Reflexionsfähigkeit als Kernkompetenz von angehenden LehrerInnen
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- Benjamin Martin
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1 Reflexionsfähigkeit als Kernkompetenz von angehenden LehrerInnen Dr. Eveline Christof Universität Innsbruck Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung
2 Programm Reflexionsfähigkeit als Kernkompetenz von angehenden LehrerInnen Das pädagogisch reflexive Interview ein qualitativempirisches Forschungsprogramm zur Anregung und zum Nachweis von Bildungsprozessen Hintergrund und Potenzial Ziele Anwendung in der LehrerInnenbildung Beispiel einer Analyse
3 Erwerb von Reflexionsfähigkeit Professionalisierung pädagogischen Handelns -Reflexion des eigenen Handelns als zentrales Moment Domäne von Professionalität: Reflexions-/ Diskursfähigkeit Reflexion - kontinuierlich und im Nachhinein Dadurch werden neue Erkenntnisse gewonnen, die für künftiges Handeln bestimmend sind. Über bisherige Erfahrungen nachzudenken und daraus Schlüsse zu ziehen führt zum Vordenken für die nächste Situation mit dem Ziel, ein größeres Repertoire an Alternativen zur Verfügung zu haben. (Paseka, Schratz, Schrittesser 2011, 27)
4 Erwerb von Reflexionsfähigkeit Forschungsprogramm des pädagogisch reflexiven Interviews thematisiert pädagogisches Handeln im Blick auf die Domäne professionellen Handelns Reflexionsund Diskursfähigkeit Einsatz in der LehrerInnenbildung, um einen Reflexionsprozess anzuregen Das pädagogisch reflexive Interviews nützt Prozesse, die bei dem Einsatz von sozialwissenschaftlichen Methoden immer zumindest auch ablaufen, und wendet sie in einem pädagogischen Sinn zur Anregung eines methodisch unterstützten Reflexionsprozesses
5 Das pädagogisch reflexive Interview stellt Prozesse, die beim Einsatz von sozialwissenschaftlichen Methoden immer ablaufen in den Mittelpunkt und wendet sie in einem pädagogischen Sinn zur Anregung eines Bildungsprozesses es ist nicht möglich diese Prozesse vollständig zu kontrollieren in Interaktionen verschafft sich das Gegenüber immer Präsenz ein strukturelles Problem Interaktion zwischen Forschenden und Beforschten - methodisch schwer zu kontrollieren -aus einer bildungstheoretischen Sicht pädagogisch wertvoll Bildungsprozesse
6 Hintergrund Selbstaufklärungsprozess -auf einer Rekonstruktion subjektiver Theorien (Groeben u.a. 1988) In diesem Prozess wird der gewonnene Spielraum für Denken und Handeln pädagogisch gewendet und dessen Potential für bildungsartiges Lernen entfaltet Im pädagogisch reflexiven Interview werden Prozesse von Ent- Selbstverständlichung eigener alltäglicher Sichtweisen und des eigenen Fremd-Werdens interviewter Personen thematisiert und methodisch reflektiert (Konzept von Alltag und Lebenswelt, Schütz, Luckmann 2003)
7 Potenzial in der Anwendung Aufzeigen von individuelle Identitätskonstruktionen und deren Einbettung in strukturelle Rahmenbedingungen Materialisierung in einem transitorischen Bildungsprozess (Alheit 1993) - betrifft Subjekt und Struktur Interview: Vermittlung zwischen objektiver und subjektiver Wirklichkeit Interview Transformation der Bedeutungszuschreibungen - Deutungen werden hinterfragt und möglicherweise revidiert Distanz zum eigenen Handeln Anreicherung mit Theorie größeres Praxisrepertoire professionelles Handeln
8 Ziele des pädagogisch reflexiven Interviews Aufdecken struktureller Bedingungen für eigenes Handeln Entwickeln von Konsequenzen: Entdecken neuer Elemente für eigene Handlungspraxis (Bedingung dafür, sich lernend weiterzuentwickeln, autonomer zu handeln) Entwurf neuer Handlungsoptionen Ausloten von Realisierungsbedingungen auf Basis der Reflexion vergangenen Handelns ein Überschreiten eigener, alter (innerer und äußerer), verfestigter Grenzen
9 Prozess des pädagogisch reflexiven Interviews Ereignis Erzählung einer eigenen Handlungssituation mit negativem Ausgang Erzählung (Ausschnitt aus dem Ereignis) Genaue Beschreibung, Differenzierung und Exploration der Situation Analyse (Elemente der Situationswahrnehmung) Subjektive Theorien zu Elementen der Situationswahrnehmung differenziert Rückmeldung (Fokus auf ein Element Umdeutung) Strukturanalyse des Aufklärungsprozesses bezogen auf ein Element Auswirkungen auf andere Elemente des Selbstkonzepts Veränderung eines Elements der Situationswahrnehmung macht Korrekturen eigener Sichtweisen notwendig Erweiterung von Handlungsoptionen In ähnlichen oder anderen Situationen Eveline Christof steht eine größere Zahl an Optionen zu handeln zur Verfügung
10 Experimentelle Anwendung in der LehrerInnenbildung Im Blick auf die Domäne Reflexions- und Diskursfähigkeit werden Studierende angeleitet einen Reflexionsprozess bei interviewten KollegInnen zu begleiten Reflexionsfähigkeit wird aus der Außenperspektive erfahrbar Jede/r Studierende durchläuft diesen Prozess auch als Befragte/r und wird dabei unterstützt eine krisenhafte Situation aus seinem/ihrem pädagogischen Alltag zu reflektieren Handwerkszeug zur Reflexion auch für andere Situationen anwendbar Einzelinterviews, Gruppeninterviews, Reflexion von Praxiserfahrungen
11 Experimentelle Anwendung in der LehrerInnenbildung Entwicklung eines Moduls für die LehrerInnenbildung Überprüfung auf Möglichkeiten Reflexionsprozesse empirisch nachweisbar zu machen Dokumentation und Abbildung von Reflexionsprozessen weiteren Analysen wie bspw. einer Typisierung, Kompetenzerfassung unterzogen Typologie von Handlungskrisen Erkenntnisse für die Aus-und Weiterbildung von Lehrer/innen
12 Beispiel: Interview mit einem Studierenden zum Thema Reflexion von Erfahrungskrisen in pädagogischen Situationen
13 Schilderung der Situation Im Interview erzählt ein Studierender von einer Klassensituation Vorgeschichte: Also bei dem Modellversuch da sind wir auch in der Förderklasse. Das ist eine Klasse in der man vor allem im Team-teachingunterrichtet. Manche von den Schülern haben körperliche Schwächen, andere müssen einfach so mehr gefördert werden. Einer hat zum Beispiel a so einen riesen Apparat mit so einer lupenähnlichen Vorrichtung damit er die Tafel besser sieht. Der sieht nämlich so schlecht. Ein anderer der isirgendwie so leicht autistisch. Also der hat so a Syndrom. Und meine Betreuungslehrerin die hat mir des auch vorher gesagt ghabt, aber I hab des dann irgendwie wieder ganz vergessen ghabtund naja also I hab halt nimmer dran dacht sonst naja, i weiß a ned.
14 Schilderung der Situation Im Interview erzählt ein Studierender von einer Klassensituation Situation: Also auf jeden Fall haben a Kollegin und ich da dieses Teamteachinggmachtund wir haben der Klasse halt so Gruppenaufgaben geben und an denen haben sie halt arbeiten müssen und dann so a Plakat gestalten, das sie dann später allen präsentieren. Des war so zu den Epochen, Barock und so und dieser Schüler, also dieser autistische Schüler der war halt nedda, als wir die Gruppen einteilt haben, i glaub der war am Klo oder so, und dann wollt ihn die Gruppe nimmer mitarbeiten lassen. Dann hat er sich weggsetztund erst mal gar nix getan. Dann bin i aber hin und hab gesagt, dass es so nedgeht und dass er sich da integrieren muss. Die Gruppe hat aber gesagt Na, wenn der mit tut, dann kommt ja eh nix gscheitsraus. und so weiter halt (Seufzer). Ja, i hab denen dann halt gesagt sie sollen ihn integrieren.
15 Schilderung der Situation Im Interview erzählt ein Studierender von einer Klassensituation Wie es dann aber zur Präsentation kommen ist und diese Gruppe dann vorne an der Tafel war, da hat sich dieser Schüler, also der mit dem Syndrom, der hat sich auf einmal umdreht und hat so an die Tafel kritzelt. So Schimpfwörter. Und I hab dann versucht, dass er des lässt, aber er hat gar ned reagiert. Und dann war eh schon die Betreuungslehrerin da und die hat ja gwusstwie man mit so jemanden umgehen muss und ja, dann hatsschon gepasst.
16 Beschreibung der Person Ein anderer der isirgendwie so leicht autistisch. Also der hat so a Syndrom. und dieser Schüler, also dieser autistische Schüler der war halt nedda, als wir die Gruppen einteilt haben, i glaub der war am Klo oder so, und dann wollt ihn die Gruppe nimmer mitarbeiten lassen. und die hat ja gwusstwie man mit so jemanden umgehen muss und ja, dann hatsschon gepasst. Mit so Leute muss man ganz anders umgehen. Des weiß i erst jetzt. I war grad bei einer Lehrerschulung dabei wo man glernt bekommt, wie man mit so Leute umgehen soll. Also dass man zum Beispiel den nedlocker, sondern ganz fest und bewusst anfassen muss, so dass der des auch wahrnimmt. Für so Leutis des leichte anfassen, also des was i gmachthab, eher so a Verletzung der Intimsphäre. Also als ob man uns eine runterhauen würd oder so. Also man muss den ganz fest anfassen, dass der diese bewusste Berührung spurt dann gehts wieder.
17 Analyse Fremdbild Ausschnitt subjektive Theorien Ein Schüler hat autistische Züge, ein ärztlich bestätigtes Syndrom. Bei der Verteilung in die Gruppen war der Schüler abwesend, wahrscheinlich auf der Toilette. Die Gruppe schätzt den autistischen Schüler nicht und wollte ihn nicht mitarbeiten lassen. Mit so jemanden muss man anders umgehen als mit normalen Schülern. Autistischen Schülern gegenüber muss man aufpassen bezüglich Intimsphäre. Autisten muss man fester beziehungsweise bewusster anfassen als andere.
18 Strukturanalyse des Aufklärungsprozesses Auswahl eines Elements: Schüler steht an der Tafel und schreibt Schimpfwörter an die Tafel. Deutung des Verhaltens: Der Schüler missachtet die Autorität der Lehrperson und will diese provozieren. Sichtweise einer anderen Person: Der Schüler wollte nicht den Lehrer sondern viel mehr seine Mitschüler ärgern. Vielleicht wollte er es ihnen heimzahlen, dass sie ihn ausgeschlossen haben. Was er ihnen längst sagen wollte hat er dann einfach an die Tafel geschrieben.
19 Konsequenzen für das eigene Handeln Die scharfe Kritik des autistischen Schülers könnte genauso seine Klassenkameraden betreffen und nicht die Lehrperson. Diese andere Deutung lässt andere, alternative Handlungsmöglichkeiten aufkommen. Der Lehramtsstudierende meinte, dass er als Lehrperson daraufhin mehr Übungen zur Stärkung der Klassengemeinschaft gemacht hätte. Denn das scheint ja vor allem das Problem hier zu sein.
20 Literatur: Alheit, P (1993): Transitorische Bildungsprozesse: Das biographische Paradigma in der Weiterbildung. In: Mader, Wilhelm (Hg.): Weiterbildung und Gesellschaft. Grundlagen wissenschaftlicher und beruflicher Praxis in der Bundesrepublik Deutschland. Bremen: Universitätsbuchhandlung Bremen, Christof, E. (2009): Bildungsprozessen auf der Spur. Das pädagogisch reflexive Interview. Wien: Löcker Groeben, N.; Wahl, D.; Schlee, J.; Scheele, B. (1988): Forschungsprogramm Subjektive Theorien. Eine Einführung in die Psychologie des reflexiven Subjekts. Tübingen: Francke Verlag Schratz, M.; Paseka, A.; Schrittesser, I. (2011) (Hg.): Pädagogische Professionalität: quer denken umdenken neu denken. Impulse für next practice im Lehrberuf. Wien: Facultas Verlag Schütz, A.; Luckmann, T. (2003): Strukturen der Lebenswelt. Wien: UVK
21 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
22 Fragen für den Bericht aus dem Track a) Welche Folgerungen ergeben sich aus der Präsentation für die LehrerInnenbildung (Ausbildung, Fort-/Weiterbildung, für einschlägige Curricula)? b) Sind diese Konsequenzen (aus a) eher spezifisch (fachbezogen, relevant für bestimmte Ausbildungsabschnitte, institutionsspezifisch, Personengruppen, ) oder grundsätzlicher Art (Globalrelevanz)? c) Wie könn(t)en sich die Folgerungen/Konsequenzen auf die Praxis der LehrerInnenbildung konkret auswirken? d) Was vom Besprochenen soll im Hinblick auf das Tagungsthema im Bericht der ModeratorInnen (Abend/Tagungsende) ins Plenum weitergegeben werden?
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