Beitrag: Geiseldrama in Somalia Deutscher Hochstapler gefährdet Seeleute

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Geiseldrama in Somalia Deutscher Hochstapler gefährdet Seeleute Sendung vom 25. November 2014 von Jörg Brase und Christian Rohde Anmoderation: Unsere nächste Geschichte ist abenteuerlich. Sie handelt von Piraten. Piraten der Neuzeit, die mit Schnellbooten und Maschinengewehren Schiffe kapern, Geiseln nehmen und Lösegeld erpressen. Ein gnadenloses Geschäft, über das Jörg Brase und Christian Rohde berichten. Es ist eine See- Räuberpistole um Leben und Tod, aber auch um Lug und Trug. Denn unsere Reporter mussten bei der Recherche erst einmal jede Menge Seemannsgarn entwirren. Text: Piraten vor Somalia. Filmausschnitt Captain Phillips, Sony Picture Home Entertainment: Schießt auf sie! Sie schießen, sie schießen - Wasser marsch! Die reale Entführung eines amerikanischen Containerschiffs wird zur Vorlage für ein Hollywood-Drama mit Tom Hanks in der Hauptrolle - als Kapitän. Die Piraten kapern das Schiff, um Millionen zu erpressen. Es ist ein mörderisches Geschäft. Filmausschnitt Captain Phillips, Sony Picture Home Entertainment: Sieh mich an! Ich bin Kapitän jetzt! Im Film wird die Besatzung befreit. In der Realität bleiben die Geiseln oft Jahre in der Hand somalischer Piraten vergessen von der Welt.

2 [Hamburg, Februar 2014] Containerhafen Hamburg. Verabredung mit einem Mann, der sagt, er habe Schiffe auf allen Weltmeeren gefahren. Andreas Holst. Er spricht von Seemannssolidarität, er möchte Geiseln aus Piratenhand befreien, sie vor dem Tod bewahren. Das sind dann Leute, um die sich keiner mehr kümmert. Aus dem einfachen Grund, die Reedereien gibt es zum Teil nicht mehr, die Schiffe gibt es zum Teil nicht mehr, und deren Heimatsstaaten machen überhaupt nichts. Diese Geiseln, zum Beispiel der MV Albedo, die sind schon seit ein paar Jahren in Geiselhaft - unter schlimmsten menschenunwürdigsten Bedingungen. Viele von denen sind sehr krank. Und wir versuchen jetzt mit humanitären Geldzahlungen, Hilfeleistungen, diese Geiseln freizubekommen. Mehr als einhundert Schiffe wurden seit 2008 vor der Küste Somalias entführt. Bis zu 150 Millionen Dollar jährlich erpressten Piraten von Reedern, Staaten und Angehörigen. 12 November Mit ihrem Mutterschiff greifen schwerbewaffneten Piraten die MV Albedo an einen Frachter unter malaysischer Flagge. Erst halten die Seeräuber die Crew an Bord gefangen, fordern millionenschweres Lösegeld. Dann sinkt das Schiff, mehrere Seeleute ertrinken. Elf werden per Rettungsboot an Land verschleppt. Der Reeder ist pleite, kann nichts zahlen. Die Angehörigen sind mittellos. Über drei Jahre dauert die Geiselhaft der Seeleute inzwischen. Andreas Holst verspricht, das zu beenden. Es müsse nur genügend Lösegeld zusammenkommen. Ich bin da so bei verschiedenen Reedern gewesen. Die haben aus humanitären Gründen eben gewisse Summen zur Verfügung gestellt. Wir haben dann dieses Geld nach Nairobi verfrachtet. Verdienen Sie eigentlich was an der Aktion? Überhaupt nicht, überhaupt nicht. Ich mache das aus freien Stücken und verdiene da gar nichts dran. Können Sie denn über Summe reden, um die es da geht?

3 Na ja, also, was wir aus Hamburg zusammengesammelt hatten, das waren eine halbe Million Euro. Holst präsentiert Pläne, wie die Geiseln befreit werden könnten. Er verweist auf seine exzellenten Kontakte zu UN- Sicherheitsbehörden in Afrika und ins NATO-Hauptquartier. Ich sage, in meinen Ohren hört sich das verrückt an, was Sie planen? Nein, verrückt ist das gar nicht, da ich ja einen sehr guten Freund habe, Colonel Steed, der da unten das Büro für Maritime Sicherheit leitet, in Nairobi, und der auch schon erfolgreich mehrere Besatzungsgruppen aus den Händen somalischer Piraten befreit hat. [Nairobi, August 2014] Nairobi. Hier gibt es tatsächlich ein UN-Büro, das bei vielen Geiselnahmen vermittelt hat. John Steed leitet das Hilfsprogramm. Ihm hatte Andreas Holst für die Befreiung der Schiffsgeiseln Lösegeld versprochen. Doch das ist bei Steed nie angekommen. Holst brach den Kontakt ab, ließ Treffen immer wieder platzen. Da wurden wir misstrauisch. Und als wir versuchten zu überprüfen, ob Holst tatsächlich Geld nach Kenia gebracht hatte, so wie versprochen, wich er immer mehr aus. Und uns wurde klar das wir getäuscht wurden. Steed sagt, er habe Holst vertraut. Und auch an seine Reden von Kameradschaft unter Seeleuten geglaubt. Tatsächlich hatte Holst sogar schriftlich versprochen, Dollar zu besorgen. John Steed war sich sicher: Mit dem Geld würden die Geiseln endlich freikommen. Doch es kam ganz anders. Plötzlich verschwindet Holst nach Irland. Der Deal mit den Piraten droht zu platzen, weil das Geld noch immer nicht da ist. Steed schaltet einen Experten für Geiselnahmen und Lösegeldforderungen ein. Der telefoniert ein letztes Mal mit Andreas Holst. O-Ton Leslie Edwards, Experte für Geiselverhandlungen: Und dann fing er an Geschichten zu erzählen, wie er mit einem Bleikoffer das Geld aus Irland schaffen wolle, vorbei an allen Sicherheitskontrollen am Flughafen in Dublin. Und spätestens da wurde klar, entweder wir haben es mit einem exzentrischem Amateur, einem Spinner oder einem Betrüger

4 zu tun. Innerhalb der nächsten Wochen wurde klar, Holst ist ein Betrüger. Als auch den Piraten klar wird, dass das versprochene Geld nie kommen wird, müssen die Geiseln um ihr Leben fürchten. Die Piraten schlugen und folterten die Seeleute. Er setzte das Leben der Geiseln aufs Spiel. Er setzte auch mein Leben und das meines Teams aufs Spiel. Denn wir sind es, die nach Somalia reingehen und die Seemänner rausholen. Er gefährdete die Verhandlungen, er riskierte Menschenleben. Sie wurden wegen ihm gefoltert. Eine Geisel, ein Seemann aus Bangladesch, bestätigt später die schweren Vorwürfe per Videotelefon. O-Ton Aman Kumar Sharma, ehemalige Geisel auf der MV Albedo: Als das Ultimatum ablief, kamen die Piraten in unsere Hütte und schrien uns an: Was ist los, was ist passiert? Wo bleibt das Geld? Und dann immer wieder Folter: Wir wurden an Händen und Füßen gefesselt, mit Gewehrkolben geschlagen und stundenlang mit dem Kopf nach unten an Bäume gehängt. Weiß Holst, was er da angerichtet hat? Und: Wo ist das Geld geblieben, dass er versprochen hatte? Hat er es für sich behalten? O-Ton Leslie Edwards, Experte für Geiselverhandlungen: Warum all dieser Aufwand, all diese s, die vielen Anrufe und die ganzen Geschichten, wenn du kein Geld rausschlagen willst? Und meine Vermutung ist klar: Holst hat daran verdient. [Letterkenny, September 2014] Andreas Holst hält sich nach wie vor in Irland auf. Wir hatten ihn per kontaktiert. In seinen Antworten zu dem Geiseldrama kein Wort. Deshalb besuchen wir ihn zu Hause. Wissen Sie, dass Sie Menschenleben gefährdet haben, mit Ihrer Aktion? Ich habe keine Menschenleben gefährdet, ich kann ihnen gerne ein paar Sachen zeigen, machen Sie bitte die Kamera aus.

5 Sie haben Menschenleben gefährdet! Wir können uns vernünftig unterhalten Kamera ausmachen, bitte! Holst will reden - erst ohne Kamera. Dann dürfen wir doch drehen. Ein weiterer Versuch. Sie sprachen von Seemannssolidarität in einem langen Interview mit mir. Sieht so Seemannsolidarität aus, sich einfach aus dem Staub machen? Ich habe mich nicht aus dem Staub gemacht. So. Ich habe mich nicht aus dem Staub gemacht. So. Und ich zeige Ihnen das auch nachher. Und ich muss bloß jetzt grade was machen. Ich habe Ihnen gesagt, geben Sie mir 20 Minuten Zeit, mehr brauch ich nicht. Aus zwanzig Minuten werden Stunden, dann Tage. Später antwortet Holst auch nicht mehr auf schriftliche Fragen. Er erklärt nicht, wo all das Geld geblieben ist. Erst recht nicht, ob seine Versprechen nichts weiter als dreiste Lügen waren. Stattdessen droht er mit Anwälten. Die Geiseln der MV Albedo sind inzwischen befreit ohne Holst. John Steed hat andere Unterstützer gefunden. Ich wollte die Geiseln endlich nach Hause bringen. Sie so die Probleme vergessen lassen, die Holst verursacht hat. Er verdient eine gerechte Strafe, ich habe nichts als Verachtung für ihn übrig. Holst behauptet bis zuletzt, er habe nur Gutes tun wollen. Inzwischen wird er per Haftbefehl gesucht. Zwei Anklagen liegen gegen ihn vor: Verdacht auf Betrug. In Somalia indes sitzen noch immer 37 Seeleute in der Hand von Piraten fest, fast vergessen von der Welt. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.