Wissenswert. Barbara Klemm (1) deutsche Fotochronistin. von Christiane Kreiner. Sendung: , hr-info
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1 Hessischer Rundfunk hr-info Redaktion: Heike Ließmann Wissenswert Barbara Klemm (1) deutsche Fotochronistin von Christiane Kreiner Sprecherin: Christiane Kreiner Sendung: , hr-info Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.
2 O-Ton 01 Barbara Klemm Also am Anfang hat man mich belächelt, () wenn man jemanden nicht kennt und dann kommt da so ein kleines Mädchen an, und meint sie muss da mitspielen, das fanden die so ein bisschen amüsant. Aber als dann die Ergebnisse zu sehen waren in der Zeitung, dann wurde das schon ein bisschen anders. Sprecherin 1 Barbara Klemm serviert Tee und italienisches Gebäck in ihrem Arbeitszimmer im Frankfurter Westend. Hier lebt sie seit vielen Jahren. Der Raum, Tisch und Stühle wirken sachlich. An den Wänden hängen Fotografien von Künstlerfreunden. O-Ton 01 Barbara Klemm Hofiert worden bin ich vielleicht (), als das Bild entstand von Brand /Breschnew. Als ich das gepackt hatte, zu dem Termin zu kommen, der ganz eng und klein war, da hat dann Breschnew mich gesehen und hat gesagt: ah, ja, endlich mal ne Frau, euch Männer habe ich ja immer. Da waren zwei russische Kollegen dabei, und dann hat er mir die Hand geschüttelt, was immer ganz unpraktisch ist, weil man in dem Moment dann gar nicht fotografieren kann. Lacht. Wo man ja doch darauf aus ist seine Bilder zu machen. Sprecherin 2 Barbara Klemm hat mit ihren schwarz weiß Fotografien unsere Zeitgeschichte dokumentiert. Seit Beginn der 70er Jahre fotografierte sie für die FAZ, für die Ressorts Politik und Feuilleton. Es war die Zeit kurz nach dem kalten Krieg, die Zeit der neuen Ostpolitik, als der damalige Bundeskanzler Willy Brandt eine Politik der Verständigung einleitete - mit Leonid Breschnew verhandelte, die DDR besuchte. Seite 2
3 ATMO 01 O-Ton Brandt in Erfurt Sprecherin 3 Barbara Klemm überschreitet als Fotografin die Grenze in den Osten lange bevor sie fiel. Sie darf zur Leipziger Messe reisen, zu den Weltjugendfestspielen. Oft geht sie Seitenwege nach den offiziellen Terminen, fängt Straßenszenen, Menschenbilder und Stimmungen ein. Die Begegnung mit den Politikern gehört zur Plicht: O-Ton 03 Barbara Klemm Dann hat Honecker mal, wo ich auch keine Akkreditierung hatte bei der Eröffnung der Leipziger Messe, in der Oper () stand ich brav mit meinen Ostkollegen in der Empfangshalle und hatte dem Redakteur gesagt, ich bring dir die Karte wieder raus, das tat ich dann nicht, () Ich bin bei Honecker rückwärts, vor ihnen hergelaufen, vor Honecker und Stoph, und plötzlich packt mich jemand und zerrt mich an die Seite und da war das ein Sicherheitsbeamter und es gab nur noch den Fahrstuhl hinter mir: Und da hat Honecker gesagt: Ei, lass doch das Mädchen mitfahren. () Sprecherin 4 Im Fahrstuhl mit Honecker, auf Tuchfühlung mit den Mächtigen der Zeit. Die junge Pressefotografin war nah dran. Sie kommentiert das bescheiden. Schüchtern sei sie gewesen, eher unauffällig, ohne große Ausrüstung, die Kamera immer in der Handtasche. O-Ton 04 Barbara Klemm Die Politik war noch anders. () Es war alles noch sehr viel offener, es gab ja damals noch keine Attentate und all diese Geschichten, die ja später so ne große Rolle spielten und alles abgesichert wurde, () das gab es da alles nicht. Man war mit den Politikern doch sehr nah beieinander. Seite 3
4 Sprecherin 5 Barbara Klemm wird 1939 in Münster geboren. Sie wächst in Karlsruhe auf, wo ihr Vater, Fritz Klemm, Maler ist und an der Akademie der Künste lehrt. Von ihm lernt sie das genaue Hinschauen, den Blick für Komposition und die Wahl des Ausschnitts. Barbara Klemm mag die Schule nicht. Sie macht einen Realschulabschluss und beginnt danach eine Lehre in einem klassischen Portrait-Atelier. O-Ton 05 Barbara Klemm Und das hat mir auch Spaß gemacht, aber mehr Spaß hat mir eigentlich gemacht, wenn Hochzeiten waren und ich in der Kirche ab einem bestimmten Zeitpunkt so diese Szenen fotografieren konnte. Dann habe ich gedacht, das interessiert mich viel mehr als die akkuraten gesetzten Bilder () im Studio Sprecherin 6 Mit 19 Jahren kommt Barbara Klemm nach Frankfurt, in das Fotolabor der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie arbeitet als Klischografin das heißt: sie richtet an einer Maschine die Platten für den Zeitungsdruck ein: O-Ton 06 Barbara Klemm () Das war alles sehr körperlich harte Arbeit, mit großem Schraubenschlüssel, Räder verdrehen, weiß der Teufel was, und die großen Platten hacken, das ging so ganz gut. Ich wurde da angelernt und hab dann nach fünf Jahren angefangen frei zu fotografieren. Atmo 02 Frankfurt 1968 Seite 4
5 Sprecherin 7 Frankfurt Barbara Klemm lernt ihren Mann - einen Medizinstudenten - kennen, taucht mit ihm in die Studentenbewegung ein. Als 1969 das von Studenten besetzte Institut für Sozialgeschichte geräumt wird und Theodor W. Adorno mit der Polizei verhandelt, fotografiert Barbara Klemm. O-Ton 07 Barbara Klemm Wenn es Demonstrationen gab, und es gab Konfrontationen mit der Polizei, dann war ich da in dem Knäul drin, und war natürlich immer auf Seiten der Studenten () und hab dann gemerkt, dass mir die Bilder fehlten Das war die erste Lehre für mich, dass wenn man gut arbeiten will, ein Ereignis festhalten möchte, dass man sich da rausnehmen muss. Man muss ein Stück weit draußen stehen,() man muss seinen Standpunkt kennen, und wissen und den vertreten aber nicht sich damit einmischen. Sprecherin 8 Barbara Klemm startet ihre Karriere zunächst als freie Fotografin. Sie fotografiert Janis Joplin, Mick Jagger, schickt ihre Bilder an den Stern, an die ZEIT und natürlich an die FAZ. Dann bekommt sie einen festen Vertrag als Fotografin für die Ressorts Politik und Feuilleton. O-TON 08 Barbara Klemm Und da war ich 1970 in Polen, als Außenminister Scheel mit dem polnischen Außenminister den Anfang der Gespräche, wo man sich versuchte näher zu kommen, führte. ( ) Und hab mich nett angezogen, meine Kameras in ne weiche Tasche, ich habe immer nur weiche Taschen gehabt, wo man nicht sehen konnte, dass das eine professionelle Fototasche ist, und bin in die Halle und schnurstracks auf eine Tür zu, die halboffen stand, und wo ich Männer im schwarzen Anzug sah Und da stand der Außenminister Scheel. Und hatte Seite 5
6 gesagt: was machen Sie denn hier? Und dann habe ich gesagt, ich würde ganz gerne ein bisschen fotografieren. Dann hat er gesagt, ja, bleiben Sie mal da. Sprecherin 9 Barbara Klemm bleibt - und fotografiert den deutschen und den polnischen Außenminister nebeneinander vor einem Gobelin, der eine Liebesszene zeigt. Sie hat den Blick für das Detail und für das Gespür für den richtigen Moment - und sie war entschlossen, sie wollte immer das beste Bild. O-Ton 08a Das war für mich eine Herausforderung, dass ich mit einem Bild eine Geschichte erzählen musste..() Dass ich nicht wie in einem Magazin mehrere Bilder hab, für ne Geschichte, sondern es muss in einem sein, und das ist natürlich nicht so ganz leicht bei einem Ereignis, das länger dauert, oder ein interessantes Thema ist, und das dann zu komprimieren in einem Bild.() Sprecherin 10 Nicht nur die politische Machthaber interessierten sie, erst recht die Menschen, der Alltag, ihr Art zu leben und zu Überleben. In den 70er Jahren reist sie nach Rumänien, nach Polen: O-Ton 09 Barbara Klemm Damals hat uns die Redaktion in Polen an die Oder-Neisse-Grenze geschickt. Da sind wir im November mit einem Auto, mit einem Dolmetscher und Aufpasser auf der polnischen Seite gegenüber von Görlitz, da sind wir entlang gefahren, haben Aufnahmen gemacht( ) Und das waren traurige Zeiten. Man hatte wirklich das Gefühl, der Krieg war gerade erst vorbei, der Krieg, den wir angezettelt haben, den wir den Leuten gebracht haben und die mussten es ausbaden, obwohl wir ihn verloren hatten, das waren so Dinge, die einen sehr berührt haben, und die Leute haben es uns nicht nachgetragen. Sie waren von einer Seite 6
7 großen Freundlichkeit. Und das wenige, was sie hatten, haben sie versucht zu teilen, haben sie einem angeboten, was zu trinken, was zu essen und das ist so unglaublich gewesen Das hat mich natürlich sehr geprägt. () Sprecherin 11 Barbara Klemm ist viel gereist. Nach Cuba, in den Iran, nach China, nach Kalkutta. Sie erfasst die Menschen und Motive sensibel genau - und hält doch immer Abstand. Sie lässt den Fotografierten ihre Würde, oder stellt diese geradezu heraus. O-Ton 10 Barbara Klemm (Kürzen) 32 Ohne den Leuten auf die Pelle zu rücken. Sehr schnell. Ich drück dann einmal drauf und gehe dann weiter.() Man hofft, dass es scharf ist, dass das Licht stimmt Manchmal, wenn ich was gesehen habe, drehe ich mich auch erst mal um und mache meine Kamera so zurecht, dass ich dann weiß, wenn ich mich zurückdrehe, dass ich dann einmal draufdrücke. Sprecherin 12 Neben politischen Szenen und Bildern aus dem Alltag, fotografiert Barbara Klemm im Laufe ihrer Karriere immer wieder Künstler: Alfred Hitchcock, Andy Warhol oder Joseph Beuys. O-Ton 11 Barbara Klemm () Es war schon sehr oft sehr stressig, sehr hart. Und es ist ja auch verständlich, weil jeder das Bild braucht, und wir können nichts wiederholen, beim schreiben kann man nochmal Informationen einholen, () bei uns Fotografen geht das nicht. Also entweder wir haben es oder es ist nicht da. () Und das macht uns dann oft zur Meute. Da muss man dann schon einfach mal kämpfen, rennen, gucken. Atmo 03 Wiedervereinigung Seite 7
8 Sprecherin 13 Barbara Klemm begleitete mit ihrem Blick die großen politischen Momente, die Annäherung zwischen Ost und West, der langsame Einbruch der DDR. Nach dem Fall der Mauer gelingt ihr wieder etwas Besonderes: die Geschichte in nur einem Bild festzuhalten. O-Ton 12 Barbara Klemm Manchmal steht man da Stunden. Das war in Dresden (), als der Kohl das erste Mal nach der Wiedervereinigung eine Rede gehalten hat, hab ich mir das Podest angeguckt, was das Bundespresseamt aufgestellt hat, ob das ein guter Platz ist, manchmal ist das nämlich gar nicht so, und habe festgestellt, dass er sehr gut ist, die Frauenkirche im Hintergrund, als Ruine, und dann den Rednerpult Und so kam dieses Bild zustande, wie diese Masse da mit den Fahnen und auf den Kohl zugesteuert, der nur einen ganz kleinen Kopf hat, die Ruinen im Hintergrund im Dunkeln und das ganze angestrahlt vom Fernsehen, () also das ist dann wie ein Gemälde geworden. () Sprecherin Auch heute fotografiert Barbara Klemm noch ausschließlich schwarzweiß, ohne Stativ und ohne Blitz. Ihre Fotografien wirken weit über den Augenblick hinaus, und sie gibt ihr Wissen weiter, sie lehrt an der Fachhochschule für Gestaltung in Darmstadt ENDE Seite 8
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