Symmetrien. Transformationen. Affine und euklidische Räume
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- Harald Wilhelm Kramer
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1 Symmetrien Transformationen Der Gruppenbegriff entwickelte sich aus dem Begriff der Transformationsgruppe. In dieser Form tauchen auch die meisten Gruppen in der Mathematik, Physik, Chemie, Kristallographie, Kunst, Architektur und Musik auf. Eine Transformation auf einer Menge X ist eine bijektive Abbildung T : X X. Zwei Transformationen S und T können hintereinander ausgeführt werden: S T : X X x (S T )(x) =S(T (x)). Die Identität I: X X, x I(x) =x ist eine Transformation. Sie besitzt die Eigenschaft, dass I T = T I = T für alle Transformationen T gilt. Transformationen können invertiert werden, d. h. zu jeder Transformation T gibt es eine Transformation T : X X mit T T = T T = I. Man schreibt T 1 für T. Die Komposition von Transformationen ist assoziativ, d. h. es gilt (S T ) U = S (T U) für alle Transformationen S, T, U. Dies sind gerade die definierenden Eigenschaften einer Gruppe. So heißt eine Menge von Transformationen auf einer Menge X eine Transformationsgruppe, falls sie die Identität I und mit T, T 1,T 2 auch T 1 sowie T 1 T 2 enthält. Die Gesamtheit aller Transformationen auf einer Menge X nennt man die symmetrische Gruppe oder auch Permutationsgruppe S(X) von X. Beispiel Ist X eine endliche Menge mit n Elementen, so ist S(X) = S n die übliche Gruppe der Permutationen; nach Wahl einer Bijektion zwischen X und der Menge {1,...,n} kann man X mit {1,...,n} identifizieren, und dann besteht die Permutationsgruppe S n aus der Menge der Bijektionen σ: {1,...,n} {1,...,n}. Dies ist die übliche Darstellungsweise der symmetrischen Gruppe S n, die für Rechnungen sehr geeignet ist. Beispiel Ist X ein Vektorraum V über einem Körper K, so ist die Menge der linearen bijektiven Abbildungen GL(V ) eine Transformationsgruppe. Beispiel Ist im vorherigen Beispiel K = R und, ein Skalarprodukt, so ist X =(V,, ) ein euklidischer Vektorraum, und man nennt eine lineare Abbildung ϕ GL(V ) orthogonal, falls ϕ(v),ϕ(w) = v, w für alle v, w V gilt. Die Menge der bijektiven orthogonalen Abbildungen O(V ) ist ebenfalls eine Transformationsgruppe. Affine und euklidische Räume Sehr häufig treten Transformationsgruppen als Bewegungsgruppen in affinen oder euklidischen Räumen auf. Wir wollen den Begriff eines affinen bzw. euklidischen G. Wüstholz, Algebra, Aufbaukurs Mathematik, DOI / _2, Springer Fachmedien Wiesbaden 2013
2 4 Symmetrien Raumes kurz präzisieren. Ein affiner Raum A =(V,P,v) besteht aus einem n- dimensionalen Vektorraum V, einer Menge P, deren Elemente Punkte genannt werden, und einer Abbildung v: P P V, die je zwei Elementen P, Q aus P einen Vektor v(p, Q) V zuordnet und folgende Eigenschaften besitzt: (a) Für alle Punkte P P und alle Vektoren v V existiert genau ein Punkt Q P mit v(p, Q) =v. (b) Für alle P, Q, R, P gilt v(p, R) =v(p, Q)+v(Q, R). Für v(p, Q) schreiben wir auch PQ und dann kurz Q = P + PQ. Aus (b) mit R = Q folgt v(p, Q) =v(p, Q) +v(q, Q) und somit v(q, Q) =0. Setzt man R = P, so erhält man v(p, Q) = v(q, P ) (1) Beispiel Wir setzen P = V und v(x, y) =x yfür x, y P. Dannist A =(P,V,v) ein affiner Raum. Beispiel Wir betrachten den Lösungsraum L eines inhomogenen linearen Gleichungssystems Ax = b. EsseiL 0 der Lösungsraum des zugehörigen homogenen Gleichungssystems Ax =0.Dannist(L, L 0,v) ein affiner Raum, wenn definiert ist als v(x, y) =y x. v : L L L 0 Die Dimension von A ist definiert als die Dimension von V. In einem affinen Raum gilt das Parallelogrammgesetz, d. h. es gilt v(p, Q) =v(p,q ) für Punkte P, P,Q, Q P genau dann, wenn v(p, P )=v(q, Q ). Q Q P P Wir identifizieren den affinen Raum A mit seinen Punkten P und schreiben P A für P P. Ein affiner Unterraum A von A ist eine Teilmenge von A mit der Eigenschaft, dass die Menge der v(p, Q) mit P, Q A einen Untervektorraum von V bildet. Affine Unterräume der Dimensionen 1, 2, n 1 heißen Geraden, Ebenen und Hyperebenen. Zwei affine Unterräume A 1, A 2 mit zugehörigen Vektorräumen V 1, V 2 heißen parallel, falls V 1 V 2 oder V 2 V 1 gilt. Eine Abbildung α: P P
3 Die Bewegungsgruppe in der euklidischen Ebene 5 nennt man eine affine Abbildung, falls sie auf dem zugehörigen Vektorraum V eine wohldefinierte und lineare Abbildung induziert, d. h. falls aus P 1 Q 1 = P 2 Q 2 α(p 1 )α(q 1 )= α(p 2 )α(q 2 ) folgt und die durch α( PQ)= α(p )α(q) gegebene Fortsetzung von α auf V linear ist. Eine bijektive affine Abbildung heißt affine Transformation. Die Menge der affinen Transformationen eines affinen Raumes bildet eine Transformationsgruppe. Ist der Vektorraum V in der Definition eines affinen Raumes sogar ein euklidischer Vektorraum, so erhält man einen euklidischen Raum. Hier ist dann zusätzlich der Abstand ρ(p, Q) zweier Punkte P und Q erklärt durch ρ(p, Q) = PQ, PQ. Ist α eine affine Transformation in einem euklidischen Raum, die auf V eine orthogonale Abbildung induziert, so nennt man α eine euklidische Transformation und eine Bewegung, falls die induzierte lineare Abbildung orientierungserhaltend ist. Die Gesamtheit der euklidischen Transformationen und der Bewegungen ist jeweils eine Transformationsgruppe. Die Bewegungsgruppe in der euklidischen Ebene Es sei nun E eine euklidische Ebene, d. h. dim E =2. Dann gibt es neben der Identität I noch drei weitere Typen von euklidischen Transformationen, nämlich Translationen, Drehungen, Spiegelungen. Die drei Typen können dadurch charakterisiert werden, dass Translationen keine Fixpunkte haben, Drehungen genau einen, und es bei Spiegelungen eine Gerade gibt, die festgehalten wird. Jedes w V definiert eine Translation T w : E E, da es für P E genau ein Q E gibt mit PQ = w. Wir setzen Tw (P )=Q, oder anders ausgedrückt Q = P + w, und erhalten eine affine Transformation, die im Fall eines euklidischen Raumes sogar eine Bewegung ist. Solch eine ebene affine Transformation ist dadurch charakterisiert, dass gilt. PT w (P )=w
4 6 Symmetrien Satz Jede ebene euklidische Transformation ist eine Translation oder die Hintereinanderschaltung einer Translation und einer Drehung oder Spiegelung. Beweis Wir wählen einen festen Punkt P 0 und setzen v 0 = P 0 α(p 0 ),wennα die gegebene euklidische Transformation bezeichnet. Dann besitzt die Transformation β = T v0 α den Fixpunkt P 0.Dennesgilt β(p 0 ) = (T v0 α)(p 0 ) = T v0 (α(p 0 )) = T v0 (P 0 + P 0 α(p 0 )) = P 0 + α(p 0 )P 0 + P 0 α(p 0 ) = P 0 P 0 α(p 0 )+ P 0 α(p 0 ) = P 0 unter Beachtung von (1) auf Seite 4. Eine euklidische Transformation mit Fixpunkt ist aber eine Drehung oder Spiegelung [Kn], [Cox, Kap. 3.13]. In ähnlicher Weise kann man die Bewegungen des dreidimensionalen euklidischen Raums beschreiben. Hier setzt sich eine solche Bewegung aus Translationen, Drehungen um eine Achse, Spiegelungen an einer Ebene sowie Punktspiegelungen zusammen. Symmetrie von Objekten In einer euklidischen Ebene betrachten wir nun ein Dreieck. Die Bewegungen, die das Dreieck fest lassen, bilden die Symmetriegruppe des Dreiecks. Es gibt drei mögliche Gestalten für das Dreieck: (i) gleichseitig (ii) gleichschenklig, aber nicht gleichseitig (iii) allgemeine Lage, d. h. weder (i) noch (ii). Im Fall (i) erhält man als Symmetrien die Identität, die Drehung S um den Schwerpunkt um 120 und die Drehung S 2 um 240. Daneben erhält man die drei Spiegelungen an den drei Winkelhalbierenden, die mit T 1, T 2, T 3 bezeichnet werden. Die Symmetriegruppe ist dann gegeben durch D 3 = {I, S, S 2,T,ST,S 2 T }, wo T {T 1,T 2,T 3 } beliebig sein darf. Dies ist eine sogenannte Diedergruppe. Sie ist in diesem Fall isomorph zur Gruppe S 3, die auf den drei Winkelhalbierenden operiert und diese permutiert. Im Fall (ii) erhält man die zyklische Gruppe {I,T}, wobeit die Spiegelung an der von den gleichen Schenkeln definierten Winkelhalbierenden ist. Es gilt {I,T} Z/2Z. Im Fall (iii) ist die Symmetriegruppe die triviale Gruppe {I}.
5 Symmetrie von Objekten 7 Allgemein fassen wir die Gesamtheit der Transformationen einer Menge X, die ein Objekt, d. h. eine Teilmenge M X festhalten, als die Menge der Symmetrien des Objekts auf. Ist G eine Transformationsgruppe von X, so ist die Menge S(M) der Symmetrien von M bezüglich der Transformationsgruppe G gegeben durch S(M) ={T G; T (M) =M}. Es ist klar, dass die Identität I in S(M) liegt und dass mit S, S 1, S 2 auch S 1 und S 1 S 2 in S(M) liegen. Wir nennen S(M) die Symmetriegruppe von M. Beispiel Objekte Ist X = E die euklidische Ebene, so können wir die geometrischen auf Symmetrie hin untersuchen. Man findet die eingezeichneten Symmetrieachsen bzw. Drehpunkte. Beispiel Symmetriegruppen von regulären Polyedern im euklidischen Raum, insbesondere der platonischen Körper Tetraeder Würfel Oktaeder Dodekaeder Ikosaeder sind ein schönes Beispiel für diese Sichtweise von Symmetrien. Wir werden dies später noch eingehend studieren. Beispiel In neuerer Zeit hat sich eine neue Klasse von symmetrischen konvexen Körpern herausgebildet. Sie entstammen ursprünglich der Architektur und werden Fullerene genannt: Das sind regelmäßige Polyeder, die in der Kohlenstoffchemie Bedeutung haben. Beispiel Kristallographische Gruppen sind diskrete Gruppen G von Transformationen im euklidischen Raum A, die Kristalle invariant lassen. Sie können ganz abstrakt definiert werden als Gruppen von solchen Transformationen, für die der Raum G\A der Linksnebenklassen kompakt ist. Ein Beispiel hierfür ist das Kochsalz NaCl (siehe Abbildung 1). Seine Symmetrien sind
6 8 Symmetrien Abbildung 1: Kristallstruktur von Kochsalz Permutationen der Koordinatenachsen, Spiegelung an den Koordinatenachsen, Translationen mit Vektoren mit ganzzahligen Koordinaten. Es stellt sich dann sofort die Frage nach der Anzahl der Symmetrien oder genauer nach der Ordnung der Symmetriegruppe. Diese ist manchmal endlich, wie bei den Platonischen Körpern, manchmal auch unendlich, wie bei den ebenen Pflasterungen. Als Beispiel für den ersten Fall erwähnen wir den folgenden grundlegenden Satz Raum. Es gibt nur endlich viele kristallographische Gruppen im euklidischen Im Fall der euklidischen Ebene kann dieses Ergebnis noch präzisiert werden kann. Denn hier gilt der folgende interessante Satz In der euklidischen Ebene gibt es genau 17 paarweise nicht-isomorphe kristallographische Gruppen. Etwas komplizierter wird es im dreidimensionalen euklidischen Raum. Hier gilt: Satz Im dreidimensionalen euklidischen Raum gibt es genau 219 nicht-isomorphe kristallographische Gruppen. Diese Gruppen können alle auch tatsächlich als Symmetriegruppen von echten, d. h. in der Natur vorkommenden Kristallen realisiert werden.
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