noch eine schmerzliche Geste war.»ich will es riskieren, Mod«, sagte er.»ich habe sie, aber ihn hab' ich noch nicht.es sieht mehr und mehr nach unserem Freund und Helfer Police Constable Dudley aus«, murmelte Mod.»Und der ist tot, den kannst du nicht mehr festnageln.«er strich über die kaffeefeuchten Seiten seines Buches und klappte es zu.»mit diesem Exemplar hier beschäftigt sich in den nächsten Jahren sowieso keiner. Und danach ist es nicht mehr wichtig, oder?klingt wie gemünzt auf unseren Fall«, sagte Davies.»Mod, ich weiß nicht, was ich als nächstes tun soll.man sollte doch denken, sie hätten solche Stellen wie diesen unterirdischen Raum kontrolliert, als die Suche nach dem Mädchen lief«, sagte Mod nachdenklich.»mit Spürhunden zum Beispiel. Zeigen sie immer im Fernsehen.«Davies sagte:»na ja, am Anfang, ungefähr einen Monat lang, hat keiner ihr Verschwinden richtig ernst genommen. Schließlich war sie 17, kein kleines Kind mehr, und sie war auch früher schon mal weggelaufen, vergiß das nicht. Es wurden zwar Nachforschungen angestellt, aber nicht besonders gründlich. Vielleicht hat ja P. C. Dudley dafür gesorgt, daß gerade er selbst die Suche in diesem Umkreis durchführen konnte; das wäre nicht weiter schwierig gewesen. Überlege mal, zu Mr. Whethers kam sogar ein Polizist ins Haus, aber andererseits hat nie jemand, soweit wir wissen, seine Aussage zu Protokoll genommen oder sich um das 220

223 gekümmert, was der andere Alte, Mr. Harkness, gesehen hatte oder glaubte, gesehen zu haben. War dieser Polizist etwa wieder P.C. Dudley? Es ist doch so, Mr. Whethers hat sich nicht von sich aus gemeldet. Der Polizist kam aus eigenem Antrieb aufgrund der Gerüchte, die in der Gegend verbreitet wurden.vielleicht wollte niemand im Polizeirevier, daß gewisse Tatsachen ans Licht kamen.«davies sah ihn ruhig an.»ja«, sagte er langsam,»daran habe ich nicht gedacht. Das könnte sein.nach Lage der Dinge war es doch so - die halbe Mannschaft war an dem Abend sinnlos betrunken. Von den zwei Mann, die im Dienst sein sollten, hatte der eine alle Hände voll damit zu tun, eine Wahrsagerin zu beglücken, und der andere war mit Vergewaltigung und Mord beschäftigt. Die Londoner Polizei bietet Ihnen eine aussichtsreiche Karriere.«Davies machte ein mürrisches Gesicht.»Schon gut, schon gut. Da ist ziemlich viel wenn und aber dabei.«nach einer Pause fragte er:»hast du vielleicht schon dein Stempelgeld bekommen?sozialhilfe«, berichtigte Mod.»Nein. Bekomme ich morgen.dachte ich mir. Ich hab' mit dem Gedanken gespielt, dir vorzuschlagen, daß wir was trinken gehen.ich begleite dich«, sagte Mod und klappte seine Bücher zu.»und, falls du mir ein bißchen was pumpen kannst, werde ich mir die Ehre geben, dich einzuladen. Ich zahle es dir morgen zurück.«er warf einen skeptischen Blick auf Davies' Gesicht.»Ich kann mir nicht vorstellen, wie du ein Bierglas durch die kleine Luke in deinem Verband bugsieren willst.dann muß ich eben ein paar Kurze trinken«, erwiderte Davies. Er wartete, bis Mod seine Bücher an ihren Platz zurückgebracht hatte.»weißt du, es gibt schon Erstaunliches«, sagte Mod, während sie hinausgingen.»die Zeit von 3000 bis 500 vor Christus, das sind 2500 Jahre, war eine Periode von fast ununterbrochenem Frieden und Fortschritt in Britannien.Freut mich zu hören«, sagte Davies trocken.»der Grund war die Tatsache, daß alle alles hatten, was sie brauchten. Es gab nur ein paar Stämme, aber viel Land für ihre Bedürfnisse und viel Raum für die fremden Eroberer. Es wird auch behauptet, daß die Leute aufhörten, die Kriegsgötter zu 221

224 verehren, für die sich nur die Männer interessiert hatten, und sich den Fruchtbarkeitskulten zuwandten, also den Göttern der Frauenbewegung.Und ich wette, die Polizei war korrupt«, meinte Davies. Im Vorbeigehen strich er zärtlich über das Heimwehrfoto an der Wand. Mod nickte weise dazu.»was hast du als nächstes vor?«fragte er.»nun, auf jeden Fall möchte ich das alles, oder fast alles, Josie berichten.fast alles? Du erzählst ihr nicht, daß du die Leiche gefunden hast?nein, das sage ich ihr nicht.«sie gingen die dunkle, verlassene Straße hinunter. Es war halb zwölf, und nur die Katzen waren in der Stadt unterwegs. Einmal mehr schienen im Umkreis von Kilometern die Menschen nach Hause gegangen zu sein und ihre Türen vor der Nacht verschlossen zu haben. Die Bürger lagen in ihren Betten. Die Stadt überließen sie der Dunkelheit. Josies Absätze klapperten rhythmisch auf dem gepflasterten Bürgersteig, während Davies' große Schritte im Rinnstein nur gedämpft zu hören waren. Er ging dort unten, um ihrer beider Kopfhöhe halbwegs in Einklang zu bringen, obwohl er trotz dieser Maßnahme noch zu ihr hinuntersehen mußte. Sein Mantel hing ihm weit wie ein Zelt von den Schultern, während sie klein und handlich wie ein gut geschnürtes Bündel war. Sie gingen nebeneinander, ohne zu sprechen oder sich zu berühren. Er hatte ihr nicht gesagt, daß er die Überreste ihrer Schwester gefunden hatte. Kurz vor ihrem Haus gab es einen der zahllosen Fußwege, Abkürzungen, Durchschlupfe und Planungskompromisse, die die Straßen in diesem Stadtteil miteinander verbanden. An dieser Stelle angekommen, faßte sie seine große Hand und zog ihn mit sich in den Schatten. Sie lehnte sich mit dem Rücken an ein Zaungitter. Er stand wie üblich verlegen vor ihr, sah sie an und berührte sie, indem er seine Hände ganz leicht um ihre Taille legte. Sie sah ihn enttäuscht an.»oh, Dangerous«, sagte sie,»du benimmst dich niemals wie ein Teenager.«222

225 »Ich habe mich nicht einmal wie ein Teenager benommen, als ich einer war«, gestand er verschämt.»und jetzt bin ich viel zu alt, um vor einem Zaun zu schmusen.mein Gott«, seufzte sie,»du stehst da wie eine Schaufensterpuppe von Woolworth. Probier's mal mit Küssen. Nun mach schon.«er beugte sich leicht vor, und sie hob ihr Gesicht, um ihn zu küssen. Man hatte ihm ein wenig mehr von dem Verband abgenommen, so daß sein Gesicht freigelegt worden war, wenn er auch immer noch einem Mann glich, der aus dem Fenster schaut. Beim Küssen schmiegte sie ihre dünne Gestalt dicht an ihn und knöpfte seinen Mantel auf. Er schlug ihn schützend um sie. Sie hatten an dem Abend eine halbe Stunde damit verbracht, seine Notizen auf dem von Minnie Banks gestifteten Schulpapier durchzusehen.»ich bin froh, daß du mir alles gesagt hast. Über Celia. Das heißt«, fügte sie hinzu,»wenn es alles war.es sind noch weitere Untersuchungen nötig«, sagte er und schaute auf ihren dunklen Haarschopf hinab.»weitere Untersuchungen«, lachte sie leise.»du redest wie ein Polizist. Du kannst wohl nicht anders.«dann sagte sie:»erinnerst du dich, damals am Stausee hast du gesagt, du heißt eigentlich Percival. Das stimmt nicht, oder?das war gelogen«, sagte er.»ich heiße Peregrine.Ach Mann, hör auf«, seufzte sie. Es entstand ein langes friedliches Schweigen unter dem Mantel. Dann sagte sie:»dangerous, ich muß dir etwas sagen.«er lachte leise und strich über das weiche Haar.»Was denn?ich habe etwas entdeckt.nämlich?mein Vater weiß tatsächlich, wo Ramscar ist.«er schob sie von sich und versuchte, von ihrem Gesicht mehr als den hellen Umriß zu erkennen.»wo ist er?ich habe gesagt, er weiß es, nicht ich. Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen. Aber jetzt denke ich, du solltest es vielleicht erfahren.was hat er dir gesagt?ich habe dir noch nicht erzählt, daß er gestern im Krankenhaus einen Herzanfall hatte. Eine Folge der Aufregung bei dem Überfall. Nicht sehr schlimm, aber doch so, daß er zu Tode er- 223

226 schrocken ist. Er glaubt, daß er den nächsten nicht überleben wird. Ich habe ihn vorhin besucht, da war er völlig aufgelöst. Er war in der Verfassung, alles zu beichten. Er begann mit diesem >Mein liebstes Kind<-Schmus.«Sie lachte bitter auf.»und das nach all diesen Jahren.«Sie hob die Augen bis in die Höhe von seinem Kinn.»Ramscar führt etwas im Schilde, eine große Sache, meint mein Alter. Und das schon bald.was für eine Sache?Weiß ich nicht. Der Alte weiß es auch nicht. Aber ich glaube, er hat eine Ahnung, wo Ramscar sich versteckt hält. Deswegen fühlt er sich im Krankenhaus auch sicherer.damit hat er wahrscheinlich recht«, nickte Davies. Er sah ihr ins Gesicht.»Kannst du den Ort für mich herausfinden?«sie antwortete nicht gleich, sondern verkroch sich tiefer in seinen Mantel.»Ich überlege es mir«, sagte sie nach einer Weile,»aber ich kann nichts versprechen.wenn wir wissen, wo er steckt, können wir die ganze Sache aufklären«, sagte Davies.»Wenn wir ihn kriegen.möchtest du nicht deine Hände einen Augenblick in meinen Ausschnitt stecken, Dangerous? Wenn ich die Knöpfe aufmache?«wie immer traf ihn der plötzliche Wechsel des Gesprächsthemas unvorbereitet, und ihm fiel keine Antwort ein. Sie knöpfte trotzdem ihr Kleid langsam auf und nahm seine Hände und schob sie hinein; er konnte ihre kleinen Brüste unter etwas Gestricktem fühlen. Er beugte sich vor und küßte ihr Gesicht.»Was hast du unter dem Kleid an?«fragte er.»ein Unterhemd«, antwortete sie.»meine Mutter besteht bei diesem Wetter auf einem wollenen Hemd. Jetzt ist sie in Luton, aber ich ziehe es trotzdem an; versprochen ist versprochen. Sie hat es selbst gestrickt, superlang. Es reicht mir fast bis zu den Knien, Dangerous. Hier, los, zieh mal dran.«er mußte lachen und tat ihr den Gefallen. Er zog mit beiden Händen an dem Hemd - und zog und zog, während immer mehr davon hervorquoll. Josie kicherte.»ich hab's ja gesagt, du kannst es meterweise aufrollen, wie einen Stoffballen.«Endlich war das Objekt hochgehievt und unter dem Kleid um ihre Taille zusammengeschoben, was ihr eine seltsame Figur verlieh. Sie lachte und bewegte sich wie eine Bauchtänzerin, bis es wieder in die Tiefe gerutscht und an ihren Knien hängengeblieben 224

227 war. Davies drückte sie an sich.»willst du nicht mit ins Haus kommen?«fragte sie.»es ist keiner da.ich dachte, du wohnst so lange bei den Nachbarn«, sagte er besorgt.»du hältst dich hoffentlich nicht allein in dem Haus auf.tue ich nicht«, versicherte sie.»ich wohne bei den Fieldings zwei Häuser weiter. Aber ich habe den Schlüssel.Du brauchst mehr Schlaf«, sagte er sanft. Er legte die Arme beschützend um sie.»wenn das alles vorbei ist, nehme ich mir Urlaub.Nimmst du mich mit?wenn du möchtest. Ich war mal als Kind in Stoke-on-Trent. Da wollte ich immer noch einmal hin.klingt traumhaft«, sagte sie.»ich habe noch eine Woche Urlaub übrig. Stoke-on-Trent!Du gehst jetzt besser«, sagte er. Sie küßten sich lange, und er half ihr, das seltsame Untergewand wieder an seinen Platz zu stopfen. Dann gingen sie die Straße entlang zu dem Haus, in dem man sie aufgenommen hatte. Er sagte»gute Nacht«, und sie ging hinein. Er war nur ein paar Schritte gegangen, als die Tür sich wieder öffnete und Josie herauskam.»dangerous«, rief sie. Ihre Stimme klang anders als sonst.»das Krankenhaus hat angerufen. Er hat wieder einen Herzanfall gehabt. Ich muß gleich hin.«er wartete in dem ihm so schmerzhaft vertrauten Krankenhaus bis zwei Uhr. Der Warteraum war kalt und trostlos. Als sie hereinkam, sah er, daß ihre Augen vom Weinen grau verschmiert waren.»abgedampft«, sagte sie.»sechs Minuten nach eins.«er hatte sich oft gewundert, daß man ausgerechnet das Geburtsgewicht und die Sterbezeit eines Menschen so genau registrierte. Warum nicht die Geburtszeit und das Sterbegewicht?»Es tut mir leid. Josie«, sagte er und zog sie liebevoll an sich.»er hat mich mit Celia verwechselt«, sagte sie achselzuckend. Er telefonierte nach einem Taxi, und bis dieses eintraf, saßen sie nebeneinander im Wartezimmer. Sie sprachen nicht viel, weder dort noch im Taxi, das sie zum Haus ihrer Nachbarn brachte. Als sie ausgestiegen war und jemand schon von innen die Tür des Hauses öffnete, küßte sie ihn ungeschickt auf die Wange.»Ramscar ist auf einem Bauernhof namens Bracken Farm«, sagte sie,»richtung Uxbridge.«225

228 Der Ort lag etwa 15 Kilometer entfernt in der Region zwischen Stadt und Land, einer Gegend mit Schweinefarmen und Schrottplätzen zwischen kleinen, schlecht bestellten Feldern und übriggebliebenen Heckenreihen. Davies holte sich den Lagonda und fuhr in den bitterkalten Stunden kurz nach Mitternacht hinaus. Kitty knurrte zuerst entrüstet vor sich hin; er nahm es wohl übel, zu dieser Stunde geweckt worden zu sein, versank dann aber wieder in seinen asthmatischen Schlummer unter dem Segeltuch. Davies sagte keiner Menschenseele, was er vorhatte. Die Idee kam ihm gar nicht erst. Er wollte allein auf seine Rechnung kommen. Um nicht bei der Polizei anfragen zu müssen, hatte er die Feuerwehr von Uxbridge angerufen und erfahren, wo sich die Brakken Farm befand - am Ende eines schmalen Weges, der von der Landstraße nach Oxford abzweigte. Er fuhr das letzte Stück ohne Licht und steuerte den Lagonda vorsichtig zwischen Abfallhaufen, Autowracks und anderem Stadtrandmüll hindurch. Als er in der Nähe eines Zigeunerlagers vorbeikam, schlugen die Hunde an. Er fluchte leise. Vor sich konnte er Lichter sehen, ein hochgelegenes erleuchtetes Fenster sah aus wie ein Wachtturm. Er stellte den Wagen bei einem Gatter ab und schlich zu Fuß weiter. Alles um ihn her roch nach Moder. Schlüpfriger Lehm schmatzte unter seinen Sohlen. Auf dem Hofplatz waren zwei große Autos geparkt. Das Haus wirkte sogar im Dunkeln stattlich, aber vernachlässigt. Außer dem hochgelegenen Ausguck waren zwei Fenster im Erdgeschoß hinter roten Vorhängen hell erleuchtet. Er schlich in den Hof und faßte prüfend die Kühlerhaube des einen Autos an. Sie war ebenso wie die der anderen noch warm. Er nahm sich vor, an eines der Fenster zu gelangen, vermutete aber, daß das Haus von außen bewacht wurde. Tatsächlich kam jemand um die Hausecke, während Davies sich noch im Schatten der Autos befand. Der Mann zündete sich eine Zigarette an und schimpfte vor sich hin. Davies ließ sich auf alle viere nieder und kroch zu einer Türe hin, hinter der er ein ländliches Klosett vermutete. Es war aber ein Kohlenschuppen. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Er konnte einen Kohlenhaufen auf dem Boden erkennen und eine Handschaufel an der Wand. Jetzt hörte man die Schritte des Mannes näherkommen und an der offenen Tür des Schuppens vorbeigehen. Davies nahm die Schaufel zur Hand. Es war eine ganz normale Kohlenschippe, ge- 226

229 schmiedet aus einem einzigen Stück Blech, das für den Griff zu einer kurzen Röhre zusammengebogen war. Davies schob diese Röhre gleichsam vor sich her, als er sein Versteck verließ. Der Mann stand nur etwa vier Schritte entfernt, rauchte und starrte in die wesenlose schwarze Nacht. Davies war mit einem Sprung hinter ihm und drückte ihm den Schaufelstiel ins Kreuz. Der Mann erstarrte, trotzdem fühlte er den Druck der Röhre nur zu gut.»wirf deine Knarre hin«, sagte Davies,»hinter dich.«der Mann langte achselzuckend in seine Tasche und ließ seinen Revolver auf Davies' großen Zeh fallen. Davies bückte sich und hob ihn auf.»gut so, jetzt gehen wir zusammen ins Haus.«Nun fand der Mann die Sprache wieder.»mensch, die ganze Bande ist da drin«, flüsterte er, als stehe er auf Davies' Seite.»Wenn's eine Schießerei gibt, ich will nichts abkriegen. Ich hab' mit der ganzen Sache nichts zu tun.wie viele sind es?sieben.es stehen Hunderte um das Haus herum bereit. Du gehst vor. Marsch.«Sie legten den schmalen Weg durch den Vorgarten hintereinander zurück wie Partner bei einem Hochseilakt. Ungefähr fünf Meter vor der Haustür stand eine leere Mülltonne, was Davies mit grimmiger Freude bemerkte. Er befahl seinem Gefangenen flüsternd, stehen zu bleiben.»ich muß dich jetzt ein bißchen hart anfassen, mein Sohn«, sagte er.»aber merk dir, wenn du irgendwas versuchst oder Krach schlägst, wirst du erschossen, ist das klar?alles klar«, nickte der Mann. Davies bückte sich und stülpte ihm die Mülltonne so rücksichtsvoll wie möglich über Kopf und Schultern. Der Mann zuckte zusammen und stolperte kurz, fing sich dann aber wieder und stand still wie ein Roboter des Bösen. Davies schob ihn mit der Kohlenschaufel vor sich her. Er hatte zwar den Revolver, aber möglicherweise war dieser nicht geladen, und der Mann wußte das. Sie steuerten zusammen auf die Haustür zu. Es war eine schöne alte, breite Türe. Davies stellte zufrieden fest, daß sein Mülleimergefangener ohne Probleme hindurchpaßte. Er drehte an dem Messingknauf, drückte die Tür auf und schubste den Mann hinein.»hier kommt die Müllabfuhr«, rief er,»wer sich bewegt, krepiert auf der Stelle!«227

230 Eine Gruppe von Männern saß um einen runden Tisch und aß Fisch und Fritten. Sie hoben die Köpfe und stierten ihn an. Er erkannte Ramscar auf den ersten Blick.»Sie such' ich, Ramscar«, sagte er.»scheiße«, sagte Ramscar und spuckte ein Kartoffelstück aus. Ein kleiner, dunkelhäutiger Mann, der ihm am Tisch am nächsten saß, sprang plötzlich auf und stürzte sich mit wildem Geheul auf Davies. Dieser schlug ihm zwar die Kohlenschaufel über den Kopf, aber jetzt war der Bann gebrochen. Sie kamen wie die Rugbyspieler angestürmt und fielen von allen Seiten über ihn her. Er merkte, daß er schwankte. Schüsse fielen, ein brennender Schmerz zuckte in seinen Beinen, dann waren da Lichter, die aber irgendwie nichts mit dem Feuerwerk zu tun hatten, das in seinem Schädel explodierte. Jemand rief:»haut ab, die Bullen sind da!«bevor er in den nun schon vertrauten Zustand der Bewußtlosigkeit versank, sah Davies noch das Gesicht eines ihm unbekannten Polizeioffiziers über sich.»gerade zur rechten Zeit«, Davies versuchte zu lächeln,»alles in Ordnung?Alles okay«, brummte der Inspector,»nur, der Kerl, dem Sie mit der Schaufel eins übergezogen haben, ist ausgerechnet ein Botschafter aus Südamerika.«Als Davies im Rollstuhl auf der Revierwache auftauchte, blätterte der Sergeant vom Dienst gerade zusammen mit dem Lokalreporter im Tagesbulletin. Venus, die auf dem Weg zu ihrem Abendrundgang war, und die Putzfrau hatten ihm geholfen, den Rollstuhl die Stufen hinaufzutransportieren.»hier haben wir etwas Interessantes«, sagte der Sergeant.»Diebstahl einer wertvollen Zwergpalme aus dem Botanischen Garten in Kew. Alle Polizeiwachen werden...«an dieser Stelle bemerkte er Davies und kam hinter der Theke hervor, um ihm die Hand zu schütteln.»schön, daß es dir gutgeht, Dangerous. Der Alte ist oben. Ich helfe dir in den Aufzug.«Der Sergeant und der Reporter bugsierten ihn in den Lift. Oben angekommen, klopfte er mit der Fußspitze an Inspector Yardbirds Türe und wurde nach der üblichen Wartezeit aufgefordert einzutreten. Er manövrierte den Rollstuhl durch die Tür. Im Krankenhaus hatten sie ihm einen neuen Kopfverband verpaßt und sein rechtes Bein und den linken Fuß in Gips gelegt. An den Prellungen 228

231 konnte man nicht viel machen, außer abzuwarten und sie heilen zu lassen. Die Schwestern hatten ihm zum Scherz eine Jahreskarte für das Krankenhaus geschenkt. Yardbird blickte vom Schreibtisch auf.»ah, sehr schön. Ich finde, das haben wir gut gemacht, Davies«, sagte er. Davies bewegte vorsichtig den Kopf.»Ja, Sir, das haben wir.nun... nun, den Ramscar haben wir, und das war von Anfang an das Ziel meiner Planung, wie Sie sich sicher erinnern, Davies. Darauf können wir stolz sein. Andererseits, einem ausländischen Diplomaten mit einer Kohlenschaufel auf den Kopf zu schlagen, war ja wohl eine sehr ungeeignete Maßnahme.Es tut mir leid.«davies hob die Schultern. Schon die kleinste Bewegung schmerzte.»ich wußte nicht, wer das war. Ich dachte, er gehöre zu der Bande. Niemand hat mir etwas gesagt.wir konnten doch nicht Hinz und Kunz informieren, Davies.«Yardbird gähnte.»es wäre ja sofort überall herumgetratscht worden. Wir wußten, daß Ramscar sich nur deshalb ruhig verhielt, weil er ein dickes Ding drehen wollte, dicker als alles andere bisher. Wir wußten, er hatte sich auf etwas eingelassen, das wir Auslandsinteressen nennen, verstehen Sie?Jawohl. Verstehe.Sie hatten sich jedenfalls entschlossen, ein hohes Tier aus Amerika auf dem Weg zum Flughafen zu kidnappen. Das heißt, die Bande hat ihn natürlich tatsächlich entführt, und wir haben sie glücklicherweise festgenommen.ja, in der Tat, das haben wir«, sagte Davies.»Wie ich schon sagte, ein Pluspunkt für unsre Abteilung.Ja, Sir, das sagten Sie.Ich habe Sie nur dazu bringen müssen, sich richtig auf den Job zu konzentrieren, das hat dann Wunder gewirkt, nicht wahr, Davies? Den Ramscar haben wir.«jetzt erst kam Yardbird hinter seinem Schreibtisch hervor. Er trat gegen eins der Räder des Rollstuhls, wie um sicherzustellen, daß er in Ordnung war.»na gut, wie gesagt, all das ist für Sie eine wertvolle Erfahrung.Sehr wertvoll«, stimmte Davies zu.»wie lange wird es dauern?«er taxierte Davies' Blessuren mit einem vagen Blick.»14 Tage vielleicht?zwei Monate, sagen die Ärzte. Und dann noch eine Übergangszeit, bis ich meine Beine wieder richtig gebrauchen kann. Vielleicht gehe ich nach Stoke-on-Trent.«229

232 »Wie schön für Sie«, murmelte Yardbird abwesend.»in der Zwischenzeit sollten Sie sich Gedanken darüber machen, wer die Messingbettstelle aus Ihrer Unterkunft gestohlen hat. Und den antiken Kleiderständer. Ihre Wirtin, diese... wie heißt sie gleich, Mrs. Brownjohn?Mrs. Fulljames.Ja, richtig. Eine blöde, alte Kuh. Hat mich beim Dinner der Handelskammer abgefangen und verlangt, daß endlich etwas geschieht. Es sieht tatsächlich nicht allzu gut aus, wenn einer unserer Männer direkt am Tatort wohnt und trotzdem die Aufklärung auf sich warten läßt. Haben Sie sich mit dem Fall denn wenigstens beschäftigt?mit nichts anderem, könnte man sagen.«der Sarkasmus war verschwendet - Yardbird hörte gar nicht zu.»und noch etwas, da Sie gerade hier sind. Dieser idiotische Hund, der Ihnen gehört. Hat bei der Razzia auf der Bracken Farm drei Polizisten gebissen.«davies nickte.»ich weiß. Er hat etwas gegen die Polizei. Er hat mich auch mehrmals gebissen.sie müssen ihn wirklich besser beaufsichtigen. Oder Sie lassen ihn einschläfern. Ist vielleicht ohnehin das beste. Bringt Sie sonst noch in Schwierigkeiten.«Davies sagte:»ich sorge dafür, daß er sich anständig benimmt. Ich werde mich auch mit dem Bettgestell beschäftigen. Kann ich jetzt gehen, Sir? Meine Arme streiken allmählich.ja, ja, gehen Sie nur, ich habe höllisch viel zu tun. Und... Davies...Ja, Sir?Reißen Sie nicht dauernd alte Wunden auf!«während Davies sich im Korridor abmühte, hörte er, wie Yardbird über den Scherz, den er gemacht hatte, herzlich lachte. Pater Harvey schob Davies' Rollstuhl am Kanal entlang. Davies war froh, daß sie endlich allein waren. Der Weg durch die High Street hatte einem Triumphzug geglichen. Viele Menschen, die Davies nicht kannte, die aber alles über ihn zu wissen schienen, drängten sich heran, um sich nach seinen Verletzungen zu erkundigen und ihm die Hand zu schütteln. Mr. Chrust erschien vor dem Zeitungsbüro und zeigte ihm die neueste Nummer des CITI ZEN mit seinem Porträt im Rollstuhl auf dem Titelblatt, und aus 230

233 den Fenstern im ersten Stock winkten die Schwägerinnen ihm vertraulich zu. Madame Tarantella Phelps-Smith stand in ihrer Haustür, posaunte ihre Glückwünsche heraus und ließ ermutigende Prophezeiungen hören:»sie sind bald wieder gesund! Ihre Glücksfarbe ist blau!«sogar seine Frau Doris, die gerade mit Mrs. Fulljames Einkäufe erledigte, war aus dem Bäckerladen herausgekommen und hatte ihm einen Krapfen mit Marmeladenfüllung geschenkt.»wie der Einzug der Königin von Saba«, hatte Pater Harvey gesagt. An der Kanalbrücke gesellte Josie sich zu ihnen und half mit, den Rollstuhl den abfallenden Weg zum Ufer hinab zu lenken. Im Gehen futterte sie ihre Lunchtüte leer.»mein Geheimdienst hat mir zugetragen, daß Sie eine dienstliche Auszeichnung erhalten sollen«, bemerkte der Pfarrer beiläufig.»dann sind Ihre Wunden nicht ganz umsonst gewesen.ach was, Yardbird würde niemanden für einen Genesungsurlaub, geschweige denn eine Auszeichnung vorschlagen«, erwiderte Davies. Es war für diese Jahreszeit in dieser Stadt ein Schönwettertag. Enten suchten sich auf dem Wasserspiegel die sonnigen Stellen. Josie leerte die Krümel aus ihrer Tüte in den Kanal. Die Enten schnatterten, als wäre es schon Frühling.»Der Vorschlag kommt von jemand Höherem als Yardbird«, sagte Pater Harvey.»So kam es mir jedenfalls zu Ohren. Wissen Sie, Dangerous, der Beichtstuhl dient nicht nur dem Bekenntnis der Sünden. Man erhält auch dies und das an nützlichen Informationen.Wie steht's überhaupt mit dem Beichtstuhl?«fragte Davies über seine Schulter.»Der neue ist prächtig, ich habe noch nie so gute Beichten abgenommen. Der, den ich selbst gebaut hatte, war leider noch schwächer als meine Schäfchen. Mrs. Bryant, die immer ein wenig überschwenglich wird, wenn sie ihre Seele erleichtert, hatte ihren Ellbogen durch die Sperrholzwand gerammt. Da habe ich dann den Bischof angerufen und ihm die Hölle heiß gemacht, und sie haben mir einen provisorischen Ersatz aus Plastikmaterial geschickt - zur Überbrückung, bis der richtige kommt. Dort, in dieser Plastikschale, hab' ich was raunen hören von Ihrer bevorstehenden Belobigung.Belobigung«, grinste Davies.»Ich bin doch der Trottel, der alles verkehrt angefangen hat. Wenn Josie nicht die Polizei ange- 231

234 rufen und Bescheid gesagt hätte, daß ich auf dem Weg zur Brakken Farm war, dann wäre ich heute noch dort - begraben im Kuhstall.«Er wurde still, als sie sich zu dritt - der Priester, der Polizist und das junge Mädchen - der Fußgängerbrücke näherten; dort drüben, nur fünf Schritte entfernt hinter der Hecke, lag Celia unter der Falltür begraben. Er sah sich nach Josie um. Sie löffelte gerade einen Fruchtjoghurt aus einem Plastikbecher.»Ich dachte ja, du wärst so schlau, nicht ohne die anderen Bullen loszuziehen«, sagte sie. Ein Erdbeerstückchen hing an ihrem Kinn, und wieder mußte er an Celia denken. Sie wischte es weg.»ich dachte, soviel Grips hättest du, Dangerous. Aber als ich dann schon im Haus war, fiel mir ein, daß es mit deinem Grips wohl doch nicht so weit her ist, und dann habe ich ganz schnell die Nummer 999 angerufen.«trotz des Gespräches kreisten Davies' Gedanken um den Ort, an dem sie sich befanden, und die Traurigkeit, die von ihm ausging, und auch die anderen konnten sich seiner Stimmung nicht entziehen. Bei der Brücke kehrten sie um und gingen schweigend denselben Weg zurück. Die Enten sahen sie kommen und schwammen hungrig herbei. Eine Wasserratte machte einen Kopfsprung in die trübe Flut.»Dangerous«, sagte Josie plötzlich,»wie alt ist Doris?Doris? Gott alleine weiß das. 30 oder so.und Mod?In den Vierzigern, glaube ich.glaubst du. Weißt du von irgendeiner Person in deiner Pension das genaue Alter?Nein... nein, das glaube ich nicht.pater Harvey.«Sie ließ nicht davon ab.»was denken Sie, wie alt ich bin?ah, ein neues Gesellschaftsspiel. Ja ja, lassen Sie mich schätzen. Sie sind ja noch jung oder vielleicht 20.Komisch«, sagte sie nachdenklich,»als mein Vater letzte Woche starb, wußte ich nicht, wie alt er war. Und bei meiner Mutter bin ich mir auch nicht sicher. Ich bin übrigens 17.«Davies starrte sie an.»worauf willst du hinaus, Josie?«Sie mußte lachen.»heiliges Kanonenrohr, Dangerous, du siehst in dem Rollstuhl aus wie Chief Ironside. Der vom Fernsehen.«232

235 Er fragte nicht weiter nach. Der Pfarrer schob den Rollstuhl bis zur Straße hoch und verabschiedete sich. Josie sollte ihn für den Nachmittag zur Stadtbücherei bringen, und Mod wollte ihn am Abend erst zum WICKELKIND und dann zum BALI HI in Furtman Gardens schieben. Die Sonne schien, es war kaum zu glauben, immer noch. Über den Kühltürmen des Kraftwerks schwebten Cherubim aus weißem Dampf.»Was sollte das, die Fragerei nach dem Alter?«fragte er. Josie winkte einer Freundin zu. Dann begann sie zu reden, während sie den Stuhl schob.»weil du etwas Seltsames gesagt hast, Dangerous. Am Abend vor der Sache mit der Bracken Farm, als du mir alles über Celia erzählt hast. Oder jedenfalls meintest du, du hättest mir alles erzählt. Erinnerst du dich, daß wir deine Notizen durchgesehen haben?ja, natürlich. Was soll ich gesagt haben?etwas über die alte Mrs. Whethers. Du hattest wörtlich aufgeschrieben, was sie berichtet hatte, stimmt das?richtig.der alte Herr, Mr. Harkness. Wie alt, sagte sie, war er, als das mit Celia passierte?76«, antwortete er,»und das war vor 25 Jahren.Aber sie behauptet, sie habe ihn kaum gekannt. Sie hätte nur gehört, daß er in der fraglichen Nacht etwas gesehen habe und daß er krank gewesen sei. Aber zu wissen, daß jemand vor 25 Jahren 76 war, ist sehr ungewöhnlich. Nicht 75 oder sonst was. Genau 76.«Sie war mit dem Rollstuhl mitten in der belebten Straße stehengeblieben, und Davies drehte sich unter Schmerzen halb nach ihr um. Sie ging um den Stuhl herum nach vorn und kniete sich hin, indem sie so tat, als müsse sie die Decke über seinen Beinen zurechtrücken.»was hat sie - ganz genau - gesagt, diese Mrs. Whethers? Hast du deine Zettel bei dir?«davies steckte die Hand in die Innentasche seines Mantels.»Meine Lieblingslektüre«, sagte er. Er begann, die vollgekritzelten Schulbogen durchzublättern.»hier, hier ist es. Mrs. Whethers. Ah ja. Sie fragte mich, wie lange die Sache mit Celia zurückliege, und ich sagte, 25 Jahre und sie sagte daß Mr. Harkness 76 war. Sie wußte sein genaues Alter, aber nicht, vor wie vielen Jahren der Mord passiert ist. Komisch, nicht?«233

236 »Sie hat es ausgerechnet, indem sie 25 Jahre abzog, ohne auch nur einen Augenblick nachzudenken. 76.Eben. Was ich meine«, sagte Josie und setzte den Rollstuhl wieder in Bewegung,»ist, daß ich es seltsam finde, daß sie sein Alter wußte, obwohl sie ihn nicht gut kannte. Wir haben es vorhin an dir und Pater Harvey ausprobiert. Normalerweise weiß man das Alter von anderen Menschen nicht. Manchmal nicht einmal von der eigenen Familie oder von Freunden.Daraus folgt«, sagte er,»es muß etwas Besonderes an Mr. Harkness dran sein, warum sie sich wegen seines Alters so sicher ist.«sie nickte.»der Groschen ist gefallen. Ich glaube, Dangerous, er ist noch am Leben. Dann ist er 101 Jahre alt.«

237 Kapitel 19 od schob den Krankenstuhl den ganzen Weg von der Bü bis zum Altenklub am Kensal Green. Es war die Mcherei schwerste Arbeit, die man ihm in 20 Jahren zugemutet hatte. Die Seniorinnen und Senioren übten gerade unter der Anleitung der fülligen und feurigen Tanzlehrerin einen Paso doble, bei dem sie mit den altersschwachen Füßen aufstampften und die arthritischen Hände über dem Kopf zusammenklatschten. Mod war erstaunt über das Treiben.»Ich habe mich schon hin und wieder gefragt, warum diese Leute nicht in die Bücherei kommen«, sagte er. Beim Anblick des Rollstuhls blieben alle mitleidsvoll stehen.»meine Güte«, sagte die Tanzlehrerin,»was haben Sie denn gemacht?geübt«, sagte Davies.»Ich wußte, daß Sie sich irgendwann dabei wehtun würden«, sagte sie fachmännisch.»viel zu steif. Kein Gefühl für Rhythmus.«Sie wandte sich ihren Schülern zu:»gut, meine lieben alten Menschen. Genug für heute. Wir wollen noch einmal kräftig applaudieren und dann Schluß machen.«sie klopften die Hände zusammen, und diejenigen, die durch die kurze Pause nicht schon wieder eingerostet waren, stampften symbolisch ein paarmal mit den Füßen auf, dann verteilten sie sich zum Teetrinken in der Halle. Mrs. Whethers schnalzte mitleidig mit der Zunge und spendierte für Davies eine Tasse Tee; Mod mußte seine selbst bezahlen. Dann rückten sie die Stühle zu einem Dreieck zusammen.»mrs. Whethers«, sagte Davies,»es tut mir leid, daß ich Sie noch einmal belästige, aber ich wollte Sie noch eine Sache fragen.schießen Sie los«, sagte sie munter.»ich hab' es nicht getan.selbstverständlich nicht. Aber, Mrs. Whethers, könnte es sein, daß Mr. Harkness noch am Leben ist?«235

238 Sie sah ihn erstaunt an.»natürlich ist er am Leben«, rief sie.»ich bin davon ausgegangen, daß Sie das wußten. Er ist im Sommer 101 geworden; es stand sogar etwas darüber im CITIZEN ZU lesen. Er wohnt in Bristol, bei seiner Tochter wohl, jedenfalls hat sie es der Zeitung mitgeteilt.also war er vor 25 Jahren 76«, nickte Davies.»Daher wußten Sie das - weil er jetzt 101 ist.«sie lächelte überlegen.»in Kopfrechnen war ich immer gut«, sagte sie.»und ich habe immer gedacht, Sie sprechen von einem Verstorbenen. Ich muß sofort zu ihm fahren.dann bringen Sie mal Ihr komisches Fahrzeug in Schwung«, lachte sie.»bei einem Menschen über 100 weiß man nie, ob er am nächsten Tag noch da ist. Wollen Sie erst noch ein Los kaufen für die Tombola?«Die Kirche St. Fridewide hatte einen Kleinbus für gelegentliche Gemeindeausflüge; damit und mit Pater Harvey am Steuer reiste Davies nach Bristol zu Mr. Harkness. Zum Glück wohnte der Hochbetagte in einer Erdgeschoßwohnung. Mod, der noch nie in Bristol gewesen war, aber trotzdem während der Fahrt einen gelehrten Vortrag über die Stadt zum besten gegeben hatte, half den Rollstuhl wacker schieben und ihn durch den kleinen Flur in das Wohnzimmer des alten Herrn zu schaffen.»er ist noch beim Anziehen«, sagte die ältliche Tochter.»Es dauert ein wenig, bei seinem Alter, verstehen Sie, aber er will sich nicht von mir helfen lassen. Er sagt, ich bin selbst nicht mehr die Jüngste.«Sie hatte eine rundliche Figur und war grau gekleidet. Es war eine hübsche Wohnung. Das große Fenster bot eine weite Aussicht auf das Wellengekräusel des Hafenbeckens von Bristol und das umliegende flache Land. Man sah Bruneis berühmtes altes Dampfschiff, die GREAT BRITAIN, an ihrem Liegeplatz.»Das Schiff dort hat wie mein Vater mehr als ein Jahrhundert auf dem Buckel«, sagte sie.»die beiden leisten einander Gesellschaft.«Sie fragte, ob sie ihnen einen Kaffee machen solle. Pater Harvey hatte den Wagen geparkt und war weggegangen, um einen Zechbruder aus alten Tagen, einen emeritierten Priester, zu besuchen.»mr. Harkness wird sich freuen, Sie zu sehen. Er war sehr aufgeregt, als ich ihm von Ihrem Anruf berichtete. Er unterhält sich 236

239 liebend gern über alte Zeiten. Ich habe ihm gesagt, daß Sie von der Polizei sind, das gefiel ihm noch besser. Das ist heute ein großer Tag für ihn. Wahrscheinlich zieht er seine rote Samtjacke an.«sie ging zur Tür und lauschte.»die trägt er normalerweise nur an seinem Geburtstag, obwohl ich meine, mit 101 braucht er sie nicht mehr zu schonen.«sie hörten, daß sich draußen im Flur etwas tat.»ich glaube, da kommt er«, sagte die Frau. Sie hob warnend den Zeigefinger.»Eins muß ich Ihnen noch sagen, Mr. Harkness ist schwerhörig.«der Hundertjährige kam hereingeschlurft, klein wie ein Zwerg, mit einem freundlichen, spitzen Gesicht, hellen porzellanblauen Augen und rosigen Bäckchen. Ein kleiner Tautropfen hing wie zur Dekoration an seiner Nasenspitze. Er wischte ihn mit dem roten Samtärmel weg.»hallo, hallo«, begrüßte er sie.»ich bin Charlie Harkness. Ich bin 101 Jahre alt.«seine Gegenwart allein machte einen schon froh. Davies und Mod lächelten, und die Tochter wirkte ebenfalls zufrieden.»setzt euch, setzt euch«, rief der alte Mann heiter.»ich bin ein bißchen kurz geraten. Für mich werden sie mal nicht viel Erde wegschaufeln müssen.«er kicherte amüsiert. Sie setzten sich grinsend hin. Er bat die Tochter um seine Morgenmilch mit einem kleinen Schuß.»Ich bin angeblich taub«, erklärte er, als die Gastgeberin verschwunden war.»aber ich höre nicht so schlecht, wie sie denkt. Ich tue nur so, sonst brabbelt sie den ganzen Tag, und ich habe keine Lust zuzuhören. Ihr wißt ja, wie Frauen sind, wenn sie in die Jahre kommen. Aber wenn Ihr deutlich genug in mein linkes Ohr sprecht, kann ich ganz gut verstehen, und meine Schrauben und Muttern hab' ich noch alle beieinander. Ich werde schon begreifen, worüber ihr sprecht.«davies konnte ihn sich gut im Zeugenstand vorstellen. Mod schaute sich gerade eines aus der Serie von Erinnerungsfotos aus der Militärzeit an der Wand an.»sie haben im Zululand gekämpft, Mr. Harkness?«fragte er.»zululand? Oh ja, da war ich im Krieg. Nicht daß es viel genützt hätte. Die sind doch jetzt alle hier in Bristol. Letzten Sommer bin ich mal spazieren gewesen, da war die ganze Gegend voll von Schwarzen. Wissen Sie, ich habe zu mir selbst gesagt, letztes Mal, als ich so einen Krauskopf vor mir hatte, steckte er auf der Spitze meiner Lanze.«237

240 Die Tochter brachte ein Tablett mit Kaffeetassen und einem Becher Milch. Mr. Harkness roch daran, um sicherzugehen, daß sie den Scotch nicht weggelassen hatte.»ich habe gehört, was du eben über die Schwarzen gesagt hast«, tadelte sie.»dafür kannst du heutzutage ins Gefängnis kommen, wenn du solche Sachen sagst. Wo doch Mr. Davies von der Polizei ist!teufel auch«, sagte der Alte.»Das Gefängnis will ich sehen, aus dem ich nicht rauskäme.«er sah Davies an.»ach ja, Sie sind von der Truppe. Hatt' ich vergessen. Was suchen Sie denn hier, junger Mann?«Davies war erleichtert, daß er nicht nach einem Einstieg suchen mußte.»etwas, das vor ein paar Jahren geschehen ist.«er sprach dicht an dem linken Ohr.»Und ich wüßte gern, ob Sie sich da an etwas erinnern. Damals in London. Besinnen Sie sich an ein Mädchen namens Celia Norris?«Der Name sagte ihm nichts, das war deutlich zu sehen.»oh, ich habe zu meiner Zeit ganz schön viele Mädels gekannt...«, begann der alte Herr erinnerungsselig.»celia Norris ist damals verschwunden«, fuhr Davies fort,»beziehungsweise: Wahrscheinlich wurde sie ermordet.«er bemerkte, daß die Tochter erschrak und sich schützend neben Mr. Harkness stellte, doch dieser schob sie aufgeregt von sich.»oh, das, das habe ich noch genau im Kopf. An dem Abend bin ich nämlich in den Kanal gefallen.woran können Sie sich erinnern?«drängte Davies erleichtert.»erzählen Sie uns alles, was Sie noch wissen.oh, wie gut, daß ich noch weiß...«, trällerte Mr. Harkness.»Ich habe damals einen guten Tropfen nicht verschmäht. Na, ich war ja auch ein Jüngling, gerade mal in den Siebzigern. Aber dieser Abend machte dem Saufen ein Ende, jedenfalls dem richtigen Saufen. Weil ich nämlich in den verfluchten Kanal gefallen und in den nassen Sachen nach Hause gelaufen bin, und davon bekam ich Bronchitis und Lungenentzündung und weiß der Kuckuck was sonst noch. Ich sage euch, alle dachten, ich würde den Löffel abgeben.da hab' ich mich um ihn gekümmert«, unterbrach die Tochter.»Hab' ihn gesund gepflegt und ihm die Flasche abgewöhnt. Mein Mann war gerade verstorben, und ich hatte niemanden mehr als Mr. Harkness. Ich habe gut für ihn gesorgt, so gut, daß er über 100 geworden ist.«238

241 »Zum Teufel, gib nicht so an, Dulcie«, sagte Mr. Harkness verstimmt.»sie möchten mit mir sprechen, nicht mit dir. Trag lieber die Tassen raus.nein«, sagte sie fest.»ich möchte mitanhören, worum es geht. Es klingt mir alles ein bißchen anrüchig.«davies nickte ihr zu. Sie setzte sich hin und faltete die Hände in ihrem breiten Schoß. Mr. Harkness ignorierte sie.»ja, ich erinnere mich«, sagte er.»mr. Harkness«, fragte Davies und ging dabei so nahe wie möglich an das zarte Greisenohr heran,»was genau haben Sie an dem Abend gesehen? Ein Mädchen?Ich war im Labour Club.«Er wollte es auf seine eigene Weise erzählen. Er schloß die Augen, um sich zu besinnen.»es waren immer schöne Stunden dort im Labour Club. Man konnte sich damals noch für ein, zwei Schillinge einen andudeln. Leicht.«Dulcie zog hörbar die Luft ein, aber Davies' Hand bedeutete ihr, jetzt nicht zu unterbrechen; der Atemzug verhauchte zu einem Seufzer.»Und an dem Abend war ich voll wie eine Haubitze. Es war heißer Sommer, und ich kann euch sagen, ich hatte ganz schön getankt. Deshalb bin ich in den Kanal gefallen. Total beduselt. Sternhagelvoll. Ich ging immer am Kanalufer entlang nach Hause, das war eine Abkürzung, und ich hab' mich vorgebeugt, das weiß ich noch, um mich im Wasser zu sehen - auf der Brücke, da, wo die Lampe ist. Oder wo sie war, ich weiß nicht, ob sie noch da ist.«er hielt inne, als bekäme er keine Luft mehr. Davies drehte sich zu der Tochter um.»wird es zuviel? Ich möchte ihn nicht überanstrengen«, flüsterte er.»hören Sie mir nicht zu?«fragte der Alte.»Jetzt kommt das Interessante an der Geschichte.Ich bin ganz Ohr«, nickte Davies.»Also, dann hören Sie gut zu. Das nächste Mal, wenn Sie kommen, bin ich vielleicht schon tot und begraben und kann Ihnen kein Sterbenswörtchen mehr erzählen, hab' ich recht?bitte reden Sie doch weiter.wo war ich denn? Im Wasser? Nein, ich guckte hinein. Aber eine Minute später lag ich schon drin. Einfach reingefallen. Das ernüchterte mich ein bißchen. Die Kälte spüre ich heute noch! Und stinken tut er, der Kanal! Da wirft doch jeder seine Scheiße rein. Tote Katzen und so'n Zeug.«239

242 Davies signalisierte Zustimmung.»Und als ich da im Wasser rumhing und mich am Ufer festhielt, da hab' ich sie gesehen.sie? Wen?Den Polizisten und das Mädchen«, erläuterte Mr. Harkness geduldig.»beim Ufer. Ich war ganz im Dunkeln, hielt mich am Ufer fest, und die gingen auf dem Fußweg. Zuerst dachte ich, was für ein Glück, die Polizei. Ich meine, meistens ist die ja nicht da, wenn man sie gerade braucht. Aber da stand er, und ich lag im Wasser. Ich wollte gerade um Hilfe schreien, da sah ich, daß er das Mädchen küßte. Ich dachte: >Oho, hier spielt sich ja was ab.< Ich blieb also, wo ich war, mit dem Kopf über Wasser, und sie waren da am Ufer. Zuerst dachte ich, sie schmusen, aber ich war mir nicht sicher. Denn er zog sie sozusagen irgendwie hinter sich her zur Gasse, die zum Leihhaus führt.dahin, wo das alte Holzhaus der Heimwehr stand?ja, dahin. Genau dahin. Ich habe vergessen, daß es dort stand. Ich glaube zwar, es war schon nicht mehr da, aber früher hatte es an der Stelle gestanden.und Sie sind sicher, daß Sie das trotz Ihres Zustandes alles gesehen haben?sicher? Natürlich bin ich sicher. Sonst würde ich es Ihnen doch nicht erzählen! Und als das große Trara um das Mädel losging, habe ich eigentlich erwartet, daß die Polizei zu mir käme. Ich hatte Dulcie ja erzählt, was ich gesehen hatte.und ich dachte, er phantasierte im Fieber. Er war ja so krank damals, Lungenentzündung. Er stand mit einem Fuß im Grabe. Es hat ein ganzes Jahr gedauert, bis er wieder richtig gesund war. Da sind wir dann hierher gezogen. Das war auch gut so, die Luft von Bristol hat ihn am Leben erhalten.wie dunkel war es?«fragte Davies. Mod saß da und hatte die Bilder aus dem Zulukrieg im Auge. Plötzlich stand er auf und betrachtete eines aus der Nähe, als wolle er nicht bei etwas lauschen, was ihn nichts anging.»nicht sehr dunkel«, überlegte Mr. Harkness.»Außer unter Wasser, da war es schwarz und stinkig. Es war wie gesagt Sommer und der Himmel ziemlich hell. Und dann war da ja auch noch das Licht von der Brückenlaterne.Sie sind sich also absolut sicher, daß es ein Polizist war mit einem Mädchen. Nicht ein gewöhnliches Liebespaar?«240

243 Mr. Harkness lachte herzlich.»oh nein, das war ein Bulle. Ich habe so oft wegen Trunkenheit und Erregung öffentlichen Ärgernisses vor Gericht gestanden, daß ich einen Bullen drei Meilen gegen den Wind riechen kann. Außerdem habe ich ja gesehen, wer es war.«er machte eine effektvolle Pause. Davies - innerlich gespannt wie ein Flitzebogen - starrte ihn atemlos an. Auch Mod widmete ihnen jetzt seine ganze Aufmerksamkeit. Bei meinem Glück, dachte Davies plötzlich mit Schrecken, fällt Mr. Harkness jetzt gleich tot um.»na denn«, sagte Mr. Harkness,»soll ich verraten, wer es war?hm... ja, bitte sehr«, nickte Davies mit erzwungener Ruhe,»das wäre sehr hilfreich.also, ich kannte ihn, weil er mich so oft eingebuchtet hatte«, sagte der Alte.»Von den jungen Bullen waren einige ganz nett, aber dieser war ein Mistkerl. Yardbird hieß er, Police Constable Yardbird.«Auf dem ganzen Heimweg in dem Kirchenauto mußte Mod den Rollstuhl festhalten, damit er nicht durch die Gegend schleuderte, wenn Pater Harvey bremste, beschleunigte oder um die Ecken kurvte, was er alles mit mehr Temperament als Vorsicht tat. Auf der Hinreise nach Bristol war Davies schon bei einem plötzlichen Ampelstop von einem Ende des Fahrzeugs zum anderen geflogen. Deshalb hielt Mod den Rollstuhl jetzt fest umklammert.»yardbird«, wiederholte Davies immer wieder.»yardbird. Mein Gott, was machen wir jetzt? Er hätte genausogut behaupten können, es sei der Premierminister gewesen oder der Erzbischof von Canterbury.Der Weg der Pflicht ist klar«, sagte Mod sinnend.»du mußt zu ihm gehen und ihn des Mordes bezichtigen.«davies zog eine Grimasse.»Abgesehen von der Tatsache, daß ich im Moment nicht mal stehen, geschweige denn gehen kann, bezweifle ich, daß ich die nötigen Worte über die Lippen bringen würde. Nicht ihm gegenüber.«er versuchte es, und seine Stimme zitterte:»inspector Yardbird, ich verdächtige Sie des Mordes an Celia Norris, begangen am Abend des 23. Juli 1951 auf dem Kanaluferweg in London N.W «Er schüttelte mutlos den Kopf.»Er würde mich hinter Gitter bringen, noch ehe ich 241

244 ausgeredet hätte.«mod schaukelte den Krankenstuhl sanft hin und her wie eine Kinderschwester ein unruhiges Baby.»Mr. Harkness wäre ein ausgezeichneter Zeuge«, sagte er mehr zum Trost als aus Überzeugung.»Ja, wenn er so lange lebt«, stöhnte Davies.»Wenn er den Richter hören kann, wenn sie einen Sauerstoffapparat bei der Hand haben, wenn, wenn... Mensch, Mod, er ist über 100, und das bedeutet auch, die Chance ist eins zu hundert. Ein paar clevere Einsprüche der Verteidigung, darauf die Vertagung, eine offene Tür und ein kalter Luftzug im Gerichtssaal, und unser Zeuge ist kein Zeuge mehr, weil er gestorben ist.«mod nickte voll Mitgefühl. Er stand auf und öffnete das Fensterchen zur Fahrerkabine. Pater Harvey sang eine gregorianische Hymne, was gar nicht so leicht ist, wenn man mit hohem Tempo über die Autobahn rast. Mod machte die Klappe ohne ein Wort wieder zu.»ich habe eine Leiche, ich habe andere Beweismittel wie zum Beispiel das Fahrrad, einen Augenzeugen und den mutmaßlichen Täter, und trotzdem weiß ich zum Teufel nicht mal, warum ich eigentlich Kriminalpolizist geworden bin«, grübelte Davies.»Das habe ich mich auch schon oft gefragt«, sagte Mod erbarmungslos.»soll ich einen Vorschlag machen?du willst, daß ich die ganze Sache vergesse?nein, mein Junge, auf keinen Fall. Nicht jetzt, wo du es fast geschafft hast. Aber denk doch mal nach, gibt es nicht irgend jemanden, mit dem du gesprochen hast oder hättest sprechen sollen, der dir die letzten Mosaiksteinchen liefern könnte, die noch fehlen?«davies verharrte in seiner Melancholie. Den Rest der Fahrt herrschte Schweigen, bis auf Pater Harveys Lobgesang, der ebenso wie die eingestreuten Flüche an die Adresse anderer Autofahrer gedämpft zu ihnen durchdrang. Mod zog ein antiquarisches Exemplar von Clarendons HISTORY OF THE REBELLION. DRITTER BAND aus der Tasche und begann zu lesen. Davies grübelte vor sich hin, doch er kam zu keinem Ergebnis. Im BALI HI in Furtman Gardens angekommen, rollte Mod Davies in das Vorderzimmer im Erdgeschoß, das Mrs. Fulljames ihm widerwillig, mitleidig und ohne einen allzu hohen Mietzuschlag zur Verfügung gestellt hatte, bis er wieder die Treppen steigen konnte. Auf dem Kaminsims lag ein Brief. Er war von Frederick 242

245 Fennell in der Heilanstalt St. Austin's, Bedford. Er lautete kurz: Besuchen Sie mich. Habe eine wichtige Information. Unter der Unterschrift war die Zeichnung eines Mädchenfahrrads. Zum Glück war es nicht die Jahreszeit der Kirchenausflüge, so daß Pater Harvey schon am nächsten Tag mit dem Kleinbus vorbeikommen und Davies zu Fred Fennell transportieren konnte.»falls all dies jemals zu einer offiziellen Polizeiaktion führt«, sagte er zu dem Pfarrer,»sorge ich dafür, daß Ihre Unkosten erstattet werden.«pater Harvey, der bisher für einen Priester relativ wenig Neugierde gezeigt hatte, nickte großmütig und half Mod, den Rollstuhl über die improvisierte Rampe in den Bus zu schieben.»ich würde mich über eins dieser blauen Blinklichter auf dem Dach freuen. Und über eine Polizeisirene. Ja, die würde mir gefallen.«als sie in Richtung Bedford fuhren, schaukelte Mod wieder einmal den Stuhl hin und her.»was versprichst du dir bloß hiervon«, seufzte er schwermütig.»noch einen Zeugen? Unser Fall wird immer besser, Dangerous. Ein Augenzeuge ist über 100 und kann jeden Moment abkratzen, und der andere glaubt, er ist Peter der Große.Kein sehr starkes Aufgebot«, gab Davies zu.»aber es muß doch noch was zu finden sein. Irgend etwas. Irgendwo.«Pater Harvey half beim Aussteigen und verschwand dann dankenswerterweise, um den Krankenhauspfarrer aufzusuchen, den er aus der Strafanstalt Wandsworth kannte - sie hatten dort einmal gemeinsam an einer theologischen Podiumsdiskussion teilgenommen. Mit dem Rollstuhl durch den Haupteingang zu kommen, war ganz unmöglich, weswegen Mod laut Davies' Anweisung den Weg durch das rückwärtige Gartentor nahm. Die einsame Gärtnerin stocherte noch immer mit der Gabel in dem, was sie für Unkraut hielt, herum. Davies hatte Mod darauf vorbereitet, daß sie den Weg zum Anstaltsdirektor mit einer Pistole im Rücken zurücklegen müßten. Er hob beide Hände, Mod hingegen nur eine, da die Frau einsah, daß er die andere benötigte, um den Rollstuhl zu schieben. Davies schenkte ihr ein entwaffnendes Lächeln, als sie sie beim Direktor ablieferte. Dieser führte sie zu Frederick Fennell, der diesmal ruhig in demselben Sprechzimmer saß, in dem Davies ihn beim ersten Mal angetroffen hatte. 243

246 »Großer Gott, wie sehen Sie denn aus«, rief Fennell, als er Davies erblickte.»ich habe gehört, daß Sie eine Auseinandersetzung hatten.hübsch ausgedrückt«, sagte Davies anerkennend:»das ist Mod Lewis, mein derzeitiger Assistent. Von wem haben Sie etwas über mich gehört?tarantella, Madame Phelps-Smith, hat mich besucht«, sagte Fennell. Er wirkte ruhig und vernünftig. Sein Gesicht sah nicht mehr so gehetzt aus. Er lächelte, als er den Damenbesuch erwähnte.»sie hat mir gesagt, daß sie Ihnen das Fahrrad gezeigt hat. Da dachte ich, ich sollte Ihnen auch den Rest erzählen.«davies konnte kaum still sitzen.»ja, Fred«, sagte er langsam,»das wäre sehr nützlich.meine Frau ist auch hiergewesen«, fuhr Fennell fort.»sie ist nur gekommen, weil Sie bei ihr waren und sie dazu aufgefordert haben. Ich bin Ihnen sehr dankbar. Das ist der Grund, warum ich Ihnen etwas verraten will.«er lächelte geheimnisvoll.»das ist schon komisch, die ganze Zeit habe ich hier in dieser Klapsmühle gesteckt, und keiner hat sich um mich gekümmert, und plötzlich kommen sie alle beide.«er seufzte.»ich mußte der Tarantella natürlich sagen, daß es zwischen uns beiden aus ist. Ich werde sicher schon bald hier rauskommen und mit meiner lieben Frau anderswo ein neues Leben anfangen. Sie hat mir ein paar schöne Bratensandwiches mitgebracht, als sie herkam.das bedeutet, Sie sind wieder in Gnaden aufgenommen«, sagte Davies, ohne eine Miene zu verziehen.»was wollten Sie uns noch erzählen?als Sie das vorige Mal kamen, war ich mir nicht so sicher, worauf Sie es abgesehen hatten. Sie hatten sich auch nicht so direkt geäußert. Tarantella hat mir alles erklärt. Jedenfalls, ich besitze etwas, das Ihnen vielleicht weiterhilft. Übrigens, wie gefällt Ihnen Edwinas kleiner Landsitz?«Davies erinnerte sich an den Wohnwagen im Schlamm.»Oh ja«, murmelte er,»sehr ländlich.ich will ihn nämlich verkaufen. Ich will von hier weg, runter nach Cornwall, einen neuen Anfang machen.«er fing Davies' Blick auf.»ach, Entschuldigung, schon wieder. So bin ich nun mal im Augenblick. Es ist ja so vieles passiert. Ich fühle mich wie neugeboren.«244

247 »Sie sehen wirklich viel besser aus«, sagte Davies wahrheitsgemäß.»und das verdanke ich Ihnen. Es war, wie wenn die Sonne aufgeht... Also, hören Sie zu. Ich habe etwas für Sie. Edwina hat es hergebracht. Ich habe ihr beschrieben, wo sie es bei meinen alten Polizeiunterlagen finden würde. Hier, Mr. Davies - für Sie.«Er hielt ihm einen eingeschriebenen Brief hin. Davies nahm ihn fragend in die Hand, Mod sah ihm über die Schulter zu.»eingeschrieben«, sagte Fennell,»hier steht es: London N.W. 10, 20. August Er ist ungeöffnet.was ist darin?«fragte Davies.»Eine Aussage von P.C. Dudley«, sagte Fennell schlicht und ergreifend.»er war ein vorsichtiger Mensch, der Dudley, und wollte auf Nummer Sicher gehen. Er hat das hier aufgeschrieben, als der Fall Norris sich zum Mordfall entwickelte. Er hat alles aufgeschrieben und per Einschreiben an sich selbst geschickt. Dann hat er den Brief ungeöffnet aufbewahrt, als Beweis, daß der Inhalt vor dem Datum des Poststempels geschrieben worden war. Kapiert?Ja. Aber wir wissen nicht, was drinsteht, es sei denn, wir machen ihn auf, und dann ist er als Beweismittel wertlos.stimmt. Aber er hat eine Abschrift gemacht. Die habe ich auch. Sie war versiegelt, aber ich habe sie geöffnet. Beides kam aus Australien, nachdem Dudley im Feuer umgekommen war, von einem Anwalt in Melbourne. Er schrieb dazu, Dudley hätte die Briefe bei ihm deponiert mit dem Auftrag, sie im Falle seines Todes an mich zu schicken. Er hatte wohl ziemliche Sorgen, vielleicht plante er, Selbstmord zu begehen. Wie auch immer, der Brand hat ihm die Entscheidung abgenommen. Und ich bekam das alles mit der Post.«Fennell lächelte verlegen.»das war etwa zu der Zeit, als ich meinen Verstand verloren habe.«er sah plötzlich beschämt aus - so als ob er denken würde. Mod wüßte eventuell nicht, warum er sich an diesem Ort aufhielt.»der Briefumschlag geriet irgendwie unter meine anderen Papiere, und, um die Wahrheit zu sagen, ich habe das alles zeitweise vergessen. Ich hatte Mühe genug, zu behalten, wer ich war.«er lachte.»sie werden es nicht glauben, aber ich dachte doch tatsächlich, ich sei Peter der Große. Dabei ist der seit Jahren tot!«245

248 Davies sah ihn beunruhigt an, aber es war nur ein Scherz, über den Fennell selber grinste.»und hier ist der andere Brief.«Er streckte ihnen einen großen Umschlag mit einem Klecks von Siegellack hin. Davies nahm ihn entgegen. Er war erstaunt, daß er so ruhig war.»es geht um den Abend, an dem das Mädchen verschwunden ist«, sagte Fennell nachdenklich.»wir waren bei der Abschiedsfeier für Davie Morris gewesen und hatten mitgepichelt, obwohl wir noch Dienst hatten. Man konnte sich damals manche, sagen wir, inoffiziellen Dinge leisten. Jedenfalls waren wir, Dudley und ich, mit dem Wagen auf Streife. Ich verdrückte mich kurz zur Tarantella, und als ich von ihr zurückkam, ging ich zu Fuß die Straße zum Friedhof entlang, weil ich dachte, daß Dudley dort auf mich warten würde. Wir pflegten uns dort zu treffen. Der eine von uns parkte mit dem Wagen vor dem Tor zum Friedhof, und der andere ging ein Stündchen weg. An diesem Abend war das Auto nicht da, aber das Fahrrad lag an der Mauer. Nun hatte ich schon lange den Gedanken im Hinterkopf, daß es gut wäre, ein Beweisobjekt in der Hand zu haben; das wollte ich vorzeigen, falls sich jemand dafür interessierte, was ich in Tarantellas Wohnung zu suchen hatte. Zumal meine Frau schon Verdacht geschöpft hatte. Ich wollte notfalls sagen, Tarantella habe das Rad gefunden, und ich habe ihre Meldung aufnehmen wollen. Das Rad war ein recht solider Beweis, falls Sie wissen, was ich meine. Heute kommt mir das alles ziemlich kindisch vor... und so furchtbar weit weg.und was war nun mit Dudley los?«davies wollte nicht, daß er den Faden verlor.»keine Angst, das kommt schon noch. Wir waren ja damals noch jung und hatten alle möglichen Streiche im Kopf, und wir kamen immer damit durch. Also, das Fahrrad. Ich brachte es zu Tarantellas Haus, und dann zog ich los, um Dudley und den Wagen zu finden. Er stand in der Hauptstraße, an der Ecke, wo der Fußweg zum Kanal anfängt - vor dem Leihhaus. Dudley saß vorne drin, aber er fühlte sich immer noch furchtbar schlecht. Er hat nie sehr viel vertragen. Tatsächlich, wie Sie in seiner Erklärung lesen können, war er gerade erst dort angekommen. Es war ihm so übel, daß er sich in der Wohnung seiner Freundin hatte hinlegen müssen. Das hat er alles aufgeschrieben. Ich schickte ihn nach Hause und machte die restliche Streife allein. Beim Abmel- 246

249 den in der Wache habe ich einfach für ihn mit unterschrieben. Das war kein Problem, es ging kinderleicht.dudley saß also im Wagen, als Sie dort eintrafen?«fragte Davies seufzend. Ihn bedrückte der Gedanke an Mr. Harkness, der offenbar mit jedem Satz etwas Falsches berichtet hatte.»ja, er saß da. Ich weiß noch, wie schlecht er aussah. Der Dummkopf hatte Rum getrunken. Aber... aber noch etwas war geschehen. Etwas... es steht in dem Brief. Sie müssen es selbst lesen. Obwohl wir fast immer zusammen auf Streife fuhren und unsere kleinen Abmachungen hatten, waren wir doch keine besonders guten Freunde. Wir hatten kein Vertrauen zueinander.und doch hat er die Schriftstücke an Sie schicken lassen.weil ich an dem Abend mit ihm zusammen war, das war der Grund. Ich steckte genauso in der Sache wie er, um was es sich nun auch gehandelt haben mag. Lesen Sie nur. Los doch, lesen Sie.«Fennells innere Anspannung war nun stärker als seine mühsam aufrechterhaltene Gelassenheit. Er beugte sich vor, um zuzusehen, wie Davies den dünneren Umschlag öffnete. Davies las laut:»obendrüber steht: Dies ist eine wörtliche Abschrift meiner Erklärung vom 20. August 1951, die sich als versiegeltes Einschreiben in der Obhut von Maxley Davidson, Flinders Street, Melbourne, befindet. Die Erklärung lautet folgendermaßen: Am Abend des 23. Juli 1951 hatte ich Dienst zusammen mit P. C. Frederick Fennell; wir fuhren Streife in dem Bezirk um die High Street in London N.W. 10. In den unweit gelegenen STURGEON ROOMS gab es eine Abschiedsparty für einen Kollegen, Davie Morris, der in den Ruhestand ging. Während unserer Streifenfahrt mit dem Polizeiwagen machten P.C. Fennell und ich einen Abstecher zu dieser Veranstaltung, wobei wir Alkohol zu uns nahmen. Ich trank Rum, den ich nicht vertrage und von dem mir auch diesmal übel wurde. P.C. Fennell verabschiedete sich von mir, um - wie er es oft tat - eine Freundin aufzusuchen. Wir verabredeten, uns wie üblich in einer Stunde am Friedhofseingang zu treffen. Wir hielten es so, daß sich manchmal der eine, manchmal der andere von uns für eine Weile freimachte. Wer beim Wagen blieb, kam damit zur verabredeten Zeit an das Friedhofstor. Wir hatten dieses schon über ein Jahr lang praktiziert, und es hatte nie Probleme gegeben. 247

250 An diesem Abend jedoch ging es mir von dem Rum so schlecht, daß ich mich nicht in der Lage fühlte, den Wagen zu unserem Treffpunkt zu fahren. Daraufhin bot P.C. Vernon Yardbird mir an, für mich einzuspringen. Er hatte ebensoviel getrunken wie wir anderen, aber es machte ihm anscheinend nichts aus. Ich ließ mich von ihm vertreten und ging zu Freunden, die in der Nähe wohnten, um eine Tasse Kaffee zu trinken und mich ein wenig hinzulegen. Nach etwa einer Stunde fühlte ich mich besser. Ich ging zu Fuß zum Friedhof, wo ich P.C. Yardbird mit dem Auto zu finden hoffte. Er war aber nicht da. Ich ging weiter bis zur High Street und fand den Wagen dort vor dem Leihgeschäft. Es saß niemand darin. Ich sah, daß sich jemand auf dem Weg zum Kanal hinunter bewegte, sowie eine Person, die sich bei den Kleingärten aufhielt. Ich rief, und nach einer Weile kam P.C. Yardbird vom Kanal her zurück. Er sah verstört aus, bleich im Gesicht und schweißbedeckt. Auf der Wange hatte er Blut, als wenn ihn jemand gekratzt hätte, und er sagte mir, er wolle nach Hause, weil er wohl zu viel getrunken habe. Ich bedankte mich für seine Gefälligkeit und setzte mich hinters Steuer. Auf dem Boden vor dem Beifahrersitz lag ein Lippenstift. Ich steckte ihn in die Tasche, warf ihn aber später weg, damit meine Frau ihn nicht entdeckte. Erst am heutigen Tage - einen Monat später-, nachdem das Verschwinden von Celia Norris eine Polizeiaktion ausgelöst hat, ist mir bewußt geworden, daß der Lippenstift und die Verfassung, in der P.C. Yardbird sich an dem fraglichen Abend befand, für den Fall von Bedeutung sein könnten. Der Lippenstift war einer von der Sorte, die bei Woolworth verkauft wird und wie er im Besitz von Celia Norris gewesen sein soll. Diese Erklärung entspricht der Wahrheit.«Davies sah zu den anderen beiden auf.»unterschrieben von James Henry Dudley, P.C., den 20. August 1951.«Er hielt den eingeschriebenen Brief in beiden Händen, als müsse er ihn wiegen.»und das Duplikat davon haben wir hier in diesem Umschlag.«Dann setzte seine angeborene Skepsis sich wieder durch:»hoffe ich jedenfalls.«248

251 Kapitel 20 kleine Feier in der Revierwache zu arrangieren, war gar Eine nicht so einfach. Immerhin, die Raumpflegerin hatte im Vernehmungsraum ausnahmsweise Staub gewischt und einen Trokkenblumenstrauß auf den Tisch gestellt, was für Davies, der an Celias Blumen denken mußte, sogar einen tieferen Sinn ergab. Detective Sergeant Green vom Special Branch half Mod dabei, den Rollstuhl die Außentreppe hinaufzuschaffen. Er war ihnen absichtlich bis draußen entgegengekommen. Auf der obersten Stufe beugte er sich zu Davies' Ohr herab und fragte leise:»was haben Sie mit Yardbird gemacht? Er ist fuchsteufelswild. Er soll Ihnen das Geschenk überreichen, aber irgend etwas liegt ihm im Magen. Er würde Sie wohl am liebsten erdrosseln.ach du meine Güte«, sagte Davies bescheiden,»ich habe ihn wohl irgendwie in Verlegenheit gebracht.weiß der Himmel, Verlegenheit ist gar kein Ausdruck dafür. Anscheinend ist er vor einer halben Stunde in seinem Zimmer völlig durchgedreht und hat gesagt, er wolle Ihnen das Geschenk nicht übergeben. Mein Boss, Bob Carter, hat jedoch darauf bestanden. Aber Yardbird will nicht verraten, warum er sich so aufregt.ich verstehe«, sagte Davies.»Ich glaube, ich weiß, was ihn bedrückt, Mr. Green.Was ist es denn?ich sage es Ihnen später. Wollen Sie mir einen Gefallen tun?nämlich?sobald die kleine Zeremonie vorbei ist - wenn ich Ihnen ein Zeichen mache-, würden Sie dann Ihren Boss, Detective Superintendent Carter meine ich, in den Raum der Kriminalabteilung führen? Ich komme dann gleich darauf mit Inspector Yardbird zu Ihnen. Ich möchte ihm in Ihrer beider Gegenwart etwas mitteilen.«249

252 Green nickte, ohne zu antworten. Er war daran gewöhnt, daß manche Dinge einen unerwarteten Verlauf nahmen. Er überließ es Mod, den Rollstuhl in das Vernehmungszimmer zu schieben. An der Theke tauchte Ben, der Diensthabende, schnell wie ein Blitz auf und zog ihn in eine Ecke.»Um es kurz zu machen«, flüsterte er,»ich weiß nicht, Dangerous, was du angestellt hast, aber der Alte hat eine Stinkwut. Seit heute früh, als er ankam. Anscheinend hat sich einer über dich beschwert, jemand namens Boot. Behauptet, du hättest ihn terrorisiert und zusammengeschlagen. Jedenfalls hat er dich verpetzt. Dann ist der Alte runter zum Wachraum gekommen, hat sich den Schlüssel zu deinem Schrank besorgt und den ganzen Inhalt auf den Boden gefegt. Und dann ging er weg, buchstäblich mit Schaum vor dem Mund und einem Foto von einem jungen Mädchen in der Hand. Ich habe das zwar nicht gesehen, aber P.C. Westerman war drin; er hatte Nasenbluten. Er meint, es war ein Foto von einer jungen Frau.«Er sah ihn aus den Augenwinkeln an.»sag mal, Dangerous, hast du dich auf obszöne Bilder verlegt?«davies lachte.»in gewisser Weise schon.«ben blickte skeptisch, sagte aber nichts mehr. Er half Mod, den Rollstuhl in den Vernehmungsraum zu fahren, wo die Kollegen mit Sherrygläsern in der Hand herumstanden und bei seinem Eintritt klatschten. Er winkte ihnen verlegen zu. Dann traten Detective Superintendent Carter, Detective Sergeant Green vom Special Branch und nach ihnen mit starrer Miene Inspector Yardbird herein. Davies saß in dem Rollstuhl und fühlte, wie die Räder von seinem Zittern vibrierten. Mod stand auf der einen Seite neben ihm und Josie auf der anderen. Dann segelten zu seiner Überraschung Doris und Mrs. Fulljames herein und überschütteten ihn mit Küssen, ehe sie sich in den Hintergrund verzogen. Sie wirkten beide ziemlich hochnäsig und sahen über Josie hinweg, als wäre sie Luft. Davies wußte, Mrs. Fulljames war befriedigt, weil der Knochen- und Lumpensammler am selben Morgen das Messingbettgestell im BALI HI in Furtman Gardens abgeliefert hatte. Davies hatte es auf seinem Hinterhof entdeckt, als er sich dorthin begeben hatte, um dem Pferd den Kohlkopf als Belohnung für seine Lebensrettung zu bringen. Das Bett kaufte er dem Händler ab, 250

253 der behauptete, es von einem anständig aussehenden Perser, der sehr in Eile gewesen war, ehrlich erworben zu haben. Davies bekam es zum Sonderpreis - mit Polizeirabatt. Die Rede hielt Detective Superintendent Carter. Inspector Yardbird stand hinter ihm wie eine Wachsfigur.»Dies ist eigentlich so etwas wie eine private Veranstaltung«, sagte Carter.»Die Aufklärung der Verbrechen, die durch die Aktion auf der Bracken Farm in Uxbridge unterbrochen oder verhindert wurden, ist noch im Gange. Mr. Ramscar und Genossen werden sich, wie Sie alle wissen, vor Gericht verantworten müssen. Aber ich dachte, und diese Meinung wurde von anderen geteilt, daß wir persönlich und als Kollegen Detective Constable Davies, den wir alle als Dangerous Davies kennen, unsere Anerkennung ausdrücken sollten. Eine offizielle dienstliche Belobigung wird wohl noch folgen, darüber habe nicht ich zu befinden. Heute aber feiern wir ihn in unserem engsten Kreise. Wir alle wissen, daß er in Ausübung seiner Pflicht schwer verletzt wurde, obwohl ich zu meiner Freude gehört habe, daß er bald wieder wird gehen können. Ich hoffe, das bescheidene Geschenk seiner Kollegen wird eine kleine Entschädigung für ihn sein. Ich bitte nun seinen unmittelbaren Vorgesetzten, Inspector Yardbird, der die Probleme eines Polizistendaseins in diesem Teil von London so viele Jahre lang am eigenen Leibe erfahren hat, das Geschenk zu überreichen.«yardbird starrte Davies an, während er vortrat. Davies rollte seinen Stuhl ein wenig vorwärts. Seine Hände, die auf den Rädern lagen, bebten. Der Inspector jedoch zitterte noch mehr als Davies, als er diesem ein silbernes Marmeladentöpfchen mit Untersatz und Löffelchen überreichte. Dabei sagte er kein Wort. Davies bedankte sich von seinem Rollstuhl aus bei allen, schüttelte Carter die Hand und hielt dann auch Yardbird die Rechte hin. Yardbird streckte eine eiskalte Hand aus, die Davies fest ergriff. Es gab neuerlichen Applaus, dann begann der Sherry wieder zu fließen. Davies in seinem Stuhl stand unmittelbar neben Yardbirds steifen Hosenbeinen. Als dieser sich wegbewegen wollte, faßte Davies ihn am Saum seiner Uniformjacke und zog leicht daran. Yardbird blickte hinunter in ein erstarrtes Lächeln.»Sir«, sagte Davies schüchtern,»könnte ich Sie kurz sprechen? Unter vier Augen?«251

254 Nachwort wäre Davies wirklich besser Geistlicher geworden, Vielleicht wie Pater Harvey von der katholischen Gemeinde seines Polizeibezirks einmal meint. Jedenfalls prädestinieren ihn seine Harmlosigkeit, seine liebenswürdige Bescheidenheit, seine Menschenfreundlichkeit, seine Weltfremdheit und seine Ungeschicklichkeit eher zu einem Menschenfischer dieser Art als zu einem professionellen Polizeidetektiv. Dies ist auch die Meinung seiner Vorgesetzten, Kollegen und seiner Klienten, der kleinen Kriminellen des heruntergekommenen Industriegebiets im Nordwesten Londons. In schöner Einmütigkeit nennen sie ihn wegen seiner Harmlosigkeit»Dangerous«und wegen seiner Erfolglosigkeit»den letzten Detektiv«; denn er ist wirklich der letzte und das letzte: Aufgaben von einiger Bedeutung werden ihm nur anvertraut, wenn wirklich niemand anderer mehr verfügbar ist. Ansonsten ist er zuständig für alles, was keiner der Kollegen übernehmen will - etwa das Bewachen eines Friedhofs, auf dem irrtümlich ein Bombenanschlag erwartet wird, in einer kalten und regnerischen Frühjahrsnacht oder Frontalangriffe auf Amokläufer und ähnliche Aufgaben, die einerseits unangenehm und gefährlich sind, andererseits aber keinen Ruhm einbringen. Kein anderer Detektiv der Londoner Kriminalpolizei wird so oft so viele Treppen hinuntergeworfen wie Davies. Ansonsten ist er der Mann für schäbigste Bagatellfälle und endlose Routinerecherchen entlang den Haustüren. Aber selbst hier gelingt es ihm, zu versagen: Als er einmal auf dem Arbeitsamt eine Auskunft einholen sollte, verhielt er sich so ungeschickt, daß er statt dessen mit dem Angebot eines Aushilfsjobs in einer Wäscherei zurückkam. Geradezu legendär ist seine Organisation einer Tombola bei einem Gartenfest in Gegenwart des Polizeichefs - erst flogen ihm die Lose weg, und nach deren Einsammeln mußte er feststellen, daß ihm inzwischen das Geld aus den bislang erfolgten Losverkäufen gestohlen worden war. 252

255 In seinem Privatleben ist er ebenso erfolglos und steht schon mit dreiundreißig Jahren vor einem Scherbenhaufen: Er ist geschieden und lebt in einer dubiosen Pension unter den strengen Augen seiner ebenfalls dort wohnenden ehemaligen Ehefrau und der resoluten Pensionswirtin Mrs. Fulljames. Einzig sein Auto könnte Neid erwecken, ein fast vierzig Jahre altes, ehemals edles Vorkriegskabriolett, bei dem sich jedoch seit den frühen Kriegsjahren das Verdeck nicht mehr schließen läßt und auf dessen Hintersitz unter einer Persenning ein yakartiges Ungetüm von Hund lebt, mit dem Davies mehr in wechselseitigem Haß als in Liebe verbunden ist. Jedenfalls ist er selbst das bevorzugte Ziel von Kittys unberechenbaren Attacken zum falschen Zeitpunkt. Aus dieser privaten wie dienstlichen Trostlosigkeit flüchtet er regelmäßig in den Alkohol. Selbst der gutmütige Pater Harvey meint, daß Davies als Priester allerhöchstens halb so viel trinken dürfe. Aber auch in seinem jetzigen Beruf ist der übermäßige Alkoholkonsum höchst hinderlich, begeht Davies doch im nächtlichen Vollrausch persönlich mehr Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, als er gleichzeitig in seinen Dienststunden aufklärt. Es versteht sich fast von selber, daß dieser»geborene Verlierer«sich mit der Untersuchung des einzigen Mordfalls seiner Laufbahn selbst betrauen muß: Er stößt auf ihn als Nebenprodukt einer wichtigen Untersuchung, die ihm höchst offiziell anvertraut wird, weil sie ihm auf den Leib geschrieben ist. Scotland Yard sucht einen ehemals in Davies' Bezirk tätigen Gangster und Berufsverbrecher, von dem man annimmt, daß er von einem langjährigen Weiterbildungsaufenthalt im Ausland zurückgekehrt ist und jetzt unerkannt in seinen früheren Jagdgründen lebt, um von dort mit einem großen Coup ins internationale Politgangstertum einzusteigen. Konkret liegt allerdings gar nichts gegen Cecil Victor Ramscar vor, und so wird jemand benötigt, der so lange in der Grauzone zwischen Subproletariat und Unterwelt herumtrampelt, bis er Ramscar auf die Füße tritt und ihn nervös macht - ein Vorgehen, das natürlich für das Subjekt der Untersuchung weitaus gefährlicher ist als für deren Objekt. Davies' Chef Yardbird kennt hierfür selbstverständlich keinen geeigneteren Detektiv als den ohnehin stets als Elefant im Porzellanladen agierenden»letzten Detektiv«. Davies wird von allen Routinesachen freigestellt, um in der erwünschten Weise nach Ramscar zu forschen. 253

256 Dies erweist sich als Glücksfall für ihn, obwohl er an dem ersten»richtigen Kriminellen«, nach dem er fahnden darf, schon bald das Interesse verliert. Statt dessen stößt er in der umfangreichen Akte des schweren Jungen auf den Fall eines jungen Mädchens, das vor fünfundzwanzig Jahren spurlos verschwunden ist, nachdem es sich von einem Jugendabend der Pfarrei mit dem Fahrrad auf den Heimweg gemacht hat. Ramscar war in der Sache vernommen worden, hatte aber ein Alibi. Heimlich verschafft Davies sich die Akte»Celia Norris«, die seinerzeit unabgeschlossen abgelegt werden mußte. Das Foto des jungen lachenden Opfers mit dem Eiskremtröpfchen am Kinn fasziniert ihn, und die seit fast einem Menschenalter unvollendete Geschichte läßt ihn nicht mehr aus ihrem Bann. Heimlich geht er ihr nach und sucht die Lösung, die seinen Kollegen damals entgangen ist. Die mit der linken Hand betriebene Suche nach Ramscar dient ihm lediglich als Tarnung gegenüber Kollegen und Vorgesetzten, um den Mörder von Celia Norris suchen zu können. Dabei läuft sein Hauptauftrag durchaus im Sinne der Polizeioberen ab - wird doch Davies wegen seiner Nachforschungen zweimal krankenhausreif geschlagen. Aber auch der inoffizielle Fall»Celia Norris«weist für Davies' Talente bezeichnende Aspekte auf: Wenn er bei einem Seniorentanzkreis recherchiert, muß er gleich vortanzen und versagt kläglich, ein in der U-Bahn Verfolgter verbürgt sich für ihn, der ohne Fahrkarte und Dienstausweis ist, gegenüber dem Kontrolleur, und als Dangerous Davies gar eine Irrenanstalt besucht - und das noch durch den Hintereingang -, muß der Leser das Schlimmste befürchten. Da er diesen Fall ohne Wissen seiner Dienststelle verfolgt, ist er auf den Status eines Privatdetektivs beschränkt; Aussagen, die nicht freiwillig gemacht werden, kann er nicht durch Druck erzwingen, auf Gespräche, die man ihm verweigert, muß er verzichten. In dieser Situation kommen ihm all die Eigenschaften zustatten, die ihn sonst bei seiner Berufsausübung behindern; seine Milieunähe, seine Gutmütigkeit, seine Fähigkeit, Vertrauen zu erwecken, kurz die Züge, die ihn nach Meinung Pater Harveys zum Priester qualifizieren. Allerdings weckt er in einer weiblichen Zeugin so viel Zutrauen, daß er nach gemeinsamem reichlichen Alkoholgenuß nur knapp einer Vergewaltigung entgeht, wobei sein Hund Kitty die Angelegenheit gründlich mißversteht und sie fast zum Schlimmeren wendet. 254

257 Als Privatdetektiv hat er natürlich auch wie Sherlock Holmes seinen Dr. Watson, der sich ausdrücklich als solcher versteht. Es ist sein Pensionsgenosse, Freund und Saufkumpan Modest Lewis, genannt Mod, der sich seit vielen Jahren erfolgreich den Nachstellungen des Arbeitsamts in Form von Stellenangeboten zu entziehen weiß. Außerhalb der Öffnungszeiten ihrer gemeinsamen Stammkneipe ist er als ständiger Benutzer des Lesesaals der öffentlichen Bibliothek zu einer Säule der Gesellschaft geworden; dient er doch, in Notfällen von einigen schnell herbeigetrommelten Kumpanen unterstützt, gegenüber den Aufsichtsbehörden als Beweis für die Notwendigkeit eines Bibliothekslesesaales einschließlich des dort beschäftigten Personals. Und dieser Dr. Watson, der anders als sein Vorbild ausdrücklich darauf besteht, daß bei den gemeinsamen Nachforschungen auf die Schankzeiten der Stammkneipe Rücksicht genommen wird, trägt dann - wiederum anders als sein Vorbild - Entscheidendes zur Lösung des Falles bei, weniger durch seine in der Bibliothek erworbene weltumfassende Halbbildung als durch seine Vertrautheit mit ihren Nutzungsmöglichkeiten. Leslie Thomas, 1931 in Newport, Monmouthshire, geboren, ist kein typischer Verfasser von Detektivromanen. Als er 1977 mit Dangerous Davies The Last Detective seinen ersten Versuch in dieser Gattung vorlegte, war er bereits ein äußerst erfolgreicher Autor. Seinen Durchbruch hatte er 1966 mit dem Roman The Virgin Soldiers erzielt, von dem bis heute weltweit über zwei Millionen Exemplare verkauft wurden. Seitdem erschienen zahlreiche weitere Romane, die ihn zu einem der beliebtesten Autoren Großbritanniens machten - mit einer Gesamtauflage von insgesamt 11 Millionen Exemplaren, was in etwa den Verkaufszahlen des deutschen Weltautors Günter Grass entspricht. Seine beiden Versuche auf dem Gebiet des Detektivromans - die Fortsetzung. Dangerous in Love (1987), wird ebenfalls in der»dumont's Kriminal-Bibliothek«erscheinen - stellen einen neuen Typ des Detektivs vor. Am ehesten vergleichbar sind die Vertreter des von Ed McBain begründeten Polizeiromans, zu denen auch mit Abwandlungen Georges Simenon und das schwedische Autorenpaar Sjöwall-Wahlöö gehören. Charakteristikum ist die Vielfalt paralleler Ermittlungen und die Arbeit in einem hierarchisch strukturierten Team. Während bei Simenon und Sjöwall-Wahlöö aber das Hauptinteresse dem ersten des Teams, Jules Maigret und 255

258 Martin Beck, gilt, denen auch Einzelermittlungen erlaubt werden, ist es bei Leslie Thomas»der letzte Detektiv«, der im Mittelpunkt steht. Selbstverständlich hat Thomas mit seinem trunksüchtigen, ständig verprügelten, ewig unterliegenden Antihelden Davies nicht mit der dialektischen Beziehung gebrochen, die im Detektivroman zwischen Ermittler und Täter herrscht. Er hat mit ihr nicht brechen können und wollen, denn sie ist unverbrüchlich: Dem vornehmen Amateurverbrecher entspricht ein ebensolcher Detektiv; im Milieu des amerikanischen Berufsverbrechertums recherchiert ein Berufsdetektiv; und der Kleinbürger Maigret kann einen Fall erst dann lösen, wenn er im unbekannten Gegner den Kleinbürger erkannt und dingfest gemacht hat. Dangerous Davies ist der Detektiv für das Milieu des Londoner Nordwestens, das in Thomas' Roman in der für den Detektivroman charakteristischen Weise zum Greifen konkret aufgebaut wird: kleine, stinkende, schäbige Fabriken entlang einem ebensolchen Kanal, ein dampfendes Kraftwerk, Imbißbuden, Kinos, zweifelhafte Vergnügungsstätten, viktorianische Häuser, die bessere Tage gesehen haben, und dazu Einwohner aus aller Herren Ländern, aber auch Briten, die dieser Umgebung nie mehr entkommen werden. Und über all dem lastet die wirtschaftliche Depression der siebziger Jahre. In dieser Welt bewegt sich Dangerous Davies wie ein Fisch im Wasser, denn es ist seine Welt, sein alltäglichster Alltag. Hier löst er, dank ihrer Statik, die über fünfundzwanzig Jahre alles fast unverändert ließ, den ein Vierteljahrhundert zurückliegenden Mord an dem Mädchen, dessen eiskremverschmiertes Lachen ihn so faszinierte und für das er Gerechtigkeit will. Und trotz aller zwerchfellerschütternden Komik, die der Antiheld und die ihm entsprechende Umgebung ständig unfreiwillig produzieren, wird deutlich, wie ernst es Dangerous Davies mit seinem Anliegen ist, den Täter des ungesühnten Verbrechens an dem jungen blühenden Mädchen seiner gerechten Strafe zuzuführen. Indem ihm dies gelingt, beweist er zugleich den biblischen Grundsatz, den Gilbert Keith Chesterton als die Grundlage aller Detektivromane beschrieben hat: Die Letzten werden die Ersten sein! Volker Neuhaus

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