HERINGSDORF VOM FISCHERORT ZUM»NIZZA DER OSTSEE«

Transkript

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2 KANN ein luxuriöser Badeort einen so profanen Namen wie»heringsdorf«tragen? Er kann. Seine Majestät Friedrich Wilhelm III. wird kaum geahnt haben, welche Zukunft der kleinen, gerade erst gegründeten Fischerkolonie bevorstand, als er seinen Sohn 1820 aus einer Laune heraus aufgefordert haben soll, dem gemeinsam besuchten Flecken einen Namen zu geben sonst hätte er wohl etwas mehr Sorgfalt walten lassen. Der Kronprinz entschloss sich nämlich, so die Überlieferung, kurzerhand für den Hering als Namensgeber. Und bald reiste jeder, der auf sich hielt und es bezahlen konnte, sommers nach Heringsdorf oder zumindest in die Nachbarorte. Denn aus dem Flecken mit seinen Fischerhütten war innerhalb weniger Jahrzehnte das»nizza der Ostsee«geworden, in dem Berliner Hochfinanz und Aristokratie, Wissenschaftler und Künstler»die Saison«verbrachten. Dass der Hering eigentlich ein armer-leute-fisch war, störte dabei niemanden. Postkarten aus der Zeit um 1900 die Ansichtskarte erlebte in Deutschland gerade ihren ersten Boom zeigen von Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin gewöhnlich ein Ensemble aus Strand, Seebrücke und Hotels, das im Hintergrund von schattigem Walde begrenzt wird. Ruderboote liegen im Sand oder starten gerade zu einer Ausfahrt, der Herr im Anzug und selbstverständlich mit Hut rudert die Dame seines Herzens ein Stück aufs Meer welch ein Abenteuer! Sonnenschirme werden kokett gehalten, in den Strandkörben sitzen Mütter und Gouvernanten und beaufsichtigen Kinder beim Spielen. Flanierende Paare lassen sich auf den Seebrücken den Wind um die Nase wehen, breitkrempige Hüte und Schleier bieten Schutz vor den Sonnenstrahlen. Die Bezeichnung»Kaiserbäder«für die an Usedoms Nordostküste fast nahtlos ineinander übergehenden Orte Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin ist übrigens eine moderne Erfindung. Die postalischen Grüße wurden um 1900 stets aus den»ostseebädern«versandt, obwohl die kaiserliche Familie in den ersten Jahrzehnten tatsächlich zu den Gästen zählte und die Heringsdorfer Seebrücke ganz offiziell auf Erlaubnis seiner Majestät hin den Namen»Kaiser-Wilhelm-Brücke«trug. Zudem entstand im»allerhöchsten Auftrage«im Frühjahr 1913 in Ahlbeck das»kaiser Wilhelm-Kinderheim«als Ferienstätte für Pennäler der Berliner Gemeindeschulen. Allerdings: Auch das Seebad Swinemünde hatte ein»könig Wilhelm-Bad«und eine»kaiserhalle«; und Misdroy war als Seebad nicht zuletzt wegen der häufigen Besuche des preußischen Kronprinzen Friedrich III. und späteren Kaisers sowie seiner Familie bekannt. Hier wurde 1885 die erste Seebrücke errichtet und als»kaiser-friedrich-brücke«benannt. Streng genommen könnten sich also auch weitere Orte so sie es denn wollten als Kaiserbad bezeichnen. Dass der Begriff mit Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin verbunden wird, liegt am Geschick einer Münchener PR-Agentur, die 1992 im Auftrag der Usedomer Tourismuswirtschaft ein markiges Werbekonzept erarbeit hat. 5

3 Gut besucht präsentiert sich hier die Restauration des Ahlbecker»Strand Hotel«. Das Haus aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts überzeugte mit Komfort und man ahnt es kurzen Wegen zur See. Eingerahmt wurde es dort vom Damenbad im Osten und von der Seebrücke in westlicher Richtung. Seite 31: Wasser, Sand und eine Schaufel mehr braucht es offensichtlich nicht, um glücklich zu sein. Um 1905 ist diese Aufnahme spielender Kinder am Strand entstanden. Links vor den Fischerbooten freut sich ein gut bekleideter Herr am leichten Wellengang. Eine Schönwettergarantie gab und gibt es auch auf der»sonneninsel«usedom nicht:»das Wetter ist die letzte Zeit nicht schön gewesen, immer kalt und regnerisch«, schrieb auf der unteren Karte ein weiblicher Gast der»villa Margareteshöh«. 30 AHLBECK

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5 HERINGSDORF VOM FISCHERORT ZUM»NIZZA DER OSTSEE«Das als mondän bekannte Heringsdorf war einst eine namenlose Ansiedlung auf dem Grund des Rittergutes Gothen. Sie entstand unmittelbar östlich eines älteren Ortes, Neukrug. Das Gothener Gut, welches seit 1817 zum Besitz des Oberforstmeisters Georg Bernhard von Bülow gehörte, galt wegen seiner kargen Sandböden und der dort häufig zu verzeichnenden Überschwemmungen als armer Landstrich. Allerdings zogen an dieser Küste auch immer wieder große Heringsströme entlang, sodass sich die wenigen ansässigen Bauern einen gewissen Nebenerwerb sichern konnten. Ungewöhnlich starke Fischzüge im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts veranlassten verschiedene staatliche Maßnahmen zur Ausnutzung des Fischreichtums. Mehrere Heringspackereien entstanden, in denen der gefangene Fisch verarbeitet und zum Transport vorbereitet wurde. Auch Oberforstmeister von Bülow ließ dazu einen neuen Ort gründen das spätere Heringsdorf. Dass der preußische Thronfolger anlässlich eines Besuchs in Swinemünde seinen Beamten von dort aus besuchte und sich über die Fischproduktion informierte, wäre bei den guten Kontakten des Oberforstmeisters zum Königshaus durchaus vorstellbar. Und dass der Ortsname aus königlichem Munde verliehen wurde, ist allemal eine schöne Anekdote die vielleicht sogar stimmt. Von Bülow bewies nicht nur beim Umgang mit Heringen und Majestäten Talent, er erkannte auch früh das im Badewesen vorhandene Potenzial. Swinemünde als Beispiel vor Augen, baute er 1828 ein Gesellschaftshaus, nachdem vier Jahre zuvor die erste Badesaison erfolgreich verlaufen war und sich einige Logierhäuser bereits großer Beliebtheit erfreuten. Das Gesellschaftshaus am steil zum Meer hin abfallenden»kulm«stand übrigens fast 100 Jahre, bevor es 1926 abgerissen wurde. In den folgenden Jahrzehnten gedieh der Fremdenverkehr langsam, aber stetig; 1853 zählte man 768 Badegäste, 1870 sollten es bereits 2140 sein. Eine 1932 erschienene Ortschronik vermerkte rückblickend mit Stolz:»Zumeist Gäste aus der Aristokratie und solche aus Künstler- und Gelehrtenkreisen, hervorragende Vertreter des Handels, der Hochfinanz, des Grundbesitzes suchten mit Vorliebe ihre Erholung auf diesem herrlichen Fleckchen Erde.«Einen immensen Schub erfuhr der mittlerweile als vornehm bekannte Ort ab 1872, nachdem die Berliner Brüder Hugo und Adalbert Delbrück das Strandgelände, ein Waldstück und einige Häuser für Taler gekauft und die»aktiengesellschaft Seebad Heringsdorf«gegründet hatten wurde Heringsdorf vom Kaiser offiziell zum Seebad erklärt und erhielt den Status einer selbstständigen Gemeinde. Ein wahrer Bauboom setzte ein, und schon bald standen im Ort Häuser, wie sie auch in den vornehmsten Berliner Straßen zu finden waren. Von See aus bot sich der Blick auf ein riesiges Villenviertel, das durchzogen war von weitläufigen Gärten. Je nachdem, wann und durch wen die Gebäude errichtet wurden, spiegeln sie verschiedenste Baustile wider. Zu finden sind bzw. waren Anlehnungen an französische Renaissance-Paläste, italienische Landhäuser, klassizistische Stadt- oder nordische Blockhäuser. Mit dem Verkauf der Baugrundstücke machte die»aktiengesellschaft Seebad Heringsdorf«ab den 1870er Jahren guten Gewinn. Wer in der Berliner Gesellschaft etwas auf sich hielt, errichtete in Heringsdorf einen Sommersitz, der natürlich den hauptstädtischen Gepflogenheiten entsprechen musste. Auf dem Grundstück und in den Gebäuden unterzubringen waren neben dem Hausrat auch Stallungen und Nebengelasse für die Pferde und Kutschen bzw. Automobile sowie Wohnmöglichkeiten für das Personal. Die Usedomer Villen des Berliner Geldadels zeugten vom sozialen Status ihrer Besitzer und dienten selbstverständlich auch dem Zwecke der Repräsentation. Architekt der beiden Heringsdorfer Villen von Adalbert Delbrück war Hermann von der Hude, der schon zahlreiche Villen im Berliner Tiergartenviertel errichtet hatte. Zu seinen wichtigsten Arbeiten zählt außerdem die Hamburger Kunsthalle. Im Erdgeschoss des ersten Delbrück schen Anwesens gab es einen Salon, der in ein Gartenzimmer nach Südwesten und eine Seeterrasse nach Nordosten überging. Er war das Zentrum 60 HERINGSDORF

6 Herrlich sitzen und schlemmen ließ es sich auf der Terrasse des Kurhauses, die diese Fotografie aus den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zeigt. Die Gäste konnten dabei den Blick auf die Strandpromenade, die Ostsee und das futuristisch anmutende Strand-Casino genießen. Das ab 1871 errichtete Kurhaus verfügte neben seinem großen Speisesaal mit seiner offenen Veranda unter anderem über ein Billard- und Lesezimmer und bildete mit Konzerten und Bällen bereits im 19. Jahrhundert einen der»hauptvereinigungspunkte der Badegesellschaft«. des Hauses; hier trafen sich das Ehepaar Delbrück, seine fünf Kinder und die Gouvernante, weitere Familienmitglieder und Gäste. Ebenfalls in der Beletage lagen ein Schlafzimmer mit Ankleideraum und Garderobe, ein Bad, ein Arbeitszimmer, das Schwiegermutter- und das Gästezimmer, die Diele und ein WC. Die Küche befand sich im Sockelgeschoss, Speisen wurden per Aufzug hinaufgeschickt. Den Kontakt zum Personal hielt die Hausfrau mit einem eigens installierten Hörrohr. Ebenfalls im Souterrain lag die Bedienstetenwohnung mit drei Zimmern und einer separaten Küche; hier wohnte das Gartenpersonal, das auch im Winter für das Anwesen zuständig war. Der Garten wurde nach Fertigstellung des Hauses 1872 aufwändig gestaltet, was aufgrund des feinen Dünensandes nicht leicht gewesen sein dürfte. Neben die vorhandenen Fichten wurden unter anderem Kiefern, Buchen und Tannen gesetzt; der Fahrweg wurde von Kastanien gesäumt. Auf einem Rasenplatz konnte Krocket gespielt werden, es gab ein Gewächshaus und ein Stallgebäude. Das Haus, das auf ein Vorbild in Lugano zurückging, kostete mit Garten und Einrichtung etwa Mark. Zum Vergleich: Um 1900 betrug der monatliche Durchschnittslohn eines Hafenarbeiters in Hamburg 61 Mark. Beide Häuser Adalbert Delbrücks, bis 1921/22 im Familienbesitz, wurden 1970 abgerissen, nachdem sie als Offizierserholungsheim, sowjetisches Armeesanatorium und Ferienheim des DDR-Gewerkschaftsbundes gedient hatten. Gleich nebenan (Delbrückstraße 11) wohnte im Sommer die Familie von Bankier Benoit Oppenheim. Das Haus überstand die Wirrnisse der Zeit unter anderem als sowjetisches Sanatorium, als Gästehaus des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit und als Feriendomizil des Ministers. Nach der Wende wurde die Villa an die Familie Oppenheim zurückgegeben, die sie dann verkaufte. Die Villa Oppenheim zählt zu den schönsten Heringsdorfs und inspirierte auch Künstler wie Lyonel Feininger. Der skizzierte sie 1911 und 1918 und gab sie in einem Holzschnitt wieder. HERINGSDORF 61